Leitsatz (amtlich)

a) Die Annahme einer Krise einer GmbH, in der ein ihr gewährtes Gesellschafterdarlehen die Funktion von Eigenkapitalersatz erlangt, kann nicht allein auf das Vorliegen einer Unterbilanz (nach fortgeführten Buchwerten) gestützt werden.

b) Ergeben sich aus dem Jahresabschluß einer GmbH greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein stiller Reserven, die als Sicherheit für externe Kreditgeber anstelle des Gesellschafters hätten dienen können, so ist die GmbH für das Gegenteil in vollem Umfang darlegungs- und beweispflichtig, wenn sie sich im Rechtsstreit um die Eigenkapitalersatzfunktion einer Gesellschafterleistung auf Kreditunwürdigkeit beruft. (Abgrenzung zum Senatsurteil vom 17. November 1997 - II ZR 224/96, ZIP 1998, 243, 245 m.w.N.).

 

Normenkette

GmbHG §§ 30-31, 32a a.F.; ZPO § 138

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Aktenzeichen 5 U 252/96)

LG Hannover (Aktenzeichen 5 O 413/95)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 27. Januar 1998 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 9. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin war Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Beklagten, einer in der Baubranche tätigen GmbH mit einem Stammkapital von 50.000,– DM. Durch notariellen Vertrag vom 27. Februar 1995 veräußerte die Klägerin ihren Geschäftsanteil von 25.000,– DM zu unterschiedlichen Teilen an ihre bisherigen, ebenfalls geschäftsführenden Mitgesellschafter A. W. und M. Ma., ihren inzwischen geschiedenen Ehemann. Der Gesamtkaufpreis für den Geschäftsanteil sollte vorläufig 250.000,– DM betragen, aber noch von dem Verkaufserlös für ein von der Beklagten bebautes Grundstück abhängen. Weiter heißt es in Ziff. 5 des notariellen Vertrages:

„Die Erschienene zu 1 (Klägerin) hat der Gesellschaft (Beklagte) ein Gesellschafterdarlehen in Höhe von 735.000,– DM gewährt und wird ab Abschluß dieses Vertrages mit 7,75 % p.a. verzinst. Darüber hinaus stehen der Erschienenen zu 1 gegenüber der Gesellschaft Bürgschaftsprovisionen in Höhe von 146.785,67 DM zu und werden ab Abschluß des Vertrages mit 7,75 % p.a. verzinst. Die Erschienenen zu 2 und 3 (Ma. und W.) erklären, daß diese Ansprüche bei der Erschienenen zu 1 von der Veräußerung unberührt bleiben und die Ansprüche bei der Erschienenen zu 1 verbleiben. Eine persönliche Haftung der Erschienenen zu 2 und 3 für diese Ansprüche ist nicht gegeben.”

Mit Schreiben vom 16. Mai 1995 hat die Klägerin von der Beklagten unter Hinweis auf obige Zinsvereinbarung und eine angeblich mit dem Geschäftsführer Ma. getroffene Zahlungsabrede die Zahlung monatlicher Zinsraten von 5.472,05 DM ab 1. März 1995 gefordert, wobei sie eine nach angeblich einvernehmlicher Verrechnung mit einer Gegenforderung der Beklagten verbliebene Hauptforderung von 847.285,67 DM zugrunde gelegt hat. Mit ihrer Klage verlangt sie von der Beklagten die Zahlung rückständiger Vereinbarungszinsen für die Monate März bis Oktober 1995 von insgesamt 43.776,40 DM nebst hierauf angefallener Zinsen als Verzugsschaden; außerdem begehrt sie die Feststellung der weiteren monatlichen Zinszahlungspflicht der Beklagten. Diese meint, aus dem notariellen Anteilsveräußerungsvertrag ergebe sich keine Zahlungspflicht ihrerseits, weil sie nicht Partnerin dieses Vertrages sei. Im übrigen sei das von der Klägerin nach Rückgängigmachung des Verkaufs eines Bauobjekts der Beklagten an den Geschäftsführer Ma. zum Preis von 10,75 Mio. DM gewährte Darlehen eigenkapitalersetzend, weil die Beklagte infolge der Aufhebung des Kaufvertrages nur noch die Herstellungskosten von ca. 7,7 Mio. DM aktivieren könne und sie deshalb kreditunwürdig sei. Hilfsweise hat die Beklagte die Aufrechnung mit einer behaupteten Gegenforderung von 49.658,– DM erklärt.

Land- und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Da die Beklagte im Verhandlungstermin trotz dessen rechtzeitiger Bekanntmachung nicht vertreten war, ist über den Revisionsantrag der Klägerin durch Versäumnisurteil zu entscheiden (§§ 557, 331 ZPO). Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGHZ 37, 79, 82).

II.

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Klageforderung auf den notariellen Vertrag vom 27. Februar 1995 gestützt werden kann; nach den Erklärungen der Beklagten im zweitinstanzlichen Verhandlungstermin „könnte zumindest davon auszugehen sein”, daß durch die Verzinsungsregelung in dem notariellen Vertrag lediglich eine bereits zuvor getroffene Vereinbarung deklaratorisch bestätigt werden sollte. Jedenfalls stehe dem Zinsanspruch der Klägerin in Anbetracht der bilanziellen Überschuldung der Beklagten das Auszahlungsverbot des § 30 GmbHG entgegen, weil die Klägerin der Beklagten die zu verzinsenden Finanzierungshilfen (Darlehen und Bürgschaft) entsprechend §§ 32 a, b GmbHG zu einem Zeitpunkt gewährt habe, in dem der Beklagten ein ordentlicher Kaufmann Eigenkapital zugeführt hätte. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn eine Unterbilanz vorliege. Die Klägerin habe nicht substantiiert bestritten, daß die Beklagte zum Zeitpunkt der Darlehensgewährung nicht mehr kreditwürdig gewesen sei. Der berichtigte Jahresabschluß der Beklagten per 30. September 1994 weise einen durch Eigenkapital nicht gedeckten Fehlbetrag von ca. 2,96 Mio. DM aus, der mit der Aufhebung des Kaufvertrages zwischen der Beklagten und dem Geschäftsführer Ma. über das Immobilienobjekt E. zusammenhänge. Entgegen der Ansicht der Klägerin hindere der in den Jahresabschlüssen 1994 und 1995 enthaltene Hinweis auf das Vorhandensein erheblicher stiller Reserven die Annahme einer Überschuldung der Beklagten nicht, weil dafür nur die fortgeschriebenen Buchwerte maßgebend seien.

2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.

a) Das Berufungsgericht verkennt schon im Ansatz, daß die fortgeführten Buchwerte in der Bilanz einer GmbH nur für unmittelbar gegen § 30 GmbHG verstoßende Auszahlungen an einen Gesellschafter aus dem Gesellschaftsvermögen (vgl. BGHZ 109, 334, 337 m.w.N.) sowie für die Dauer und den Umfang der Rückzahlungssperre nach den von dem erkennenden Senat entwickelten Eigenkapitalersatzregeln (vgl. BGHZ 76, 320, 335; 81, 365, 367; Urt. v. 5. Februar 1990 - II ZR 114/89, ZIP 1990, 451 f.) maßgebend sind, dagegen für die Voraussetzungen der Kapitalersatzfunktion einer Gesellschafterleistung sowohl nach den im vorliegenden Fall mangels Konkurses der Beklagten nicht einschlägigen §§ 32 a, b GmbHG als auch nach den auch außerhalb eines Konkurses eingreifenden Rechtsprechungsregeln (§§ 30, 31 GmbHG analog) andere Kriterien gelten. Insbesondere reicht dafür nach der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senates (BGHZ 119, 201, 213 f.) eine nur bilanzielle Unterdeckung oder Überschuldung der Gesellschaft nicht aus. Vielmehr kommt es insoweit – ohne daß der vorliegende Fall zu einer Auseinandersetzung mit dem erst ab 1. Januar 1999 geltenden § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO nötigt – darauf an, ob das Vermögen der Gesellschaft bei Ansatz von Liquidationswerten unter Einbeziehung der stillen Reserven die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckt (rechnerische Überschuldung) und die Finanzkraft der Gesellschaft nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreicht (negative Fortbestehensprognose, Sen. aaO S. 214).

Keine dieser Voraussetzungen ist festgestellt oder von der Beklagten vorgetragen. Im Gegenteil ist in dem berichtigten Jahresabschluß der Beklagten per 30. September 1994 davon die Rede, daß der buchmäßigen Überschuldung der Beklagten umfangreiche stille Reserven gegenüberstünden, die in dem Bericht zum Jahresabschluß per 30. September 1995 auf 4,8 Mio. DM (nach Ertragswert sogar auf 5,258 Mio. DM) beziffert werden, also die buchmäßige Überschuldung der – bis zuletzt offenbar durchaus überlebensfähigen – Beklagten bei weitem decken würden. Soweit das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils darauf abgestellt hat, die Klägerin habe in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, daß das von der Beklagten errichtete Gewerbeobjekt E. nicht zu einem die Herstellungskosten übersteigenden Erlös (stille Reserve) zu veräußern sei, widerspricht dies, wie die Revision zu Recht rügt, dem Verhandlungsprotokoll und dem Tatbestand des angefochtenen Urteils. Danach hat die Klägerin lediglich erklärt, nach ihrer Kenntnis sei das Objekt noch nicht veräußert.

b) Eine Krise einer GmbH, in der ein ihr gewährtes Gesellschafterdarlehen die Funktion von Eigenkapitalersatz erlangt, besteht zwar – von dem hier nicht festgestellten Fall einer Überschuldung in dem dargelegten Sinn abgesehen – auch dann, wenn die Gesellschaft nicht mehr kreditwürdig ist. Auch diese Voraussetzung hat das Berufungsgericht, soweit es sich mit ihr überhaupt befaßt hat, rechtsfehlerhaft angenommen. Seiner Auffassung, die Klägerin habe die von der Beklagten behauptete Kreditunwürdigkeit zum Zeitpunkt der Darlehensgewährung nicht substantiiert bestritten, hält die Revision zu Recht entgegen, daß die im Grundsatz für die Entstehungsvoraussetzungen der Eigenkapitalfunktion darlegungs- und beweispflichtige Beklagte (vgl. Sen.Urteile v. 14. November 1988 - II ZR 115/88, WM 1989, 60, 61; v. 27. November 1989 - II ZR 43/89, ZIP 1990, 98, 100; vgl. auch Sen.Urt. v. 17. November 1997 - II ZR 224/96, ZIP 1998, 243, 245 m.w.N.) ihrerseits zu der behaupteten Kreditunwürdigkeit nicht substantiiert vorgetragen habe.

Eine auf Kreditunwürdigkeit beruhende Krise der Gesellschaft liegt vor, wenn sie von dritter Seite einen zur Fortführung ihres Unternehmens erforderlichen Kredit zu marktüblichen Bedingungen nicht erhält und sie deshalb ohne die Gesellschafterleistung liquidiert werden müßte (BGHZ 119, 201, 206 m.w.N.; Sen.Urt. v. 2. Juni 1997 - II ZR 211/95, ZIP 1997, 1648, 1650 = WM 1997, 1770). Es handelt sich um einen komplexen Rechtsbegriff, den der Darlegungspflichtige mit entsprechendem konkreten Sachvortrag ausfüllen muß. Die Beklagte hat sich insoweit auf ein Schreiben der T. GmbH vom 21. Februar 1996 berufen, in dem lediglich pauschal behauptet wird, das Darlehen habe bereits zum Zeitpunkt der Überlassung eigenkapitalersetzenden Charakter im Sinne von § 32 a GmbHG gehabt; die Klägerin habe zu diesem Zeitpunkt vor der Wahl gestanden, der Gesellschaft Eigenkapital zur Verfügung zu stellen oder ihr ein Darlehen zu gewähren. Der weitere Vortrag, es hätte der Darlehensgewährung durch die Klägerin nicht bedurft, wenn die Beklagte aus der Sicht Dritter selbst noch kreditwürdig gewesen wäre, bringt nur eine nicht zwingende Schlußfolgerung zum Ausdruck. Gegenüber diesem pauschalen Vortrag durfte sich die Klägerin gemäß § 138 ZPO mit einem einfachen Bestreiten begnügen (vgl. Zöller/Greger, ZPO 21. Aufl. § 138 Rdn. 8 a, 10 a m.w.N.). Darüber hinaus übersieht das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht rügt, daß der Hinweis der Klägerin auf die in den Jahresabschlüssen 1994 und 1995 ausgewiesenen, in Grundstückswerten der Beklagten steckenden stillen Reserven auch gegenüber der von der Beklagten behaupteten Kreditunwürdigkeit erheblich ist, weil solche Reserven als Kreditsicherheit für externe Gläubiger dienen und daher einer Kreditunwürdigkeit entgegenstehen können (vgl. Sen.Urt. v. 28. September 1987 - II ZR 28/87, WM 1987, 1488). Da hier – anders als in den Fällen der Senatsurteile vom 2. Juni 1997 aaO und vom 17. November 1997 aaO – konkrete Anhaltspunkte für ausreichende stille Reserven vorliegen, hätte das Berufungsgericht diesem Einwand der Klägerin nachgehen müssen.

III.

Die angefochtene Entscheidung kann daher nicht bestehenbleiben. Die Sache ist jedoch nicht entscheidungsreif, weil noch ergänzende tatrichterliche Feststellungen zum tatsächlichen Umfang und zur Tauglichkeit der stillen Reserven als Kreditsicherheit erforderlich sind. Außerdem hat das Berufungsgericht – von seinem Standpunkt aus konsequent – keine Feststellungen dazu getroffen, ob durch den zwischen der Klägerin und den Gesellschaftern Ma. und W. geschlossenen notariellen Anteilsveräußerungsvertrag vom 27. Februar 1995 auch die streitige Zinszahlungspflicht im Namen der Beklagten begründet oder rechtsgeschäftlich deklaratorisch bestätigt werden sollte und ob die Beklagte dabei ggf. im Hinblick auf §§ 35 Abs. 2 Satz 2 GmbHG, 181 BGB wirksam vertreten war. Schließlich sind auch zu der von der Klägerin behaupteten, von § 608 BGB abweichenden Vereinbarung monatlicher Zinsraten bisher keine Feststellungen getroffen.

Die Zurückverweisung der Sache gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die – ggf. nach ergänzendem Vortrag der Parteien – noch erforderlichen Feststellungen zu treffen. Der Senat hat von der gemäß § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO gegebenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an einen anderen – für Gesellschaftsrecht zuständigen – Senat des Berufungsgerichts zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Röhricht, Hesselberger, Goette, Kurzwelly, Kraemer

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 12.07.1999 durch Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

BB 1999, 1887

DB 1999, 1894

DStR 1999, 1622

HFR 2000, 531

NJW 1999, 3120

NWB 1999, 3461

BGHR

GmbH-StB 1999, 277

KTS 1999, 509

NZG 1999, 1059

Nachschlagewerk BGH

WM 1999, 1828

WuB 1999, 1345

ZAP 1999, 959

ZIP 1999, 1524

InVo 1999, 342

NZI 1999, 408

GmbHR 1999, 973

ZNotP 1999, 447

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