Entscheidungsstichwort (Thema)

Anzeigepflicht eines im Zusammenhang mit einem Grundstückskaufvertrag geschlossenen Generalunternehmervertrags - unterschiedliche Auslegung der "zusätzlichen Leistungen" in den §§ 9 Abs.2 Nr.1, 19 Abs.2 Nr.1 GrEStG 1983

 

Leitsatz (amtlich)

Schließen die Beteiligten neben einem notariell beurkundeten Kaufvertrag über ein unbebautes Grundstück einen Generalunternehmervertrag ab über die Errichtung eines Gebäudes auf dem Grundstück, der mit dem Grundstücksvertrag in rechtlichem oder objektiv-sachlichem Zusammenhang steht, so haben sie den Abschluß des Generalunternehmervertrags als gegenleistungserhöhende Vereinbarung auch dann anzuzeigen, wenn auch dieser notariell beurkundet wurde.

 

Orientierungssatz

Trotz ähnlichen Wortlauts sind die §§ 9 Abs.2 Nr.1, 19 Abs.2 Nr.1 GrEStG 1983 hinsichtlich der "zusätzlichen Leistungen" unterschiedlich auszulegen. Die Regelung des § 9 GrEStG 1983 erfordert es, formal getrennte Rechtsvorgänge für die materiell grunderwerbsteuerrechtliche Betrachtungsweise als Einheit aufzufassen. Dagegen besteht eine Anzeigepflicht nach § 19 Abs.2 Nr.1 GrEStG 1983 --aufgrund der gebotenen formalen Betrachtungsweise dieser Norm-- für alle gegenleistungserhöhenden Maßnahmen, die formal außerhalb des tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts getroffen werden. Die Anzeigepflicht nach § 19 Abs.2 Nr.1 GrEStG 1983 besteht unabhängig davon, ob derselbe Vorgang auch nach § 18 GrEStG 1983 durch Gerichte, Notare oder Behörden anzeigepflichtig ist.

 

Normenkette

AO 1977 § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; GrEStG 1983 §§ 18, 19 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Köln (Entscheidung vom 19.05.1994; Aktenzeichen 5 K 6573/93)

 

Tatbestand

I. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 5. Juni 1987 erwarben die Kläger und Revisionskläger (Kläger) ein zu diesem Zeitpunkt unbebautes Grundstück. Auf diesem Grundstück war die Errichtung einer Doppelhaushälfte vorgesehen. Dies ergab sich aus einer dem notariell beurkundeten Vertrag beigefügten Bauzeichnung (Lageplan mit Kellergeschoß). Veräußerer waren die Eheleute A und BX. Der Kaufpreis für das Grundstück betrug 112 000 DM. Durch von demselben Notar beurkundete Erklärungen vom selben Tag schlossen die Kläger mit der X ... GmbH, vertreten durch deren Geschäftsführer AX, einen Generalunternehmervertrag über die schlüsselfertige Erstellung eines Einfamilienhauses in Gestalt einer Doppelhaushälfte auf dem Grundstück. Der vereinbarte Werklohn hierfür betrug 346 000 DM.

Dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) wurde vom Notar nur der notariell beurkundete Grundstückskaufvertrag angezeigt. Durch Bescheide vom 7. Juli 1987 setzte das FA Grunderwerbsteuer in Höhe von jeweils 1 120 DM gegen die Kläger fest. Hierbei ging es von einer Bemessungsgrundlage von insgesamt 112 000 DM aus.

Im Jahre 1993 erhielt die Grunderwerbsteuerstelle des FA Kenntnis davon, daß die Kläger den Generalunternehmervertrag am selben Tag wie den Grundstückskaufvertrag abgeschlossen hatten. Daraufhin erließ das FA am 7. Juli 1993 Änderungsbescheide, in denen es nunmehr gegen die Kläger Grunderwerbsteuer in Höhe von jeweils 4 580 DM festsetzte. Es bezog dabei das von den Klägern zu leistende Entgelt aus dem Generalunternehmervertrag in die grunderwerbsteuerrechtliche Bemessungsgrundlage mit ein. Der Änderungsbescheid war auf § 173 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützt.

Mit der dagegen gerichteten Klage wurde geltend gemacht, daß dem Änderungsbescheid der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegengestanden habe. Die Kläger seien --entgegen der Auffassung des FA-- nicht nach § 19 Abs.2 Nr.1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 zu einer Anzeige des Abschlusses des Generalunternehmervertrags verpflichtet gewesen.

Das Finanzgericht (FG) hat mit seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte 1995, 495 veröffentlichten Entscheidung die Klage abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der diese ihr Klageziel weiterverfolgen. Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Kläger ist unbegründet.

Zutreffend hat das FG die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Änderungsbescheide bejaht. Da die Kläger zur Anzeige des Generalunternehmervertrags verpflichtet gewesen waren, war die Festsetzungsfrist zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Bescheide noch nicht abgelaufen.

Gemäß § 170 Abs.1 AO 1977 beginnt die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs.2 Nr.2 AO 1977) mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Abweichend hiervon bestimmt § 170 Abs.2 Satz 1 Nr.1 AO 1977 u.a. in den Fällen, in denen eine Anzeige zu erstatten ist, daß die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Danach sind die Änderungsbescheide vom 7. Juli 1993 innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen. Diese hatte erst mit Ablauf des Kalenderjahres 1990 begonnen und mit Ablauf des Kalenderjahres 1994 geendet, denn die Kläger haben entgegen § 19 Abs.2 Nr.1 GrEStG 1983 den Abschluß des Generalunternehmervertrages nicht angezeigt.

Nach § 19 Abs.2 Nr.1 GrEStG 1983 sind die an einem Erwerbsvorgang Beteiligten verpflichtet, Anzeige zu erstatten über jede Erhöhung der Gegenleistung des Erwerbs durch Gewährung von zusätzlichen Leistungen neben der beim Erwerbsvorgang vereinbarten Gegenleistung. Der von den Klägern abgeschlossene Generalunternehmervertrag über die Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem von ihnen erworbenen Grundstück erfüllt diese Voraussetzungen.

Der Abschluß des Generalunternehmervertrags hat zur Folge, daß Gegenstand des Erwerbsvorgangs --was zwischen den Beteiligten unstreitig ist-- das Grundstück mit noch zu errichtendem Gebäude ist und demgemäß auch die Aufwendungen der Kläger für die Errichtung des Gebäudes in die grunderwerbsteuerrechtliche Gegenleistung miteinzubeziehen sind. Der Generalunternehmervertrag ist mithin ein Vertrag, der eine gegenleistungserhöhende Leistung beinhaltet.

Diese zusätzliche Leistung wird auch "neben" dem Erwerbsvorgang gewährt. Bereits der Abschluß des Grundstückskaufvertrags erfüllt für sich gesehen den Tatbestand des § 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG 1983, da durch ihn der Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks begründet wird. Dieses tatbestandserfüllende Rechtsgeschäft ist wegen seiner getrennten Beurkundung zumindest formal im Hinblick auf die Anzeigepflichten als eine eigene Einheit zu betrachten. Damit aber wird jede außerhalb dieses tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts getroffene Vereinbarung, die gegenleistungserhöhenden Charakter hat, zu einer zusätzlichen Leistung neben dem Erwerbsvorgang.

Dieser Betrachtungsweise steht es nicht entgegen, daß materiell grunderwerbsteuerrechtlich alle Aufwendungen des Erwerbers zum Erwerb des Grundstücks in dem Zustand, in dem es Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist, Gegenleistung i.S. des § 9 Abs.1 Nr.1 GrEStG 1983 und nicht zusätzlich gewährte Gegenleistung i.S. des § 9 Abs.2 Nr.1 GrEStG 1983 ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B: Senatsurteil vom 23. November 1994 II R 53/94, BFHE 176, 450, BStBl II 1995, 331, m.w.N.). Trotz ähnlichem Wortlaut sind § 9 Abs.2 Nr.1 und § 19 Abs.2 Nr.1 GrEStG 1983 insoweit unterschiedlich auszulegen. Dies folgt aus dem unterschiedlichen Sinn und Zweck beider Vorschriften. Die Regelung des § 9 GrEStG 1983 beschreibt, welche Aufwendungen des Erwerbers in die Bemessungsgrundlage als Gegenleistung miteinzubeziehen sind. Dies erfordert es, formal getrennte Rechtsvorgänge für die materiell grunderwerbsteuerrechtliche Betrachtungsweise als Einheit aufzufassen (vgl. z.B. Senatsurteile vom 18. Oktober 1989 II R 143/87, BFHE 158, 477, BStBl II 1990, 183, und II R 85/87, BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181). Diese für das materielle Grunderwerbsteuerrecht zulässige und gebotene Betrachtungsweise kann jedoch nicht auf die die Anzeigepflicht begründende Regelung des § 19 Abs.2 Nr.1 GrEStG 1983 übertragen werden. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist --wie insgesamt der Regelungen über die Anzeigepflichten-- eine möglichst lückenlose Information des FA über grunderwerbsteuerrechtlich relevante Vorgänge. Darüber hinaus ist bei der Auslegung dieser Vorschrift zu beachten, daß den Normadressaten möglichst eindeutige und klare Pflichten auferlegt werden. Dies gebietet eine formale Betrachtungsweise bei Auslegung dieser Vorschrift. Eine Anzeigepflicht der Beteiligten nach ihr besteht mithin für alle gegenleistungserhöhenden Vereinbarungen, die formal außerhalb des tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts getroffen werden. Diese Voraussetzung wird im Streitfall durch den Generalunternehmervertrag auch dann erfüllt, wenn dieser bürgerlich-rechtlich mit dem gesondert beurkundeten Grundstückskaufvertrag eine rechtliche Einheit bilden sollte. Auch in diesem Fall läge formal eine vom tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäft getrennte Vereinbarung mit gegenleistungserhöhender Wirkung vor.

Die Anzeigepflicht nach § 19 Abs.2 Nr.1 GrEStG 1983 besteht unabhängig davon, ob derselbe Vorgang auch nach § 18 GrEStG 1983 durch Gerichte, Behörden oder Notare anzeigepflichtig ist. Für die Entscheidung im Streitfall ist es daher unerheblich, ob der den Generalunternehmervertrag beurkundende Notar auch diesen Rechtsvorgang nach § 18 Abs.1 Nr.1 GrEStG 1983 hätte anzeigen müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65864

BFH/NV 1997, 84

BStBl II 1997, 85

BFHE 181, 341

BFHE 1997, 341

BB 1997, 615-616 (LT)

DB 1997, 258-259 (LT)

DStRE 1997, 85-86 (LT)

DStZ 1997, 457 (L)

HFR 1997, 157 (L)

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