Entscheidungsstichwort (Thema)

„Abfärberegelung“ des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG umfasst auch die Gewerbesteuerfreiheit

 

Leitsatz (amtlich)

Übt eine Personengesellschaft neben einer freiberuflichen auch eine gewerbliche Tätigkeit aus, so ist die Tätigkeit auch dann infolge der "Abfärberegelung" des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG insgesamt als gewerblich anzusehen, wenn die gewerbliche Tätigkeit von der Gewerbesteuer befreit ist. Die Gewerbesteuerbefreiung erstreckt sich in solchen Fällen jedoch auch auf die Tätigkeit, die ohne die "Abfärbung" freiberuflich wäre.

 

Normenkette

EStG § 15 Abs. 3 Nr. 1; GewStG § 2 Abs. 1 S. 2, § 3

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (EFG 2000, 932)

 

Tatbestand

Die 1982 gegründete Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine von drei Ärzten in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts betriebene Gemeinschaftspraxis mit angeschlossener Augenklinik. Praxis und Klinik hatte seit den 50er Jahren zunächst der in den Streitjahren (1990 und 1991) noch beteiligte Seniorpartner allein betrieben. Er war auch in den Streitjahren Inhaber der Konzession zum Betrieb der Klinik.

Die Einkünfte der Klägerin wurden (zunächst) entsprechend den abgegebenen Gewinnfeststellungserklärungen als solche aus selbständiger Arbeit (§ 18 des Einkommensteuergesetzes ―EStG―) einheitlich und gesondert festgestellt.

Im Jahr 1994 führte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) bei der Klägerin eine Außenprüfung durch.

Der Außenprüfer teilte den einheitlich ermittelten Gewinn für die Streitjahre auf die beiden Tätigkeitsbereiche Praxis und Klinik auf. Aufgrund dieser Aufteilung kam er zu dem Ergebnis, die Klinik werde hinsichtlich der Beköstigung und Beherbergung der Patienten mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben und stelle eine besondere Einnahmequelle neben der ärztlichen Tätigkeit dar, so dass es sich insoweit um gewerbliche Einkünfte handele. Eine freiberufliche Tätigkeit liege in dem Fall, dass ein Arzt ein Krankenhaus betreibe, nämlich nur dann vor, wenn aus dem Krankenhausbetrieb ein besonderer Gewinn nicht angestrebt werde. Vorliegend verblieben aber selbst dann, wenn man als Einnahmen nur die Pflegepauschalen ansetze, Gewinne aus dem Krankenhausbetrieb im Jahre 1990 von rd. 350 000 DM und im Jahre 1991 von rd. 174 000 DM.

Diese mithin gewerbliche Tätigkeit führe im Streitfall dazu, dass die gesamte Tätigkeit der Klägerin als gewerblich zu behandeln sei (Hinweis auf Abschn. 136 Abs. 6 der Einkommensteuer-Richtlinien ―EStR―).

Seien die gesamten Einkünfte solche aus Gewerbebetrieb, blieben die Klinikgewinne allerdings gemäß § 3 Nr. 20 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) steuerfrei, da die Voraussetzungen des § 67 der Abgabenordnung (AO 1977) hierfür erfüllt seien.

Das FA erließ für die Streitjahre entsprechende erstmalige Gewerbesteuermessbetragsbescheide, in denen (nur) die Praxisgewinne als Gewerbeertrag erfasst wurden.

Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung trug sie vor:

(1) Die Klinik werde gar nicht von ihr betrieben. Der Seniorpartner, der als einziger die Konzession besitze, habe in den Streitjahren nicht mehr operiert. Operationen hätten nur die beiden anderen Gesellschafter, und zwar als Belegärzte, ausgeführt. Eine Verbindung der Klinik zur Gemeinschaftspraxis bestehe nicht.

(2) Ferner fehle es ohnehin an einer Gewinnerzielungsabsicht im Klinikbereich. Das folge schon daraus, dass mit den Krankenkassen über Pflegesätze abgerechnet worden sei, diese aber nur die reinen Kosten der Klinik abdeckten.

(3) Selbst wenn in der Klinik Gewinne und deshalb insoweit Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt würden, könne dies nicht zur Gewerbesteuerpflicht der Praxisgewinne führen.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen gerichteten Klage statt, indem es die für die Streitjahre ergangenen Gewerbesteuermessbescheide aufhob. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 932 veröffentlicht.

Hiergegen wendet sich die Revision des FA.

Das FA beantragt, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide nicht hätten ergehen dürfen.

1. Der Gewerbesteuer unterliegt jeder inländische stehende Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG). Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des EStG zu verstehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG). Demnach unterliegt auch die mit Einkünfteerzielungsabsicht ausgeübte Tätigkeit einer nur zum Teil gewerblich tätigen Personengesellschaft der Gewerbesteuer. Denn eine solche Tätigkeit gilt nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG in vollem Umfang als gewerblich. Als Personengesellschaft in diesem Sinne ist auch eine GbR anzusehen (Senatsurteil vom 19. Februar 1998 IV R 11/97, BFHE 186, 37, BStBl II 1998, 603).

2. Danach stellt sich im Streitfall ―entgegen der Auffassung des FG― die Tätigkeit der Klägerin als gewerblich dar.

a) Nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG betrieb die Klägerin nicht nur die ärztliche Gemeinschaftspraxis, sondern auch die Augenklinik. Des Weiteren hat das FG für den erkennenden Senat bindend festgestellt, dass diese beiden Tätigkeiten der Klägerin nicht in der Weise miteinander verknüpft waren, dass sie sich gegenseitig unlösbar bedingt hätten, so dass zu prüfen gewesen wäre, ob das freiberufliche oder das gewerbliche Element vorherrschte. Schließlich steht nach den Feststellungen des FG auch fest, dass die Klägerin aus dem Krankenhausbetrieb ―und zwar aus Beköstigung und Beherbergung― einen Gewinn anstrebte, so dass sich der Klinikbetrieb nicht als notwendiges Hilfsmittel der freiberuflichen ärztlichen Tätigkeit, sondern als selbständige Einnahmequelle darstellte (vgl. hierzu Senatsurteil vom 12. November 1964 IV 153/64 U, BFHE 81, 246, BStBl III 1965, 90).

b) War die Klägerin demnach teilweise gewerblich und teilweise freiberuflich tätig, lässt der Wortlaut des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG eine andere Rechtsfolge als die der "Infizierung" der freiberuflichen durch die gewerblichen Einkünfte nicht zu.

Auch aus dem Zweck der durch das Steuerbereinigungsgesetz (StBereinG 1986) vom 19. Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735) in das EStG eingefügten Norm lässt sich keine Auslegung gegen den Wortlaut rechtfertigen. Mit § 15 Abs. 3 Satz 1 EStG sollte die damals aufgrund langjähriger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs (BFH) geltende Rechtslage gesetzlich verankert werden (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf, BTDrucks 10/3663, S. 8). Jene damals auf § 2 Abs. 2 Nr. 1 GewStG a.F. gestützte Rechtsprechung hatte das Ziel, die erheblichen Schwierigkeiten zu vermeiden, mit denen die Ermittlung von Einkünften unterschiedlicher Einkunftsarten ein und derselben Gesellschaft verbunden wäre (vgl. Senatsurteil vom 10. November 1983 IV R 86/80, BFHE 140, 44, BStBl II 1984, 152, unter Hinweis auf Strutz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz 1925, § 29 Anm. 30). Dieser weiterhin fortgeltende Gesichtspunkt hat zur Folge, dass jede Art der gewerblichen Einkunftserzielung eine Umqualifizierung der übrigen Einkünfte zur Folge haben muss (Senatsurteil vom 13. November 1997 IV R 67/96, BFHE 184, 512, BStBl II 1998, 254). Auf diese Erwägungen stützen sich offensichtlich auch die Stimmen im steuerrechtlichen Schrifttum, die der Vorentscheidung kritisch gegenüber stehen (- va in Beilage zur EFG 17/2000; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 20. Aufl., § 15 Rdnr. 188; Schmidt/ Wacker, a.a.O., § 18 Rdnr. 44).

3. Sind die Einkünfte der Klägerin mithin insgesamt als gewerblich zu qualifizieren, so ist der Senat doch der Auffassung, dass die Einkünfte aus der ärztlichen Gemeinschaftspraxis ebenso nach § 3 Nr. 20 GewStG gewerbesteuerfrei bleiben müssen wie die Einkünfte aus dem Klinikbetrieb. Hinter dem bereits erwähnten Zweck des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG, Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der verschiedenen Einkunftsarten ein und derselben Gesellschaft zu vermeiden, steht ein weiteres Ziel. Es soll verhindert werden, dass infolge unzureichender Abgrenzungsmöglichkeit zwischen den beiden Tätigkeiten, gewerbliche Einkünfte der Gewerbesteuer entzogen werden (so zutreffend Drüen, Finanz-Rundschau 2000, 177, 185). Daraus lässt sich jedoch schließen, dass sich die "Abfärbung" auch auf die Gewerbesteuerfreiheit der Einkünfte erstreckt (ähnlich Seer/Drüen, Betriebs-Berater 2000, 2176, 2179). Denn eine Gewerbesteuerpflicht, die nicht besteht, kann auch nicht gefährdet werden. In dieselbe Richtung deutet auch der Hinweis auf die gewerbesteuerlichen Freibeträge (§ 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG), mit dem der XI. Senat seine Auffassung untermauert, dass es bei einem nur geringfügigen gewerblichen Anteil an der Gesamttätigkeit zu keiner durch "Abfärbung" bedingten Gewerbesteuerpflicht kommt (BFH-Urteil vom 11. August 1999 XI R 12/98, BFHE 189, 419, BStBl II 2000, 229).

Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob ―wofür angesichts der vom FG festgestellten Höhe der Klinikgewinne wenig spricht― auch im Streitfall der Anteil der gewerblichen Tätigkeit so gering ist, dass sie nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ungeeignet wäre, die "Abfärbewirkung" des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG herbeizuführen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 668392

BFH/NV 2002, 444

BStBl II 2002, 152

BFHE 196, 511

BFHE 2002, 511

BB 2002, 285

DB 2002, 298

DStR 2002, 167

DStRE 2002, 211

HFR 2002, 306

StE 2002, 67

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