Leitsatz (amtlich)

Private Altersheime erlangen die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 15 UStG 1951 nur unter der Voraussetzung, daß sie in besonderem Maße minderbemittelten Personen dienen. Die Verweisung in § 42a UStDB 1951 auf § 8 Abs. 3 GemV hat nicht die Bedeutung, in diese Voraussetzung auch die bedürftigen Personen einzubeziehen.

 

Normenkette

UStG 1951 § 4 Nr. 15b; UStDB 1951 § 42a Abs. 3; GemV § 8 Abs. 3, 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt ein privates Altersheim. Sie beantragte in ihren Steuerjahreserklärungen 1965 und 1966 für die der Betreuung der Heiminsassen dienenden Umsätze Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 15b UStG 1951 in Verbindung mit § 42a UStDB 1951. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) kam diesem Antrag nicht nach. Er vertritt die Auffassung, die Leistungen der Klägerin seien nicht mindestens zu zwei Dritteln minderbemittelten Personen zugute gekommen. Der Einspruch gegen die Steuerbescheide für 1965 und 1966 blieb ohne Erfolg.

Das FG hat der Klage stattgegeben und dazu im wesentlichen ausgeführt: Ein Altersheim, dessen Inhaber die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 15b UStG 1951 beanspruche, müsse in besonderem Maße der minderbemittelten Bevölkerung dienen. Dies sei nach § 42a Abs. 3 UStDB 1951 der Fall, wenn das Altersheim die in § 8 Abs. 3 GemV bezeichneten Voraussetzungen erfülle. Diese Vorschrift nehme auf § 8 Abs. 1 GemV Bezug. Die dort enthaltene Regelung betreffe Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, die in besonderem Maße bedürftigen und minderbemittelten Personen dienten. § 8 Abs. 3 Satz 1 GemV stelle klar, daß diesen Personen mindestens zwei Drittel der Leistungen des Altersheims zugute kommen müßten. Wegen der Verweisung in § 8 Abs. 3 GemV auf Abs. 1 dieser Vorschrift sei es nicht angängig, das Merkmal der Bedürftigkeit außer acht zu lassen. Die Umsätze eines Altersheims seien mithin steuerfrei, wenn mindestens zwei Drittel seiner Leistungen bedürftigen oder minderbemittelten Personen zugute kämen. In den Streitjahren habe die Klägerin ihre Leistungen zu mehr als zwei Drittel gegenüber Personen erbracht, die infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustandes dauernd auf fremde Hilfe angewiesen (§ 3 Nr. 1 GemV) und daher bedürftig gewesen seien.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es trägt insbesondere vor: In § 4 Nr. 15b UStG 1951 und § 42a Abs. 3 UStDB 1951 sei nur von minderbemittelten, nicht dagegen von bedürftigen Personen die Rede. Bei dieser klaren Gesetzeslage sei kein Raum für eine vom Umsatzsteuerrecht abweichende Ausdehnung des Personenkreises auf dem Weg über § 8 Abs. 3 Satz 1 und § 8 Abs. 1 GemV. Die Verweisung in § 42a Abs. 3 UStDB 1951 auf § 8 Abs. 3 GemV diene lediglich der näheren Bestimmung der durch die umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften selbst vorgegebenen Begriffe. Wenn vom Gesetzgeber auch eine Begünstigung der Altersheime vorgesehen gewesen wäre, die in besonderem Maße der bedürftigen Bevölkerung im Sinne des § 3 Nr. 1 GemV dienten, so hätte dies im Umsatzsteuergesetz selbst, sei es durch ausdrückliche Ausweitung oder durch eine nicht durch die Benennung der minderbemittelten Bevölkerung eingegrenzte Bezugnahme auf den Personenkreis des § 8 Abs. 1 GemV Ausdruck finden müssen.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält die Rechtsansicht des FG für zutreffend. In ihrer ausführlichen Revisionserwiderung weist sie darauf hin, daß es bei der Schaffung der Steuerfreiheit für Altersheime durch das Elfte Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 16. August 1961 (BGBl I 1961, 1330, BStBl I 1961, 609) die Absicht des Gesetzgebers gewesen sei, Altersheime mit Krankenanstalten gleichzustellen. Dabei sei übersehen worden, in § 4 Nr. 15b UStG 1951 den Kreis der Leistungsempfänger auf bedürftige Personen auszudehnen. Diese Unterlassung habe der Verordnungsgeber in § 42a Abs. 3 UStDB 1951 durch die uneingeschränkte Verweisung auf § 8 Abs. 3 GemV ausgeglichen. Dadurch sei auch den Grundsätzen des Gemeinnützigkeitsrechts entsprochen worden.

Wenn sich der Senat der Rechtsansicht des FG nicht anschließen wollte, müßte die Revision deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden, weil ihre - der Klägerin - Umsätze zu mehr als zwei Drittel der minderbemittelten Bevölkerung gedient hätten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Entscheidung.

Durch § 4 Nr. 15b UStG 1951 sind die Umsätze aus der Tätigkeit von Altersheimen, die in besonderem Maße der minderbemittelten Bevölkerung dienen, von der Umsatzsteuer freigestellt. Zur Erläuterung dieser gesetzlichen Regelung ist in § 42a Abs. 3 UStDB 1951 bestimmt, daß ein Altersheim dann in besonderem Maße der minderbemittelten Bevölkerung dient, wenn es die in § 8 Abs. 3 GemV bezeichneten Voraussetzungen erfüllt. § 8 Abs. 3 GemV verweist zwar seinerseits auf Absatz 1 dieser Vorschrift. Danach sind die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs einer Körperschaft im Sinne des § 7 GemV insbesondere bei Einrichtungen der Wohlfahrtspflege gegeben, die in besonderem Maße der bedürftigen oder minderbemittelten Bevölkerung dienen. Diese Verweisung kann jedoch entgegen der Ansicht des FG nicht zu der Annahme führen, die Umsatzsteuerfreiheit des § 4 Nr. 15b UStG 1951 gelte auch für Altersheime, die in besonderem Maße der bedürftigen Bevölkerung dienten (ebenso für § 4 Nr. 16 des UStG - Mehrwertsteuer -, UStG 1967, Eckhardt/Weiß, § 4 Nr. 16 Tz. 28).

Die Verweisung in § 42a Abs. 3 UStDB 1951 (Verweisungsnorm) auf § 8 Abs. 3 GemV (Verweisungsobjekt) dient der Vervollständigung der Verweisungsnorm. Dabei kommt dem Verweisungsobjekt die Funktion zu, den in der Verweisungsnorm verwendeten Begriff des in besonderem Maße der minderbemittelten Bevölkerung dienenden Altersheims zu erläutern. Zu diesem Zweck wurde in § 42a Abs. 3 UStDB 1951, was das FG und die Klägerin nicht in ausreichendem Maße beachtet haben, § 8 Abs. 3 GemV nicht in vollem Umfang in Bezug genommen. Zur Ergänzung der Verweisungsnorm sind nach deren Wortlaut lediglich die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 GemV heranzuziehen. Das bedeutet zunächst, daß diejenigen Umstände, die dort eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege als in besonderem Maße den in Absatz 1 genannten Personen (Bedürftige oder Minderbemittelte) dienend erscheinen lassen, auch für die Bestimmung des in besonderem Maße der minderbemittelten Bevölkerung dienenden Altersheims maßgebend sein sollen. Das Verweisungsobjekt ist hinsichtlich seines Satzes 1 daher nur insoweit zur Vervollständigung in die Verweisungsnorm zu übernehmen, als es diese Umstände nennt. Deshalb dient ein Altersheim nach § 42a Abs. 3 UStDB 1951 dann der minderbemittelten Bevölkerung, wenn dieser mindestens zwei Drittel seiner Leistungen zugute kommen. Da die übrigen Teile des Satzes 1 des § 8 Abs. 3 GemV von der Verweisung nicht erfaßt und daher auch nicht zur Ergänzung des § 42a Abs. 3 UStDB 1951 bestimmt sind, ist die von der Klägerin in der Revisionserwiderung aufgeworfene Frage, ob die Benennung von bedürftigen und minderbemittelten Personen in § 8 Abs. 1 GemV durch die Ermächtigung des § 19a StAnpG gedeckt sei, in diesem Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich.

Die Verweisung in § 42a Abs. 3 UStDB 1951 auf die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 GemV führt weiter dazu, daß als minderbemittelt im Sinne des § 42a Abs. 3 UStDB 1951 und damit auch des § 4 Nr. 15b UStG 1951 nur solche Personen gelten, deren Einkünfte sich im Rahmen der durch § 8 Abs. 3 Satz 2 GemV gezogenen Grenzen halten.

Diese Auslegung des § 42a Abs. 3 UStDB 1951 entspricht dem Wortsinn dieser Vorschrift. Für die Auslegung einer Rechtsverordnung ist ebenso wie für die Auslegung eines formellen Gesetzes der objektivierte Wille der rechtsetzenden Institution, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, maßgebend. Der von dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber verfolgte Zweck ist für die Auslegung nur insoweit von Bedeutung, als er im Wortlaut des Gesetzes oder der Rechtsverordnung zum Ausdruck gekommen ist (vgl. Urteil des BFH vom 21. Oktober 1969 II 210/65, BFHE 97, 147, BStBl II 1969, 736, mit Nachweisung aus der Rechtsprechung des BVerfG). Im übrigen beruht die Auffassung der Klägerin auf einem Irrtum, es lasse sich aus dem Schriftlichen Bericht des Finanzausschusses über den von der Bundesregierung beim Bundestag eingebrachten Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Bundestagsdrucksache III/2906) ein Anhaltspunkt für eine andere Gesetzesauslegung ableiten. Zwar kommt dort im Abschn. IV Abs. 7 (c) zum Ausdruck, daß die von der Bundesregierung vorgeschlagene Ausdehnung des § 4 Nr. 15 UStG 1951 auf die Altersheime der Gleichstellung dieser Einrichtungen mit den bisher schon umsatzsteuerrechtlich begünstigten Krankenanstalten diene. Im Gegensatz zur Meinung der Klägerin schloß aber die Verwirklichung dieser Absicht die Ausdehnung des steuerlichen Privilegs auf private Altersheime, die nicht im besonderen Maße der minderbemittelten, sondern der "bedürftigen" Bevölkerung dienen, gerade aus. Denn private Krankenanstalten, deren Umsätze im besonderen Maße einem solchen Patientenkreis zugute kommen, waren und sind nicht begünstigt. Diese Krankenanstalten konnten und können nämlich, selbst wenn sie, wie die Klägerin ausführt, "ihrer Natur nach" das Merkmal des Dienstes an Hilfsbedürftigen "hundertprozentig" erfüllten, nur dann in den Genuß der Steuerbegünstigung kommen, wenn ihre Patienten zugleich überwiegend minderbemittelt sind. Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß Krankenanstalten in der Regel keine im Sinne des § 18 Abs. 2 StAnpG "bedürftigen" Personen, die nicht minderbemittelt sind, aufnehmen, da ihre Patienten im allgemeinen nur wegen vorübergehender Erkrankung auf die Hilfe anderer angewiesen sind (vgl. § 3 Nr. 1 GemV).

Die vom FG vertretene Auslegung des § 42a Abs. 3 UStDB 1951 ist auch deshalb unzutreffend, weil ihr verfassungsrechtliche Grundsätze entgegenstehen. Aufgrund der Ermächtigung des § 18 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1951 in der Fassung des Elften Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes kann die Bundesregierung durch Rechtsverordnung lediglich über den Umfang der Befreiungen und Steuerermäßigungen Bestimmungen treffen. Sie ist, wie das BVerfG bereits im Beschluß vom 11. Februar 1958 2 BvL 21/56 (BVerfGE 7, 267) ausgeführt hat, durch diese Ermächtigung nur befugt, die Befreiungs- und Ermäßigungsvorschriften, die sich bereits im Umsatzsteuergesetz finden, zu konkretisieren. Sie kann dagegen ebensowenig, wie sie weitere Befreiungen und Ermäßigungen einführen darf, die im Gesetz genannten Befreiungen erweitern. § 4 Nr. 15b UStG 1951 stellt Umsätze nur solcher Altersheime von der Umsatzsteuer frei, die in besonderem Maße der minderbemittelten Bevölkerung dienen. Wenn die Bundesregierung, wie das FG und die Klägerin annehmen, durch die Verweisung in § 42a Abs. 3 UStDB 1951 - eingefügt durch die Zwölfte Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 8. September 1961 (BGBl I 1961, 1660, BStB I 1961, 624) - auf § 8 Abs. 3 GemV den Kreis der minderbemittelten Bevölkerung um bedürftige Personen im Sinne des § 3 GemV hätte erweitern wollen, würde die Rechtsverordnung insoweit die durch die Ermächtigung gezogenen Schranken überschreiten und deshalb rechtsunwirksam sein. Die Auslegung des FG würde also, wenn sie nach dem Wortlaut des § 42a Abs. 3 UStDB 1951 neben der zutreffenden Auslegung möglich wäre, zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führen. Nach den Grundsätzen des BVerfG über die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen (vgl. Beschluß vom 28. April 1965 1 BvR 346/61, BVerfGE 19, 1) müßte sie der zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führenden Auslegung des Senats weichen.

Da die Vorentscheidung von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war sie aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst nicht entscheiden. Er ist als Revisionsinstanz rechtlich gehindert (§ 118 FGO), Feststellungen darüber zu treffen, ob das Altersheim der Klägerin in den Jahren 1965 und 1966 mindestens zu zwei Drittel mit minderbemittelten Personen belegt war. Die Sache wird daher an das FG zurückverwiesen. Dieses hat die notwendigen Feststellungen zu treffen und nach der Rechtsansicht des Senats zu entscheiden (§ 126 Abs. 5 FGO).

Wenn sich ergeben sollte, daß die Voraussetzungen der Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 15b UStG 1951 nicht vorliegen, muß das FG unter Berücksichtigung des § 4 Nr. 10 UStG 1951 (Befreiung der Grundstücksvermietung) prüfen, ob die an die Heiminsassen erbrachten Umsätze nach den Grundsätzen über gemischte Verträge (vgl. BFH-Urteile vom 7. April 1960 V 143/58 U, BFHE 71, 41, BStBl III 1960, 261, und vom 20. Juni 1962 V 303/69, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Umsatzsteuergesetz 1951, § 4 Nr. 10, Rechtsspruch 28) in steuerfreie und steuerpflichtige Leistungen aufzuteilen sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71143

BStBl II 1975, 29

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