Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Bestehens eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung eines Handelsvertreterverhältnisses und zur Erforderlichkeit einer Abmahnung im Falle der Aufnahme einer nicht genehmigten Nebentätigkeit durch den Vertreter.

 

Normenkette

HGB § 89a

 

Verfahrensgang

LG Dresden

OLG Dresden

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 3. Juni 1999 aufgehoben und das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 9. Januar 1998 im Kostenpunkt und insoweit geändert, als die auf Feststellung und auf Provisionsabrechnung gerichtete Widerklage abgewiesen worden ist.

Es wird festgestellt, daß die von der Klägerin am 1. Juli 1996 ausgesprochene fristlose Kündigung das Vertragsverhältnis der Parteien nicht mit sofortiger Wirkung, sondern als ordentliche Kündigung erst zum 30. September 1996 beendet hat.

Die Klägerin wird verurteilt, über die dem Beklagten zustehenden Provisionen aus den von ihm und von den ihm nachgeordneten Mitarbeitern M. H., L., K., P. H., R., S., Ho, Ra, A. bis zum 30. September 1996 eingereichten Versicherungsverträgen unter Berücksichtigung der dem Beklagten zustehenden Differenzprovisionen und Bestandsprovisionen abzurechnen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin befaßt sich mit der Vermittlung von Finanzdienstleistungen. Sie unterhält eine hierarchisch gegliederte Vertriebsorganisation, deren Mitglieder als Handelsvertreter tätig sind. Der Beklagte hatte in der Vertriebsorganisation der Klägerin die Stellung eines Regionaldirektors inne. Er vermittelte hauptsächlich Lebens- und Sachversicherungen für verschiedene „Produktpartnergesellschaften” der Klägerin. Nach dem der Zusammenarbeit der Parteien zugrundeliegenden Mitarbeitervertrag vom 10. Oktober 1994 nebst Zusatzvertrag für leitende Mitarbeiter stehen dem Kläger Provisionen für Verträge zu, die von ihm selbst oder von den ihm nachgeordneten Strukturmitarbeitern vermittelt worden sind. Die Klägerin und ihre Mitarbeiter dürfen auf steuerrechtlichem Gebiet nicht beratend tätig werden.

Nr. 7 des Mitarbeitervertrages trifft unter anderem folgende Regelungen:

„7.2 Der Mitarbeiter ist nicht berechtigt, für Wettbewerber der P. und Ihrer Partnergesellschaften tätig zu werden oder sich an einem Konkurrenzunternehmen direkt oder indirekt, mittelbar oder unmittelbar zu beteiligen oder es sonst in irgendeiner Weise zu unterstützen. In gleicher Weise ist der Mitarbeiter nicht berechtigt, unmittelbar – unter Übergehung der P. – eine Vertragsbeziehung zu einer Partnergesellschaft der P. einzugehen.

Dem Mitarbeiter ist darüber hinaus jede weitere gleichartige gewerbliche Tätigkeit ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmung der P. untersagt. Gleiches gilt hinsichtlich der Übermittlung von Verträgen, die nicht von der P. bzw. ihren Partnergesellschaften angeboten werden.”

Mit Schreiben vom 1. Juli 1996 kündigte die Klägerin das Vertragsverhältnis fristlos mit der Begründung, der Beklagte habe vertragswidrig mit dem Verband der Verbraucher und Selbständigen, D. (VDVS) kooperiert und versucht, auch eine Reihe weiterer Mitarbeiter der Klägerin für eine solche Tätigkeit zu gewinnen. Der Beklagte hat der Kündigung widersprochen, den ihm zur Last gelegten Versuch der Abwerbung von Mitarbeitern der Klägerin bestritten und die Auffassung vertreten, die Zusammenarbeit mit steuerberatend tätigen Institutionen wie dem VDVS sei den Mitarbeitern der Klägerin erlaubt, seitens der Klägerin sogar erwünscht gewesen.

Die Klägerin hat den Beklagten, gestützt auf eine entsprechende Klausel des Mitarbeitervertrages, auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von je 20.000 DM für die versuchte Abwerbung ihrer Mitarbeiter H. und R. in Anspruch genommen. Der Beklagte hat widerklagend beantragt festzustellen, daß die fristlose Kündigung der Klägerin das Vertragsverhältnis nicht mit sofortiger Wirkung, sondern nur als ordentliche Kündigung zum 30. September 1996 beendet habe. Er hat mit der Widerklage ferner Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen rufschädigender Äußerungen der Klägerin sowie Provisionsabrechnung zum 30. September 1996 begehrt.

Das Landgericht hat Klage und Widerklage abgewiesen. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben. Seine auf Zahlung von Schmerzensgeld gerichtete Widerklage hat er in zweiter Instanz zurückgenommen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte die auf Feststellung und auf Provisionsabrechnung gerichtete Widerklage weiter.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat die Widerklage in dem zuletzt noch geltend gemachten Umfang mit der Begründung abgewiesen, die fristlose Kündigung der Klägerin sei wirksam gewesen. Es hat dazu ausgeführt:

Die Tätigkeit des Beklagten für den VDVS sei zwar nicht als unerlaubte Konkurrenztätigkeit im Sinne von Nr. 7.2 Abs. 1 des Mitarbeitervertrages anzusehen; denn Beratungsleistungen auf dem Gebiet des Steuerrechts, die der VDVS erbringe, dürften von Mitarbeitern der Klägerin gerade nicht ausgeübt werden. Es liege aber ein Verstoß gegen vertragliche Pflichten im Sinne der Nr. 7.2 Abs. 2 des Mitarbeitervertrages vor, der nach Nr. 10.3 des Mitarbeitervertrages eine außerordentliche Kündigung rechtfertige. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung hätten Mitarbeiter der Klägerin jede anderweitige wirtschaftliche Betätigung zu unterlassen. Diese Verpflichtung habe der Beklagte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme verletzt, indem er den Mitarbeitern H. und R. der Klägerin eine Zusammenarbeit mit dem VDVS angeboten und für die Vermittlung von Kunden eine Provision von jeweils 400 DM in Aussicht gestellt habe. Die angestrebte Zusammenarbeit mit dem VDVS sei als gewerbliche Tätigkeit einzustufen, weil sie nach den getroffenen Anstalten als dauerhafte und langfristige Kooperation angelegt gewesen sei. Auch die Gleichartigkeit der Tätigkeit sei zu bejahen. Zwar dürften die Mitarbeiter der Klägerin nicht steuerberatend tätig sein, so daß es an einem unmittelbaren Konkurrenzverhältnis zwischen der Klägerin und dem VDVS fehle. Beide Unternehmen böten aber im weiteren Sinne Finanzdienstleistungen an, die sich gegenseitig ergänzten. Davon abgesehen sei bei der Auslegung der Klausel Nr. 7.2 Abs. 2 des Mitarbeitervertrages nicht am buchstäblichen Sinne zu haften. Maßgebend sei vielmehr der klar erkennbare Sinn und Zweck, jede anderweitige wirtschaftliche Betätigung, die ohne Zustimmung der Klägerin aufgenommen werde, zu unterbinden. Durch das Angebot, gegen Provision für den VDVS tätig zu werden, habe der Beklagte die Mitarbeiter H. und R. der Klägerin zum Vertragsbruch verleitet und damit seine Loyalitätspflicht gegenüber der Klägerin verletzt. Da er dabei auch eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt habe, habe er auch selbst in eigener Person gegen das Verbot einer wirtschaftlichen Betätigung gemäß Nr. 7.2 Abs. 2 des Mitarbeitervertrages verstoßen.

Das Verhalten des Beklagten stelle einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung dar, weil die Klägerin ein begründetes Interesse daran gehabt habe, daß der Beklagte seine Arbeitskraft voll und ganz zu ihren Gunsten einsetze. Das gelte um so mehr, als er angesichts hoher Provisionen in ganz erheblichem Umfang vom wirtschaftlichen Erfolg der Klägerin profitiert habe. Durch die Aufnahme einer ungenehmigten Tätigkeit werde das Vertrauensverhältnis so schwer beeinträchtigt, daß eine weitere Fortsetzung des Vertrages bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar erscheine. Aus diesem Grunde sei auch eine Abmahnung seitens der Klägerin entbehrlich gewesen. Das Vertrauensverhältnis sei durch die Vertragsverletzung des Beklagten bereits nachhaltig gestört worden. Dafür spreche neben der gehobenen Position des Beklagten in der Hierarchie der Vertriebsstruktur der Klägerin auch der Umstand, daß der Beklagte nicht nur einmalig aus einer bestimmten Situation heraus einen Mitarbeiter zur Kundenwerbung aufgefordert, sondern offenbar zielgerichtet versucht habe, hierfür Mitarbeiter zu gewinnen.

Die Tatsache, daß das Vorstandmitglied Th. der Klägerin anläßlich einer Beförderungsfeier über eine eventuelle Zusammenarbeit mit einem Lohnsteuerhilfeverein gesprochen habe, ändere an dieser Beurteilung nichts. Der Beklagte habe diesen Äußerungen nicht entnehmen können, daß er im Auftrag oder mit Billigung des Vorstandes der Klägerin konkret eine Kooperation mit dem VDVS habe eingehen sollen. Er hätte deshalb seine Vorgehensweise mit der Klägerin abstimmen müssen.

II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 HGB gegeben, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann (zuletzt Senatsurteil vom 26. Mai 1999 – VIII ZR 123/98, WM 1999, 1986 unter II 2 m.w.N.). Ob dies der Fall ist, unterliegt nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfung, die sich darauf zu beschränken hat, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes verkannt hat, ob ihm von der Revision gerügte Verfahrensverstöße unterlaufen sind, ob es etwa wesentliche Tatumstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt hat oder Erfahrungssätze verletzt hat (BGH, Urteil vom 29. März 1990 – I ZR 2/89, WM 1990, 1496 unter I 2 b m.w.N.). Auch dieser eingeschränkten Nachprüfung halten die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung bejahen will, indessen nicht stand.

a) Die Klägerin hat die fristlose Kündigung ausweislich ihres Kündigungsschreibens vom 1. Juli 1996 darauf gestützt, daß der Beklagte durch „unzulässige Kooperation mit dem VDVS” nicht nur selbst gegen vertragliche Pflichten verstoßen, sondern darüber hinaus nachweislich auch versucht habe, auf eine Reihe von Mitarbeitern der Klägerin dahin einzuwirken, das gleiche zu tun. Im Laufe des Rechtsstreits hat sie dieses Verhalten dahin gewürdigt, der Beklagte sei dazu übergegangen, Mitarbeiter zu einer „unzulässigen, da vertragswidrigen, konkurrierenden Zusammenarbeit mit einem fremden Produktpartner bzw. Produktanbieter zu verleiten, indem er – jedenfalls seinen unmittelbar von der Hierarchie unterstehenden Bezirksdirektoren und direkt unterstellten Bezirksleitern – für die Zuführung eines P.-Kunden zu dem konkurrierenden Produktanbieter (VDVS) die Zahlung eines Betrages von DM 400 pro Kunde (versprochen) und in Aussicht (gestellt habe)”. Diese Ausführungen machen deutlich, daß die Klägerin das Verhalten des Beklagten als unerlaubte Konkurrenztätigkeit wertete und in der Einwirkung auf ihre Mitarbeiter H. und R. den Versuch sah, Mitarbeiter für ein Konkurrenzunternehmen abzuwerben.

Mit einer unerlaubten Konkurrenztätigkeit des Beklagten läßt sich die fristlose Kündigung der Klägerin indessen – auch nach Auffassung des Berufungsgerichts – nicht rechtfertigen, da der VDVS nach den Feststellungen der Vorinstanzen Beratungsleistungen auf dem Gebiet des Steuerrechts erbringt, die den Mitarbeitern der Klägerin gerade nicht erlaubt sind.

b) Das Berufungsgericht lastet dem Beklagten statt dessen einen Verstoß gegen Nr. 7.2 Abs. 2 des Mitarbeitervertrages an, wonach dem Mitarbeiter jede weitere gleichartige gewerbliche Tätigkeit ohne ausdrückliche Zustimmung der Klägerin untersagt ist. Es will die Bestimmung dahin auslegen, daß Mitarbeiter der Klägerin jede anderweitige wirtschaftliche Betätigung zu unterlassen haben, und sieht demzufolge einen wesentlichen Gesichtspunkt für die Rechtfertigung der fristlosen Kündigung darin, daß der Beklagte dem Interesse der Klägerin zuwidergehandelt habe, seine Arbeitskraft voll und ganz zu deren Gunsten einzusetzen. Das ist in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft.

aa) Auf einen unzureichenden Einsatz seiner Arbeitskraft zu ihren Gunsten hat die Klägerin die fristlose Kündigung weder vorprozessual noch im Laufe des Rechtsstreits gestützt. Der Klägerin ging es vielmehr, wie die vorstehend wörtlich wiedergegebenen Ausführungen belegen, darum zu verhindern, daß der Beklagte selbst und durch ihm nachgeordnete Mitarbeiter P.-Kunden als Kunden auch dem VDVS zuführte, den die Klägerin – nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu Unrecht – als „konkurrierenden Produktanbieter” ansah. Bestand aber kein Konkurrenzverhältnis zwischen der Klägerin und dem VDVS, weil dieser nur steuerliche Beratungsleistungen anbot, die die Klägerin und deren Mitarbeiter gerade nicht erbringen durften, so fehlt jeder Anhaltspunkt für die Annahme, die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur für die Dauer der dreimonatigen Frist für eine ordentliche Kündigung (§ 89 Abs. 1 Satz 1 HGB) sei der Klägerin allein deshalb unzumutbar gewesen, weil die Werbung von P.-Kunden auch für Steuerberatungsleistungen des VDVS einen Teil der Arbeitszeit des Beklagten und der ihm nachgeordneten Mitarbeiter in Anspruch nahm. Dergleichen hat die Klägerin auch nicht geltend gemacht.

bb) Nicht haltbar ist des weiteren die Auslegung der Klausel Nr. 7.2 Abs. 2 des Mitarbeitervertrages, auf die das Berufungsgericht seine Beurteilung des Verhaltens des Beklagten stützt. Nach dem Wortlaut der Klausel ist den Mitarbeitern der Klägerin nicht jede anderweitige wirtschaftliche Betätigung, sondern nur jede weitere gleichartige gewerbliche Tätigkeit, der die Klägerin nicht schriftlich zugestimmt hat, untersagt. Soweit das Berufungsgericht meint, die Klausel sei nach ihrem „klar erkennbare Sinn und Zweck” dahin auszulegen, daß jede anderweitige wirtschaftliche Betätigung unterbunden werden solle, die ohne Zustimmung der Klägerin erfolge, ist dies mit dem Wortlaut der Bestimmung nicht vereinbar. Aus den Ausführungen geht auch nicht hervor, aus welchen Gründen eine derart erheblich über den Wortlaut hinausgehende Ausdehnung des Verbots gerechtfertigt ist. Hätte die Klägerin ein begründetes Interesse daraus schützen wollen, daß der Beklagte seine Arbeitskraft voll und ganz zu ihren Gunsten einsetzt, wie das Berufungsgericht darlegt, so hätte sie dies ohne weiteres bei der Fassung der Klausel zum Ausdruck bringen können. Auch sonst sind Umstände, die für ein solches vom Wortlaut abweichendes Verständnis sprechen könnten, nicht ersichtlich. Die Auslegung des Berufungsgerichts verletzt damit den anerkannten Auslegungsgrundsatz, daß bei der Auslegung einer Willenserklärung vom Wortlaut der Erklärung auszugehen ist (st.Rspr., z.B. BGH, Urteil vom 2. Dezember 1997 – X ZR 13/96, NJW-RR 1998, 1423 unter II 3 a m.w.N.). Regelmäßig ist dem von den Parteien gewählten Wortlaut einer Vereinbarung der objektiv erklärte Parteiwille zu entnehmen. Führt die Ermittlung des Wortsinns anhand des Wortlauts nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, können außerhalb des Erklärungsaktes liegende Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen sein, soweit sie einen Schluß auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen (BGH aaO). Dem Berufungsurteil sind hierzu keinerlei Feststellungen zu entnehmen. Auch im tatsächlichen Vorbringen der Parteien findet diese Auslegung keine Stütze. Das Berufungsgericht ist demnach mit seiner Auslegung ohne sachliche Rechtfertigung über den wesentlich engeren Wortlaut der Verbotsklausel hinausgegangen. Wegen dieses Auslegungsfehlers bindet seine Auslegung den erkennenden Senat nicht. Schon im Hinblick darauf, im übrigen auch wegen der über die Grenzen eines Oberlandesgerichtsbezirks hinausreichenden Verwendung des formularmäßigen Mitarbeitervertrages der Klägerin (z.B. Senat BGHZ 141, 391, 394) kann der Senat die fragliche Verbotsklausel selbst unbeschränkt auslegen.

cc) Da es an Anhaltspunkten dafür fehlt, daß der objektiv erklärte Wille der Vertragspartner vom Wortlaut der von der Klägerin vorformulierten Klausel abweichen könnte, war dem Beklagten, dem Wortsinn der Klausel entsprechend, nur eine gleichartige gewerbliche Tätigkeit untersagt. Um eine solche handelte es sich bei der Kooperation mit dem VDVS nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts reicht es für eine Gleichartigkeit im Sinne der Klausel nicht aus, daß sowohl die Klägerin als auch der VDVS „im weiteren Sinne Finanzdienstleistungen” anbieten, die sich gegenseitig ergänzen. Beratungsleistungen – wie hier auf steuerlichem Gebiet – zählten nicht zu den Vermittlungstätigkeiten, die der Beklagte und die übrigen Mitarbeiter der Klägerin nach den mit dieser geschlossenen Mitarbeiterverträgen zu erbringen hatten.

c) War den Mitarbeitern der Klägerin die Vermittlung steuerrechtlicher Beratungsleistungen durch steuerberatende Institutionen wie den VDVS nach alledem vertraglich nicht untersagt, so kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch keine Rede davon sein, der Beklagte habe die Mitarbeiter H. und R. der Klägerin zum Vertragsbruch verleiten wollen und damit seine Loyalitätspflicht gegenüber der Klägerin verletzt.

2. Aus den Ausführungen des Berufungsgerichts geht ferner nicht hervor, aus welchen Gründen es der Klägerin unzumutbar gewesen sein sollte, das Vertragsverhältnis mit dem Beklagten bis zum Ablauf der – nur drei Monate währenden – Frist für eine ordentliche Kündigung, daß heißt bis zum 30. September 1996, fortzusetzen. Was das Berufungsgericht hierzu unter dem Gesichtspunkt einer Interessenabwägung erörtert, vermag seine Wertung nicht zu rechtfertigen. Selbst wenn ihm in seiner Beurteilung zu folgen wäre, der Beklagte habe durch seine Tätigkeit für den VDVS dem berechtigten Interesse der Klägerin zuwidergehandelt, seine Arbeitskraft voll und ganz zu deren Gunsten einzusetzen, was angesichts seiner hohen Provisionseinnahmen besonders ins Gewicht falle, so folgt daraus nichts für die Annahme, der Klägerin sei es nicht zumutbar gewesen, das Vertragsverhältnis mit dem Beklagten – unter dem ausdrücklichen Verbot der Fortsetzung des beanstandeten Verhaltens – für weitere drei Monate aufrechtzuerhalten. Die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung, durch die Aufnahme einer ungenehmigten Tätigkeit werde das Vertrauensverhältnis so schwer beeinträchtigt, daß eine Fortsetzung des Vertrages bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung unzumutbar erscheine, ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig und findet auch in der vom Berufungsgericht als Beleg angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. November 1976 (I ZR 84/75, WM 1977, 318), die eine unerlaubte Konkurrenztätigkeit zum Gegenstand hat, keine Stütze. Die Frage der Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Vertragsverhältnisses kann vielmehr stets nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Art und Schwere der Vertragsverletzung und ihrer Folgen für den Vertragspartner, beurteilt werden. Der Erfahrungssatz, daß eine ungenehmigte Konkurrenztätigkeit des Handelsvertreters das Vertrauensverhältnis der Vertragspartner regelmäßig so erheblich beschädigt, daß dem Prinzipal eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur für eine kurze Zeitspanne nicht zumutbar erscheint, läßt sich auf sonstige Nebentätigkeiten nicht ohne weiteres übertragen. Umstände, die eine vergleichbar schwerwiegende Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses der Parteien bewirkt haben könnten, stellt das Berufungsgericht nicht fest. Seine Ausführungen lassen nicht erkennen, aus welchen Gründen das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien durch das beanstandete Verhalten des Beklagten zerstört oder so schwer beschädigt worden sein soll, daß ihr eine Fortsetzung der Zusammenarbeit auch für nur drei Monate nicht zumutbar gewesen wäre. Vor allem aber läßt das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang unberücksichtigt, daß nach den getroffenen Feststellungen die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit einem Lohnsteuerhilfeverein von dem Vorstandsmitglied Th. der Klägerin anläßlich einer Beförderungsfeier jedenfalls angesprochen worden war und daß diese Äußerung den Beklagten nach seiner Darstellung zu der – sei es auch irrigen – Annahme verleitet hat, die Klägerin billige eine Zusammenarbeit mit steuerberatenden Institutionen wie dem VDVS. Daß die Klägerin nicht fristlos kündigen konnte, wenn sie durch Äußerungen eines ihrer Vorstandsmitglieder einer solchen Fehlvorstellung Vorschub geleistet hat, liegt auf der Hand.

3. Schließlich kann dem Berufungsgericht auch insoweit nicht gefolgt werden, als es eine Abmahnung seitens der Klägerin für entbehrlich hält. Richtig ist zwar, daß eine Abmahnung sinnlos und daher nicht erforderlich ist, wenn das Fehlverhalten eines Vertragspartners die Vertrauensgrundlage in so schwerwiegender Weise erschüttert hat, daß sie auch durch eine erfolgreiche Abmahnung nicht wiederhergestellt werden könnte (Senatsurteil vom 26. Mai 1999 aaO unter II 3 m.w.N.). Ein solcher Fall ist hier indessen weder nach den Feststellungen des Berufungsgerichts noch nach dem im Berufungsurteil wiedergegebenen Tatsachenvortrag der Parteien gegeben. Das Berufungsgericht stellt vielmehr fest, daß die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit einem Lohnsteuerhilfeverein von dem Vorstandsmitglied Th. der Klägerin angesprochen worden ist. Der Beklagte mag sich hierdurch zu Unrecht für befugt gehalten haben, eine Zusammenarbeit mit dem VDVS aufzunehmen, ohne sich mit der Klägerin abzustimmen. Daß diese Eigenmächtigkeit und ihre Folgen durch eine Abmahnung nicht hätten korrigiert werden können, ist weder den Ausführungen des Berufungsgerichts oder dem Sachvortrag der Klägerin zu entnehmen noch sonst ersichtlich.

III. Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben. Der Senat kann abschließend in der Sache entscheiden, da es zur Beurteilung der Begründetheit des in der Revisionsinstanz weiterverfolgten Widerklagebegehrens keiner weiteren tatrichterlichen Feststellungen bedarf. Die fristlose Kündigung der Klägerin vom 1. Juli 1996 hat das Vertragsverhältnis nicht mit sofortiger Wirkung, sondern nur als ordentliche Kündigung zum Ablauf der Kündigungsfrist beendet, da es an einem wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung fehlt und einer solchen Kündigung zudem eine Abmahnung hätte vorausgehen müssen. Auf die Berufung des Beklagten war das die Widerklage abweisende erstinstanzliche Urteil daher abzuändern, soweit der Beklagte die Feststellung begehrt, daß die Kündigung der Klägerin das Vertragsverhältnis nicht mit sofortiger Wirkung, sondern als ordentliche Kündigung erst zum 30. September 1996 beendet hat. Stattzugeben war auch der Widerklage auf Provisionsabrechnung für solche Verträge, die auf eine Vermittlungstätigkeit des Beklagten oder der ihm nachgeordneten Mitarbeiter der Klägerin in dem Zeitraum bis 30. September 1996 zurückgehen. Diesem aus § 87 c Abs. 1 HGB entspringenden Anspruch als solchem ist die Klägerin nicht entgegengetreten.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO. Soweit der Beklagte die geringfügige, vom Berufungsgericht mit nur 2.000 DM bewertete Schmerzensgeldwiderklage in zweiter Instanz zurückgenommen hat, fällt dies entsprechend § 92 Abs. 2 ZPO bei der Kostenentscheidung nicht ins Gewicht.

 

Unterschriften

Dr. Deppert, Dr. Deppert für den wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung verhinderten Richter am Bundesgerichtshof Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Ball, Dr. Leimert

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 17.01.2001 durch Kirchgeßner, Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

BB 2001, 645

DB 2001, 1195

DStZ 2001, 487

BGHR 2001, 334

NJW-RR 2001, 677

EWiR 2001, 483

Nachschlagewerk BGH

WM 2001, 1031

MDR 2001, 637

NJ 2001, 590

VersR 2001, 370

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