Leitsatz (amtlich)

Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die für das laufende Haushaltsjahr anzuwendenden Gewerbesteuer-Hebesätze erst im Laufe dieses Haushaltsjahres festgesetzt werden.

 

Normenkette

GewStG §§ 7, 8 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1, § 16; EStG § 15 Nr. 2; GG Art. 28 Abs. 2, Art. 105 Abs. 2 Nr. 3; Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg Art. 48 Abs. 2, Art. 52, 66 Abs. 2, Art. 67 Abs. 1 Nr. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin, eine KG (Steuerpflichtige) betreibt eine Drogerie. Das FA (Beklagter und Revisionsbeklagter) hat die einheitlichen Gewerbesteuer-Meßbeträge 1962 und 1963 und die Gewerbesteuer für die betreffenden Jahre festgesetzt. Dabei hat es bei der Ermittlung des Gewerbeertrags dem Gewinn aus Gewerbebetrieb Dauerschuldzinsen und bei der Ermittlung des Gewerbekapitals zu dem Einheitswert des Betriebsvermögens Dauerschulden hinzugerechnet. Für beide Jahre ist es von einem Hebesatz von 250 v. H. ausgegangen.

Mit der Sprungberufung beanstandet die Steuerpflichtige die Hinzurechnung der Dauerschulden und der Dauerschuldzinsen als verfassungswidrig. Im übrigen sei die Festsetzung der Gewerbesteuer schlechthin unzulässig gewesen, weil es in Hamburg an einer rechtzeitigen Festsetzung der vom FA für 1962 und 1963 angewendeten Hebesätze gefehlt habe. § 16 GewStG sei keine genügend konkretisierte Ermächtigung.

Die vom FG als Sprungklage behandelte Sprungberufung hatte keinen Erfolg: Die §§ 8 Nr. 1, 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG seien nicht verfassungswidrig. Auch der Hebesatz von 250 v. H. sei nicht zu beanstanden. Die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) sei, obwohl sie ein Land der Bundesrepublik Deutschland (BRD) sei, hebeberechtigt gewesen. Die Hebesatzgesetze seien zulässigerweise jeweils vom 1. Januar des betreffenden Rechnungsjahres an - also mit Rückwirkung - in Kraft getreten. Die Höhe der Hebesätze von 250 v. H. sei nicht zu beanstanden. Die Hebesatzgesetze seien auch wirksam beschlossen, ausgefertigt und verkündet worden. Das rückwirkende Inkrafttreten der Hebesatzgesetze sei zulässig gewesen. Hebesatzfestsetzungen wirkten auf das ganze Rechnungsjahr und grundsätzlich nur für diesen Zeitraum. Bis zur Festsetzung der Hebesätze bestehe ein rechtlicher Schwebezustand, der erst durch die Hebesatzfestsetzung beendet werde. Die Hebesatzfestsetzungen hätten deshalb regelungsbedürftige Gegenstände betroffen. Die Gewerbesteuerpflichtigen hätten damit rechnen müssen, daß auch für die Erhebungszeiträume 1962 und 1963 wiederum neue Hebesätze festgesetzt werden würden.

Mit der Revision rügt die Steuerpflichtige die Verletzung materiellen Rechts. Sie trägt dazu vor: Gesetze, die dem Bürger eine öffentlich-rechtliche Leistungspflicht rückwirkend auferlegten oder eine solche rückwirkend erhöhten, seien nach der Rechtsprechung des BVerfG unzulässig. Die Hebesätze hätten deshalb nicht rückwirkend für das laufende Kalenderjahr festgesetzt werden dürfen. Sie seien zwar für jedes Jahr neu festzusetzen. Das müsse jedoch vor Beginn des Rechnungsjahres erfolgen. Nach der Verfassung der FHH vom 6. Juni 1952 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1952 S. 117 - Hamburgisches GVBl 1952, 117 -) sei ein Schwebezustand - von Beginn des Rechnungsjahres bis zur Festsetzung der Hebesätze dieses Rechnungsjahres - nicht möglich. Die Hinzurechnung der Dauerschuldzinsen gem. § 8 Nr. 1 GewStG und der Dauerschulden gem. § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG sei verfassungswidrig. Das GewStG sei auch deshalb rechtsungültig, weil der Begriff "Unternehmer" in § 15 Nr. 2 EStG, der über § 7 GewStG auch für die Gewerbesteuer Bedeutung habe, zu unbestimmt sei. Wenn die in Art. 105 GG enthaltene Aufzählung der Bundeskompetenzen auf finanzrechtlichem Gebiet erschöpfend sei, seien in allen anderen Fällen nach Art. 70 GG die Länder allein zuständig. Die in § 6 des Einführungsgesetzes zu den Realsteuergesetzen vom 1. Dezember 1936 (RGBl I 1936, 961) geforderte Rechtsverordnung sei für die FHH nicht feststellbar. Bei der Festsetzung der Gewerbesteuer werde auch gegen das Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verstoßen. Das FG beachte nicht genügend, daß früher jeder Bürger noch eine "Bürgersteuer" habe entrichten müssen. Neben den Gewerbetreibenden hätten also die Bürger die sonstigen Bedürfnisse der Gemeinden selbst mitfinanziert. Die Bürgersteuer sei ersatzlos fortgefallen. Es sei nicht einzusehen, weshalb danach Gewerbetreibende sowohl z. B. den Schulneubau als auch den Bau von Parkplätzen für Privatpersonen mitfinanzieren sollten.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

1. Die vom FA angeregte Verbindung des vorliegenden Verfahrens mit dem beim I. Senat anhängigen Verfahren I R 189/67 ist nicht zulässig. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH ist für die Entscheidung über die Gewerbesteuer jeweils der Senat zuständig, der auch für die Einkommensteuer des betreffenden Steuerplichtigen zuständig ist bzw. wäre. Danach ist aber für den Streitfall der VI. Senat und für den beim I. Senat anhängigen Fall dieser Senat zuständig. Eine Verbindung der beiden Verfahren ist im Geschäftsverteilungsplan des BFH nicht vorgesehen; sie ist insbesondere auch deswegen ausgeschlossen, weil es sich in beiden Fällen um verschiedene Steuerpflichtige - hier um eine KG, beim I. Senat um einen der Gesellschafter der KG - handelt.

2. Die Gewerbesteuer ist nicht ganz allgemein verfassungswidrig. Es ist zwar zutreffend, daß nach dem derzeitigen Steuersystem die Gemeinden nicht unmittelbar eine auf dem Einkommen aller Bürger beruhende Steuer erheben, obwohl alle Bürger am gemeindlichen Leben beteiligt sind. Das BVerfG hat gleichwohl in ständiger Rechtsprechung die Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer als solcher bejaht (vgl. die Beschlüsse 1 BvR 33/64 vom 21. Dezember 1966, BVerfGE 21, 54 [63]; 1 BvR 25/65 vom 13. Mai 1969, BStBl II 1969, 424). Der Senat nimmt insoweit insbesondere auf die Begründung des letztgenannten Beschlusses unter B 1. Bezug.

3. Soweit die Steuerpflichtige vorträgt, das GewStG sei allgemein deshalb rechtsungültig, weil es auf § 15 Nr. 2 EStG verweise, folgt ihr der Senat ebenfalls nicht. Die Steuerpflichtige leitet die Rechtsungültigkeit aus der angeblichen Unbestimmtheit des Begriffs "Unternehmer" in § 15 Nr. 2 EStG ab. Es ist zutreffend, daß das EStG den Begriff "Unternehmer" nicht definiert. "Unternehmer" ist ein wirtschaftlicher Begriff (vgl. das Urteil des BFH I 25/61 U vom 28. Februar 1961, BFH 72, 689, BStBl III 1961, 252), dessen Inhalt im Wege der Auslegung zu erfassen ist. Die Steuergesetze - wie im übrigen fast alle anderen Gesetze auch - enthalten an vielen Stellen Begriffe, deren Inhalt der Auslegung bedarf. Deshalb sind die entsprechenden Gesetze noch keinesfalls "unbestimmt" und verfassungswidrig. Der wirtschaftliche Begriff "Unternehmer" ist bestimmbar. Der BFH legt ihn dahin aus, daß Unternehmer derjenige ist, der einen Betrieb auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko führt (vgl. das Urteil I 25/61 U, a. a. O.). Daraus folgt, daß § 7 GewStG speziell, aber auch das GewStG allgemein nicht etwa durch die Verbindung von § 7 GewStG mit § 15 Nr. 2 EStG verfassungswidrig ist. Abgesehen davon hat das BVerfG gerade neuerdings im Beschluß 1 BvR 457/66 vom 15. Juli 1969, dessen amtliche Veröffentlichung in Kürze zu erwarten ist, die Verfassungsmäßigkeit des § 15 Nr. 2 EStG bestätigt, wenn es sich auch nicht ausdrücklich mit dem Begriff "Unternehmer" auseinandergesetzt hat.

4. Die Hinzurechnungsvorschriften in §§ 8 Nr. 1, 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG sind nicht verfassungswidrig. Das BVerfG hat in dem angeführten Beschluß 1 BvR 25/65 die Verfassungsmäßigkeit der genannten Hinzurechnungsvorschriften mit ausführlicher Begründung, auf die Bezug genommen wird, bejaht.

5. Das rückwirkende Inkrafttreten der Hebesatzgesetze 1962 und 1963 ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Das Gesetz über die Festsetzung der Hebesätze für die GewSt für das Rechnungsjahr 1962 ist am 13. April 1962 beschlossen und ausgefertigt worden (Hamburgisches GVBl 1962, 106). Nach seinem § 1 werden die Hebesätze auf 250 v. H. festgesetzt. Nach § 2 tritt das Gesetz am 1. Januar 1962 in Kraft. Das entsprechende Gesetz für das Rechnungsjahr 1963 ist am 16. April 1963 beschlossen und ausgefertigt worden (Hamburgisches GVBl 1963, 41). Nach § 1 ist der Hebesatz 250 v. H. Nach § 2 tritt das Gesetz am 1. Januar 1963 in Kraft.

a) Die FHH hat die Hebesatzkompetenz. Das Urteil des BFH IV 166/63 S vom 13. Dezember 1963 (BFH 78, 116, BStBl III 1964, 47) folgert aus der Herausnahme der Festsetzung der Hebesätze aus der Kompetenz des Bundes in Art. 105 Abs. 2 Nr. 3 GG, daß das GG insoweit die Gesetzgebungskompetenz unmittelbar auf die zur autonomen Gesetzgebung befähigten Gemeinden übertragen habe. Nach dem Urteil des BFH I 162/59 S vom 11. Juli 1961 (BFH 73, 387, BStBl III 1961, 407) ist dagegen dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für die Festsetzung der Hebesätze durch Art. 105 Abs. 2 Nr. 3 GG entzogen. Die Verfassungsvorschrift lasse jedoch dem Bund im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Bestimmung, wer die Hebesätze festzusetzen habe. Diese Festsetzung sei durch § 16 GewStG rechtswirksam den Gemeinden übertragen worden. Auf die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BFH IV 166/63 S (a. a. O.) hat das BVerfG im Beschluß 1 BvR 33/64 (a. a. O.) ausgeführt, Art. 105 Abs. 2 Nr. 3 GG könne dahin ausgelegt werden, daß der Bundesgesetzgeber befugt sei, ausnahmsweise die Gemeinden unmittelbar zur Festsetzung der Hebesätze zu ermächtigen (§ 16 GewStG). Damit hat das BVerfG wohl die oben wiedergegebene Ansicht des I. Senats des BFH bestätigt. Es braucht hier aber nicht abschließend Stellung genommen zu werden, ob die Auffassung des IV. oder des I. Senats zutreffend ist, zumal beide Senate zu dem gleichen Ergebnis kommen, daß jedenfalls die Gemeinden rechtswirksam ermächtigt sind, die Gewerbesteuer-Hebesätze festzusetzen. § 6 des Einführungsgesetzes zu den Realsteuergesetzen besagt nichts gegen die den Gemeinden zuerkannten Kompetenzen; er setzt sie vielmehr sogar voraus, wie der BFH in dem Urteil IV 166/63 S (a. a. O.) ausgesprochen hat.

Aus § 6 des Einführungsgesetzes zu den Realsteuergesetzen läßt sich entgegen der Auffassung der Stpfl. auch sonst nichts für ihre Ansicht herleiten. Wenn nach dieser Vorschrift die Landesregierung durch Rechtsverordnungen Bestimmungen darüber erläßt, in welchem Verhältnis die Hebesätze für die Grundsteuer und die Gewerbesteuer zueinander stehen und inwieweit die Hebesätze für diese Steuern der Genehmigung der Gemeindeaufsichtsbehörde bedürfen, so soll das nur einer gewissen Kontrolle des Landes über die in seinem Bereich liegenden Gemeinden dienen. Da aber nach Art. 4 Abs. 1 der Verfassung der FHH staatliche und gemeindliche Aufgaben in der FHH nicht getrennt werden, bedurfte es in der FHH keiner entsprechenden Kontrollmöglichkeit; sie ist sogar wegen der Einheit von staatlicher und gemeindlicher Tätigkeit in der FHH ausgeschlossen.

b) Die Festsetzung der Hebesätze soll in der Haushaltssatzung erfolgen (vgl. Gönnenwein, Gemeinderecht, S. 152, 462). Durch die Festsetzung der Hebesätze in der Haushaltssatzung können die Gemeinden materielles Recht setzen. Es bestehen keine Bedenken dagegen, daß es den Gemeinden - unmittelbar nach Art. 105 Abs. 2 Nr. 3, 28 Abs. 2 GG oder nach § 16 GewStG - überlassen bleibt, in welcher Höhe sie die Hebesätze in der Haushaltssatzung festsetzen. Diese Befugnis ist eine Folgewirkung des den Gemeinden übertragenen Rechts, die Gewerbesteuer zur Deckung ihrer finanzwirtschaftlichen Bedürfnisse zu erheben. Es liegt im Wesen der in Art. 28 Abs. 2 GG gewährten gemeindlichen Selbstverwaltung, daß den Gemeinden unter Berücksichtigung ihres Finanzbedarfs ein Spielraum für die Bemessung der Hebesätze gewährt wird. Wesentlich ist dabei, daß die Bemessung der Hebesätze der Kommunalaufsicht unterliegt und im Fall der FHH durch das Parlament (Bürgerschaft) erfolgt (vgl. das Urteil des BFH I 162/59 S, a. a. O.). Auch das Urteil des BFH IV 266/63 S (a. a. O.) und der Beschluß des BVerfG 1 BvR 33/64 (a. a. O.) heben hervor, daß gegen die Festsetzung der Gewerbesteuer in den Haushaltssatzungen der Gemeinden keine Einwendungen nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG erhoben werden können.

c) In der FHH werden, wie ausgeführt, nach Art. 4 Abs. 1 der Verfassung staatliche und gemeindliche Aufgaben nicht getrennt. Demnach ist die FHH, obwohl sie nach Art. 1 ihrer Verfassung ein Land der BRD ist, gleichzeitig hebeberechtigte Gemeinde. Sie konnte deshalb die Hebesatzgesetze rechtswirksam erlassen, wenn sie dabei ihre Verfassung beachtete. Das ist hier der Fall. Nach Art. 48 Abs. 2 der Verfassung werden Gesetze von der Bürgerschaft beschlossen. Nach Art. 52 der Verfassung hat der Senat die endgültig beschlossenen Gesetze innerhalb von 14 Tagen auszufertigen und im Hamburgischen GVBl zu verkünden. Diesen Erfordernissen genügen die Hebesatzgesetze 1962 und 1963. Sie verstoßen auch nicht gegen Art. 66 Abs. 2 der Hamburgischen Verfassung. Nach dieser Vorschrift wird der Haushaltsplan vom Senat für je ein Rechnungsjahr der Bürgerschaft vorgelegt und durch Beschluß der Bürgerschaft festgestellt. Entgegen der Auffassung der Steuerpflichtigen ist auch Art. 67 Abs. 1 der Hamburgischen Verfassung im Streitfall nicht verletzt. Nach Art. 67 Abs. 1 Nr. 2 der Verfassung kann die Bürgerschaft, wenn zum Schluß eines Rechnungsjahres der Haushaltsplan für das folgende Jahr nicht festgestellt worden ist, den Senat ermächtigen, bis zum Inkrafttreten des Haushaltsplans die feststehenden Einnahmen und die Einnahmen aus den für ein Rechnungsjahr festzusetzenden Steuern und anderen Abgaben fortzuerheben. Daraus folgt aber nur, daß - solange die entsprechende Ermächtigung nicht ausgesprochen ist - ein rechtlicher Schwebezustand besteht. Wird die Lücke rechtzeitig geschlossen, so können die Steuerpflichtigen die Zahlung der Gewerbesteuer nicht mit Rücksicht auf den früher vorhanden gewesenen rechtlichen Schwebezustand verweigern.

d) Im Streitfall ist die Lücke rechtzeitig geschlossen worden. Die Festsetzung des Gewerbesteuer-Hebesatzes erst im Laufe des Rechnungsjahres verletzt nicht das Vertrauen, das der Staatsbürger dem geltenden Recht entgegenbringen darf. Sie betrifft einen regelungsbedürftigen Gegenstand, der noch nicht geregelt war. Deshalb verstößt eine solche Regelung nicht gegen das Gebot der Rechtssicherheit. Wird der Hebesatz erst im Laufe des Rechnungsjahres festgesetzt, so können sich die Steuerpflichtigen folglich nicht auf die vorher vorhanden gewesene Lücke berufen. Es kann auch nicht Vertrauen auf geltendes Recht verletzt werden (vgl. das Urteil des BVerfG 2 BvR 2/60 vom 19. Dezember 1961, BVerfGE 13, 279 [282 f.]). Das gilt ganz besonders dann, wenn - wie hier - der Hebesatz dem Hebesatz früherer Jahre voll entspricht.

Die Steuerpflichtige mußte davon ausgehen, daß die Gewerbesteuer wie in den vergangenen Jahren so auch in den Jahren 1962 und 1963 erhoben werde. Dazu bedurfte es der Bestimmung der neuen Hebesätze. Da dies vor Beginn der jeweiligen Rechnungsjahre nicht geschehen war, mußte die Steuerpflichtige mit einer späteren Regelung im Laufe des Rechnungsjahres rechnen (vgl. das Urteil des BVerfG 2 BvR 2/60, a. a. O.; Müthling, Kommentar zum Gewerbesteuergesetz, 2. Aufl., § 16 Anm. 1). Soweit die Steuerpflichtige demgegenüber auf Thiem (Schleswig-Holsteinische Anzeigen 1966 S. 241, 268) verweist, kann sie keinen Erfolg haben. Thiem geht nur davon aus, daß die rückwirkende Festsetzung der Hebesätze für das abgelaufene oder vorletzte Haushaltsjahr, nicht aber - wie hier - für das laufende Haushaltsjahr unzulässig sei. Er erkennt unter Hinweis auf das Urteil des BVerfG 2 BvL 6/59 vom 7. November 1961 (BVerfGE 13, 262 [272]) an, daß eine rückbezügliche steuerrechtliche Regelung zulässig sei, wenn der Bürger mit dieser Regelung habe rechnen müssen. Das ist aber gerade dann der Fall, wenn - wie hier - ein früherer Rechtszustand nicht geändert, sondern erwartungsgemäß durch das neue Hebesatzgesetz ergänzt wird. Der Senat geht also entgegen der Ansicht der Steuerpflichtigen nicht davon aus, daß die rückwirkende Festsetzung der Hebesätze kraft Gewohnheitsrechts zulässig sei. Er hält sie vielmehr für statthaft, weil sie, wie es die Steuerpflichtigen erwarten mußten, eine regelungsbedürftige Lücke im Laufe des Rechnungsjahres ausfüllt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68807

BStBl II 1970, 20

BFHE 1970, 78

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