Leitsatz (amtlich)

a) Die Beschränkung der weiteren Redezeit eines Aktionärs und die Verweisung eines Aktionärs aus dem Saal gehören zur Zuständigkeit des Leiters der Hauptversammlung.

b) Der Leiter einer Hauptversammlung hat alle Rechte, die er braucht, um einen ordnungsmäßigen Ablauf der Hauptversammlung herbeizuführen.

c) Die Ausschließung eines Aktionärs aus der Hauptversammlung ist gerechtfertigt, wenn er den reibungslosen Ablauf der Hauptversammlung stört und die Störung nicht auf andere Weise behoben werden kann.

Versichert sich der Leiter einer Hauptversammlung zur Beschränkung der weiteren Redezeit oder Saalverweisung eines Aktionärs der Zustimmung der Hauptversammlung, so ist das lediglich eine unverbindliche, mit der Nichtigkeits- und Anfechtungsklage nicht angreifbare Meinungsbefragung.

Bin Aktionär, der vor einer Beschlußfassung zu Unrecht von der weiteren Teilnahme an einer Hauptversammlung ausgeschlossen worden ist, ist ohne Widerspruch zu Protokoll anfechtungsbefugt.

 

Normenkette

AktG §§ 103, 195 ff., § 198

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 07.03.1963)

LG Düsseldorf

 

Tenor

Die Revision gegen das am 7. März 1963 verkündete Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

In der Hauptversammlung der Beklagten vom 10. Oktober 1961 vertrat der Kläger 66.700 DM Aktien mit 667 Stimmen. Nachdem er etwa 25 bis 30 Minuten gesprochen und sich dabei mehrfach wiederholt und ihn der Versammlungsleiter darauf hingewiesen hatte, daß der Versammlung seine Weitschweifigkeit nicht zugemutet werden könne, beschloß die Hauptversammlung auf Antrag des Aktionärs K. „einstimmig”, die restliche Redezeit des Klägers auf 3 Minuten zu beschränken. Der Kläger richtete darauf mehrere Fragen an den Vorstand und wies hierbei, ohne daß sich hiergegen Widerspruch erhoben hätte, darauf hin, daß die Ausübung des Fragerechts nicht unter die Beschränkung der Redezeit falle. Als er den Vorstand erneut angriff, unterbrach ihn K. mit dem Zuruf, seine Redezeit wäre abgelaufen. Hierauf wurde der Kläger, der schon während seiner ersten Darlegungen gegen die Verwaltung und gegen den Aktionär Dr. W. ausfällig geworden war, gegen K. ausfällig und richtete gegen diesen in hoher Erregung laute Beschimpfungen, die der beurkundende Notar infolge der in der Versammlung entstandenen Unruhe und wegen der überschlagenden Stimme des Klägers nicht verstehen konnte. Der Versammlungsleiter erklärte, das unbotmäßige und beleidigende Verhalten des Klägers rechtfertige dessen weiteres Verbleiben in der Versammlung nicht mehr. Er bat die Versammlung, hierüber abzustimmen. Die Versammlung beschloß „einstimmig”, den Kläger aus der Versammlung auszuschließen. Nachdem dieser Beschluß durchgeführt war, beantwortete der Vorstand die Fragen des Klägers bis auf die nach der Höhe des steuerlichen Ertrages, deren Beantwortung er unter Hinweis auf § 112 Abs. 3 AktG ablehnte. Alsdann erledigte die Hauptversammlung die weitere Tagesordnung. Sie entlastete zu Punkt 3 den Vorstand gegen 2.198 Stimmen bei 15 Stimmenthaltungen und den Aufsichtsrat gegen 2.225 Stimmen bei 15 Stimmenthaltungen. Zu Punkt 4 der Tagesordnung nahm sie gegen 1.486 Stimmen bei 20 Stimmenthaltungen die Wiederwahl bestimmter Aufsichtsratsmitglieder und eine Nachwahl in den Aufsichtsrat vor und wählte zu Punkt 5 die D. T.-G. einstimmig zum Abschlußprüfer für das Geschäftsjahr 1961/62.

Der Kläger greift die Beschlüsse, die die Abkürzung seiner Redezeit und seine Ausschließung aus der Versammlung zum Gegenstand haben, und die in seiner Abwesenheit zu Punkt 3 bis 5 der Tagesordnung gefaßten sachlichen Beschlüsse mit der Nichtigkeits- und der Anfechtungsklage an.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg.

Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Beschlüsse, die die Verkürzung der weiteren Redezeit des Klägers und seine Ausschließung aus der Versammlung zum Inhalt hatten, unterliegen nicht der Nichtigkeits- und der Anfechtungsklage.

1. Die Beschränkung der weiteren Redezeit fällt in die Zuständigkeit des Leiters der Hauptversammlung.

Schmidt/Meyer-Landrut (GroßKomm AktG § 103 Anm. 20; vgl. auch Erman, Die AktG 1964, 102) vertreten allerdings den Standpunkt, die Hauptversammlung und nicht ihr Leiter sei zuständig, falls von vornherein für die erschienenen Aktionäre eine Redezeit festgesetzt werden soll. Die Richtigkeit dieser Auffassung kann für den vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Denn hier geht es nicht um eine von vornherein vorgenommene Beschränkung der Redezeit aller erschienenen Aktionäre, sondern um die Einschränkung der Redezeit eines einzelnen Aktionärs, der bereits 25 bis 30 Minuten gesprochen und dabei durch mehrfachen Wiederholungen die sachgemäße Abwicklung der Tagesordnung aufgehalten hatte.

Der Leiter einer Hauptversammlung hat für die sachgemäße Erledigung ihrer Geschäfte zu sorgen (RG LZ 1920, 763). Aus dieser Aufgabe ergeben sich seine Befugnisse und deren Grenzen. Er hat alle Rechte, die er braucht, um einen ordnungsmäßigen Ablauf der Hauptversammlung herbeizuführen (Schmidt/Meyer-Landrut a.a.O. § 103 Anm. 16). Hierunter fällt auch die Beschränkung der restlichen Redezeit eines einzelnen Aktionärs.

Der Hauptversammlungsbeschluß über die Beschränkung der weiteren Redezeit des Klägers befaßt sich daher mit einer Maßnahme, die der Leiter der Hauptversammlung von sich aus hätte anordnen können.

2. Dasselbe hat auch von dem Beschluß zu gelten, der den Kläger von der weiteren Teilnahme an der Hauptversammlung ausschloß.

Das Recht, einen Aktionär des Saales zu verweisen, steht dem Versammlungsleiter zu, da es ihm obliegt, für die sachgemäße Erledigung der Geschäfte der Hauptversammlung zu sorgen, und er darum auch berechtigt sein muß, die hierzu notwendigen Maßnahmen zu ergreifen (Schmidt/Meyer-Landrut a.a.O. § 103 Anm. 16; Baumbach/Hueck, AktG § 103 Anm. 5 A; Barz, Die AktG, Sonderbeilage I/62 S. 4/5; Obermüller/Werner/Winden, Leitfaden für die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, D II 4 c).

3. Der Versammlungsleiter kann sich sowohl zur Beschränkung der weiteren Redezeit eines Aktionärs wie zur Ausschließung eines Aktionärs aus der Versammlung der Zustimmung der Hauptversammlung versichern. Macht er von dieser Befugnis Gebrauch, so bleibt er zur Verhängung dieser Maßnahmen zuständig. Alsdann liegt überhaupt kein Hauptversammlungsbeschluß, sondern lediglich eine unverbindliche Meinungsbefragung vor, die weder der Nichtigkeits- noch der Anfechtungsklage ausgesetzt ist.

Das Berufungsgericht meint, weder das Aktiengesetz noch ungeschriebene Grundsätze des Aktienrechts ständen dem entgegen, daß der Hauptversammlungsleiter seine Zuständigkeit bei der Beschränkung der weiteren Redezeit oder der Saalverweisung eines Aktionärs im Einzelfall der Hauptversammlung übertrage. Komme es hierzu, so sei die Entscheidung der Hauptversammlung nicht der Nichtigkeits- und der Anfechtungsklage ausgesetzt (ebenso Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen bei Aktiengesellschaften, 1924, S. 43 ff; Obermüller/Werner/Winden a.a.O. D II 5, N II 1a; Horrwitz, Das Recht der Generalversammlungen der Aktiengesellschaften, 1913, S. 72, 77; Jacusiel, Gültige und fehlerhafte Generalversammlungsbeschlüsse bei Aktiengesellschaften, 1928, S. 56; Fürst, LZ 1912 Sp. 509). Denn ein Hauptversammlungsbeschluß, der nur verhandlungsleitenden, geschäftsordnenden Inhalt habe, wirke sich bloß für die Dauer einer einzigen Hauptversammlung aus, werde bereits in ihr ausgeführt, verliere mit ihrer Beendigung seine maßgebende Bedeutung und sei auch ohne Aufnahme in die Ankündigung der Tagesordnung zulässig.

Es ist zweifelhaft, ob der Leiter einer Hauptversammlung seine Entscheidungsbefugnis in Fragen der Versammlungsleitung punktuell auf die Hauptversammlung delegieren kann. Insoweit fragt sich, ob die Beschränkung der Zuständigkeit der Hauptversammlung auf die ihr im Gesetz oder in der Satzung übertragenen Fälle (§ 103 AktG) auch für versammlungsleitende Maßnahmen gilt, für die das Aktiengesetz keine Vorschriften gibt, und ob die Verantwortung, die der Leiter einer Hauptversammlung für die Richtigkeit der ihm obliegenden Entscheidungen trifft, übertragbar ist.

Das kann aber im vorliegenden Fall auf sich beruhen, da der Leiter der Hauptversammlung vom 10. Oktober 1961 zur Redezeitbeschränkung und Saalverweisung des Klägers zwar den Willen der Versammlung festgestellt und beachtet, aber doch unter eigener Verantwortung gehandelt hat, da er zwar das Abstimmungsergebnis, nicht aber den gefaßten Beschluß verkündet hat und dies zur Entstehung eines Hauptversammlungsbeschlusses unerläßlich ist (Würdinger, Aktienrecht § 23 II 2 c m.w.Nachw.). Unter diesen Umständen stellt sich die Frage, ob sich der Leiter einer Hauptversammlung in einzelnen Punkten der eigenen Zuständigkeit begeben kann und dann an die Entscheidung der Hauptversammlung gebunden ist, im gegebenen Falle nicht.

Beide Vorinstanzen haben daher im Ergebnis recht, wenn sie die Klage, soweit sie sich gegen die Beschlüsse zur Redezeitbeschränkung und zur Ausschließung des Klägers aus der Versammlung richten, mangels Zulässigkeit abgewiesen haben.

Deshalb kommt es insoweit auf die vom Kläger geltend gemachten Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe nicht an.

Soweit der Kläger dieser Sache die Feststellung der Nichtigkeit der Beschlüsse über die Beschränkung seiner weiteren Redezeit und seiner Ausschließung von der weiteren Teilnahme an der Versammlung auf § 256 ZPO stützt, fehlt ihm das Rechtsschutzbedürfnis, da er sich insoweit lediglich gegen für die Dauer der Versammlung vom 10. Oktober 1961 erlassene Geschäftsordnungsmaßnahmen wendet und ihre Rechtmäßigkeit im Rahmen seines Angriffs gegen die an diesem Tage gefaßten Sachbeschlüsse ohnehin nachzuprüfen ist.

II. Mit Recht nehmen die Vorinstanzen an, daß die gegen die sachlichen Beschlüsse gerichtete Anfechtungsklage nicht schon daran scheitert, daß der Kläger nicht Widerspruch zu Protokoll erklärt hat. Denn ein Aktionär, der vor der Beschlußfassung zu Unrecht von der weiteren Teilnahme an einer Hauptversammlung ausgeschlossen worden ist, steht nicht wesentlich anders da, als ein zur Hauptversammlung zu Unrecht nicht zugelassener Aktionär. Er muß darum wie dieser (§ 198 Abs. 1 Ziff. 2 AktG) zur Erhebung der Anfechtungsklage sachlich befugt sein (Baumbach/Hueck, AktG § 198 Anm. 2 C a; von Godin/Wilhelmi, AktG § 110 Anm. I S. 494/95; § 198 Anm. II 3 a; Ritter, Komm. z. AktG § 198 Anm. 2 Nr. 2a).

Der Kläger ist aber nicht zu Unrecht von der weiteren Teilnahme an der Hauptversammlung ausgeschlossen worden.

1. Das Berufungsgericht stützt die Möglichkeit der Saalverweisung auf Notwehr (so auch Bondi, JW 1931, 2962 Anm.) und hält deren Voraussetzungen für gegeben, da der Kläger den Aktionär K. wiederholt beleidigt, auf Abmahnungen nicht reagiert und einen Hinweis auf die Möglichkeit seines Ausschlusses nicht beachtet habe und weitere Ausfälligkeiten zu befürchten gewesen seien, da er sich von Anbeginn der Hauptversammlung an ungebührlich betragen habe und zur Mäßigung nicht zu bewegen gewesen sei.

Die Ausschließung eines Aktionärs aus der Hauptversammlung ist nicht bloß unter den Voraussetzungen der Notwehr zulässig. Diese Maßnahme ist schon dann gerechtfertigt, wenn ein Aktionär den reibungslosen Ablauf der Hauptversammlung stört und die Störung nicht auf andere Weise behoben werden kann. Das folgt daraus, daß der Leiter einer Hauptversammlung für die sachgemäße Erledigung ihrer Geschäfte zu sorgen hat Barz (a.a.O. S. 3) sagt mit Recht: „Aus seiner Aufgabe sind seine Befugnisse im einzelnen abzuleiten”. Der Versammlungsleiter könnte seiner Aufgabe nicht gerecht werden, wenn er von den Versammlungsteilnehmern nur gegenwärtige rechtswidrige Angriffe abwehren könnte. Der sachgemäße Ablauf einer Hauptversammlung kann auch durch ein anderes Verhalten als durch gegenwärtige rechtswidrige Angriffe auf Versammlungsteilnehmer gestört werden, etwa durch sinnloses Lärmen, übermäßige Zurufe, Einschalten von Musik- oder Sprechapparaten oder durch Obstruktionsreden (Pilibustern). Vielfach wird in diesem Zusammenhang vom Hausrecht des Leiters der Hauptversammlung gesprochen (vgl. Schmidt/Meyer-Landrut a.a.O. § 103 Anm. 16; Ritter a.a.O. § 103 Anm. 5b; Butengchön, BB 1958, 398; Obermüller/Werner/Winden a.a.O. D II 4). Diese Bezeichnung ist irreführend, da im allgemeinen unter dem Hausrecht die Befugnisse verstanden werden, die der Hauseigentümer oder der über einen Raum Verfügungsberechtigte auf Grund seines Eigentums- oder Gebrauchsrechts vornehmlich gegenüber Außenstehenden hat (Erman a.a.O. S 102), während der Leiter einer Hauptversammlung seine Befugnisse gegenüber den Versammlungsteilnehmern von der Aufgabe erhält, die Versammlung zu leiten.

2. Der Kläger hat nicht in Abrede gestellt, sich ungehörig verhalten und dieses Betragen trotz Abmahnung nicht aufgegeben zu haben. Vielmehr sucht er das bloß zu rechtfertigen und zu entschuldigen.

a) Seine weitere Redezeit ist jedoch zu Recht beschränkt worden. Er hat nicht bestritten, sich mehrfach wiederholt zu haben und auf bereits erhobene Vorwürfe immer wieder und wieder zurückgekommen zu sein. Das rechtfertigte die Beschränkung seiner weiteren Redezeit.

Diese Maßnahme, die nach Ablauf der Redezeit vorgenommene Wortentziehung und die Verweisung aus dem Saal greifen allerdings tief in das Teilnahmerecht und die damit verbundenen Rechte des Aktionärs ein. Die sachgerechte Leitung und Durchführung einer Hauptversammlung erfordern aber eine Ordnung, die mangels gesetzlicher Regelung durch den Zweck der Hauptversammlung bestimmt wird, die Tagesordnung sachgemäß abzuwickeln. Ein Aktionär, der diese Ordnung stört, muß sich Eingriffe in seine Rechte gefallen lassen, da der einzelne seine Rechte nicht mißbrauchen darf und es nicht in der Hand haben kann, den gehörigen, ordnungsgemäßen Ablauf der Hauptversammlung zu vereiteln, aufzuhalten oder zu beeinträchtigen.

b) Die Beschränkung der weiteren Redezeit des Klägers hatte keine Beschränkung seines Fragerechts zum Inhalt, wie der Kläger während der Versammlung auch erkannt hat. Denn er hat unter dem Hinweis, daß die Ausübung des Fragerechts nicht unter die Redezeitbeschränkung falle, Fragen gestellt, und ihm ist auch die Redezeit nicht unter Anrechnung der von ihm noch gestellten Fragen beschnitten worden; für seine eigentlichen Ausführungen sind ihm vielmehr weit mehr als drei Minuten Zeit gelassen worden.

c) Das Berufungsgericht hält die Festsetzung von nur noch 3 Minuten für angemessen.

Soweit es dies damit begründet (BU S. 24), die Hauptversammlung habe durch ihren einstimmigen Beschluß über die Redezeitbeschränkung zu erkennen gegeben, daß sie auf weitere Ausführungen des Klägers keinen Wert lege, könnte das zu Mißverständnissen Anlaß geben. Die Hauptversammlung muß sich der sachgemäßen Erörterung der Gegenstände der Tagesordnung unterziehen und die dafür und die dagegen sprechenden Argumente anhören, gleichviel ob diese Gründe offenkundig oder bereits in einer Oppositionsanmeldung niedergelegt und bekanntgegeben worden sind und ob die einzelnen Versammlungsteilnehmer sie bereits gelesen, jedoch für sich abgelehnt haben oder dafür aufgeschlossen sind oder auf mündlichen Vortrag noch Wert legen.

Das Berufungsgericht hat seine Annahme aber auch darauf gestützt, daß der Kläger bereits Ausführungen von 25 bis 30 Minuten Dauer gemacht, dabei nicht durchweg zur Sache gesprochen und sich mehrfach wiederholt hatte. Der Revision ist zuzugeben, daß eine unangemessene Verkürzung der Redezeit unzulässig ist (RGZ 36, 24). Was unangemessen ist, ist aber im wesentlichen Tatfrage. Unter den gegebenen Umständen kann die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht als rechtlich fehlerhaft angesehen werden.

d) Jeder Teilnehmer an einer Hauptversammlung hat sich so zu betragen, daß ein ungestörter Verlauf möglich ist.

d 1. Der Kläger kann daher sein Verhalten auf der Versammlung vom 10. Oktober 1961 nicht damit entschuldigen, ihm müsse sein verhältnismäßig jugendliches Alter zugute gehalten werden. Ebenso kommt es auch nicht darauf an, ob der Kläger, wie die Beklagte behauptet, ein Hauptversammlungsroutinier ist.

d 2. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Versammlungsleiter auf Zwischenrufe und Zwischenfragen des Klägers ungewöhnlich scharf reagiert habe, daß insbesondere seine Äußerung: „Wenn Sie dazwischenquatschen, schmeiße ich Sie hinaus!”, ungehörig und eine Zurechtweisung des Klägers auch in sachlicher Form möglich gewesen sei. Aber der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seines eigenen Auftretens nicht darauf berufen, daß er auf diese Weise und durch die ganze Atmosphäre, in der die Hauptversammlung abgehalten worden sei, in Erregung geraten sei und sich zu seinen Äußerungen habe hinreißen lassen oder daß er zu seinem Verhalten gar provoziert worden sei. Der Maßstab für den richtigen Ton auf einer Hauptversammlung wird nicht durch einen einzelnen Teilnehmer, sondern durch die sachlich zu bewältigende Aufgabe gesetzt.

d 3. Der Kläger kann auch nicht damit durchdringen, er habe sich auf der Hauptversammlung nicht schlechter betragen, als dies im Bundestag üblich sei. Denn eine Hauptversammlung ist mit einer Bundestagssitzung nicht vergleichbar.

d 4. Der Kläger sucht die Art seines Auftretens auch damit zu entschuldigen, daß er der Stellungnahme der Verwaltung zu seiner Frage mißtraut habe, ob die Verhandlung auf Tonband festgehalten werde. Bei Beginn der Hauptversammlung hatte er den Versammlungsleiter gefragt, ob die Verhandlung auf Tonband aufgenommen werde, und eine verneinende Antwort erhalten. Darauf wies er auf einen größeren Kasten hin und fragte erneut, ob darin ein Mikrophon für eine Bandaufnahme untergebracht sei. Der Versammlungsleiter verneinte auch das und erklärte, an dem Kasten sei ein Mann tätig, um die Mikrophone für die Lautsprecheranlage zu bedienen. Tatsächlich ließ die Verwaltung in einem Nebenraum, in dem über Lautsprecheranlage das vom Vorsitzenden angeordnete Stenogramm angefertigt wurde, zur Kontrolle ein Tonbandgerät mitlaufen, um ein einwandfreies Stenogramm zu gewährleisten. Die Beklagte hat behauptet, die Tonbandaufnahme sei ohne Wissen von Vorstand und Aufsichtsrat von dem für die Stenografen zuständigen Verwaltungsdirektor veranlaßt worden. Der Kläger hat seine Behauptung, der Versammlungsleiter habe eine bewußt unrichtige Auskunft erteilt und jedenfalls der Vorstand habe Kenntnis von der Aufstellung des Tonbandgeräts gehabt und darum von sich aus die Angabe des Versammlungsleiters berichtigen müssen, nicht unter Beweis gestellt. Das Berufungsgericht geht darum zu Recht davon aus, daß der Versammlungsleiter den Kläger nur objektiv, nicht aber gewußt falsch unterrichtet habe und daß den Vorstand nicht der Vorwurf treffe, die Aufklärung des wirklichen Sachverhalts unterlassen zu haben. Im weiteren bezweifelt es, ob der Kläger wirklich an der Richtigkeit der ihm erteilten Antwort gezweifelt hat und hierdurch zu seinem ungehörigen Verhalten veranlagt worden ist. Hierauf kommt es nicht an, da der Kläger auch bei Mißtrauen in die Richtigkeit der ihm gewordenen Angaben sich so weit zu mäßigen hatte, daß der Ablauf der Hauptversammlung ungestört blieb.

3. Der Leiter einer Hauptversammlung hat bei allen Maßnahmen, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben ergreift, den Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung aller Aktionäre zu beachten. Der Kläger behauptet nicht, daß der Leiter der Versammlung vom 10. Oktober 1961 hiergegen verstoßen habe.

4. Von dem Recht der Beschränkung der weiteren Redezeit, der Wortentziehung und der Saalverweisung darf nur Gebrauch gemacht werden, wenn die Störung auf andere Weise nicht behoben werden kann. Das Berufungsgericht folgert dies aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem es allgemeine Gültigkeit und zwingenden Charakter zuspricht. Näher liegt es, auch insoweit auf die Aufgaben des Versammlungsleiters und darauf abzustellen, was hierzu erforderlich ist.

Hierbei darf nicht außer acht gelassen werden, daß der Aktionär einen erheblichen Teil seiner Mitgliedschaftsrechte nur auf der Hauptversammlung ausüben kann und daß Redezeitbeschränkung, Wortentzug und Saalverweisung dazu führen, daß der betroffene Aktionär seinen Standpunkt nicht mehr zu Gehör und Geltung bringen kann, und daß der Aktionär bei der Saalverweisung sogar um die Ausübung seines Stimmrechts kommt, wenn er nicht noch vor seinem Abgehen Gelegenheit erhält, seine Stimmen durch einen anderen Aktionär vertreten zu lassen. Das zwingt dazu, an die Voraussetzungen für diese Maßnahmen strenge Anforderungen zu stellen und insbesondere von der Saalverweisung nur als ultima ratio Gebrauch zu machen (Barz a.a.O. S. 6).

Das Berufungsgericht hat unter diesen Gesichtspunkten den Sachverhalt beurteilt und dabei noch darauf hingewiesen, daß nach dem unstreitigen Sachverhalt der Kläger vorher bereits mehrfach ermahnt und mindestens einmal auf die Möglichkeit des Ausschlusses aus der Versammlung hingewiesen worden ist, er noch im Abgehen und an der Saaltür in großer Erregung geschrien und getobt hat und nicht angenommen werden kann, er habe als mißliebiger Aktionär willkürlich mundtot gemacht werden sollen. Diese Würdigung läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen.

Nach alledem ist der Kläger nicht zur Anfechtung befugt. Es kommt daher nicht darauf an, ob den Sachbeschlüssen Anfechtungsgründe anhaften, insbesondere ob die heimliche Verwendung eines Tonbandgeräts einen solchen Grund darstellt.

Unerheblich ist weiter, daß der Kläger die Verwendung des Tonbandgeräts nicht innerhalb der Anfechtungsfrist (§ 199 Abs. 1 AktG), ja nicht einmal binnen einem Monat, nachdem er von dem wirklichen Sachverhalt Kenntnis erlangt hatte, geltend gemacht hat.

Es kommt auch nicht darauf an, daß das Berufungsgericht in einer Hilfserwägung verneint hat, daß Redezeitbeschränkung, Wortentzug und Saalverweisung für die sachlichen Beschlüsse nicht ursächlich geworden seien. Darum kann auch offenbleiben, ob insoweit nicht die Grundsätze angewendet werden müssen, die der Senat in BGHZ 36, 121, 139 ff herausgestellt hat.

III. Gegenüber den Sachbeschlüssen sind auch die Nichtigkeitsanträge des Klägers unbegründet.

1. Die heimliche Verwendung eines Tonbandgerätes ist kein Nichtigkeitsgrund, ohne daß es darauf ankommt, ob eine derartige Handlungsweise rechtswidrig oder ob dies mit dem Berufungsgericht deshalb zu verneinen ist, weil bei einer Hauptversammlung, bei der, wie hier, viele Aktionäre und die Presse anwesend sind, und die darum einer öffentlichen Versammlung gleichkommt, die Intimsphäre eines Redners nicht gestört werden kann.

2. Die Maßnahmen der Beschränkung der weiteren Redezeit, der daran anschließenden Wortentziehung und der Saalverweisung können, wenn sie zur sachgemäßen Durchführung einer Hauptversammlung erforderlich sind, die Grundrechte der Gleichbehandlung und der Meinungsfreiheit (Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 GG) nicht verletzen. Denn auf diese Bestimmungen kann sich ein Aktionär nicht berufen, um eine Störung des ordnungsmäßigen Ablaufs der Hauptversammlung zu rechtfertigen.

3. Wenn derartige Maßnahmen erforderlich sind, kann ihre Verhängung auch kein Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen das Aktiengesetz sein.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Fischer, Dr. Kuhn, Dr. Bukow, Schulze, Stimpel

 

Fundstellen

Haufe-Index 647915

BGHZ, 245

NJW 1966, 43

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