Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesellschaft „S.Inc.”. USA als Gründungsstaat. Geschäftliche Tätigkeiten. Deutschland als Verwaltungssitz. Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten nach US-amerikanischem Recht

 

Leitsatz (amtlich)

Die Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten einer in den USA nach dortigen Vorschriften gegründeten Gesellschaft (hier einer "Inc.") mit Verwaltungssitz im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland richtet sich jedenfalls dann nach dem Gründungsrecht, wenn die Gesellschaft geschäftliche Aktivitäten auch in den USA entfaltet.

 

Normenkette

Deutsch-amerikanischer Freundschaftsvertrag Art. VII; Deutsch-amerikanischer Freundschaftsvertrag XXV; HGB § 128

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 12.09.2002; Aktenzeichen 19 U 1844/02)

LG München I (Urteil vom 13.12.2001)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 19. Zivilsenats des OLG München v. 12.9.2002 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 26. Zivilkammer des LG München I v. 13.12.2001 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Beklagte und A. F. waren Gesellschafter der S. Inc. mit registriertem Sitz im Bundesstaat Delaware/USA und einer Repräsentanz in M. unter der Adresse einer H. GmbH. Im September 1994 beauftragte der Kläger die S. Inc., seine 7.550 Aktien der Hu. Corporation in einem Depot der S. Inc. bei der Al. B. Inc., Bo. (USA) verwahren zu lassen. Anlässlich einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung der S. Inc., die am 7.3.1995 in M. stattfand, wurde u.a. die Übernahme der Aktien des Klägers festgestellt. Mit Schreiben v. 12.4.1995 teilte A. F. dem Kläger mit, dass der Beklagte aus der S. Inc. ausgeschieden sei und deren neue Anschrift nunmehr "c/o A. F. ..." laute. Unter dem 18.8.1996 unterzeichnete der Kläger eine ihm übersandte englischsprachige Erklärung, wonach er u.a. bestätigte, dass ihm im Zusammenhang mit der Tätigkeit der S. Inc. keine Ansprüche gegen den Beklagten oder gegen die H. GmbH zustünden. Im November 1996 verstarb A. F.. Mit seiner im Mai 2001 erhobenen Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten Herausgabe der 7.550 Stück Aktien. Die S. Inc. habe ihren tatsächlichen Verwaltungssitz immer in M. gehabt und sei als OHG zu qualifizieren, weshalb der Beklagte für deren Verbindlichkeiten gem. § 128 HGB hafte. Eine Enthaftung gem. § 160 HGB sei mangels Eintragung seines Ausscheidens im Handelsregister nicht eingetreten. Die am 18.8.1996 unterzeichnete Erklärung habe der Kläger nicht verstanden; sie habe ohnehin gegen das AGB-Gesetz verstoßen.

Die in erster Instanz abgewiesene Klage hatte in zweiter Instanz Erfolg. Dagegen richtet sich die von dem Senat zugelassene Revision des Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

I. Das Berufungsgericht meint, der rechtliche Status der als "S. Inc." bezeichneten Gesellschaft richte sich nach deutschem Recht, weil ihr tatsächlicher Verwaltungssitz sich in M. befunden habe. Da sie Bankgeschäfte und somit Handelsgeschäfte i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 4 a.F. HGB betrieben habe, sei sie ungeachtet ihrer fehlenden Eintragung im deutschen Handelsregister als OHG anzusehen gewesen (§ 123 Abs. 2 HGB). Infolgedessen schulde der Beklagte gem. § 128 HGB Rückgabe der von der Gesellschaft verwahrten Aktien. Auf eine Enthaftung entsprechend § 160 HGB könne sich der Beklagte nicht berufen, weil für den Kläger der Rechtscharakter der S. Inc. als OHG nicht erkennbar gewesen sei. Der vom Kläger unterzeichnete Anspruchsverzicht v. 18.8.1996 sei unbeachtlich, weil der Kläger über dessen Inhalt nicht aufgeklärt worden sei.

II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht übersieht schon in seinem kollisionsrechtlichen Ausgangspunkt den hier einschlägigen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika v. 29.10.1954 (BGBl. II 1956, 487). Nach Art. XXV Abs. 5 S. 2 dieses Abkommens gelten Gesellschaften, die gemäß den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des einen Vertragsteils in dessen Gebiet errichtet sind, als Gesellschaften dieses Vertragsteils; ihr rechtlicher Status wird in dem Gebiet des anderen Vertragsteils als solcher anerkannt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist somit im Geltungsbereich dieses Abkommens das Personalstatut einer Gesellschaft grundsätzlich nicht an das Recht ihres Verwaltungssitzes, sondern an das am Ort ihrer Gründung geltende Recht anzuknüpfen (vgl. BGH, Urt. v. 29.1.2003 - VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 = MDR 2003, 647 = GmbHR 2003, 534 = BGHReport 2003, 613). Das gilt sowohl hinsichtlich der Frage der Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft (BGH, Urt. v. 29.1.2003 - VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 = MDR 2003, 647 = GmbHR 2003, 534 = BGHReport 2003, 613) als auch in Bezug auf die ebenfalls nach dem Personalstatut zu entscheidende Frage einer Haftung der Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeiten (vgl. BGH, Urt. v. 23.4.2002 - XI ZR 136/01, BGHReport 2002, 902 = MDR 2002, 899 = NJW-RR 2002, 1359 f.) und folgt u.a. auch daraus, dass Art. VII des Abkommens ausdrücklich Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften jedes Vertragsteils im Gebiet des anderen Vertragsteils gewährt (vgl. BGH, Urt. v. 29.1.2003 - VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 [357 f.] = MDR 2003, 647 = GmbHR 2003, 534 = BGHReport 2003, 613). Insofern gilt hier Ähnliches wie im Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 und 48 EGV (dazu EuGH, Urt. v. 5.11.2002 - Rs C-208/00, ZIP 2002, 2037 - -Überseering; v. 30.9.2003 - Rs C-167/01, ZIP 2003, 1885 - -Inspire Art; sowie BGH, Urt. v. 13.3.2003 - VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 = GmbHR 2003, 527 = BGHReport 2003, 691 = AG 2003, 386 = MDR 2003, 825): Die in einem Vertragsstaat nach dessen Vorschriften wirksam gegründete Gesellschaft ist in einem anderen Vertragsstaat - unabhängig von dem Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes - in der Rechtsform anzuerkennen, in der sie gegründet wurde (BGH, Urt. v. 29.1.2003 - VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 = MDR 2003, 647 = GmbHR 2003, 534 = BGHReport 2003, 613; v. 13.3.2003 - VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 [189] = GmbHR 2003, 527 = BGHReport 2003, 691 = AG 2003, 386 = MDR 2003, 825).

2. Ob für den Anwendungsbereich des deutsch-amerikanischen Vertrages (a.a.O.) etwas Anderes dann gilt, wenn es sich um eine nur zur Umgehung der strengeren Vorschriften des deutschen Rechts in den USA gegründete "Briefkastenfirma" handelt, die über keinerlei tatsächliche, effektive Beziehungen (sog. "genuine link") zum Gründungsstaat verfügt und sämtliche Aktivitäten ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland entfaltet (vgl. OLG Düsseldorf v. 15.12.1994 - 6 U 59/94, GmbHR 1995, 595 = ZIP 1995, 1009; Kindler in MünchKomm/BGB, 3. Aufl. Bd. 11 IntGesR Rz. 253; a.A. Bungert, WM 1995, 2125 [2128 ff.]; Bungert, DB 2003, 1043 f.; Mäsch in Bamberger/Roth, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB Rz. 3; Merkt, RiW 2003, 458 f.; vgl. auch EuGH, v. 30.9.2003 - Rs. C-167/01, ZIP 2003, 1885 - -Inspire Art zu Nr. 96), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn das fragliche Erfordernis eines "genuine link" wird auch von seinen Befürwortern nicht dahin verstanden, dass der tatsächliche Verwaltungssitz der Gesellschaft sich im Gründungsstaat befinden muss. Ausreichend wäre vielmehr, dass die Gesellschaft irgendwelche geschäftlichen Aktivitäten in den USA - nicht notwendig im Gründungsbundesstaat (hier: Delaware) - entwickelt (vgl. Kindler in MünchKomm/BGB, 3. Aufl. Bd. 11 IntGesR Rz. 253; Mankowski, EWiR 2003, 661 f.; Paefgen, DZWIR 2003, 441 [443]), wofür z.B. das Bestehen eines Broker-Vertrages mit einem US-amerikanischen Partner genügt (vgl. Ebenroth/Kemner/Willburger, ZIP 1995, 972 [974]). Da die S. Inc. für die ihr anvertrauten Aktien ein Depot bei der Al. B. Inc. in Bo. unterhielt, ließe sich ein genuine link zu den USA nicht verneinen.

3. Richtet sich sonach das Personalstatut der S. Inc. nach amerikanischem Recht, scheidet eine Haftung des Beklagten nach § 128 HGB aus. Nach US-amerikanischem Recht, das der Senat mangels entsprechender Feststellungen des Berufungsgerichts selbst feststellen kann (vgl. BGH v. 30.4.1992 - IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 [168] = MDR 1992, 765; v. 27.5.1993 - IX ZR 254/92, BGHZ 122, 373, 378 [384] = MDR 1993, 968), haftet der Gesellschafter einer "Inc." (Kapitalgesellschaft) grundsätzlich nicht für die Gesellschaftsverbindlichkeiten (vgl. nur Ebke/Stadler, RiW 1989, 413). Einer der Ausnahmefälle, in denen nach US-amerikanischem Recht ein "Durchgriff" auf die Gesellschafter in Betracht käme (sog. "piercing the corporate veil"; vgl. dazu Bungert, WM 1995, 2125 [2131]; Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 1991, Rz. 313 ff.) ist nicht vorgetragen.

 

Fundstellen

BB 2004, 1868

DB 2004, 1984

DStR 2004, 1841

DStZ 2006, 388

BGHR 2004, 1559

EBE/BGH 2004, 3

IStR 2004, 875

NJW-RR 2004, 1618

DNotI-Report 2004, 154

EWiR 2004, 919

MittBayNot 2005, 240

NZG 2004, 1001

StuB 2004, 1084

WM 2004, 1683

WuB 2004, 853

ZIP 2004, 1549

IPRax 2005, 339

JZ 2005, 303

KÖSDI 2004, 14428

RIW 2004, 787

GmbHR 2004, 1225

ZNotP 2004, 405

IHR 2005, 42

www.judicialis.de 2004

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