Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der freiberuflichen Tätigkeit eines Architekten, der eine Tätigkeit als vereidigter Bauschätzer einer Brandversicherungskammer ausübt.

 

Normenkette

EStG § 15 Nr. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Einkünfte des Beschwerdegegners (Bg.) aus seiner Tätigkeit als Bauschätzer Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind und ob ihm demgemäß der Pauschbetrag für Betriebsausgaben bei Einkünften aus freier Berufstätigkeit nach der Verordnung vom 22. Oktober 1954 (BGBl 1954 I S. 291, BStBl 1954 I S. 523) zusteht.

Der Bg. besuchte die Staatsschule für Kunst und Handwerk. Danach ließ er sich als Architekt nieder. Seine Tätigkeit als solche besteht darin, Bauten zu planen und die Bauausführungen zu beaufsichtigen. Daneben übt der Bg. die Tätigkeit eines vereidigten Bauschätzers aus. Er ist von der Brandversicherungskammer als Sachverständiger (Bauschätzer) für einen bestimmten Bezirk bestellt und vereidigt worden. Als solcher hat er die Aufgabe, bei Gebäuden, die in die Brandversicherung aufgenommen werden müssen oder sollen, den Tageswert - unter Berücksichtigung des baulichen Zustandes und der derzeitigen Preise für Material und Arbeitsleistung - sowie den Neubauwert nach den Preisen vom 1. August 1914 zu schätzen. Dabei hat er auf die ordnungsmäßige Abgrenzung zwischen Gebäude und Gebäudezubehör zu achten; ein etwaiger Altertums- oder Affektionswert bleibt bei der Schätzung außer Betracht. Der Bg. hat seine Tätigkeit sachlich und objektiv unter Beachtung von Richtlinien der Versicherungskammer auszuüben. Sowohl der Versicherungskammer als auch dem Grundstückseigentümer steht das Recht zu, eine Nachprüfung der Schätzungsergebnisse durch eine Berufskommission zu verlangen. Der Bg. erhält für seine Schätzertätigkeit festgelegte Gebühren, die von den Grundstückseigentümern zu entrichten sind.

Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für 1953 hat das Finanzamt die Schätzertätigkeit des Bg. als eine gewerbliche angesehen und, da auf sie mehr als 2/3 seiner Gesamteinkünfte aus der Tätigkeit als Architekt und Bauschätzer entfielen, die Gesamteinkünfte hieraus als Gewinn aus Gewerbebetrieb behandelt. Den streitigen Pauschbetrag für Betriebsausgaben bei Einkünften aus freier Berufstätigkeit hat das Finanzamt dem Bg. demgemäß nicht zugebilligt.

Der Steuerausschuß wies den Einspruch des Bg. als unbegründet zurück, da seine Schätzertätigkeit, die lediglich in der Verwertung praktischer und gewerblicher Erfahrungen nach gegebenen technischen Richtlinien bestehe, nicht wissenschaftlicher Art und damit nicht freiberuflich sei.

Die Berufung des Bg. hatte Erfolg. Das Finanzgericht ließ sich hierbei im wesentlichen von folgenden Erwägungen leiten: Die Tätigkeit des Bg. als Bauschätzer decke sich in wesentlichen Punkten mit der typischen Tätigkeit eines Architekten. Das Fehlen einer eigenschöpferischen Tätigkeit hindere die Annahme einer weitgehenden ähnlichkeit der beiden Berufe nicht, weil ein großer Teil der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG als freiberuflich bezeichneten Berufe eine solche eigenschöpferische Tätigkeit ebenfalls nicht aufweise. Ein weiteres Argument dafür, daß es sich um eine dem Architektenberuf verwandte Tätigkeit handle, sei der Tatsache zu entnehmen, daß etwa 10 v. H. der hochschulmäßig gebildeten Architekten sich überwiegend als Gutachter für Fragen des Bauwesens betätigten. Dies um so mehr, als man zwischen einer derartigen gutachtlichen Tätigkeit eines Architekten und der gutachtlichen Schätzertätigkeit des Bg. keinen entscheidenden Unterschied sehen könne. Wohl habe der Bg. keine Hochschulausbildung genossen; er sei jedoch gleichzeitig Architekt und übe seine Schätzertätigkeit auf der Grundlage seiner Kenntnisse als Architekt und damit einer Fachrichtung aus, die auch an Hochschulen gelehrt werde. Auch habe er dabei vielfach schwierige bautechnische Fragen nach objektiven Gesichtspunkten zu entscheiden, zumal gegen seine Schätzungen ein Berufungsverfahren gegeben sei. Seine Tätigkeit erschöpfe sich daher nicht in reiner Tatsachenfeststellung unter Berücksichtigung handwerklicher und marktmäßiger Kenntnisse. Da auch die übrigen Voraussetzungen freier Berufstätigkeit, nämlich die überwiegende Verwendung der eigenen Arbeitskraft und das Tätigwerden kraft eigener Verantwortung und ohne Bindung an Weisungen Dritter, beim Bg. gegeben seien, weise seine Tätigkeit alle Merkmale eines freien Berufes im Sinne von § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG auf. Der begehrte Pauschbetrag für Betriebsausgaben bei freier Berufstätigkeit stehe darum dem Bg. zu.

Hiergegen wendet sich der Vorsteher des Finanzamts mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) mit der er geltend macht, daß die Schätzertätigkeit des Bg. in wesentlichen Merkmalen von der eines Architekten abweiche. Er arbeite nicht schöpferisch. Seine Tätigkeit verlange auch keine Fähigkeiten und Kenntnisse, die an Hochschulen vermittelt würden. Insbesondere setzten die Feststellungen des Bg. keine schwierigen statischen Berechnungen voraus, für die wissenschaftliche Kenntnisse und Befähigung erforderlich seien. Es könne schließlich aus dem Umstand, daß neben Handwerkern auch Architekten als Bauschätzer für die Brandversicherung tätig würden, nicht geschlossen werden, daß diese Tätigkeit nur auf der Grundlage der Kenntnisse eines Architekten ausgeübt werden könne.

 

Entscheidungsgründe

Der Rb. muß der Erfolg versagt bleiben.

Das Finanzgericht hat das Gesamtbild der beruflichen Tätigkeit des Bg. ohne Rechtsirrtum als freiberuflich im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG angesehen. Es ist hierbei zutreffend davon ausgegangen, daß eine freiberufliche Tätigkeit des Bg. nur dann in Betracht kommt, wenn seine Tätigkeit entweder einem der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG angeführten Berufe ähnlich ist, oder wenn eine "wissenschaftliche" Tätigkeit vorliegt. Ist die ähnlichkeit mit einem der angeführten Berufe zu bejahen, dann ist es nicht erforderlich, daß es sich um eine gehobene wissenschaftliche Tätigkeit handelt. Der Senat hat bereits im Urteil IV 601/55 U vom 27. September 1956 (BStBl 1956 III S. 334, Slg. Bd. 63 S. 357) ausgesprochen, daß ein allgemeiner Grundsatz aus der Vorschrift des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG nicht hergeleitet werden könne. Die in dieser Vorschrift angeführten freien Berufe haben gegenüber der entsprechenden Vorschrift im EStG 1925 eine erhebliche Erweiterung erfahren. Sie führt nicht mehr nur akademische Berufe an, sondern auch Heilpraktiker, Dentisten und Buchsachverständige. Soweit ähnliche Berufe in Betracht kommen, muß zwar, wenn der zu vergleichende angeführte Beruf ein wissenschaftlicher Beruf ist, auch der andere Beruf auf einer wissenschaftlichen Grundlage beruhen. Das besagt aber nicht, daß in einem solchen Fall beide Berufe eine akademische Ausbildung voraussetzen, weil etwa der im Gesetz angeführte Beruf ein akademischer ist.

Für die Berufstätigkeit des Bg. kommt nur ein Vergleich mit dem im Gesetz angeführten Beruf eines Architekten in Betracht. Wie hierzu das Finanzgericht zutreffend ausführt, gehören zur typischen Berufstätigkeit eines Architekten nicht nur die Planung von Bauten und die Anfertigung der Zeichnungen, nach denen die Bauten dann von den Handwerkern errichtet werden, sondern auch eingehende überlegungen über die anzuwendende Baukonstruktion, das zu verwendende Baumaterial und andere damit zusammenhängende technische Fragen. Nicht zuletzt gehört zur typischen Berufstätigkeit des Architekten auch die Schätzung der Baukosten, da diese in der Regel ein entscheidender Faktor für die Planung und Erstellung eines Gebäudes sind. Mit Recht hat daher die Vorinstanz angenommen, daß sich die Tätigkeit des Bg. als Bauschätzer in wesentlichen Punkten mit der typischen Tätigkeit des Architekten deckt. Der Umstand, daß der Bg. bei seinen Schätzungen nicht eigenschöpferisch tätig ist, steht jedenfalls der Annahme einer weitgehenden ähnlichkeit der beiden Berufe nicht entgegen. Dies um so weniger, als die eigenschöpferische Betätigung nicht als ein unabdingbares Merkmal einer als freiberuflich zu bezeichnenden Tätigkeit im Sinne von § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG anzusehen ist. Im übrigen steht auch die Vorentscheidung mit dem vom erkennenden Senat in der Entscheidung IV 6/53 U vom 4. Februar 1954 (BStBl 1954 III S. 147, Slg. Bd. 58 S. 618) entwickelten Grundsatz durchaus in Einklang. In diesem Fall hatte der Senat die Gutachtertätigkeit eines Architekten als Sachverständigen als eine der Tätigkeit des Architekten ähnliche im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG angesehen. In der Aufzählung der einzelnen Gutachtertätigkeiten befanden sich neben der Bewertung industrieller Anlagen und Einrichtungen auch die Beurteilung von Gebäude-, Brand-, Blitz-, Schwamm-, Wasser- und Explosionsschäden. Diese Tätigkeiten sind jedenfalls als der des Bg. in seiner Eigenschaft als Bauschätzer wesensgleich zu betrachten. Es bestehen daher unter diesem Gesichtspunkt keine Bedenken gegen die Annahme der Vorentscheidung, daß sich die Tätigkeit des Bg. nicht in reiner Tatsachenfeststellung unter Berücksichtigung handwerklicher und marktmäßiger Kenntnisse erschöpft. Der Bg. ist vielmehr gleichzeitig Architekt und übt seine Schätzertätigkeit auf der Grundlage seiner Kenntnisse als Architekt und damit einer Fachrichtung aus, die auch an Hochschulen gelehrt wird. Unstreitig hat der Bg. nach den Feststellungen der Vorinstanz bei seiner Tätigkeit vielfach schwierige bautechnische Fragen nach objektiven Gesichtspunkten zu entscheiden. Diese Annahme ist um so mehr gerechtfertigt, als gegen seine Schätzungen ein Berufungsverfahren gegeben ist. Schließlich kann der Umstand, daß derartige Bauschätzungen auch von einem Zimmer- oder Maurermeister im Rahmen eines gewerblichen Unternehmens ausgeführt werden können, zu keiner anderen Beurteilung führen. Einer freiberuflichen Tätigkeit kann ihre Anerkennung als solche nicht deshalb versagt werden, weil sie im Rahmen einer aus anderen Gründen gewerblichen Tätigkeit ausgeübt werden kann (vgl. auch das Urteil des Senats IV 84/57 U vom 14. November 1957, BStBl 1958 III S. 3, Slg. Bd. 66 S. 4). Im übrigen hat der Bg. unwidersprochen und glaubhaft vorgetragen, daß Bauschätzungen Zimmermeistern und Maurermeistern nur für kleinere Objekte in ländlichen Gegenden übertragen werden.

Unter Berücksichtigung aller Umstände muß deshalb die Tätigkeit des Bg. als der eines Architekten ähnlich beurteilt werden. Auch die Ausbildung eines Architekten (Mit Ausnahme des Diplom- Ingenieurs) ist vielfach keine akademische. In einem gewissen Umfang ist nicht einmal die Ausbildung auf einer Fachschule erforderlich. § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG verlangt auch weder einen akademischen Beruf noch eine gehobene Tätigkeit (vgl. Information A 1957 S. 130). Ein "ähnlicher Beruf" im Sinne der genannten Vorschrift ist immer dann gegeben, wenn dieser in wesentlichen Punkten mit einem oder mehreren der hier angeführten Berufe verglichen werden kann. Dies ist im Streitfall zu bejahen. Die Vorinstanz hat daher die Tätigkeit des Bg. als Bauschätzer zutreffend als die Ausübung eines freien Berufes im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG angesehen und ihm den Pauschbetrag für Betriebsausgaben nach der genannten Verordnung vom 22. Oktober 1954 zu Recht gewährt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409374

BStBl III 1959, 267

BFHE 1960, 16

BFHE 69, 16

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