Entscheidungsstichwort (Thema)

Wertfortschreibung wegen Wegfalls der „Berlinermäßigung“ und des Merkmals „öffentlich gefördert“

 

Leitsatz (NV)

  1. Die Änderungen des § 122 Abs. 3 BewG i.d.F. des Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz ‐ StMBG ‐ vom 21. Dezember 1993 ‐ BewG n.F. - , der Wegfall der (Berlin-)Ermäßigung nach § 1 VO zu § 122 Abs. 3 BewG n.F. sowie die Regelung in § 122 Abs. 5 BewG n.F. sind verfassungsrechtlich zulässig.
  2. Bei der Fortschreibung des Einheitswerts sind alle nach dem letzten Feststellungszeitpunkt neu hinzugetretenen Umstände zu berücksichtigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die einzelnen "neuen" Umstände für sich die Fortschreibungsgrenzen erreichen; vielmehr reicht es aus, wenn sie in ihrer Gesamtheit zu einer Änderung des Einheitswerts führen, die mindestens die Wertgrenzen des § 22 Abs. 1 BewG erreicht.
 

Normenkette

BewG § 22 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, §§ 27, 78 Abs. 2, §§ 81-82, 122 Abs. 5, § 124 Abs. 8, § 122 Abs. 3; GG Art. 3, 14; StMBG

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines in Berlin (West) gelegenen Mietwohngrundstücks. Der für dieses Grundstück auf den 1. Januar 1964 festgestellte Einheitswert betrug 164 700 DM.

Das Gebäude verlor seine Eigenschaft als "öffentlich gefördert" mit dem Ablauf des 31. Dezember 1993. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) forderte deshalb den Kläger zur Abgabe einer Feststellungserklärung auf den 1. Januar 1994 auf. Die auf der Grundlage der abgegebenen Erklärung vorgenommene Prüfung des FA ergab zwar einen höheren Einheitswert, führte aber nicht zu einer Fortschreibung, weil die Wertgrenzen des § 22 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) nicht erreicht wurden. Das FA teilte deshalb dem Kläger durch Schreiben vom 2. Juli 1993 mit, es verbleibe bei dem bisherigen Einheitswert.

Durch Bescheid vom 16. Mai 1994 schrieb das FA den Einheitswert für das Grundstück des Klägers auf den 1. Januar 1994 mit 225 400 DM fort. Es begründete die Wertfortschreibung damit, dass gemäß § 122 Abs. 5 i.V.m. § 124 Abs. 8 BewG i.d.F. des Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Missbrauchbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz ―StMBG―) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) ―BewG n.F.― die Ermäßigung von 20 v.H. bei der Ermittlung der Grundstückswerte der in Berlin (West) belegenen bebauten Grundstücke zum 1. Januar 1994 entfallen sei. Bei der Wertermittlung berücksichtigte es auch den Wegfall der öffentlichen Förderung.

Einspruch und Klage, mit denen der Kläger u.a. geltend machte, weder wegen des Wegfalls des Merkmals "öffentlich gefördert" noch wegen des Wegfalls der "Berlin-Ermäßigung" sei eine Wertfortschreibung zulässig, blieben im Wesentlichen ohne Erfolg. Das FA erklärte sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) lediglich bereit, auf den im Einheitswert berücksichtigten Zuschlag wegen übergroßer Fläche in Höhe von 2 760 DM zu verzichten. Das FG führt in seiner klageabweisenden Entscheidung aus, gegen den Wegfall der "Berlin-Ermäßigung" bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das FA habe sowohl wegen dieses Umstandes als auch wegen des Wegfalls des Merkmals "öffentlich gefördert" eine Wertfortschreibung vornehmen dürfen.

Mit der Revision macht der Kläger in erster Linie verfassungsrechtliche Bedenken gegen die angefochtene Wertfortschreibung, insbesondere eine Verletzung von Art. 3 und Art. 14 des Grundgesetzes (GG) geltend. § 22 Abs. 4 BewG sei verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, dass nur eine Fortschreibung aufgrund des Wegfalls der "Berlin-Ermäßigung", nicht aber zugleich auch wegen der Änderung anderer Verhältnisse (hier: Wegfall des Merkmals "öffentlich gefördert"), die für sich bislang nicht zu einer Wertfortschreibung hätten führen können, habe erfolgen dürfen. Den Eigentümern von Grundstücken im Westteil Berlins werde insoweit ein Sonderopfer auferlegt. Es handele sich um reine Willkür. Der Wegfall der "Berlin-Ermäßigung" und die zeitgleiche Erhöhung der Hebesätze von 500 auf 550 v.H. sei wegen Verstoßes gegen das Übermaßverbot verfassungswidrig. Der Wegfall der Berlin-Ermäßigung dürfe auch nicht als Änderung der tatsächlichen Verhältnisse angesehen werden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG Berlin vom 23. September 1998 2 K 2303/97 sowie den angefochtenen Feststellungsbescheid vom 16. Mai 1994 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 9. Juni 1997 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Zutreffend hat die Vorinstanz entschieden, dass der Kläger durch den angegriffenen Wertfortschreibungsbescheid des FA vom 16. Mai 1994 nicht in seinen Rechten verletzt wird. Weder der zum 1. Januar 1994 eingetretene Wegfall der Ermäßigung der Einheitswerte um 20 v.H. für die in Berlin (West) gelegenen bebauten Grundstücke nach § 1 der Verordnung zu § 122 Abs. 3 BewG a.F. noch die vom FA vorgenommene Wertfortschreibung wegen aller im Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts (1. Januar 1964) noch nicht erfassten Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse sind verfassungswidrig.

1. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG findet beim Grundbesitz eine Wertfortschreibung statt, wenn der nach § 30 BewG abgerundete Wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt, vom Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts nach oben um mehr als den zehnten Teil, mindestens aber um 5 000 DM abweicht. Im Streitfall sind diese Wertfortschreibungsgrenzen überschritten.

Nach § 27 BewG sind einer Fortschreibung des Einheitswerts für Grundbesitz die Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt zugrunde zu legen. Die Fortschreibung ist gerechtfertigt, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 BewG). Diese Voraussetzungen hat das FG zu Recht bejaht. Denn der die Wertfortschreibung auslösende Wegfall der Ermäßigung des Grundstückswerts nach § 1 der Verordnung zu § 122 Abs. 3 BewG steht kraft ausdrücklicher Anordnung in § 122 Abs. 5 BewG n.F. einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gleich.

2. Die Änderungen des § 122 Abs. 3 BewG n.F., wonach die Ermächtigung zum Erlass einer die besonderen Verhältnisse am Grundstücksmarkt für den Grundbesitz in Berlin (West) berücksichtigenden Verordnung nur bis zum 30. Dezember 1993 gilt (§ 122 Abs. 3 Satz 2 BewG n.F.), der Wegfall der Ermäßigung nach § 1 der Verordnung zu § 122 Abs. 3 BewG n.F. sowie die Regelung in § 122 Abs. 5 BewG n.F., wonach der Wegfall der Ermäßigung nach § 122 Abs. 3 BewG a.F. einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gleichsteht und § 27 BewG insoweit nicht anzuwenden ist, sind verfassungsrechtlich zulässig; sie verletzen insbesondere nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Insoweit wird auf die ausführlichen Gründe des Urteils des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 16. Dezember 1998 II R 50/97 (BFHE 187, 116, BStBl II 1999, 79) Bezug genommen.

3. Das FA durfte den Einheitswert auch hinsichtlich des Wegfalls des Merkmals "öffentlich gefördert" fortschreiben.

a) Das Ende der Eigenschaft "öffentlich gefördert" stellt für öffentlich geförderte Wohnungen eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne dieser Vorschrift dar. Da bei der Bewertung eines Grundstücks im Ertragswertverfahren der Grundstückswert durch Anwendung eines Vervielfältigers auf die Jahresrohmiete (unter Berücksichtigung der §§ 81 und 82 BewG) ermittelt wird (§ 78 Satz 2 BewG), gehören zu den wertbestimmenden tatsächlichen Verhältnissen auch die die zulässige Miete beeinflussenden rechtlichen Eigenschaften (vgl. BFH-Urteile vom 18. Dezember 1985 II R 229/83, BFHE 146, 95, BStBl II 1986, 445, und vom 15. Oktober 1986 II R 230/81, BFHE 148, 174, BStBl II 1987, 201).

b) Der Umstand, dass der Wegfall des Merkmals "öffentlich gefördert" für sich wegen Nichterreichens der Wertgrenzen des § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG für eine Fortschreibung des Einheitswerts nicht ausgereicht hätte, steht der Einbeziehung dieses für die Wertermittlung maßgeblichen tatsächlichen Umstandes bei der Wertfortschreibung wegen einer weiteren Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht entgegen.

Die langen ―beim Grundbesitz überlangen― Hauptfeststellungszeiträume lassen sich im Hinblick auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nur verantworten, wenn während ihres Laufs wenigstens die wichtigsten Änderungen berücksichtigt werden, denen die einzelnen wirtschaftlichen Einheiten unterworfen sind. Die Fortschreibung nach § 22 BewG ist deshalb als Korrektiv angesichts der Dauerwirkung von Feststellungsbescheiden zu verstehen. Einzige Voraussetzung der Wertfortschreibung ist eine Abweichung des Werts der einzelnen wirtschaftlichen Einheit im maßgeblichen Fortschreibungszeitpunkt (§ 22 Abs. 4 BewG) gegenüber dem Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts, die die in § 22 Abs. 1 BewG festgelegten Wertgrenzen überschreitet. Die Korrektivfunktion kann nur dann ausreichend erfüllt werden, wenn bei der Ermittlung des Einheitswerts auf den Fortschreibungszeitpunkt alle, d.h. auch alle nach dem letzten Feststellungszeitpunkt neu hinzugetretenen Umstände berücksichtigt werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die einzelnen "neuen" Umstände für sich die Fortschreibungsgrenzen erreichen; vielmehr reicht es aus, wenn sie in ihrer Gesamtheit zu einer Änderung des Einheitswerts führen, die mindestens die Wertgrenzen des § 22 Abs. 1 BewG erreicht. Kann nach Eintritt wertverändernder Umstände wegen Nichterreichens der Fortschreibungsgrenzen eine Fortschreibung zu dem nach § 22 Abs. 4 BewG maßgeblichen Fortschreibungszeitpunkt (zunächst) nicht vorgenommen werden, führt das ―wie offensichtlich der Kläger meint― nicht etwa dazu, dass solche Umstände während des laufenden Hauptfeststellungszeitraums überhaupt unberücksichtigt zu bleiben haben. Vielmehr sind diese vom FA beim (späteren) Hinzutreten weiterer Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen; das FA ist verpflichtet, beim Erreichen der Fortschreibungsgrenzen auch wegen dieser zunächst unberücksichtigt gebliebenen Veränderungen eine Fortschreibung vorzunehmen.

c) Der Fortschreibung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1994 wegen des Wegfalls des Merkmals "öffentlich gefördert" steht auch der Umstand nicht entgegen, dass das FA nach Prüfung der auf den 1. Januar 1994 erstellten Feststellungserklärung dem Kläger durch Schreiben vom 2. Juli 1993 mitgeteilt hat, es verbleibe bei dem bisherigen Einheitswert, da die Voraussetzungen für eine Wertfortschreibung des Einheitswerts zum 1. Januar 1994 nach § 22 BewG nicht vorlägen. Denn dieses Schreiben konnte vom Kläger ―auch angesichts des vorangegangenen Schriftwechsels― nur dahin verstanden werden, dass (allein) wegen des Wegfalls des Merkmals "öffentlich gefördert" eine Fortschreibung des Einheitswerts nicht erfolgen könne. Dieses Schreiben verhält sich indes nicht zu der Frage, ob gegebenenfalls beim Hinzutritt weiterer, im Juli 1993 noch nicht bekannter Wertveränderungen des Grundstücks eine Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1994 in Betracht kommen könnte. Der Kläger konnte deshalb das Schreiben des FA vom 2. Juli 1993 weder dahin verstehen, dass auf den 1. Januar 1994 eine Wertfortschreibung auch wegen anderer Wertveränderungen überhaupt unterbleiben werde, noch den Schluss daraus ziehen, der Wegfall des Merkmals "öffentlich gefördert" werde bei einer aus anderen Gründen erforderlichen Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1994 jedenfalls zu diesem Feststellungszeitpunkt in jedem Fall unberücksichtigt bleiben.

d) Inwiefern in der Wertfortschreibung ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liegen könnte, wie der Kläger meint, ist nicht erkennbar. Vielmehr erfordert umgekehrt die Gleichmäßigkeit der Steuererhebung die zeitnahe Anpassung der Einheitswerte an die tatsächliche Wertentwicklung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 762265

BFH/NV 2002, 1015

HFR 2002, 776

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