Leitsatz (amtlich)

Vertreibt ein Handelsvertreter Massengüter des tätlichen Bedarfs mit geringem Wert des Einzelstücks – hier Jahresabonnements für Zeitschriften –, so spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, daß dem Unternehmer eine Durchsetzung seiner Ansprüche gegen abnahme- und zahlungsunwillige Abonnenten durch gerichtliches Vorgehen in den meisten Fällen nicht zuzumuten ist; es ist Sache des Handelsvertreters für bestimmte Einzelfälle das Gegenteil darzutun. Abgesehen von solchen Fällen bestehen keine Bedenken gegen die Rechtswirksamkeit einer vertraglichen Vereinbarung zwischen Unternehmer und Handelsvertreter, daß dieser die Provision für Bestellungen von Abonnenten, die Abnahme und Zahlung alsbald verweigern, zurückzugewähren hat.

 

Normenkette

HGB § 87 a Abs. 3

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 26.01.1970)

LG Lübeck

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 26. Januar 1970 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin vertreibt Zeitschriften durch Werbekolonnen, die unter der Leitung von sog. Oberreisenden stehen. Der Beklagte arbeitete gemäß dem Vertrag vom 3. August 1964 als Oberreisender für die Klägerin. Er erhielt für die von den Werbern hereingeholten Jahresabonnements auf Zeitschriften eine sog. Superprovision.

In Ziff. VI des Vertrages heißt es u.a.:

„Es werden jeweils 20 % der Bruttoprovision als Sprunghaftung einbehalten. Sobald das Deckungskonto den Betrag von DM 3.000,– übersteigt, wird die Provision auf Anforderung voll ausbezahlt. … Für jeden getätigten Auftrag wird eine Sprunghaftungszeit von 18 Wochen vereinbart, für die monatlich erscheinenden Objekte … 26 Wochen Sprunghaftungszeit. Wenn die Abnahme der Hefte innerhalb dieser Haftungszeit von den geworbenen Abonnenten verweigert wird, wird dem Oberreisenden der volle Provisionsbetrag an der wöchentlichen Provisionsabrechnung gekürzt. Für ausgeschiedene Werber, deren Kautionskonto für den angefallenen Sprung nicht ausreicht, übernimmt der Oberreisende die volle Haftung.

Provisionsabrechnungen und Sprungbelastungen sollen sofort bei Erhalt geprüft werden. Reklamationen, insbesondere Sprungreklamationen können nur innerhalb von 10 Tagen nach Erhalt der Abrechnung geltend gemacht werden. Wenn das Deckungskonto infolge vorzeitigen Ausscheidens des Oberreisenden nicht die vereinbarte Höhe erreicht hat oder wenn der begründete Verdacht einer unsauberen Arbeitsweise mit zu erwartendem überhohem Sprunganfall besteht, darf die Firma die letzte Wochenabrechnung als zusätzliche Sicherung in voller Höhe einbehalten.

…”

Das Vertragsverhältnis der Parteien endete a.m 30. September 1966.

Die Klägerin hat behauptet: Nach Verrechnung einer an sie abgetretenen Forderung in Höhe von 3.250 DM habe das auf Sprüngen beruhende Defizit auf dem Deckungskonto des Beklagten am 1. Oktober 1966 noch 2.323,67 DM betragen. Ferner sei auf dem Sprungkonto des dem Beklagten unterstellt gewesenen ausgeschiedenen Werbers B. ein Defizit von 400,25 DM vorhanden. Die Klägerin hat demgemäß beantragt, den Beklagten zu verurteilen ihr 2.723,92 DM nebst Zinsen zu zahlen.

Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen.

Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den Klageanspruch weiter. Der Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

1. Das Berufungsgericht hat es offengelassen (BU 5, 6), ob sich aus Ziffer VI des Vertrages überhaupt eine Verpflichtung des Beklagten ergebe, noch nach seinem Ausscheiden bei der Klägerin im Falle eines Defizits auf seinem Deckungskonto Provisionen zurückzuzahlen, die er für Abschlüsse mit sog. Springern erhalten habe. Jedenfalls scheitere das Klagebegehren daran, daß die unter Ziffer VI getroffene Vereinbarung zum Nachteil des Beklagten von den zwingenden Vorschriften des § 87 a Abs. 3 HGB abweiche und deshalb nichtig sei.

Das Berufungsgericht ist dabei davon ausgegangen, daß in den Fällen, in denen die Klägerin Rückzahlung gezahlter Provisionen begehre, die geworbenen Bezieher die Abnahme der bestellten Zeitschriften von Anfang an abgelehnt und sie auch nicht bezahlt hätten. Bei einem solchen Sachverhalt richte sich der Provisionsanspruch des Handelsvertreters nicht nach § 87 a Abs. 2 HGB, sondern ausschließlich nach § 87 a. Abs. 3.

Diese Auffassung hat auch der erkennende Senat im Urteil vom 1. Dezember 1960 VII ZR 210/59 (LM Nr. 4/5 zu § 87 a HGB) vertreten (ebenso Schröder, Recht der Handelsvertreter § 87 a Anm. 24). Den entgegenstehenden Ausführungen der Revision kann nicht gefolgt werden. Insbesondere ist ihr nicht darin beizutreten, daß der tatsächlichen Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer die Fälle gleichgestellt werden müßten, in denen der Unternehmer das für die Ausführung des Geschäfts Erforderliche getan habe und der Kunde sich in Annahmeverzug befinde. Den Vorschriften des § 87 a HGB ist für eine solche Auslegung nichts zu entnehmen.

2. Das Berufungsgericht (BU 6 ff) hält die in Ziffer VI des Vertrages getroffene Regelung für nicht vereinbar mit den zwingenden Vorschriften des § 87 a Abs. 3 HGB. Unmöglichkeit der Ausführung habe die Klägerin nicht geltend gemacht. Auch daß ihr die Ausführung der Geschäfte in allen hier in Betracht kommenden Fällen nicht zuzumuten gewesen sei, habe die Klägerin nicht hinreichend dargetan. Zahlungsunfähigkeit aller dieser Kunden habe sie selbst nicht behauptet. Zahlungsunwilligkeit des Bestellers sei für sich allein kein ausreichender Grund für den Unternehmer, von der Ausführung der Geschäfte abzusehen. Der Meinung der Klägerin, die zwangsweise Durchsetzung ihrer Ansprüche aus den mit den Kunden abgeschlossenen Jahresverträgen über die Bestellung von Zeitschriften lohne sich bei der geringen Größe der Objekte wirtschaftlich nicht und sei ihr deshalb nicht zuzumuten, könne nicht zugestimmt werden. § 87 a Abs. 3 HGB, der Schutzvorschriften für den Handelsvertreter enthalte, dürfe nicht für bestimmte Gewerbetreibende, die sich mit dem Vertrieb kleinerer Objekte befaßten, praktisch aufgehoben werden.

Diese Ausführungen greift die Revision mit Recht an.

a) Dem Berufungsgericht ist zwar darin beizutreten, daß die vertragliche Vereinbarung der Parteien, wonach der Beklagte in Fällen eines Abspringens von Zeitschriftenabonnenten in den ersten 18 bzw. 26 Wochen seine Provisionsansprüche wieder verlieren soll, nicht allgemein und ohne Einschränkung als rechtswirksam anerkannt werden kann. Diese Vereinbarung ist vielmehr im Hinblick auf die zwingenden Vorschriften des § 87 a Abs. 3 HGB nichtig, soweit der Klägerin die Ausführung des Geschäfts mit Kunden, die Zeitschriften bestellt hatten, aber dann nicht abnehmen und zahlen wollten d.h. die Durchsetzung ihrer vertraglichen Erfüllungsansprüche gegen diese Besteller zuzumuten war. Die Parteien konnten nicht ein für allemal und ohne Rücksicht auf den Einzelfall bestimmen, daß die Ausführung des Geschäfts bei Springern der Klägerin stets ohne weiteres unzumutbar sei.

b) Das Berufungsgericht legt andererseits den Begriff der Unzumutbarkeit in § 87 a Abs. 3 HGB zu eng aus. Es führt selbst unter Hinweis auf Brüggemann in Großkom. HGB § 87 a Anm. 5 unter bb an, daß hierbei die Erfordernisse einer kaufmännisch vernünftigen Betriebsführung von Bedeutung sein könnten. Es geht auch davon aus, daß der für die gerichtliche Durchsetzung zahlreicher durchweg kleiner Zahlungsansprüche erforderliche finanzielle und personelle Aufwand durch die eingehenden Beträge wahrscheinlich nicht gedeckt werden könnte.

Das legt aber die Annahme nahe, die Ausführung der Geschäfte mit den sog. Springern jedenfalls in vielen Fällen als der Klägerin nicht zumutbar anzusehen.

Ein wichtiger Grund für die Nichtausführung eines Geschäfts wird zwar nach § 87 a Abs. 3 Satz 2 HGB insbesondere in der Person des Kunden liegen. Die Unzumutbarkeit für den Unternehmer kann sich aber auch aus anderen Umständen ergeben (ebenso Schröder a.a.O. § 87 a Anm. 38, 39). So kann bei dem Vertrieb von Massengütern des täglichen Bedarfs mit geringem Wert des Einzelstücks die zwangsweise Durchsetzung zahlreicher kleiner Ansprüche gegen Kunden, die nicht mehr abnahme- und zahlungswillig sind, wirtschaftlich nicht lohnend und deshalb dem Unternehmer nicht zuzumuten sein. Dabei ist zu berücksichtigen, daß das Risiko Kunden zu werben, die nachher die eingegangene Verpflichtung nicht erfüllen, grundsätzlich in erster Linie der Handelsvertreter tragen muß.

Das erkennt auch das Berufungsgericht an. Es meint aber (S. 10), die Klägerin müsse ihr Ziel, Einbußen in den Sprungfällen zu vermeiden, auf andere Weise erreichen, indem sie etwa die Provisionen im allgemeinen niedriger bemesse und nachträglich einen Zuschlag zahle, wenn die Kunden nicht abspringen, oder den erfahrungsgemäß anfallenden Prozentsatz von Springern von vornherein bei Festsetzung der Höhe der Provision einkalkulieren. Eine solche Regelung könnte jedoch die ganz unerwünschte Folge haben, daß sie den seriösen Werber gegenüber dem unseriösen benachteiligt. Im übrigen wäre sie im Endergebnis keinesfalls günstiger für den Handelsvertreter. Es ist daher nicht einzusehen, daß die hier in Ziffer VI des Vertrages getroffene Vereinbarung nach dem Sinn und Zweck des § 87 a Abs. 3 HGB, einerseits den Handelsvertreter zu schützen, anderseits aber auch den Unternehmer nicht unzumutbar zu belasten, in vollem Umfang unzulässig sein sollte.

c) Der Senat hat zwar im Urteil vom 23. Mai 1966 VII ZR 223/63 ausgesprochen, es sei Sache des Unternehmers im einzelnen darzulegen und zu beweisen, daß für bestimmte nicht ausgeführte Geschäfte aus den in § 87 a Abs. 3 Satz 2 genannten Gründen keine Provisionspflicht bestehe. Dort und in sonstigen vom Senat entschiedenen Fällen handelte es sich um Einzelgeschäfte größeren Umfangs. Der vorliegende Fall eines Zeitschriften-Vertriebes hat die Besonderheit, daß es sich fast ausnahmslos um kleine und kleinste Bestellungen handelt. Hier muß der Maßstab der Unzumutbarkeit nach dem Vorgesagten ein anderer sein. Eine tatsächliche Vermutung spricht hier dafür, daß es dem Unternehmer nicht zuzumuten ist, seine Ansprüche gegen zahlreiche nicht abnahme- und zahlungswillige Kunden unter Inanspruchnahme der Gerichte und Vollstreckungsorgane durchzusetzen. Es bleibt aber dem Beklagten unbenommen darzulegen und gegebenenfalls unter Beweis zu stellen, daß in bestimmten Fällen der Klägerin die Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen Springer doch zuzumuten gewesen wäre, insbesondere etwa in wertmäßig bedeutenderen Fällen oder in solchen, in denen die Besteller die Zeitschriften eine Zeitlang, aber weniger als 18 bzw. 26 Wochen bezogen hatten. Insoweit ist die in Ziffer VI des Vertrages vorgesehene Springerhaftung des Beklagten nicht anzuerkennen, weil sie mit den zwingenden Vorschriften des § 87 a Abs. 3 HGB nicht vereinbar ist.

d) Das berührt aber die Rechtswirksamkeit des Vertrages im übrigen nicht. Der erkennende Senat hat gerade für das Handelsvertreterrecht ausgesprochen, daß gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen verstoßende Einzelvereinbarungen die Rechtswirksamkeit des Vertrags im ganzen nicht in Frage stellen, daß der Vertrag vielmehr ohne Rücksicht auf den insoweit etwa, abweichenden Willen der Parteien den diesen zwingenden Bestimmungen entsprechenden Inhalt erhält (BGHZ 40, 235, 239). Dieser Grundsatz führt nach dem Vorgesagten hier dazu, daß die Vereinbarung der Parteien in Ziffer VI des Vertrages insoweit, aber auch nur insoweit unwirksam ist, als festzustellen ist, daß der Klägerin ein Vorgehen gegen nicht abnahme- und zahlungswillige Besteller zuzumuten war.

e) Alles Vorgesagte gilt auch hinsichtlich des Fehlbestands von 400,25 DM auf dem Konto des dem Beklagten unterstellten Werbers Baartz.

3. Das angefochtene Urteil muß hiernach aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Dieses wird zu prüfen haben, inwieweit die von der Klägerin in Anspruch genommene Springerhaftung des Beklagten durchgreift und inwieweit das nicht der Fall ist.

4. Für die neue Entscheidung kann aber auch noch ein anderer rechtlicher Gesichtspunkt von Bedeutung sein.

Das Berufungsgericht hat es, wie bereits erwähnt, offen gelassen, ob aus der Ziffer VI des Vertrages überhaupt eine Verpflichtung des Beklagten zu entnehmen ist, noch nach seinem Ausscheiden Provisionen, die er für Abschlüsse mit Springern erhalten hat, zurückzuzahlen. Die – offenbar von der Klägerin stammende – Fassung der Ziffer VI kann den Eindruck erwecken, als ob der Handelsvertreter danach im allgemeinen für Springer nur mit dem Bestand des Deckungskontos haften solle. Für den Fall, daß dieses infolge vorzeitigen Ausscheidens des Oberreisenden nicht die vereinbarte Höhe erreicht hat oder daß der begründete Verdacht einer unsauberen Arbeitsweise mit zu erwartenden überhohen Sprunganfällen besteht, hat die Klägerin sich als zusätzliche Sicherung die Einbehaltung der letzten Wochenabrechnung in voller Höhe ausbedungen. Der Beklagte und andere Handelsvertreter konnten das aber möglicherweise dahin verstehen, daß sie zu einer Rückzahlung von Provisionen aus anderen Mitteln als dem Deckungskonto jedenfalls nicht über den Betrag der letzten Wochenabrechnung hinaus verpflichtet sein sollten. In diesem Zusammenhang kann ferner im Hinblick auf die in der Ziffer VI den Handelsvertretern auferlegte Verpflichtung zur alsbaldigen Prüfung der Provisionsabrechnungen und Sprungbelastungen von Bedeutung sein, daß nach dem vorgelegten Schriftwechsel (vgl. besonders die Schreiben des Beklagten vom 7. Mai und 1. Juni 1968) die Klägerin mit ihrer hier eingeklagten Forderung aus weiterer Sprunghaftung des Beklagten erst nach längerer Zeit – 1 1/2 Jahren – hervorgetreten ist.

Der Tatrichter wird daher die Bestimmungen in Ziffer VI des Vertrages in dieser Beziehung auszulegen haben. Sollte er zu dem Ergebnis kommen, daß sie einen Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung von Provisionen aus Springeraufträgen nach dem Ausscheiden des Beklagten nicht zulassen, so kämen auch keine Ansprüche der Klägerin aus ungerechtfertigter Bereicherung in Betracht; auch diese wären durch eine etwa entgegenstehende vertragliche Regelung ausgeschlossen.

 

Unterschriften

Glanzmann, Rietschel, Erbel, Finke, Girisch

 

Fundstellen

NJW 1972, 45

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