Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung der Verwaltungsorgane einer AG wegen mangelhafter Überprüfung von Kreditrisiken. Gewährung eines upstream-Darlehens durch abhängige AG an Mehrheitsaktionärin. Vollwertige Rückzahlungsforderung. Nachteiliges Rechtsgeschäft. Überprüfung von Änderungen des Kreditrisikos durch Verwaltungsorgane der abhängigen Gesellschaft. Gewährung ungesicherter Darlehen. Insolvenz der Mehrheitsaktionärin

 

Leitsatz (amtlich)

a) Die Gewährung eines unbesicherten, kurzfristig rückforderbaren "upstream-Darlehens" durch eine abhängige Aktiengesellschaft an ihre Mehrheitsaktionärin ist kein per se nachteiliges Rechtsgeschäft i.S.v. § 311 AktG, wenn die Rückzahlungsforderung im Zeitpunkt der Darlehensausreichung vollwertig ist. Unter dieser Voraussetzung liegt auch kein Verstoß gegen § 57 AktG vor, wie dessen Abs. 1 Satz 3 n.F. klarstellt. An der gegenteiligen Auffassung im Senatsurteil vom 24.11.2003 (BGHZ 157, 72 zu § 30 GmbHG) wird auch für Altfälle nicht festgehalten.

b) Unberührt bleibt die aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG folgende und nicht durch §§ 311, 318 AktG verdrängte Verpflichtung der Verwaltungsorgane der abhängigen Gesellschaft, laufend etwaige Änderungen des Kreditrisikos zu prüfen und auf eine sich nach der Darlehensausreichung andeutende Bonitätsverschlechterung mit einer Kreditkündigung oder der Anforderung von Sicherheiten zu reagieren. Die Unterlassung solcher Maßnahmen kann ihrerseits unter § 311 AktG fallen und Schadensersatzansprüche aus §§ 317, 318 AktG (neben solchen aus §§ 93 Abs. 2, 116 AktG) auslösen.

 

Normenkette

AktG §§ 57, 311, 317-318

 

Verfahrensgang

Thüringer OLG (Urteil vom 25.04.2007; Aktenzeichen 6 U 947/05)

LG Erfurt (Entscheidung vom 09.09.2005; Aktenzeichen 10 O 611/04)

 

Tenor

Auf die Revisionen der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des OLG Jena vom 25.4.2007 aufgehoben, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, einschließlich der Streithilfe, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Der Kläger ist Insolvenzverwalter der M. AG (nachfolgend Schuldnerin), die u.a. den Handel mit Baustoffen betrieb und seit 1995 am neuen Markt notiert war. Ihre Mehrheitsaktionärin (51 %) war die MPS GmbH. Die beiden Beklagten waren seit Mitte 1999 Mitglieder des Aufsichtsrats der Schuldnerin. Diese hatte bis zum Jahr 2001 durch zahlreiche Unternehmenskäufe (asset deals) eine Unternehmensgruppe mit einer Vielzahl von Einzelgesellschaften aufgebaut, die an mehr als 120 verschiedenen Standorten tätig waren. Die dazu benötigten Grundstücke wurden von der MPS GmbH angekauft und an die jeweiligen Einzelgesellschaften vermietet. Zur Finanzierung der Grundstücksgeschäfte gewährte die Schuldnerin der MPS GmbH insgesamt 25 unbesicherte Darlehen, und zwar im Jahr 1998 ca. 3,65 Mio. DM (Nr. 1 und 2), im Jahr 1999 7 Mio. DM (Nr. 3 bis 5), im Jahr 2000 ca. 35 Mio. DM (Nr. 6 bis 16) und im Jahr 2001 ca. 34 Mio. DM (Nr. 17 bis 25). In den einzelnen Darlehensverträgen wurden unterschiedliche, nach Behauptung der Beklagten marktübliche Zinssätze (meist zwischen 7 und 8 %) vereinbart. Weiter heißt es dort jeweils: "Die Laufzeit des Darlehens bleibt offen. Eine Kündigung des Darlehens ist jederzeit zum Monatsende möglich." Im Zeitraum der Vereinbarung und Ausreichung der jeweiligen Darlehen war die Bonität der MPS GmbH unstreitig nicht zweifelhaft. Sie zahlte die monatlich fälligen Zinsen und erbrachte zum Teil auch Tilgungsleistungen. Die Jahresabschlüsse der Schuldnerin und der MPS GmbH wurden von der Nebenintervenientin geprüft, welche in ihrem Prüfbericht vom 15.3.2001 darauf hinwies, dass Sicherheiten für die Darlehen nicht vereinbart worden seien, jedoch nach Prüfung des Jahresabschlusses 2000 der MPS GmbH keine Hinweise darauf bestünden, dass die Darlehensforderungen der Schuldnerin nicht werthaltig seien. Der Jahresabschluss 2000 mit dem Prüfbericht wurde dem Aufsichtsrat der Schuldnerin im März 2001 zur Billigung vorgelegt. Der Kläger als Insolvenzverwalter der Schuldnerin hat die Darlehensforderungen zur Tabelle der inzwischen ebenfalls insolventen MPS GmbH angemeldet.

[2] Im September 2003 schloss der Kläger mit den Vorstandsmitgliedern der Schuldnerin eine Vereinbarung, nach welcher er sich "im Sinne eines Stillhalteabkommens" verpflichtete, die Vorstandsmitglieder aus bis dahin bekannten Sachverhalten nicht gerichtlich in Anspruch zu nehmen. Als Gegenleistung dafür verpflichteten sich die Vorstandsmitglieder, eine Barzahlung von 1,8 Mio. EUR zwecks Erhöhung der Masse für die eventuelle Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens zu leisten und eine Reihe von Sicherheiten für von dem Kläger u.a. ggü. der Nebenintervenientin geltend gemachte Schadensersatzansprüche zu bestellen.

[3] Mit der Klage begehrt der Kläger von den Beklagten Schadensersatz wegen Uneinbringlichkeit der Darlehensforderungen in Höhe eines Teilbetrages von 6.588.491,84 EUR, bezogen auf acht von ihm herausgegriffene Darlehen aus der Zeit vom 12.3.1998 bis 27.9.2001. Er meint, die Beklagten hafteten gem. §§ 57, 93 Abs. 3 Nr. 1, 117 Abs. 2, 318 Abs. 2 AktG, weil sie die Gewährung der ungesicherten Kredite im Rahmen ihrer Prüfpflichten gem. § 314 AktG alsbald hätten bemerken und weil sie dafür hätten sorgen müssen, dass die Kredite besichert werden. Die Klage hatte in erster Instanz i.H.v. 5.208.003,84 EUR, in zweiter Instanz in voller Höhe Erfolg. Dagegen richtet sich die - von dem Berufungsgericht zugelassene - Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

[4] Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

[5] I. Das Berufungsgericht (ZIP 2007, 1314 = NZG 2008, 275; dazu Dieckmann/Knebel, EWiR 2007, 483) meint, die MPS GmbH habe die von ihr beherrschte Schuldnerin durch Abschluss der Darlehensverträge ohne Besicherung zu für sie nachteiligen Rechtsgeschäften i.S.v. § 311 Abs. 1 AktG veranlasst. In der Regel verstoße der Vorstand einer AG mit der nicht zu ihren üblichen Geschäften gehörenden Vergabe ungesicherter Kredite an einen Aktionär gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr gem. §§ 57, 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG, wie auch aus dem zur Kreditvergabe einer GmbH an ihren Gesellschafter ergangenen Urteil des BGH vom 24.11.2003 (BGHZ 157, 72) zu erschließen sei. Auf die dortige Ausnahme einer (nicht unter § 30 GmbHG fallenden) Darlehensgewährung aus freien Rücklagen oder Gewinnvorträgen komme es für § 57 AktG nicht an, weil danach nicht nur das zur Deckung des Grundkapitals erforderliche, sondern das gesamte Gesellschaftsvermögen einer strikten Bindung unterliege. Auch im Rahmen der §§ 311 ff. AktG sei eine unter § 57 AktG fallende Leistung nur zulässig, wenn der Nachteil nach Maßgabe des § 311 Abs. 1, 2 AktG ausgeglichen werde. Ein mit der Vergabe ungesicherter Kredite einhergehendes Insolvenzrisiko der herrschenden Gesellschaft könne aber durch den bloßen Rückzahlungsanspruch und eine marktgerechte Verzinsung nicht ausgeglichen werden. So liege der Fall hier trotz der unstreitig nicht zweifelhaften Bonität der MPS GmbH im Zeitraum der Darlehensgewährungen, weil in Anbetracht der fortlaufenden, systematischen Vergabe ungesicherter Darlehen in zunehmender Höhe ohne vorbestimmte Laufzeit und ohne nennenswerte Rückführung mit einem Ausfallrisiko habe gerechnet werden müssen. Die Beklagten seien für den Ausfallschaden der Schuldnerin als Mitglieder ihres Aufsichtsrats gem. § 318 Abs. 2 AktG mitverantwortlich, weil sie unter Verletzung ihrer Prüfungspflicht gem. § 314 Abs. 1 AktG dem Hinweis auf die ungesicherten Darlehen im Prüfbericht der Nebenintervenientin vom März 2001 nicht nachgegangen seien und gegen die Darlehenspraxis der Schuldnerin nichts unternommen hätten. Das von dem Kläger mit den ehemaligen Vorstandsmitgliedern der Schuldnerin abgeschlossene "Stillhalteabkommen" habe keine Wirkung zugunsten der Beklagten. Sie schuldeten aber den vom Kläger begehrten Schadensersatz aus § 318 Abs. 2 AktG nur Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche des Klägers ggü. der MPS GmbH aus § 62 AktG.

[6] II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht in allen Punkten stand.

[7] 1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lässt sich die von ihm angenommene Haftung der Beklagten aus § 318 Abs. 2 i.V.m. § 317 AktG wegen Uneinbringlichkeit der Darlehensforderungen der Schuldnerin nicht darauf stützen, dass die Darlehensverträge zwischen der MPS GmbH und der von ihr abhängigen Schuldnerin (§ 17 AktG) von vornherein für diese nachteilige Rechtsgeschäfte i.S.d. § 311 Abs. 1 AktG gewesen seien (zu dieser Voraussetzung des § 318 AktG vgl. MünchKommAkt/Kropff 2. Aufl., § 318 Rz. 6).

[8] a) Nach der Rechtsprechung des Senats erfasst der Nachteilsbegriff der §§ 311, 317 AktG "jede Minderung oder konkrete Gefährdung der Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft ohne Rücksicht auf Quantifizierbarkeit, soweit die genannte Beeinträchtigung als Abhängigkeitsfolge eintritt" (BGHZ 141, 79, 84; ebenso Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht 5. Aufl., § 311 Rz. 39; Hüffer, 8. Aufl. 2008, § 311 AktG Rz. 25, jeweils m.w.N.).

[9] Zwar mag die Abhängigkeitsfolge als solche hier zu bejahen sein, weil es dafür - ähnlich wie für die Feststellung einer Einlagenrückgewähr gem. § 57 AktG (vgl. dazu Hüffer, a.a.O., § 57 Rz. 3a; KölnKomm/AktG/Koppensteiner 3. Aufl., § 311 Rz. 61) - auf den Vergleich mit einem hypothetischen Drittgeschäft (vgl. BGHZ, a.a.O.) bzw. darauf ankommt, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer unabhängigen Gesellschaft das Rechtsgeschäft zu denselben Konditionen vorgenommen hätte (vgl. § 317 Abs. 2 AktG; BGH, Urt. v. 3.3.2008 - II ZR 124/06, ZIP 2008, 785 Tz. 9), und dies im vorliegenden Fall unbesicherter Darlehensgewährungen durch eine ansonsten nicht mit Kreditgeschäften befasste Gesellschaft zur Finanzierung von Grundstücksgeschäften ihrer Mehrheitsaktionärin kaum anzunehmen ist (vgl. Großkomm/AktG/Henze 4. Aufl., § 57 Rz. 49m.Fn. 131).

[10] Das reicht aber für sich allein nicht aus. Denn es muss als weiteres Element ein Nachteil im Sinne der oben genannten Art hinzukommen. Ein in diesem Sinne nachteiliges Rechtsgeschäft (§ 311 Abs. 1 AktG) liegt nicht schon per se in der Vergabe eines ungesicherten "upstream-Darlehens" im Austausch gegen einen vollwertigen Rückzahlungsanspruch und angemessene Verzinsung (vgl. Habersack, a.a.O., § 311 Rz. 47 f.; Henze, WM 2005, 717, 723; Hentzen, ZGR 2005, 480, 509 f.; Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl., § 311 Rz. 79; Krieger in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 4 Aktiengesellschaft 3. Aufl., § 69 Rz. 61 f.; Pentz, ZIP 2006, 781, 785; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG § 311 Rz. 56m. umfassenden Nachw.; Wessels, ZIP 2006, 1701, 1707 f.; a.A. Bayer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl., § 57 Rz. 100; Bayer/Lieder, ZGR 2005, 133, 148 f.; Schön, ZHR 159, 351, 372). Vielmehr kommt es auf eine konkrete Gefährdung der Vermögens- oder Ertragslage der Gesellschaft an.

[11] b) Der Senat muss nicht entscheiden, ob der früher verbreiteten Auffassung zu folgen ist, die dahin ging, dass die dem Vergleich mit einem Drittgeschäft nicht standhaltende Gewährung von Gesellschaftsdarlehen an Aktionäre ohne bankübliche Sicherheiten gegen § 57 AktG verstoße (vgl. OLG Hamm ZIP 1995, 1263; Bayer in MünchKomm/AktG, a.a.O., § 57 Rz. 100; Bayer/Lieder, a.a.O.; Hüffer, a.a.O., § 57 Rz. 3a; derselbe AG 2004, 416, 417 f.; Schön, a.a.O.; a.A. K. Schmidt, GesR 4. Aufl., § 29 II 2a S. 891; Cahn, Kapitalerhaltung im Konzern 1998, S. 246 ff.) und zu einem sofortigen Rückgewähranspruch der AG gem. § 62 AktG sowie zur Haftung des Vorstandes für die Rückzahlung gem. § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG führen müsse (vgl. Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, 689, 693). Denn § 311 AktG enthält, auch soweit er mit § 57 AktG gleich läuft, eine die §§ 57, 62, 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG verdrängende Spezialregelung. Danach lösen solche - typischerweise an sich unter § 57 AktG fallende - Maßnahmen zum Nachteil der abhängigen Gesellschaft unter Einschluss von Vermögensverschiebungen keinen sofortigen Rückgewähranspruch (§ 62 AktG) aus; vielmehr lässt § 311 AktG einen zeitlich gestreckten Ausgleich in der Weise zu, dass der Nachteil bis zum Ende des Geschäftsjahrs ausgeglichen oder aber bis dahin der abhängigen Gesellschaft ein Rechtsanspruch auf künftigen Nachteilsausgleich eingeräumt wird, der nicht notwendig besichert werden muss (§ 311 Abs. 2 AktG). Damit unvereinbar wäre es, in jedem ungesicherten upstream-Darlehen der abhängigen Gesellschaft ein für sie nachteiliges Rechtsgeschäft zu sehen (vgl. Habersack, a.a.O., § 311 Rz. 47, 82; Habersack/Schürnbrand, a.a.O., S. 693; Vetter, a.a.O., § 311 Rz. 104 jew. m.w.N.).

[12] Der Senat sieht sich in dieser Beurteilung durch die kürzlich in Kraft getretene Vorschrift des § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG bestätigt, die klarstellt, dass eine Einlagenrückgewähr nicht vorliegt bei Leistungen der Gesellschaft, welche durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Aktionär gedeckt sind. Der Gesetzgeber begreift dies gemäß der Begründung zum Regierungsentwurf (unter Hinweis auf die Begründung zu § 30 Abs. 1 Satz 2 n.F. GmbHG, abgedruckt bei Goette, Einführung in das neue GmbH-Recht, S. 258 ff., 357) nicht als konstitutive Neuregelung, sondern als lediglich klarstellende "Rückkehr zur bilanziellen Betrachtungsweise", die bis zu dem Senatsurteil vom 24.11.2003 (BGHZ 157, 72 zur Kreditgewährung an GmbH-Gesellschafter) "problemlos anerkannt" gewesen sei und der Tatsache Rechnung getragen habe, dass bei einer durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückzahlungsanspruch gedeckten Leistung der Gesellschaft lediglich ein Aktiventausch stattfinde, der unter der Voraussetzung des § 57 Abs. 1 Satz 3 n.F. AktG auch bei dem in der Konzernpraxis verbreiteten "cash-pooling" auf keine Bedenken stoße. Im Rahmen der als Privilegierung gegenüber § 57 AktG gedachten §§ 311, 317 f. AktG können keine strengeren Maßstäbe gelten (vgl. auch M. Winter, DStR 2007, 1484, 1489). Soweit der Senat in dem genannten, von dem Berufungsgericht herangezogenen Senatsurteil vom 24.11.2003 über die Vollwertigkeit der Forderung hinausgehende Erfordernisse aufgestellt hat, wird daran - in Anbetracht der Klarstellung des Gesetzgebers - auch für Altfälle aus der Zeit vor Inkrafttreten des § 57 Abs. 1 Satz 3 n.F. AktG nicht festgehalten.

[13] c) Ob eine Darlehensforderung vollwertig und damit die Darlehensgewährung für die abhängige Gesellschaft insoweit nicht nachteilig ist, hat im Rahmen des § 311 AktG der Vorstand vor Abschluss des Darlehensvertrages zu prüfen. Maßstab dafür ist eine vernünftige kaufmännische Beurteilung, wie sie auch bei der Bewertung von Forderungen aus Drittgeschäften im Rahmen der Bilanzierung (§ 253 HGB) maßgeblich ist (vgl. Vetter, a.a.O., § 311 Rz. 101; zur Bewertung vgl. Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG, 18. Aufl., § 42 Rz. 364, 407 m.w.N.). Eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Darlehensrückzahlung (in diesem Sinne Bayer in MünchKomm/AktG, a.a.O., § 57 Rz. 148 zum Nachteilsausgleich) ist nicht erforderlich (vgl. Vetter, a.a.O., § 311 Rz. 101). Jedoch hat der im faktischen Konzern nicht weisungsunterworfene Vorstand der abhängigen Gesellschaft (vgl. Habersack, a.a.O., § 311 Rz. 10, 78 m.w.N.) bei der auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts bezogenen Beurteilung (vgl. Habersack, a.a.O., § 311 Rz. 44 f.) die Sorgfaltspflicht gem. § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG zu beachten (vgl. Senat, Urt. v. 3.3.2008, a.a.O., Tz. 11; Habersack, a.a.O., § 311 Rz. 78) und die Gewährung des unbesicherten Darlehens im Fall eines konkreten Ausfallrisikos zu verweigern (vgl. Habersack/Schürnbrand, a.a.O., S. 694). Erscheint dagegen aus der hier allein maßgeblichen ex-ante-Perspektive die Forderung als vollwertig bzw. ein Forderungsausfall unwahrscheinlich, handelt es sich um ein in dieser Hinsicht nicht nachteiliges Rechtsgeschäft auch dann, wenn es später wider Erwarten doch zu einem Forderungsausfall kommt (vgl. Habersack, a.a.O., § 311 Rz. 44; Kropff in MünchKomm/AktG, 2. Aufl., § 311 Rz. 146).

[14] d) Das bedeutet freilich nicht, dass die Verwaltungsorgane der abhängigen Gesellschaft nach einer für diese ex ante nicht nachteiligen Darlehensausreichung keine hierauf gerichteten Kontrollpflichten mehr träfen. Unberührt bleibt vielmehr ihre aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG folgende und nicht durch §§ 311, 318 AktG verdrängte (vgl. Hüffer, a.a.O., § 318 Rz. 9) Verpflichtung, laufend etwaige Änderungen des Kreditrisikos zu prüfen und auf eine sich nach der Darlehensausreichung andeutende Bonitätsverschlechterung mit einer Kreditkündigung oder der Anforderung von Sicherheiten zu reagieren (vgl. Pentz ZIP, a.a.O., S. 785 m.w.N.; vgl. auch RegEBegr. zu § 57 Abs. 1 Satz 3 n.F. AktG bei Goette, a.a.O.), was bei umfangreichen langfristigen Darlehen oder bei einem Cash-Management die Einrichtung eines geeigneten Informations- oder "Frühwarnsystems" zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft erforderlich machen kann (vgl. Henze WM, a.a.O., 717, 726; Krieger, a.a.O., § 69 Rz. 62; Vetter/Stadler, Haftungsrisiken beim konzernweiten Cash Pooling, Rz. 194 ff.). Die Unterlassung solcher Maßnahmen einschließlich einer rechtzeitigen Kreditkündigung kann ihrerseits auch unter § 311 AktG fallen und Schadensersatzansprüche nach §§ 317, 318 AktG (neben solchen aus §§ 93 Abs. 2, 116 AktG; vgl. Hüffer, a.a.O., § 318 Rz. 9) auslösen (zu Beweiserleichterungen für eine Einflussnahme des herrschenden Unternehmens vgl. Habersack, a.a.O., § 311 Rz. 33; Koppensteiner in KölnKomm/AktG, a.a.O., § 311 Rz. 10; Vetter, a.a.O., § 311 Rz. 30), wenn und soweit der durch das Unterlassen eintretende Nachteil nicht ausgleichsfähig ist.

[15] 2. Nach den dargelegten Grundsätzen kann das angefochtene Urteil mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht bestehen bleiben.

[16] a) Die zwischen der MPS GmbH und der Schuldnerin abgeschlossenen Darlehensverträge können - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - nicht wegen eines Kreditrisikos als der Schuldnerin nachteilige Rechtsgeschäfte i.S.d. § 311 AktG qualifiziert werden, weil die Bonität der MPS GmbH zum Zeitpunkt der Vereinbarung und Ausreichung der Darlehen "unstreitig nicht zweifelhaft" war, wie das Berufungsgericht ausdrücklich feststellt. Diese Feststellung hat Tatbestandswirkung i.S.v. § 314 ZPO (vgl. BGHZ 119, 300 f.; Musielak/Musielak, ZPO, 6. Aufl., § 314 Rz. 2 m.w.N.) und kann daher - entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung - nicht außerhalb eines Tatbestandsberichtigungsverfahrens (§ 320 ZPO) in Zweifel gezogen werden. Die Bonität eines Schuldners beurteilt sich nach seiner Vermögens- und Ertragslage. War die Bonität der MPS GmbH in Bezug auf die jeweiligen Darlehen im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Ausreichung nicht zweifelhaft, so bedeutet das, dass sie ihre Gesamtverbindlichkeiten unter Einschluss derjenigen aus den jeweiligen Neudarlehen decken konnte, die Rückzahlungsforderungen der Schuldnerin also vollwertig waren.

[17] b) Unerheblich ist hier, ob die Darlehen, was das Berufungsgericht in tatsächlicher Hinsicht offen lässt, angemessen verzinst waren. Zutreffend ist zwar, dass es für die darlehensgebende Gesellschaft einen Nachteil i.S.v. § 311 AktG bedeutet, wenn die ihr durch die Darlehensgewährung an das herrschende Unternehmen entzogene und vorenthaltene Liquidität nicht oder nicht angemessen verzinst wird. Der dadurch entstehende Nachteil von u.U. nur ein bis zwei Prozentpunkten ist aber ein anderer als derjenige eines die gesamte Darlehenssumme ergreifenden, nicht ausgleichsfähigen konkreten Kreditrisikos und ist sowohl bei der Frage eines Ausgleichs durch anderweitige Vorteile (§ 311 AktG) als auch im Rahmen von Schadensersatzansprüchen gem. §§ 317, 318 AktG gesondert zu erfassen. Da der Kläger hier nicht einen Zinsschaden, sondern einen Schaden in Form der Uneinbringlichkeit der Darlehen geltend macht und dieser Schaden mit einem etwa zu geringen Zinssatz nicht in dem erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhang steht, bedarf es hier - entgegen der Ansicht des Klägers - keiner Angemessenheitsprüfung des Zinssatzes.

[18] c) Soweit das Berufungsgericht wegen der für die Beklagten im März 2001 erkennbaren Vielzahl von bis dahin nicht oder in nur geringem Umfang zurückgeführten Darlehen das Fehlen einer "langfristigen Bonitätsperspektive" beanstandet und eine Gesamtbetrachtung der ausgereichten Darlehen vornimmt, besagt das zum einen schon nichts für den nachteiligen Charakter der in den Anfangsjahren 1998 und 1999 gewährten Darlehen geringeren Umfangs. Wie schon ausgeführt, kann ein im Zeitpunkt seines Abschlusses nicht nachteiliges Rechtsgeschäft nicht nachträglich rückwirkend nachteilig werden. Zum anderen verkennt das Berufungsgericht, soweit es auf eine langfristige Bonitätsperspektive abstellt, dass die Darlehen "jederzeit zum Monatsende", also mit einer Frist von einem Tag bis zu maximal 30 Tagen kündbar waren und dass der Vorstand der Schuldnerin deshalb die Möglichkeit hatte, auf die von dem Berufungsgericht angesprochenen "Unwägbarkeiten des Wirtschaftslebens" bzw. auf eine sich andeutende Bonitätsverschlechterung der MPS GmbH mit einer Kündigung oder mit einem Sicherheitsverlangen sogleich zu reagieren.

[19] Eine andere Frage ist es indessen, ob die Beklagten nach Ausreichung der Darlehen Anlass zu der Annahme hatten, dass die ursprünglich vollwertigen Rückzahlungsansprüche gegen die MPS GmbH diese Qualifizierung zu verlieren drohten und sie deswegen - wie oben (II 1d) ausgeführt - handeln mussten. Die dazu erforderlichen Feststellungen hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - nicht getroffen. Das ist in dem wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzuholen, wobei das Berufungsgericht auch zu prüfen haben wird, ob die Beklagten, nachdem sie von den unbesicherten Darlehensgewährungen erfuhren, darauf vertrauen durften oder aber Vorkehrungen dafür treffen mussten, dass die Organe der darlehensgebenden Schuldnerin die für die Beurteilung einer etwaigen Bonitätsverschlechterung der MPS GmbH erforderlichen Informationen erhielten.

[20] Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorhandensein eines etwa erforderlichen Informationssystems (vgl. oben II 1d) und dessen sachgerechte Ausgestaltung sind die auf Schadensersatz in Anspruch genommene Organmitglieder der abhängigen Gesellschaft. Denn es handelt sich insoweit um die Sorgfaltsanforderungen gem. §§ 93 Abs. 2 Satz 2, 116 AktG (vgl. BGHZ 152, 280, 284). Den Kläger trifft lediglich die Beweislast dafür, dass und inwieweit der Schuldnerin durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten der Verwaltungsorgane in deren Pflichtenkreis ein Schaden entstanden ist, wobei dem Kläger Beweiserleichterungen gem. § 287 ZPO zugute kommen (BGHZ, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 8.1.2007 - II ZR 304/04, ZIP 2007, 322).

[21] Fehlte ein nach Sachlage erforderliches und geeignetes Informationssystem, so sind dafür auch die Beklagten aufgrund ihrer Überwachungsaufgabe als Aufsichtsratsmitglieder (§ 111 Abs. 1 AktG) verantwortlich (§ 116 AktG). Denn unabhängig davon, ob sie, wie das Berufungsgericht meint, zur Nachprüfung der in dem Prüfbericht der Nebenintervenientin vom März 2001 getroffenen Aussage über die Werthaltigkeit der im Jahresabschluss 2000 ausgewiesenen Darlehensforderungen der Schuldnerin verpflichtet waren, hatten sie jedenfalls aufgrund des Prüfberichts zur Kenntnis zu nehmen, dass ein umfangreicher Bestand ungesicherter Darlehensforderungen aufgelaufen war. Dies hätte sie veranlassen müssen, sich zu vergewissern und erforderlichenfalls darauf zu drängen, dass dem Vorstand die für die laufende Bonitätskontrolle erforderlichen Informationsgrundlagen im Hinblick auf die bereits gewährten und noch zu gewährenden Darlehen zur Verfügung standen und er auf eine Gefährdungslage rechtzeitig reagieren konnte. Ein etwaiges Versäumnis dieser Art hätte sich zwar in Anbetracht der bis zu der letzten Darlehensauszahlung im Jahr 2001 nicht zweifelhaften Bonität der MPS GmbH bis dahin nicht ausgewirkt, konnte sich aber möglicherweise in der Zeit danach auswirken. Weder den vorinstanzlichen Urteilen noch sonstigen revisionsrechtlicher Nachprüfung gem. § 559 ZPO zugänglichen Unterlagen ist im Übrigen zu entnehmen, wann das Insolvenzverfahren der MPS GmbH beantragt und eröffnet wurde.

[22] 3. a) Abzuweisen ist die Klage - entgegen der Ansicht der Revision - nicht schon im Hinblick auf das zwischen dem Kläger und den Vorstandsmitgliedern der Schuldnerin getroffene "Stillhalteabkommen". Die tatrichterliche Auslegung des Berufungsgerichts, dass es sich nicht um einen Erlassvertrag mit Gesamtwirkung auch für die Beklagten als Gesamtschuldner neben den Vorstandsmitgliedern handelte, sondern um ein bloßes, auf das Verhältnis zwischen den Vertragsparteien beschränktes "pactum de non petendo" (dazu Palandt/Grüneberg, BGB, 67. Aufl., § 397 Rz. 4), ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Annahme eines Erlasses steht im Übrigen schon die Vorbemerkung i.V.m. § 2 der Vereinbarung entgegen, weil danach der Kläger Ansprüche gegen die D & OVersicherung der Vorstandsmitglieder geltend zu machen beabsichtigte und ein Forderungserlass diesem Vorhaben die Grundlage entzogen hätte. Dass die Beklagten im Fall ihrer Verurteilung evtl. Regress gem. § 426 BGB ggü. den Vorstandsmitgliedern als Hauptverantwortlichen i.S.d. §§ 93 Abs. 2, 318 Abs. 1 AktG nehmen können, zwingt nicht zu der Annahme, das Stillhalteabkommen habe dies vermeiden und deshalb auch zugunsten der Beklagten wirken sollen. Gemäß § 3 des Abkommens hat sich der Kläger lediglich verpflichtet, "die Mitglieder des Vorstandes nicht gerichtlich aus heute bekannten Sachverhalten in Anspruch zu nehmen ...". Wie sich aus § 4 Abs. 6 der Vereinbarung ergibt, haben sich die Vorstandsmitglieder mit dem Kläger in dem Bewusstsein geeinigt, dass sie evtl. von Dritten "aus den klagegegenständlichen Sachverhalten" in Anspruch genommen werden können.

[23] b) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Klage auch nicht im Hinblick auf die von den Vorstandsmitgliedern an den Kläger gem. § 1 des Stillhalteabkommens gezahlten 1,8 Mio. EUR zum Teil abzuweisen. Die Zahlung erfolgte gemäß der Vorbemerkung sowie gem. § 1 Nr. 2 der Vereinbarung "ausschließlich als Gegenleistung dafür, dass sie (die Beklagten) einem eigenen Prozessrisiko nicht ausgesetzt sind". Die Zahlung sollte "zur Masseerhöhung für die eventuelle Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens als Übertragungsplanverfahren dienen und der Insolvenzmasse ohne jegliche Einschränkung endgültig zufließen". Eine Anrechnung der Zahlung auf andere bestehende Forderungen würde dem Zweck der "Masseerhöhung" widersprechen. Im Übrigen hat der Kläger eine Teilklage auf Schadensersatz wegen acht von ihm ausgewählter Darlehen erhoben, welche die Klageforderung erheblich übersteigen. Dass die 1,8 Mio. EUR auf den eingeklagten Teil des Gesamtschadens gezahlt sein sollen, ist nicht ersichtlich.

[24] III. Die nach allem erforderliche Aufhebung des angefochtenen Urteils lässt die dortige Einschränkung der Verurteilung der Beklagten Zug um Zug gegen Abtretung von Ansprüchen der Schuldnerin bzw. des Klägers gegen die MPS GmbH aus § 62 AktG unberührt, weil eine Abänderung insoweit nicht beantragt ist (vgl. § 557 Abs. 1 ZPO; Musielak/Ball, a.a.O., § 528 Rz. 3). Ob solche Ansprüche aus § 62 AktG bestehen, ist gem. § 557 Abs. 1 ZPO auch nicht zu prüfen. Im Fall einer Herabsetzung der Verurteilung ist der Abtretungsbetrag anzupassen.

[25] Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die noch erforderlichen Feststellungen, ggf. nach ergänzendem Vortrag der Parteien, zu treffen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2093473

BGHZ 2009, 71

BB 2008, 2749

BB 2009, 118

DB 2009, 106

DB 2009, 1493

DStR 2009, 234

WPg 2009, 224

NJW 2009, 850

NWB 2008, 4703

BGHR 2009, 354

EBE/BGH 2009

EWiR 2009, 129

NZG 2009, 107

StuB 2009, 125

WM 2009, 78

WuB 2009, 189

ZAP 2009, 332

ZIP 2009, 70

AG 2009, 81

DNotZ 2009, 465

DZWir 2009, 195

JuS 2009, 477

MDR 2009, 210

ZInsO 2009, 40

GmbHR 2009, 199

KSI 2009, 90

ZBB 2009, 66

ZNotP 2009, 74

AR 2008, 180

AR 2009, 11

AR 2009, 12

GmbH-Stpr. 2009, 117

GmbH-Stpr. 2009, 126

Konzern 2009, 49

ZCG 2009, 30

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