Entscheidungsstichwort (Thema)

Verrechnungsstundung bei Abzugssteuer und durch Abtretung erworbener Gegenforderung?

 

Leitsatz (NV)

1. Die Verrechnungsstundung setzt insbesondere voraus, daß der Gegenanspruch, mit dessen Fälligkeit in naher Zeit zu rechnen sein muß, rechtlich wie tatsächlich schlüssig belegt ist.

2. Es entspricht einer sachgerechten Ermessensausübung, eine Verrechnungsstundung bei einem durch Abtretung erworbenen Gegenanspruch abzulehnen, bis dessen Bestehen geklärt ist.

3. Die Ablehnung einer Verrechnungsstundung von Lohnsteuer oder Kapitalertragsteuer ist nicht unbillig, weil die Abführung einer Abzugssteuer bei Fälligkeit regelmäßig keine erhebliche Härte bedeutet.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 46, 122, 124, 222, 226; EStG §§ 37, 44

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) begehrt sinngemäß die Verpflichtung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) zur zinslosen Stundung von Kapitalertragsteuer seit Fälligkeit bis zum Zeitpunkt der - bereits erfolgten - Zahlung.

Aufgrund der Gewinnausschüttung für 1983 und einer Vorabausschüttung in 1984 meldete die Klägerin Kapitalertragsteuer in Höhe von zusammen . . . DM an, die bis zum 10. Januar 1985 an das FA abzuführen war.

Mit Schreiben vom 9. Januar 1985 beantragte die Klägerin die zinslose Stundung der Kapitalertragsteuer unter Hinweis darauf, daß ihr - der Klägerin - von ihren beiden (damaligen) Gesellschaftern Einkommensteuer-Erstattungsansprüche für 1984 in Höhe von mindestens . . . DM - gemäß dem Antrag beigefügter Anzeige - abgetreten worden und daß die entsprechenden Einkommensteuererklärungen dem Wohnsitz-FA der Gesellschafter bereits zugegangen seien.

Das - für die Klägerin zuständige - FA lehnte die Stundung mit Bescheid vom 22. Januar 1985 ab, in dessen Anschriftenfeld der Name des (damaligen) alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführers der Klägerin mit deren Büroadresse ohne zusätzlichen Hinweis auf die Klägerin oder das Vertretungsverhältnis aufgeführt war. Im Kopf bzw. Betreff des - mit der Steuernummer der Klägerin versehenen - Bescheides hieß es sodann: ,,Ihre Firma . . . GmbH" (Klägerin). Einleitend wurde auf den Antrag vom 9. Januar 1985 Bezug genommen. Nachdem die Klägerin diesen Bescheid nicht als an sie, sondern an ihren Gesellschafter gerichtet angesehen hat, schrieb ihr das FA im Februar 1985, daß der Bescheid als an sie gerichtet zu verstehen sei.

Die als Beschwerde gewerteten Einwendungen der Klägerin wies die Oberfinanzdirektion (OFD) mit Beschwerdeentscheidung vom 4. April 1985 als unbegründet zurück.

Nach Erhebung der Klage verrechnete das FA die Kapitalertragsteuer gegen den entsprechenden Teil der an die Klägerin abgetretenen Einkommensteuererstattung 1984 ihrer Gesellschafter aus der auf den 15. Mai 1985 datierten Einkommensteuerveranlagung mit Wertstellung zum 8. Mai 1985. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Es hat u. a. Bezug genommen auf seinen in der Kapitalertragsteuersache 1981 ergangenen Beschluß vom 1. Juli 1983 III 852/82 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1984, 183).

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist - im Ergebnis - unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel unzureichender Sachaufklärung (§ 76 FGO) greift nicht durch. Dies bedarf keiner Begründung (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG - vom 8. Juli 1975, BGBl I 1975, 1861 i. d. F. des Gesetzes vom 22. Dezember 1989, BGBl I 1989, 2404).

2. Die Zurückweisung der Revision erfolgt mit der Maßgabe, daß es sich bei dem abgewiesenen Antrag - entgegen dem FG - sinngemäß nicht um eine Fortsetzungsfeststellungsklage (vgl. §§ 40, 41, 100 Abs. 1 Satz 4 FGO), sondern um eine Verpflichtungsklage handelt (§§ 40, 101 FGO).

Die von der Klägerin vor dem FG hierzu abgegebenen Erklärungen sind im Gesamtzusammenhang des Klagevorbringens dahin auszulegen, daß sich das Stundungsbegehren - nicht die Klage als solche - nur für die Zeit nach Verrechnung der Steuerschuld - nicht für die Zeit vorher seit Fälligkeit - erledigt hat. Zur Vermeidung umfangreicher Wiederholungen nimmt der Senat auf sein Urteil vom 2. Juli 1986 in der insoweit vergleichbar gelagerten Sache I R 39/83 (BFH / NV 1987, 696) Bezug (vgl. ferner zuletzt Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. April 1988 III R 269/84, BFH / NV 1989, 428).

3. Zutreffend hat das FG einen Ermessensfehlgebrauch des FA und der OFD bei der Ablehnung des Stundungsbegehrens verneint.

a) Nach § 222 der Abgabenordnung (AO 1977) können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint.

Die Entscheidung über einen Stundungsantrag ist eine Ermessensentscheidung (BFH-Beschluß vom 5./13. Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587), die nach § 102 FGO von den FG nur auf Ermessensfehler hin überprüft werden darf.

b) Bei der Prüfung (§ 5 AO 1977), ob eine erhebliche Härte i. S. des § 222 AO 1977 vorliegt, hat die Finanzbehörde zwischen dem Interesse des Steuergläubigers an einer vollständigen und gleichmäßigen Steuererhebung und dem Interesse des Steuerpflichtigen an einem Aufschub der Fälligkeit der Steuerzahlung abzuwägen (BFH-Urteil vom 7. März 1985 IV R 161 /81, BFHE 143, 397, 399, BStBl II 1985, 449, zu 2. a).

c) Eine sachliche Härte kann die Einziehung einer Steuer beispielsweise dann darstellen, wenn der zu zahlende Betrag (ohne daß bereits eine Aufrechnungslage gemäß § 226 AO 1977 besteht) alsbald zu erstatten sein wird. Es widerspricht Treu und Glauben, etwas zu fordern, was sogleich wieder zurückgewährt werden muß. Die Härte ist jedoch nur erheblich i. S. von § 222 AO 1977, wenn der Gegenanspruch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besteht und alsbald fällig wird (BFH-Beschluß vom 21. Januar 1982 VIII B 94/79, BFHE 135, 23, BStBl II 1982, 307 m. w. N.).

aa) Diese sog. Verrechnungsstundung (vgl. BFH-Beschluß vom 29. November 1984 V B 44/84, BFHE 142, 418, BStBl II 1985, 194) setzt insbesondere voraus, daß der Gegenanspruch, mit dessen Fälligkeit in naher Zeit zu rechnen sein muß, rechtlich wie tatsächlich schlüssig belegt ist (Senatsurteil vom 6. Oktober 1982 I R 98/81, BFHE 138, 1, 3, BStBl II 1983, 397, 398).

Im Streitfall ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der vom FG getroffenen und das Revisionsgericht bindenden Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO), daß dem für die Entscheidung über den Stundungsantrag der Klägerin zuständigen FA keine schriftlichen Unterlagen über die ihr von ihren Gesellschaftern abgetretenen Einkommensteuer-Erstattungsansprüche vorlagen oder mit dem Stundungsantrag zugegangen waren, die eine leichte Nachprüfung der Schlüssigkeit ermöglicht hätten (vgl. z. B. rechtskräftige Urteile des FG Baden-Württemberg vom 9. Februar 1984 X-K 414/83, EFG 1984, 385; vom 3. November 1983 X-K 162/83, EFG 1984, 267; des Schleswig-Holsteinischen FG vom 5. Juni 1975 III 89/74, EFG 1976, 41).

Es kann jedoch dahinstehen, ob das FA allein danach von einer Klärung der Gegenansprüche und von einer Stundung zum Zwecke der späteren Verrechnung absehen durfte.

bb) Einer sachgerechten Ermessensausübung entsprach die Stundungsablehnung bereits deswegen, weil sie - in der Beschwerdeentscheidung unter Bezugnahme auf den Beschluß in EFG 1984, 183 - u. a. darauf gestützt wurde, daß die Abtretung (§ 46 AO 1977) sich nur auf die zukünftigen Erstattungsansprüche der Gesellschafter, nicht aber auf deren Stellung aus dem Einkommensteuerrechtsverhältnis beziehen könne (vgl. BFH-Urteil vom 25. April 1978 VII R 2/75, BFHE 125, 138, 141, BStBl II 1978, 464, 466 zu 2. b).

Wie der BFH bereits in seinem (nicht amtlich veröffentlichten) Beschluß vom 2. Februar 1984 VII B 3-4/84 entschieden hat, ist das Unterlassen einer Verrechnungsstundung bis zur Klärung des Bestehens eines durch Abtretung erworbenen Gegenanspruchs nicht unbillig. Diese Klärung zu betreiben ist in erster Linie Sache der Zedenten (Abtretenden) in deren Rechtsverhältnis gegenüber dem für sie zuständigen FA. Alle aus jenem Verhältnis herzuleitenden Argumente - wie z. B. die dortige Bearbeitungsdauer - sind für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung (vgl. ebenda).

cc) Darüber hinaus wurde die Ablehnung der Kapitalertragsteuer-Stundung - unabhängig von vorstehenden Erwägungen - in der Beschwerdeentscheidung ermessensfehlerfrei auch auf die Besonderheiten des Steuerabzugsverfahrens gestützt.

Dabei kommt es nicht darauf an, daß die Verpflichtung zur Einbehaltung der Kapitalertragsteuer (§ 44 Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) keinen i. S. von § 222 AO 1977 stundbaren Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. § 37 EStG), d. h. keinen Steuerzahlungsanspruch, begründet (vgl. zur Einbehaltung der Lohnsteuer BFH-Urteil vom 14. Mai 1982 VI R 130/81, nicht amtlich veröffentlicht, m. w. N.; ferner unter der Geltung von § 127 der Reichsabgabenordnung - AO - BFH-Urteil vom 8. Februar 1957 VI 141/56 S, BFHE 65, 251, BStBl III 1957, 329) und ob die Verpflichtung zur Abführung der Abzugssteuer an das FA (§ 44 Abs. 1 Sätze 3 und 5 EStG) einen stundbaren Steuerzahlungsanspruch darstellt (für die Lohnsteuer offengelassen durch BFH-Urteile VI R 130/81; vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, 419, BStBl II 1982, 521, 522; vom 10. November 1981 VII R 92/81, nicht amtlich veröffentlicht).

Denn die Verrechnungsstundung konnte in sachgerechter Ermessensausübung versagt werden, weil die Abführung einer Abzugssteuer bei Fälligkeit regelmäßig keine erhebliche Härte i. S. des § 222 Satz 1 AO 1977 bedeutet. Dies hat der BFH bereits für die Lohnsteuer entschieden (BFH-Urteile VI R 130/81, m. w. N.; VII R 92/81). Das gleiche gilt für die Kapitalertragsteuer. Ebenso wie bei der Lohnsteuer wirtschaftlich fremde Gelder (vgl. BFHE 135, 416, 418 f., BStBl II 1982, 521, 522) aus Gründen der Vereinfachung und Sicherung rechtzeitiger Steuerleistung im Steuerabzugsverfahren erfaßt werden (BFHE 65, 251, 253 f., BStBl III 1957, 329, 330), stellt auch die Abführung der Kapitalertragsteuer als besondere Erhebungsform der Einkommensteuer die Erfüllung einer fremden Steuerschuld dar (vgl. Senatsurteil vom 18. Februar 1970 I R 97/66, BFHE 98, 482, 486, BStBl II 1970, 464, 466 zu 3.).

d) Aus den vorstehend zu 3. c, cc) ausgeführten Erwägungen durfte die Finanzbehörde gleichfalls eine auf persönliche Unbilligkeit gestützte Stundung versagen. Im übrigen haben das FA und die OFD auch sonst ermessensfehlerfrei keinen Anlaß zur Stundung aus wirtschaftlichen Billigkeitsgründen oder zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts in dieser Hinsicht gesehen. Nach dem Hinweis des FA im Ablehnungsbescheid auf die fehlende Darlegung entsprechender Anhaltspunkte hat die Klägerin im Beschwerdeverfahren dazu nichts näheres vorgetragen.

Unerheblich sind in diesem Zusammenhang die von den Gesellschaftern erwirtschafteten Verluste. Die mit ihnen getroffenen Verrechnungsvereinbarungen rechtfertigen ebenso keine Stundung. Der von der Klägerin in Verbindung hiermit geltend gemachte Liquiditätsnachteil aus der Erhebung der Kapitalertragsteuer beruht auf den sachlichen Notwendigkeiten des Steuerabzugsverfahrens in der vom Gesetzgeber getroffenen Ausgestaltung (vgl. BFH-Beschlüsse vom 8. Juli 1982 IV B 6 /82, BFHE 136, 190, 192, BStBl II 1982, 660, 661 zu 2. c); vom 15. Juni 1982 VIII B 138/81, BFHE 136, 186, 189, BStBl II 1982, 657, 659; ferner Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Januar 1977 1 BvL 7/76, BVerfGE 43, 231, 239, 240, BStBl II 1977, 297, 299 zu 1. b).

Da die anfallende Kapitalertragsteuerzahlung für die Klägerin bei Vornahme ihrer Gestaltung von vornherein erkennbar war, hätte sie ihre Dispositionen darauf einrichten können (vgl. BFH-Urteil vom 21. August 1973 VIII R 8/68, BFHE 111, 275, BStBl II 1974, 307).

e) Die Verwaltungsentscheidung ist - entgegen der Revision - auch nicht wegen Versagung einer Nachfrist zur Entrichtung der Steuer bei einem vor Fälligkeit eingegangenen Stundungsantrag teilweise ermessensfehlerhaft (vgl. Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 15. Februar 1971, BStBl I 1971, 121, 122 zu IV Rdnr. 10; Klein / Orlopp, Abgabenordnung, § 222 Anm. 10 m. w. N.). Denn mit der Ablehnung der beantragten Verrechnungsstundung hat das FA in seinem Bescheid vom 22. Januar 1985 eine solche Frist gewährt.

Dieser Bescheid ist der Klägerin - entgegen ihrer Auffassung - wirksam gemäß §§ 124, 122 AO 1977 bekanntgegeben worden. Nennt das FA im Anschriftenfeld eines Bescheides - wie im Streitfall - nicht den Adressaten (hier die Klägerin) selbst, sondern nur dessen (deren) Vertreter (hier den Namen des Geschäftsführers), so ist dies auf die Wirksamkeit der Bekanntgabe des Bescheides ohne Einfluß, wenn der Adressat aus dem sonstigen Inhalt des Bescheides mit einer jeden Zweifel ausschließenden Sicherheit entnommen werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 17. Mai 1974 VI R 197/71, BFHE 112, 452, BStBl II 1974, 648). Dies ist hier der Fall, da der - mit der Steuernummer der Klägerin versehene - Bescheid im Kopf bzw. Betreff (,,Ihre Firma . . . GmbH") allein auf die Klägerin hinweist und sich ausweislich der Einleitung ausschließlich auf den für sie gestellten Stundungsantrag bezieht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417154

BFH/NV 1990, 757

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