Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Arbeitgebers für LSt

 

Leitsatz (NV)

1. Keine Haftung des Arbeitgebers für Einbehaltung und Abführung von LSt bei entschuldbarem Rechtsirrtum.

2. Rechtsirrtum des Arbeitgebers nicht entschuldbar bei falscher Auslegung einer insoweit eindeutigen Regelung im zuständigen Tarifvertrag.

 

Normenkette

EStG 1974 § 41 Abs. 1 S. 1, § 38 Abs. 4; EStG 1955/77 § 38 Abs. 3; EStG 1955/77 § 42d; AO 1977 §§ 44, 191

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Bei der Klägerin fand im Jahre 1973 eine Lohnsteuer-Außenprüfung für die Zeit vom 1. Januar 1969 bis 31. Juli 1973 statt. Sie führte unter anderem zu folgenden Feststellungen: ,,Die Firma beschäftigt mehrere Baukolonnen auf auswärtigen Baustellen. Durch Unterlagen wurde nachgewiesen, daß sich die Baustellen außerhalb der Wohnsitzgemeinde der Arbeitnehmer befindet. Die dem Bautrupp angehörenden Arbeiter übernachten auf der auswärtigen Baustelle und fahren nur an den Wochenenden zu ihren Familien nach Hause. Laut vorliegender Lohnkonten handelt es sich ausschließlich um verheiratete Arbeitnehmer. Die Firma ersetzt steuerfrei die im Rahmen des Abschn. 22 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) angegebenen Beträge für Aufwendungen aufgrund der auswärtigen Beschäftigung (Auslösungen). Da die Voraussetzungen zum steuerfreien Ersatz der Mehrverpflegungsaufwendungen nach Abschn. 24 und 26 LStR vorlagen, ergaben sich keine Beanstandungen."

Im Jahre 1979 erfolgte bei der Klägerin eine weitere Lohnsteuer-Außenprüfung für den Zeitraum vom 1. Januar 1974 bis 30. Juni 1979. Hierbei stellte der Prüfer fest, daß die Arbeitnehmer in der Regel von ihren Einsatzstellen täglich nach Hause zurückgekehrt sind. Nur bei weiter entfernt gelegenen Baustellen (z. B. in B und S) übernachteten die Arbeitnehmer dort. Nach Ansicht des Prüfers hat die Klägerin im Hinblick auf diese Feststellungen zu hohe Auslösungsbeträge an die Arbeitnehmer steuerfrei gezahlt. Soweit sie den nach Abschn. 8 Abs. 3 Nr. 1 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) zulässigen Betrag von 5 DM überstiegen hätten, seien die Auslösungen unter Berücksichtigung von Mindestnettosteuersätzen nachzuversteuern. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erließ wegen dieser Prüfungsfeststellungen gegen die Klägerin einen Lohnsteuerhaftungsbescheid.

Die Klägerin berief sich im Einspruchsverfahren auf den von ihr eingereichten und für sie geltenden Tarifvertrag vom 7. Mai 1979. Dieser Vertrag lautet wie folgt:

,,§ 1

Gemäß § 7 Nr. 4 des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV) vom 5. Juni 1978 in der Fassung vom 19. April 1978 werden die Auslösungssätze wie folgt festgelegt:

Ortsklasse Verheiratete oder

der Bau- oder Gleichgestellte Ledige

Arbeitsstelle

bei bei

Auswärtsbeschäftigung Auswärtsbeschäftigung

über bis über bis

7 Kalen- 7 Kalen- 7 Kalen- 7 Kalen-

dertage dertage dertage dertage

DM DM DM DM

Hamburg 35,00 42,00 31,50 37,80

I (in Bayern A) 34,75 41,70 31,30 37,50

§ 2

Für Arbeiten in Orten mit besonders hohen Lebenshaltungskosten (z. B. Kurorten) kann ein höherer Auslösungssatz vereinbart werden.

§ 3

Die Auslösung ist Ersatz für den Mehraufwand für Verpflegung und Übernachtung (Unterkunft) im Sinne der steuerlichen Vorschriften.

§ 4

Dieser Tarifvertrag tritt am 1. Mai 1979 in Kraft. Er kann mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende schriftlich, erstmalig am 30. April 1980, gekündigt werden."

Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Es führte in der Einspruchsentscheidung u.a. aus, die Inanspruchnahme der Klägerin sei gerechtfertigt, weil diese die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig einbehalten habe, was bei einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern der Fall gewesen sei. Der Erlaß von Steuerbescheiden gegen die einzelnen Arbeitnehmer wäre mit einem zu großen Arbeitsaufwand verbunden gewesen, da es sich vielfach um türkische Arbeitnehmer gehandelt habe und die Aushilfskräfte im Zeitpunkt der Prüfung schon nicht mehr bei der Klägerin tätig gewesen seien (§ 42d des Einkommensteuergesetzes - EStG -).

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 426 veröffentlichten Urteil u.a. aus:

Das FA habe zwar seine Entscheidung, warum es die Klägerin in Anspruch nehme, in der Einspruchsentscheidung begründet. Der Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung seien jedoch rechtswidrig, weil die Inanspruchnahme der Klägerin der Billigkeit widerspreche. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der sich das Gericht anschließe, seien die Überbürdung der durch das Lohnsteuerabzugsverfahren entstehenden Lasten auf den Arbeitgeber und seine Inanspruchnahme im Wege der Haftung nicht vertretbar, wenn dieser sich bei der Einbehaltung der Lohnsteuer in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden habe. Im Streitfall habe sich die Klägerin entschuldbar geirrt. Sie habe sich auf den Tarifvertrag verlassen, nach dem Auslösungen steuerfrei zu behandeln seien. Aus diesem Irrtum könne ihr kein rechtserheblicher Vorwurf gemacht werden. Der Hinweis des FA, die Klägerin habe bewußt eine fehlerhafte Feststellung der Vorprüfung ausgenutzt, sei nicht belegt. Im übrigen sei ein entsprechender Ermittlungsfehler bei der Vorprüfung von der Klägerin in seinen steuerlichen Auswirkungen nicht ohne weiteres erkennbar gewesen. Erfolglos sei auch der Hinweis des FA auf ein Rundschreiben der Fachverbände und auf die letzten Seiten der Lohnsteuertabellen bezüglich der richtigen Behandlung der Auslösungen. Abgesehen davon, daß die Klägerin von dem Rundschreiben möglicherweise keine Kenntnis erlangt habe, würden die Anforderungen an einen Arbeitgeber, der auf die inhaltliche Richtigkeit eines Tarifvertrages vertraue, überspitzt, wenn von ihm verlangt werde, er müsse sich in umfangreiche Erläuterungen einarbeiten und verschiedene Rechtsausführungen gegeneinander abwägen. Es sei zu erwarten, daß ein Arbeitgeber auftauchenden Zweifeln nachgehe und erforderlichenfalls Rat einhole. Angesichts des Tarifvertrages könne der Klägerin nicht vorgeworfen werden, daß ihr keine Zweifel gekommen seien.

Der Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung seien daher ersatzlos aufzuheben. . . .

Gegen diese Entscheidung legte das FA Revision ein.

Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Gegen die Zulässigkeit der Revision bestehen entgegen der Ansicht der Klägerin nicht deshalb Bedenken, weil das FA z. T. auf Schriftsätze Bezug genommen hat, die es im finanzgerichtlichen Verfahren eingereicht hatte. Zweifel in dieser Hinsicht könnten nur dann vorliegen, wenn die nach § 120 Abs. 2 FGO erforderliche Revisionsbegründung ohne diese Bezugnahme keine Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil enthalten würde (vgl. die von Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 120 FGO, Tz. 55 erwähnte Rechtsprechung). Das ist hier nicht der Fall.

Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG aufgrund des Tarifvertrags vom 7. Mai 1979 zu Unrecht einen entschuldbaren Rechtsirrtum der Klägerin angenommen und keine entsprechenden Feststellungen bezüglich des Inhalts eines für die Zeit vor dem 1. Mai 1979 gültigen Tarifvertrags getroffen hat.

Der Arbeitgeber hat bei jeder Lohnzahlung die Lohnsteuer für den Arbeitnehmer einzubehalten und an das FA abzuführen (§ 41 Abs. 1 Satz 1 EStG 1974; § 38 Abs. 3 EStG 1975/1977). Er haftet für die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 4 EStG 1974; § 38 Abs. 2, § 42d EStG 1975/1977). Der Arbeitnehmer ist beim Steuerabzug vom Arbeitslohn Steuerschuldner.

Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften, wie dies hier bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezüglich der Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer der Fall sein kann, sind nach § 44 der Abgabenordnung (AO 1977) Gesamtschuldner. Soweit nichts anderes bestimmt ist, schuldet jeder Gesamtschuldner die gesamte Leistung. Hierbei wird die Haftung eines Haftungsschuldners nach § 191 AO 1977 dadurch verwirklicht, daß dieser durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen wird.

Das FA hat im Streitfall die Klägerin wegen nichteinbehaltener und nichtabgeführter Lohnsteuer für die Zeit vom 1. Januar 1974 bis 30. Juni 1979 in Anspruch genommen, weil sie die an viele Arbeitnehmer gezahlten Auslösungen in voller Höhe unversteuert gelassen hat, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben waren. Nach den Anweisungen in Abschn. 22 Abs. 2 Nr. 1 LStR 1972, Abschn. 8 Abs. 3 Nr. 1 LStR 1975/1978 hätte sie die Auslösungen bei Arbeitnehmern, die jeden Arbeitstag abends nach Hause und am nächsten Morgen zurück an die auswärtige Arbeitsstätte gefahren sind, nur mit einem Betrag von 5 DM steuerfrei belassen dürfen und den darüber hinaus gezahlten Auslösungsbetrag der Lohnsteuer unterwerfen müssen. Das ist jedoch nicht geschehen.

Bei der Frage, ob das FA bei Nichteinbehaltung und Nichtabführung der Lohnsteuer den Arbeitnehmer als Steuerschuldner oder den Arbeitgeber als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen will, hat die Finanzbehörde nach ihrem Ermessen zu entscheiden.

Hierbei hat sie gemäß § 5 AO 1977 das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Nach dem Urteil des Senats vom 18. September 1981 VI R 44/77 (BFHE 134, 149, BStBl II 1981, 801) hatte das FA im Haftungsbescheid oder spätestens in der Entscheidung über den Einspruch gegen den Haftungsbescheid seine Ermessenserwägungen darzulegen, weshalb es den Arbeitgeber als Haftungsschuldner und nicht den Arbeitnehmer als Steuerschuldner in Anspruch nimmt. Gemäß den zutreffenden Ausführungen des FG hat das FA im Streitfall solche Ermessenserwägungen in der Einspruchsentscheidung angestellt.

Nach der vorgenannten Entscheidung in BFHE 134, 149, BStBl II 1981, 801 ist eine Inanspruchnahme des Arbeitgebers im Wege der Haftung ausgeschlossen, wenn er Lohnsteuer infolge eines entschuldbaren Rechtsirrtums nicht einbehalten hat. Der Senat hob in diesem Urteil hervor, es sei nicht gerechtfertigt, einen im Steuerrecht nicht erfahrenen Kläger für unverschuldete Fehler im Lohnsteuerabzugsverfahren haften zu lassen. In einem solchen entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich ein Arbeitgeber z. B. befinden, wenn er darauf vertraut hat, daß die Angaben im Manteltarifvertrag über die Steuerfreiheit zutreffend sind. Im dortigen Streitfall ging es um einen Manteltarifvertrag, in dem bestimmt war, ein Arbeitnehmer solle als Ausgleich für eine Beschäftigung an Feiertagen einen zusätzlichen freien Tag unter Fortzahlung des Lohnes erhalten. Werde der zusätzlich freie Tag nicht gewährt, werde dem Arbeitnehmer dafür eine Vergütung i. S. der vorstehenden Regelung gewährt. Diese Vergütung solle als lohnsteuerfreier Zuschlag i. S. des Abschn. 52b LStR gelten. Der Senat hob in seiner Entscheidung hervor, daß der Arbeitgeber sich in jenem Streitfall in einem entschuldbaren Rechtsirrtum wegen der Angaben in dem Manteltarifvertrag befunden habe. Das gelte um so mehr, als der den Arbeitnehmern gewährte Zuschlag dann zweifelsfrei steuerfrei gewesen wäre, wenn sie ihn unmittelbar zusätzlich zum Arbeitslohn für die Arbeit an den Feiertagen erhalten hätten. Für den Kläger im dortigen Verfahren als Steuerunkundigen sei deshalb schwer verständlich gewesen, daß der in gleicher Höhe und aus gleichem Anlaß gezahlte Zuschlag nur deshalb steuerpflichtig sei, weil er als Ersatz für den an sich freien Tag an einem Arbeitstag zusätzlich geleistet worden sei. Entschuldbar sei der Irrtum des Klägers zudem deshalb, weil er hierin durch den Manteltarifvertrag bestärkt worden sei. Er habe auf die ,,Autorität" dieses Vertrages und der dahinterstehenden Tarifvertragsparteien sowie deren zutreffenden Auslegung des Lohnsteuerrechts vertrauen können.

Das FG hat die Grundsätze dieser Entscheidung auf den vorliegenden Streitfall angewandt. Dem kann der Senat nicht beitreten. Denn es handelt sich um zwei unterschiedliche Sachverhalte, die eine einheitliche Wertung nicht zulassen.

Hinzuweisen ist zunächst darauf, daß der von der Klägerin eingereichte Tarifvertrag erst am 1. Mai 1979 in Kraft getreten ist; er konnte mithin nur die Monate Mai und Juni 1979 des Prüfungszeitraums betreffen. Feststellungen dazu, ob eine dem § 3 des Tarifvertrags vom 7. Mai 1979 entsprechende Bestimmung auch nach dem vorangegangenen Tarifvertrag für den übrigen Prüfungszeitraum vom 1. Januar 1974 bis 30. April 1979 gegolten hat, hat das FG nicht getroffen.

Für die Zeiträume Mai und Juni 1979 hat das FG zu Unrecht einen entschuldbaren Rechtsirrtum der Klägerin angenommen. Denn der Tarifvertrag vom 7. Mai 1979 enthält so eindeutige Aussagen, daß ein hierauf beruhender Irrtum bezüglich des Umfangs der Steuerfreiheit der von der Klägerin gezahlten Auslösung nicht mehr als entschuldbar angesehen werden kann.

Aus dem Zusammenhang der §§ 1 und 3 des vorstehend wörtlich wiedergegebenen Tarifvertrages ist eindeutig zu ersehen, daß die Auslösung in der in § 1 genannten Höhe nur Arbeitnehmern zusteht, wenn ihnen aufgrund auswärtiger Beschäftigung Mehraufwendungen für Verpflegung und für Übernachtung (Unterkunft) tatsächlich entstanden sind. Soweit kein Mehraufwand wegen Übernachtung (Unterkunft) angefallen ist, weil - wie hier - die Mehrzahl der Arbeitnehmer jeden Abend nach Hause gefahren ist, hatten die Arbeitnehmer auf Auslösungen in der vorgenannten Höhe, die in der Höhe der Werbungskosten-Pauschbeträge des Abschn. 25 Abs. 6 Nr. 3 LStR 1975/1978 liegen, keinen Anspruch. Es handelt sich dann eben nicht um einen ,,Ersatz für den Mehraufwand für Verpflegung und Übernachtung (Unterkunft) i. S. der steuerlichen Vorschriften" nach § 3 des Tarifvertrages vom 7. Mai 1979. Die Klägerin hätte daher - für jeden Arbeitgeber eindeutig ersichtlich - die Auslösungen nach den Anweisungen in Abschn. 22 Abs. 2 Nr. 1 LStR 1972, Abschn. 8 Abs. 3 Nr. 1 LStR 1975/1978 nur bis zu der Höhe von täglich 5 DM steuerfrei behandeln dürfen.

Der Senat verweist die Sache an das FG zurück, damit es prüft, welchen Inhalt der bis zum 30. April 1979 gültige Tarifvertrag hatte und ob der Inanspruchnahme der Klägerin andere rechtliche Gesichtspunkte, wie insbesondere der der Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Hinblick auf die Feststellungen der Vorprüfung, entgegenstehen könnten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414390

BFH/NV 1986, 372

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