Leitsatz (amtlich)

Der Neugesellschafter ist in seinem Vertrauen auf den Fortbestand der vor der Publikation des Senatsurteils v. 7.4.2003 (BGH v. 7.4.2003 - II ZR 56/02, BGHZ 154, 370 ff. = MDR 2003, 756 = BGHReport 2003, 740 m. Anm. Mellert) bestehenden Rechtslage nicht geschützt, sondern haftet analog § 130 HGB, wenn er die Altverbindlichkeit, für die er in Anspruch genommen wird, bei seinem Eintritt in die Gesellschaft kennt oder wenn er deren Vorhandensein bei auch nur geringer Aufmerksamkeit hätte erkennen können. Letzteres ist bei einer BGB-Gesellschaft hinsichtlich der Verbindlichkeiten aus Versorgungsverträgen (Gas, Strom, Wasser) für in ihrem Eigentum stehende Mietshäuser der Fall.

 

Normenkette

BGB § 705; HGB § 130

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 15.08.2003; Aktenzeichen 22 U 16/03)

LG Wuppertal (Urteil vom 20.12.2002; Aktenzeichen 2 O 438/01)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 22. Zivilsenats des OLG Düsseldorf v. 15.8.2003 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Bezahlung von Gasrechnungen. Das Gas wurde in der Zeit von Dezember 2000 bis April 2001 in zwei Mietshäuser in W. geliefert, die im Eigentum einer BGB-Gesellschaft stehen. Der Beklagte gehörte der Gesellschaft unstreitig jedenfalls bis zum 15.12.1998 an und war ab dem 1.1.2000, mithin zur Zeit der Lieferungen, wieder Gesellschafter.

Der Beklagte wendet sich gegen die Zahlungsverpflichtung mit der Begründung, die Lieferungen beruhten auf Verträgen, die zwischen der BGB-Gesellschaft und der Klägerin in der Zeit abgeschlossen worden seien, in der er nicht Gesellschafter gewesen sei. Für derartige Altschulden hafte er nicht persönlich. Das LG hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, es könne dahingestellt bleiben, ob die Lieferverträge für beide Mietshäuser oder nur - insoweit unstreitig - für das Haus Wa.straße 20 in einer Zeit abgeschlossen worden seien, in der der Beklagte nach seinem Vortrag nicht Gesellschafter der BGB-Gesellschaft gewesen sei. Denn der Beklagte hafte, auch wenn es sich um Altschulden der Gesellschaft aus der Zeit vor seinem Wiedereintritt handeln sollte, aus § 130 HGB. Auf einen die Haftung ausschließenden Vertrauensschutz i.S.d. in der Entscheidung des Senats v. 7.4.2003 (BGH v. 7.4.2003 - II ZR 56/02, BGHZ 154, 370 ff. = MDR 2003, 756 = BGHReport 2003, 740 m. Anm. Mellert) aufgestellten Grundsätze könne der Beklagte sich nicht berufen, weil das Gas zu einer Zeit an die Gesellschaft geliefert worden sei, in der der Beklagte (wieder) deren Mitglied gewesen sei.

II. Hiergegen wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg.

1. Das Berufungsgericht hat auf Grund des von ihm zu Grunde gelegten Sachvortrags des Beklagten, von dem der Senat revisionsrechtlich auszugehen hat, zutreffend entschieden, dass es sich bei den Verbindlichkeiten aus den streitigen Gaslieferungen um Altschulden gem. § 130 HGB handelt, d.h. um Verbindlichkeiten der (Außen-)BGB-Gesellschaft, die vor dem (Wieder-)Eintritt des Beklagten in die Gesellschaft begründet worden sind.

Nach der zu § 160 HGB entwickelten Meinung ist bei Dauerschuldverhältnissen die Rechtsgrundlage für die einzelnen Schuldverpflichtungen bereits in dem Vertrag selbst angelegt mit der Folge, dass die Schuldverpflichtungen als bereits mit dem Vertragsschluss begründet anzusehen sind (a). Die für die Haftung nach § 160 HGB entwickelte Ansicht gilt gleichermaßen für eine Haftung nach § 130 HGB (b). Bei den hier im Streit stehenden Gaslieferungsverträgen handelt es sich um Dauerschuldverhältnisse (c), deren Vertragspartnerin die BGB-Gesellschaft als Grundstückseigentümerin ist (d).

a) Die ganz herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung geht davon aus, dass rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten bereits dann begründet sind, wenn das Rechtsgeschäft abgeschlossen ist und sich ohne Hinzutreten weiterer rechtsgeschäftlicher Akte die konkrete, einzelne Verbindlichkeit ergibt. Daraus wird im Hinblick auf Dauerschuldverhältnisse gefolgert, dass es für die Begründung der hieraus resultierenden Forderungen auf den Abschluss des Dauerschuldvertrages und nicht auf die daraus hervorgehenden Einzelverbindlichkeiten ankommt (BGH v. 7.4.2003 - II ZR 56/02, BGHZ 154, 370 [375] = MDR 2003, 756 = BGHReport 2003, 740 m. Anm. Mellert; Urt. v. 29.4.2002 - II ZR 330/00, BGHReport 2002, 620 m. Anm. Riecke = MDR 2002, 1199 = ZIP 2002, 1251 [1252]; BAG v. 19.5.2004 - 5 AZR 405/03, BAGReport 2005, 63 = MDR 2004, 1301 = ZIP 2004, 1905 [1906]; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 128 Rz. 49 ff., m.w.N.).

b) Diese zu § 160 HGB entwickelte Meinung gilt auch für § 130 HGB. Das ergibt sich zunächst aus dem insoweit identischen Wortlaut der Vorschriften. In beiden ist nämlich von - bis zum Ausscheiden bzw. vor dem Eintritt des Gesellschafters - "begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft" die Rede. Hinzu kommt, dass es jeweils um die parallel laufende Frage geht, ob ein Gesellschafter für Verbindlichkeiten haftet, die vor Änderung seiner Gesellschafterstellung begründet wurden. Darüber hinaus spricht die Systematik des Gesetzes für ein gleiches Verständnis der Frage, wann Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis begründet sind.

c) Bei den Gaslieferungsverträgen handelt es sich um Versorgungsverträge, die jedenfalls dann, wenn sie - wie hier - Sonderabnehmerverträge sind (s. zu dieser Differenzierung BGH, Urt. v. 19.10.1960 - VIII ZR 206/59, LM § 17 KO Nr. 3), Sukzessivlieferungsverträge und damit Dauerschuldverhältnisse darstellen (h.M. s. nur BGHZ 70, 132 [135]; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., Überblick vor § 311 Rz. 28, 30; Kramer in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. Einl. vor §§ 241 ff. Rz. 97, m.w.N.).

d) Die Gaslieferungsverträge sind geschlossen worden zwischen der BGB-Gesellschaft als Grundstückseigentümerin mit dem Gesellschafterbestand aus dem Jahr 1999 und der Klägerin. Ein konkludenter Vertragsschluss mit der Gesellschaft unter Einschluss des Beklagten kommt für die Gaslieferungen in der Zeit ab Ende 2000 nicht in Betracht. Zwar ist in dem Leistungsangebot des Versorgungsunternehmens regelmäßig ein Vertragsangebot in Form einer sog. Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrages zu sehen, das sich typischerweise an den Grundstückseigentümer richtet (BGH, Urt. v. 30.4.2003 - VIII ZR 279/02, BGHReport 2003, 914 = WM 2003, 1730 [1731]). Das war in der Zeit der Lieferung die BGB-Gesellschaft, deren Mitglied der Beklagte war. Die Annahme eines neuen konkludenten Vertragsschlusses ist hier jedoch deshalb ausgeschlossen, weil bereits ein Vertragsverhältnis zwischen dem Versorgungsunternehmen und der BGB-Gesellschaft in ihrer gesellschafterlichen Zusammensetzung zur Zeit des Vertragsschlusses begründet worden war und fortbestand (BGH, Urt. v. 17.3.2004 - VIII ZR 95/03, BGHReport 2004, 998 = WM 2004, 2450 [2451]).

2. Für die Verbindlichkeiten aus den nach dem Vortrag des Beklagten 1999 abgeschlossenen Gaslieferungsverträgen haftet der Beklagte analog § 130 HGB persönlich und unbeschränkt. Gegen diese zutreffende Feststellung des Berufungsgerichts wendet sich die Revision vergeblich unter Bezugnahme auf das Senatsurteil v. 7.4.2003 (BGH v. 7.4.2003 - II ZR 56/02, BGHZ 154, 370 ff. = MDR 2003, 756 = BGHReport 2003, 740 m. Anm. Mellert).

a) Nach dem unter Anwendung der Doppelverpflichtungstheorie für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts geltenden Haftungsregime hatte der Neugesellschafter für die vor seinem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten persönlich nur dann einzustehen, wenn ein besonderer Verpflichtungsgrund vorlag. Fehlte es hieran, war seine Haftung auf seinen Anteil am Gesellschaftsvermögen beschränkt (BGH, Urt. v. 30.4.1979 - II ZR 137/78, NJW 1979, 1821). Mit Urteil v. 7.4.2003 (BGH v. 7.4.2003 - II ZR 56/02, BGHZ 154, 370 ff. = MDR 2003, 756 = BGHReport 2003, 740 m. Anm. Mellert) hat der Senat in Fortentwicklung seiner Rechtsprechung zum geänderten Verständnis von der Haftungsverfassung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (BGH v. 27.9.1999 - II ZR 371/98, BGHZ 142, 315 ff. = MDR 2000, 94 m. Anm. Hasselbach = GmbHR 1999, 1134; v. 29.1.2001 - II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 ff. = MDR 2001, 459 = BGHReport 2001, 237 m. Anm. Sprau = AG 2001, 307) und in Abweichung von seiner früheren Rechtsprechung ausgesprochen, dass der Neugesellschafter analog § 130 HGB auch persönlich für Altschulden der (Außen-)BGB-Gesellschaft, der er beigetreten ist, haftet. Zugleich hat der Senat jedoch entschieden, dass die Grundsätze der persönlichen Haftung erst auf künftige, dem Urteilserlass nachfolgende Beitrittsfälle Anwendung finden sollten, und zur Begründung insoweit auf Erwägungen des Vertrauensschutzes abgestellt (BGH v. 7.4.2003 - II ZR 56/02, BGHZ 154, 370 [377 f.] = MDR 2003, 756 = BGHReport 2003, 740 m. Anm. Mellert).

Dass dieser Entscheidung - nicht nur von dem Beklagten - unter Ausblendung des tatsächlichen Hintergrundes des entschiedenen Falles entnommen wird, ein Neugesellschafter hafte bis zur Publikation der Senatsentscheidung v. 7.4.2003 für Altverbindlichkeiten der Gesellschaft unter keinen Umständen, geht weit über die Aussage jener Entscheidung hinaus.

In jedem Fall einer mit Rückwirkung verbundenen Rechtsprechungsänderung ist zu prüfen, ob den Interessen des auf die Fortgeltung der Rechtslage Vertrauenden Vorrang einzuräumen ist ggü. der materiellen Gerechtigkeit (BGH v. 29.2.1996 - IX ZR 153/95, BGHZ 132, 119 [129 f.] = MDR 1996, 810, m.w.N..). Nach eben diesen Grundsätzen ist der Senat im Urteil v. 7.4.2003 (BGH v. 7.4.2003 - II ZR 56/02, BGHZ 154, 370 [377 f.] = MDR 2003, 756 = BGHReport 2003, 740 m. Anm. Mellert) verfahren und hat in dem dort zu Grunde liegenden Fall des Eintritts eines Junganwalts in eine Anwaltssozietät, die einem dem eintretenden Anwalt nicht bekannten Anspruch auf Rückzahlung eines ohne Rechtsgrund geleisteten Honorarvorschusses ausgesetzt war, den Interessen des Neugesellschafters Vorrang eingeräumt vor der materiell richtigen Entscheidung, hat also insoweit dessen Haftung aus § 130 HGB für die Altverbindlichkeit der Gesellschaft verneint. Begründet hat er dies damit, dass der Neugesellschafter von dem Bestehen dieses Anspruchs nicht ausgehen musste, er mithin von diesem nur durch eine Nachfrage erfahren hätte, zu der er aber nach der damaligen Rechtslage nicht verpflichtet gewesen sei. Derartige Altverbindlichkeiten kann der Neugesellschafter aber weder in seine Beitrittsentscheidung einbeziehen noch kann er entsprechende Vorkehrungen für den Fall der persönlichen Inanspruchnahme treffen. Dies rechtfertigt es, ihn aus Vertrauensgesichtspunkten nicht haften zu lassen. Hieran hält der Senat fest.

b) Anders hat die Abwägung zwischen Rechtssicherheit einerseits und materieller Gerechtigkeit andererseits auszufallen, wenn der Neugesellschafter die bestehende Altverbindlichkeit der Gesellschaft im Beitrittszeitpunkt kennt oder wenn er sie bei auch nur geringer Aufmerksamkeit hätte erkennen können; das gilt erst Recht, wenn sich dem Beitretenden das Bestehen von Altverbindlichkeiten aufdrängen muss, weil sie typischerweise vorhanden sind. Der oben genannte Gedanke, der zur Gewährung von Vertrauensschutz nötigt, ist in diesen Fällen nämlich nicht betroffen. Dann ist aber kein Grund ersichtlich, dem Vertrauensschutz des Neugesellschafters Vorrang einzuräumen ggü. dem materiell berechtigten Anspruch des Gläubigers.

c) So liegt der Fall hier. Gründe des Vertrauensschutzes rechtfertigen die Zahlungsverweigerung des Beklagten nicht. Mit dem Vorhandensein von Lieferverträgen über Versorgungsleistungen muss jeder Neugesellschafter rechnen, der einer BGB-Gesellschaft beitritt, die Eigentümerin von Mietshäusern ist. Dies gilt in besonderem Maße für den Beklagten, der bereits bis Ende 1998 Gesellschafter gewesen ist und in dieser Eigenschaft für eines der Mietshäuser selbst den ursprünglichen Gaslieferungsvertrag abgeschlossen hat. Nicht zuletzt steht der Gewährung von Vertrauensschutz hier entgegen, dass die Lieferungen, deren Bezahlung die Klägerin verlangt, zu einer Zeit erbracht wurden, in der der Beklagte (wieder) Gesellschafter war.

 

Fundstellen

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DB 2006, 151

DStR 2006, 106

DStZ 2006, 135

WPg 2006, 103

NJW 2006, 765

NWB 2005, 4433

BGHR 2006, 304

EBE/BGH 2006, 20

DNotI-Report 2006, 26

IBR 2006, 175

JurBüro 2006, 274

NZG 2006, 106

NZM 2006, 154

StuB 2006, 648

WM 2006, 187

WuB 2006, 227

ZAP 2006, 106

ZIP 2006, 82

ZfIR 2006, 73

AnwBl 2006, 208

DZWir 2006, 166

JA 2006, 322

JuS 2006, 374

MDR 2006, 644

MedR 2006, 427

RdE 2006, 120

VersR 2006, 550

BKR 2006, 68

GuT 2006, 76

Info M 2006, 93

KSI 2006, 75

NJW-Spezial 2006, 78

RdW 2006, 115

ZBB 2006, 149

ZGS 2006, 45

ZWD 2006, 9

BBKM 2006, 56

BM 2006, 111

GK/Bay 2006, 183

LL 2006, 316

PFB 2006, 82

SJ 2006, 40

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