Entscheidungsstichwort (Thema)

(Geschäftsführerhaftung: Keine Zurechnung des Verschuldens des Steuerberaters beim Haftungsschuldner, Einstehenmüssen des Haftenden für entstandene Steuerschuld, Verlaß auf Steuerberater, grobe Fahrlässigkeit bei unterlassener Überwachung eines Mitarbeiters, Überwachungsmaßnahmen)

 

Leitsatz (amtlich)

Dem Geschäftsführer einer GmbH als Haftungsschuldner kann ein Verschulden des steuerlichen Beraters der GmbH bei der Fertigung von Steuererklärungen nicht zugerechnet werden. Trifft ihn persönlich kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden und hat er keinen Anlaß, die inhaltliche Richtigkeit der von dem steuerlichen Berater gefertigten Steuererklärung der GmbH zu überprüfen, so haftet er nicht für Steuerverkürzungen, die auf fehlerhaften Steuererklärungen beruhen.

 

Orientierungssatz

1. Diese Rechtsprechung, die dem Schadensersatzcharakter des § 69 AO 1977 Rechnung trägt, aufzugeben, sieht der VII. Senat des BFH keinen Anlaß. Soweit der Senat im Urteil vom 22.1.1985 VII R 110/78 (darauf Bezug genommen im BFH-Beschluß vom 5.3.1987 VII B 158/86) anders entschieden haben sollte, hält er hieran nicht fest.

2. Der VII. Senat des BFH hat keinen Anlaß, den allgemeinen Rechtsgedanken --jemand darf seine Stellung im Rechtsverkehr nicht dadurch verbessern, daß er Dritten die Erfüllung seiner Verpflichtungen überläßt und damit seinen Risikobereich ausweitet (verschuldensunabhängige Zurechnung fremden Verhaltens im Rahmen von Steuerschuldverhältnissen)-- als solchen in Frage zu stellen. Er hält ihn jedoch im Rahmen des § 69 AO 1977 nicht für anwendbar.

3. Das "Einstehenmüssen" des Steuerpflichtigen für ein steuerrechtlich fehlerhaftes Verhalten seines Vertreters, das sich daraus ergibt, daß der Vertreter an seiner Stelle tätig geworden ist ("automatisches" Entstehen der Steuerschuld beim Vertretenen ohne Rücksicht auf dessen Verschulden), unterscheidet sich wesentlich vom Einstehenmüssen des für die entstandene Steuerschuld Haftenden. Denn für diesen ist die Steuerschuld eine fremde Schuld, für die er nur subsidiär einstehen muß, und er nimmt die Tätigkeiten zur Erfüllung steuerlicher Pflichten als Vertreter (des Steuerschuldners) wahr (vgl. BFH-Rechtsprechung).

4. Es ist generell davon auszugehen, daß der Geschäftsführer einer GmbH, der die Sachkunde eines ihm als zuverlässig bekannten --und als Angehöriger eines rechtsberatenden oder steuerberatenden Berufs befugten-- steuerlichen Beraters in Anspruch nimmt, sich auf diesen verläßt und bei gewissenhafter Ausübung seiner Überwachungspflichten keinen Anlaß findet, die steuerliche Korrektheit der Arbeit des steuerlichen Beraters in Frage zu stellen, und im Hinblick auf die ihm durch die Vorschrift des § 34 AO 1977 als Vertreter auferlegten Pflichten nicht grob fahrlässig handelt (vgl. BFH-Urteil vom 11.5.1962 VI 195/60 U).

5. Bei unterlassener Überwachung eines sorgfältig ausgewählten, mit steuerlichen Angelegenheiten beauftragten Mitarbeiters liegt ein die Geschäftsführerhaftung begründendes, grob fahrlässiges Verhalten in der Regel nur dann vor, wenn die Überwachungsmaßnahmen, zu deren Vornahme im Einzelfall Anlaß bestand, auch geeignet gewesen wären, die Beanstandungen zu verhindern (vgl. BFH-Urteil vom 27.11.1990 VII R 20/89).

6. Welche Überwachungsmaßnahmen von einem Geschäftsführer zu treffen sind, wenn er die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten auf Mitarbeiter überträgt, hängt weitgehend von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

AO 1977 § 34 Abs. 1, § 69; BGB § 278 S. 1

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg (Entscheidung vom 22.10.1991; Aktenzeichen II 104/91)

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) nahm den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wegen grob fahrlässiger Verletzung seiner steuerlichen Pflichten als alleiniger Geschäftsführer der GmbH gemäß §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO 1977) mit der Begründung in Anspruch, er habe für die durch die Abgabe fehlerhafter Umsatzsteuer-Voranmeldungen für 1985 und 1986 entstandenen Steuerschulden der GmbH einzustehen (hier: zu Unrecht abgezogene Vorsteuern aus Baukosten im Rahmen einer von der GmbH übernommenen Höchstpreisgarantie). Daß die Voranmeldungen durch die Kanzlei des Wirtschaftsprüfers F., der die Buchführung der GmbH oblag und der sämtliche Unterlagen vorlagen, erstellt worden seien, schließe seine Haftung nach § 69 AO 1977 nicht aus. Er müsse sich vielmehr die grob fahrlässige Verletzung der Sorgfaltspflicht des steuerlichen Vertreters analog § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 wie eigenes schuldhaftes Verhalten zurechnen lassen.

Das Finanzgericht (FG) hob den Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung auf. Die Urteilsbegründung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 241 abgedruckt. Nach den Feststellungen des FG wurden die Umsatzsteuer-Voranmeldungen bis 1986 entweder vom Kläger oder einem Angestellten der GmbH unterschrieben.

Mit seiner Revision macht das FA geltend, der Geschäftsführer einer GmbH bediene sich des steuerlichen Beraters nicht nur, um die steuerlichen Pflichten der GmbH zu erfüllen, sondern gleichzeitig auch zur Erfüllung seiner eigenen Geschäftsführerpflichten gegenüber der Finanzbehörde. In letzterem Verhältnis seien die von der Rechtsprechung zum Begriff des groben Verschuldens i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 entwickelten Grundsätze der Verschuldenszurechnung anzuwenden. Die Zurechnung des Vertreterverschuldens im Rahmen des Steuerschuldverhältnisses beruhe auf einem allgemeinen Rechtsgrundsatz. Im Streitfalle müsse sich der Kläger daher das grob fahrlässige Verhalten seines steuerlichen Beraters bei der Erstellung der Umsatzsteuer-Voranmeldungen wie eigenes Verschulden zurechnen lassen mit der Folge, daß er den Haftungstatbestand nach § 69 AO 1977 verwirklicht habe.

Das FA beantragt, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Geschäftsführer einer GmbH haftet nach § 69 AO 1977 nur für eigenes Verschulden. Für die Anwendung verschuldensunabhängiger Zurechnungsvorschriften ist insoweit kein Raum.

1. Der Kläger haftet im Streitfall nach § 69 AO 1977 nur, wenn er die ihm gesetzlich auferlegten steuerlichen Pflichten zumindest grob fahrlässig verletzt hat. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist, weil dagegen zulässig und begründete Verfahrensrügen nicht erhoben worden sind (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), ist dies jedoch nicht der Fall.

Zwar hat der Kläger dadurch, daß er (wenigstens teilweise) die von dem Wirtschaftsprüfer F. erstellten, inhaltlich unrichtigen Umsatzsteuer-Voranmeldungen unterzeichnet und dem FA eingereicht hat, (mit-)bewirkt, daß die Umsatzsteuer für die Streitjahre nicht rechtzeitig in der richtigen Höhe festgesetzt worden ist. Er hat dabei jedoch die ihm nach den tatsächlichen Verhältnissen im Streitfall obliegenden steuerlichen Pflichten nicht grob fahrlässig verletzt.

Die Umsatzsteuer-Voranmeldungen sind von dem steuerlichen Berater der GmbH auf der Grundlage der diesem vollständig überlassenen Unterlagen (Belegen) gefertigt worden; ihre inhaltliche Unrichtigkeit beruht allein auf dessen fehlerhafter Beurteilung der Befugnis zum Vorsteuerabzug. Umstände, die darauf schließen lassen, daß dem Kläger die Unrichtigkeit bekannt gewesen oder daß sie ihm infolge grober Verletzung der ihm als Geschäftsführer obliegenden Sorgfaltspflichten --einschließlich der mit der Übertragung der Fertigung der Umsatzsteuer-Voranmeldungen auf den steuerlichen Berater verbundenen Überwachungspflichten-- unbekannt geblieben ist, hat das FG weder festgestellt noch sind sie sonst ersichtlich. Auch dafür, daß die Vorinstanz den Begriff der groben Fahrlässigkeit unrichtig ausgelegt oder angewandt hat, ein Rechtsfehler, den der Senat ohne besondere Rüge zu beachten hätte, sind Anhaltspunkte nicht vorhanden.

2. Eine Haftung des Klägers kommt daher --wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat-- nur in Betracht, wenn der Kläger sich ein grob fahrlässiges Verhalten des steuerlichen Beraters der GmbH bei der Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH im Rahmen seiner Haftung nach § 69 AO 1977 zurechnen lassen müßte.

a) Das FG München, auf dessen Rechtsausführungen sich die Revision im wesentlichen stützt, hält eine derartige Zurechnung auch im Rahmen des § 69 i.V.m. §§ 34 und 35 AO 1977 aufgrund des allgemeinen Rechtsgedankens für gerechtfertigt, daß jemand seine Stellung im Rechtsverkehr nicht dadurch verbessern darf, daß er Dritten die Erfüllung seiner Verpflichtungen überläßt und damit seinen Risikobereich ausweitet (vgl. FG München, Urteil vom 18. März 1992 3 K 3164/87, EFG 1992, 642, 643). Verfahre er so, müsse er sich das Wissen und Verhalten des für ihn Tätigen zurechnen lassen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. November 1990 X R 143/88, BFHE 163, 329, BStBl II 1991, 325).

b) Der Senat hat keinen Anlaß, den zitierten allgemeinen Rechtsgedanken, der --aus einleuchtenden Gründen-- die verschuldensunabhängige Zurechnung fremden Verhaltens im Rahmen von Steuerschuldverhältnissen zum Inhalt hat, als solchen in Frage zu stellen. Er hält ihn jedoch im Rahmen der sog. Vertreter-Haftung nach § 69 AO 1977 nicht für anwendbar. Seine Anwendung würde Inhalt und Zweck dieser Haftungsnorm der AO 1977 verfehlen, die ausdrücklich an das Handeln der in §§ 34 und 35 bezeichneten Personen anknüpft.

c) Mit der Normierung der speziell für das Steuerrecht geschaffenen Vertreterhaftung (vgl. Beermann, Finanz-Rundschau --FR-- 1992, 262) soll der Steuergläubiger zwar möglichst vor Schaden bewahrt werden, der ihm durch das Verhalten des für den Steuerpflichtigen Tätigen entsteht, d.h. er soll sich bei demjenigen schadlos stellen können, der den Steuerausfall durch Verletzung einer ihm (aufgrund der §§ 34, 35 AO 1977) dem Steuergläubiger gegenüber obliegenden Pflicht verursacht hat. Dies soll dem Fiskus aber --gleichsam als Korrektiv-- nur dann ermöglicht werden, wenn den Betreffenden persönlich der Vorwurf des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit trifft. Deswegen knüpft das Gesetz die Haftung der in §§ 34 und 35 AO 1977 bezeichneten Personen ausdrücklich an eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten.

Obwohl die Handlungspflichten des Steuerpflichtigen und des Vertreters, an deren Verletzung das Gesetz rechtliche Folgerungen knüpft, dieselben sind, unterscheidet sich das "Einstehenmüssen" des Steuerpflichtigen für ein steuerrechtlich fehlerhaftes Verhalten seines Vertreters, das sich daraus ergibt, daß der Vertreter an seiner Stelle tätig geworden ist ("automatisches" Entstehen der Steuerschuld beim Vertretenen ohne Rücksicht auf dessen Verschulden), wesentlich vom Einstehenmüssen des für die entstandene Steuerschuld Haftenden. Denn für diesen ist die Steuerschuld eine ihm fremde Schuld, für die er nur subsidiär einstehen muß (vgl. Senatsurteile vom 12. Mai 1970 VII R 34/68, BFHE 99, 178, BStBl II 1970, 606; vom 19. Oktober 1976 VII R 63/73, BFHE 120, 329, BStBl II 1977, 255, 256; vom 15. April 1987 VII R 160/83, BFHE 149, 505, BStBl II 1988, 167, 168, und vom 14. Dezember 1988 VII R 107/86, BFH/NV 1989, 549, 550), und er nimmt die Tätigkeiten zur Erfüllung steuerlicher Pflichten als Vertreter (des Steuerschuldners) wahr.

Der somit wegen seines Handelns als Vertreter Haftende wird zusätzlich zum Steuerpflichtigen herangezogen, damit er dem Steuergläubiger, der sich denjenigen, der das Steuerschuldverhältnis durch sein Handeln begründet, nicht aussuchen kann, im Schadensfall Ersatz in dem Umfang leistet, für den er persönlich verantwortlich ist, weil er den Schaden durch Verletzung ihm persönlich obliegender Pflichten verursacht hat. Anders als die an strafbare oder an bestimmte, die Steuererhebung gefährdende (und daher verbotene) Handlungen anknüpfenden Haftungstatbestände, die von jedermann verwirklicht werden können (§ 71 bzw. § 72 AO 1977; vgl. zu letzterer Vorschrift BFH-Urteil vom 17. Februar 1989 III R 35/85, BFHE 156, 355, BStBl II 1990, 263, 266), ist der Tatbestand der Vertreterhaftung des § 69 AO 1977 daher auf die im Gesetz in §§ 34 und 35 AO 1977 aufgeführten Personen beschränkt. Sie haften nur für mindestens grob fahrlässige Verletzung eigener Pflichten.

d) Eine gleichartige ratio liegt auch den Regelungen des § 70 AO 1977 zugrunde. Geschaffen insbesondere für die Fälle des Zoll- und Verbrauchsteuerrechts, in denen der Vertreter, wenn er für den Vertretenen tätig ist, u.U. selbst Steuerschuldner werden kann, soll der Vertretene in bestimmten Fällen selbst zum Schadenersatz herangezogen werden können ("haften"). Das gilt aber, soweit der Vertretene keinen Vermögensvorteil erlangt hat, nur, wenn ihm selbst die Verletzung einer bestimmten, dem Steuergläubiger gegenüber obliegenden Pflicht zur Last gelegt werden muß; diese besteht, da die Erfüllung der steuerlichen Pflichten als solche gemäß §§ 34, 35 AO 1977 dem Vertreter auferlegt worden sind, nach § 70 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 darin, den mit der Erfüllung der steuerlichen Pflichten Betrauten sorgfältig auszuwählen und zu beaufsichtigen.

Damit bewirkt das Gesetz, daß der Haftung der nicht verbotswidrig handelnden Personen durch die Pflicht zu jener Sorgfalt Grenzen gesetzt sind, die der Steuergläubiger von jedem anderen, für sich selbst handelnden Steuerpflichtigen in gleicher Weise erwarten darf (etwa, daß er, sofern er selbst unkundig ist, fachkundigen Rat einholt oder sich fachkundiger Hilfe bedient). Nach der Regelung des § 70 Abs. 2 AO 1977 soll der Vertretene zwar dann für die Folgen des Verhaltens des für ihn Handelnden einstehen, wenn ihm daraus ein Vermögensvorteil zugeflossen ist (vgl. Senatsurteil vom 2. Mai 1991 VII R 7/89, BFH/NV 1992, 219, 220). Ansonsten soll er aber nur haften, wenn er denjenigen, der durch sein Verhalten den beim Steuergläubiger eingetretenen Schaden verursacht hat, nicht sorgfältig ausgewählt und beaufsichtigt hat.

e) Ein zusätzlicher Anhaltspunkt dafür, daß der Gesetzgeber die nach §§ 34, 35 AO 1977 Haftenden nur für eine persönliche Verletzung der ihnen (selbst) obliegenden Pflichten verantwortlich gemacht hat, ergibt sich aus der sie verpflichtenden Vorschrift des § 34 Abs. 1 AO 1977 selbst. Nach dessen Satz 2 muß der Vertreter nämlich vor allem --aber eben auch nur-- "dafür sorgen", daß die Steuern aus den von ihm verwalteten Mitteln entrichtet werden. Kann er dies --aus welchen Gründen auch immer-- nicht selber tun, erfüllt er nur dann, aber auch immer dann die steuerlichen Pflichten des von ihm Vertretenen, wenn er eine andere Person mit der Steuerzahlung betraut und darüber wacht ("dafür sorgt"), daß diese Person ihren Auftrag ordentlich ausführt. Das für die Entrichtung von Steuern ausdrücklich Normierte gilt aber in gleichem Maße für die Erfüllung der übrigen steuerlichen Pflichten durch den Vertreter.

3. Die Rechtsprechung des Senats zu § 69 AO 1977 entspricht der dargelegten Wertung des Gesetzgebers. Demgemäß haftet ein Geschäftsführer gemäß §§ 34, 69 AO 1977 zwar persönlich für die ihm als Vertreter des Steuerpflichtigen auferlegten steuerlichen Pflichten; aber er haftet nur für eigenes Verschulden, und zwar gerade auch dann, wenn er sich zur Erfüllung der ihm als Vertreter der GmbH durch § 34 Abs. 1 AO 1977 auferlegten steuerlichen Pflichten fremder Hilfe bedient.

Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung anerkannt, daß der Geschäftsführer einer GmbH nicht verpflichtet ist, sämtliche steuerlichen Angelegenheiten der GmbH ohne Einschränkung selbst zu erledigen. Er hat ihn vielmehr für befugt bzw. bei mangelnder eigener Sachkunde sogar für verpflichtet gehalten, die Erledigung anderen, sachkundigen Personen zu übertragen. Allerdings ist der Geschäftsführer stets als verpflichtet angesehen worden, diejenigen Personen, denen er die Erledigung der ihm als Vertreter des Steuerpflichtigen auferlegten steuerlichen Pflichten übertragen hat, laufend und sorgfältig zu überwachen, insbesondere sich so eingehend über den Geschäftsgang zu unterrichten, daß er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann bzw., daß ihm ein Fehlverhalten des beauftragten Dritten rechtzeitig erkennbar wird.

Mangelhaftes Überwachen der zur Pflichterfüllung herangezogenen Personen hat der Senat regelmäßig als grob fahrlässige Pflichtverletzung ("Überwachungsverschulden") eingestuft, gleichwohl aber stets betont, daß die Entscheidung, welche Überwachungsmaßnahmen von einem Geschäftsführer zu treffen sind, wenn er die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten auf Mitarbeiter überträgt, weitgehend von den Umständen des Einzelfalls abhängt (vgl. Entscheidungen des Senats vom 5. März 1985 VII R 134/80, BFH/NV 1986, 61; vom 16. April 1985 VII R 132/80, BFH/NV 1987, 273, 274; vom 7. Mai 1985 VII R 111/78, BFH/NV 1987, 210; vom 11. November 1986 VII R 201/83, BFH/NV 1987, 212, 213; vom 2. Juli 1987 VII R 162/84, BFH/NV 1988, 220, 221; vom 10. Mai 1988 VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72, 74; vom 25. April 1989 VII S 15/89, BFH/NV 1989, 757; vom 8. Mai 1990 VII B 173/79, BFH/NV 1991, 12, 13, und vom 29. Mai 1990 VII R 81/89, BFH/NV 1991, 283, 284).

Bereits der Reichsfinanzhof hat ausgeführt, daß ein Konkursverwalter innerhalb gewisser Grenzen der Redlichkeit seinen Hilfspersonen Vertrauen schenken darf, ohne daß daraus ohne weiteres der Vorwurf der Fahrlässigkeit, zumal grober Fahrlässigkeit, hergeleitet werden darf. In Anlehnung daran hat der Senat entschieden, daß auch in dem Fall, in dem ein Geschäftsführer im Vertrauen auf die Zuverlässigkeit seiner Mitarbeiter keine Überwachungsmaßnahmen durchführt, eine haftungsbegründende grobe Fahrlässigkeit wegen einer fehlerhaften Steuererklärung in der Regel dann nicht in Betracht kommt, wenn die Fehlerhaftigkeit der Steuererklärung nur durch solche Überwachungsmaßnahmen hätte aufgedeckt werden können, zu denen für den Geschäftsführer nach den besonderen Umständen des Falles bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Überwachungspflicht kein Anlaß bestanden hat. Bei unterlassener Überwachung eines sorgfältig ausgewählten Mitarbeiters liegt danach ein haftungsbegründendes grob fahrlässiges Verhalten in der Regel nur dann vor, wenn die Überwachungsmaßnahmen, zu deren Vornahme im Einzelfall Anlaß bestand, auch geeignet gewesen wären, die Beanstandungen zu verhindern (vgl. Senatsurteil vom 27. November 1990 VII R 20/89, BFHE 163, 106, BStBl II 1991, 284, 286 f. m.w.N.). Dies gilt, wenngleich hinsichtlich der ordnungsgemäßen Abführung von Steuern, zumal von Lohnsteuer, von den in §§ 34 und 35 AO 1977 bezeichneten Personen ein höheres Maß an Pflichterfüllung bei der Überwachung von Hilfspersonen erwartet werden muß (vgl. Senatsentscheidungen in BFH/NV 1987, 273; in BFH/NV 1989, 72 und 757, und in BFH/NV 1991, 283) grundsätzlich auch für die Steuerentrichtung. Die Anwendung der vorstehenden Rechtsgrundsätze ist aber um so mehr gerechtfertigt in Fällen, in denen es --wie im Streitfall-- um die zutreffende steuerliche Beurteilung von Sachverhalten in einer von einem Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer erstellten Steuererklärung (Voranmeldung) geht.

Diese Rechtsprechung, die dem Schadensersatzcharakter des § 69 AO 1977 Rechnung trägt, aufzugeben, sieht der Senat auch unter Berücksichtigung der im Streitfall vorgetragenen Argumente keinen Anlaß. Soweit sich das FA auf BFH-Urteile zur verschuldensunabhängigen Zurechnung des Vertreterverschuldens beruft, betreffen die Urteilsfälle den Steuerschuldner selbst (vgl. Urteile vom 3. Februar 1983 IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324, und vom 7. November 1990 X R 143/88, BFHE 163, 329, BStBl II 1991, 325), nicht aber den --als Vertreter-- nur subsidiär wegen persönlichen Verschuldens heranzuziehenden Haftungsschuldner nach § 69 AO 1977. Der Haftungsschuldner steht, da er als Vertreter handelt --anders als der Steuerschuldner--, persönlich nicht in vertraglichen Beziehungen zu dem mit der Besorgung der steuerlichen Angelegenheiten beauftragten Dritten, was auch für etwaige Regreßansprüche gegen den Dritten von Bedeutung ist.

Soweit der Senat im Urteil vom 22. Januar 1985 VII R 110/78 (BFH/NV 1985, 18; darauf Bezug genommen im Beschluß über die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde vom 5. März 1987 VII B 158/86, BFH/NV 1988, 94) anders entschieden haben sollte, hält er hieran nicht fest. Insbesondere kann die Tatsache der Unterzeichnung einer --von Mitarbeitern oder einem Steuerberater gefertigten-- Umsatzsteuer-Voranmeldung für sich allein nicht dazu führen, daß der die Unterschrift leistende Geschäftsführer einer GmbH unabhängig davon haftet, ob er die von ihm mit der Aufgabe der Erstellung der Voranmeldung beauftragten Personen sorgfältig ausgewählt und überwacht hat und ob er selbst Anlaß und Möglichkeiten hatte, die Richtigkeit der Steuererklärung zu überprüfen. Es ist vielmehr generell davon auszugehen, daß der Geschäftsführer einer GmbH, der die Sachkunde eines ihm als zuverlässig bekannten --und als Angehöriger eines rechts- oder steuerberatenden Berufs befugten-- steuerlichen Beraters in Anspruch nimmt, sich auf diesen verläßt und bei gewissenhafter Ausübung seiner Überwachungspflichten keinen Anlaß findet, die steuerliche Korrektheit der Arbeit des steuerlichen Beraters in Frage zu stellen, im Hinblick auf die ihm durch die Vorschrift des § 34 AO 1977 als Vertreter auferlegten Pflichten nicht grob fahrlässig handelt (vgl. BFH-Urteil vom 11. Mai 1962 VI 195/60 U, BFHE 75, 206, BStBl III 1962, 342, 343, hier: zur fehlerhaften Einbehaltung von Lohnsteuern, die durch den Steuerberater der GmbH zu niedrig berechnet worden sind; ebenso Mittelbach, Deutsche Steuer-Zeitung 1984, 211, 212). Ein --ausschließliches-- Verschulden des steuerlichen Beraters kann den Geschäftsführer grundsätzlich deshalb nicht treffen, weil auch der Berater wie der Geschäftsführer Pflichten des Steuerschuldners wahrnimmt und keine Rechtsgrundlage ersichtlich ist, nach der derjenige, der als Vertreter fremde Pflichten erfüllt und im Rahmen dieser Pflichterfüllung einen weiteren "Gehilfen" zur Erfüllung der Pflichten heranzieht, persönlich für dessen Verschulden einzustehen hat.

4. Das FG ist im Streitfall zutreffend von der dargelegten Rechtsprechung des Senats ausgegangen. Seine Feststellungen hierzu sowie die daraus gezogenen Schlußfolgerungen begegnen revisionsrechtlich keinen Bedenken. Ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden des Klägers liegt danach nicht vor. Allein aus der Tatsache der Unterzeichnung von Umsatzsteuer-Voranmeldungen in den Jahren 1985 und 1986 durch den Kläger --in welchem Umfang dies geschehen ist, hat das FG nicht im einzelnen festgestellt-- kann ein haftungsbegründendes Verschulden nicht hergeleitet werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65241

BFH/NV 1995, 17

BStBl II 1995, 278

BFHE 175, 509

BFHE 1995, 509

BB 1995, 238

BB 1995, 238-241 (LT)

DB 1995, 558-560 (LT)

DStR 1995, 180-181 (KT)

DStZ 1995, 318-320 (KT)

HFR 1995, 181-182 (LT)

StE 1995, 100 (K)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge