Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, wann sog. Basisgesellschaften im niedrig besteuerten Ausland den Tatbestand des Rechtsmißbrauchs nicht erfüllen.

 

Normenkette

StAnpG § 6; DBA CHE 1931/1959

 

Tatbestand

Streitig ist, ob Ausschüttungen einer inländischen GmbH an ihre Mutter-GmbH mit Sitz in der Schweiz, die von einem unbeschränkt Steuerpflichtigen durch Treuhänder gegründet wurde, diesem unmittelbar im Rahmen seiner Einkünfte aus Kapitalvermögen zuzurechnen sind.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der seinen Wohnsitz im Inland hatte, war zusammen mit Angehörigen an der inländischen E-KG beteiligt, die eine Stoffdruckerei und bis Ende 1964 einen Großhandel mit Dekorationsstoffen betrieb.

1964 gründeten die Schweizer Staatsangehörigen Dr. A und Dr. B als Treuhänder des Klägers die H-GmbH mit Sitz in der Schweiz. Nach den Statuten waren Gesellschaftszweck der Erwerb und die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Unternehmen sowie Grundstücksgeschäfte, wobei sich die Geschäftstätigkeit auf das In- und Ausland erstrecken sollte. Geschäftsführer der Gesellschaft waren die Treuhänder des Klägers.

Das Stammkapital der H-GmbH wurde bis Ende 1965 auf 840 000 sfr und bis Ende 1966 auf 1 274 000 sfr aufgestockt. Das Geld für die Stammeinlage stammte zu 15 v. H. vom Kläger und zu 85 v. H. von den übrigen Gesellschaftern der E-KG, die ihr Geld dem Kläger darlehensweise, teils verzinslich, teils unverzinslich, zur Verfügung stellten. Die Darlehen wurden 1969 bei einer vorweggenommenen Erbauseinandersetzung abgewickelt.

Ebenfalls 1964 gründete die H-GmbH durch ihre beiden Gesellschafter zusammen mit dem Kläger als Treuhänder der H-GmbH die A-GmbH mit Sitz im Inland. Das Stammkapital der A-GmbH betrug zunächst 50 000 DM, wovon 49 000 DM auf die H-GmbH und 1 000 DM auf den Kläger entfielen. 1965 wurde es auf 300 000 DM aufgestockt. Geschäftszweck der A-GmbH waren Herstellung und Handel von und mit Heim- und Haushaltstextilien sowie Verwaltung von und Beteiligung an Unternehmen dieses Geschäftszweigs. Tatsächlich durchgeführt wurde bis 1966 ein Großhandel in Dekorationsstoffen, wie er 1964 von der E-KG aufgegeben worden war. Alleiniger Geschäftsführer der A-GmbH war der Kläger.

1966 erwarb die H-GmbH, die zuvor - 1965 - als stille Gesellschafterin mit einer Einlage von 500 000 DM an der A-GmbH beteiligt worden war, eine Kommanditbeteiligung von 150 000 sfr an der M-KG mit Sitz in der Schweiz. 1967 wurden ferner von der H-GmbH unter Einschaltung von Treuhändern Geschäftsanteile an der S-GmbH und an der S-GmbH & Co. KG, beide mit Sitz im Inland, erworben. 1969 gründete die H-GmbH im Inland die P-GmbH mit einem Stammkapital von 200 000 DM, die dann den bis dahin von der E-KG betriebenen Großhandel mit Tischdecken käuflich erwarb.

Im Streitjahr 1966 schüttete die A-GmbH an die H-GmbH einen Betrag von 54 400 DM aus und zahlte dieser als Gewinn aus der stillen Beteiligung einen Betrag von 15 291 DM.

Nach einer Betriebsprüfung kam der Beklagte und Revisionskläger (FA) zu der Auffassung, die Gründung der H-GmbH und deren Gewinnbeteiligung an der A-GmbH stellten einen Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i. S. von § 6 StAnpG dar, weil lediglich Inlandsvermögen und Inlandseinkünfte allein aus Steuerersparnisgründen in das Ausland verlagert worden seien. Die Ausschüttung und die Gewinnzahlung der A-GmbH an die H-GmbH seien deshalb dem Kläger unmittelbar bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen zuzurechnen.

Nach erfolglosem Einspruch gab das FG der Klage statt und führte dazu im wesentlichen aus:

An der Rechts- und Steuerfähigkeit der H-GmbH bestünden keine Zweifel; nichts spreche für eine Scheingründung.

Aus § 11 StAnpG lasse sich eine Zurechnung der von der A-GmbH vorgenommenen Ausschüttungen an den Kläger nicht herleiten. Das Treuhandverhältnis zwischen dem Kläger und den Dres. A und B habe sich allein auf die Gesellschaftsanteile an der H-GmbH bezogen. Für einen Sachverhalt wie in dem Urteil des BFH vom 21. Mai 1971 III R 125 - 127/70 (BFHE 102, 555, BStBl II 1971, 721) lägen keine Anhaltspunkte vor.

Die vom FA vorgenommene Zurechnung könne auch nicht aus § 15 StAnpG i. V. m. Art. 3 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern vom 15. Juli 1931 i. d. F. des Zusatzprotokolls vom 20. März 1959 - DBA-Schweiz a. F. - (BGBl II 1959, 1253, BStBl I 1959, 1006) hergeleitet werden. Nach Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des FG fest, daß die geschäftliche Oberleitung der H-GmbH von dem Geschäftsführer Dr. B in der Schweiz ausgeübt worden sei.

Schließlich sei im Streitfall auch der Mißbrauchstatbestand des § 6 StAnpG nicht erfüllt. Ein Mißbrauch i. S. dieser Vorschrift scheide aus, wenn der Steuerpflichtige wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für seine Rechtsgestaltung vorbringen könne. Dies sei hier der Fall. Die H-GmbH habe nach ihren Statuten eine eigene wirtschaftliche Funktion gehabt, die sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme mit der wirklichen Betätigung gedeckt habe. Mit der Verwirklichung von Beteiligungen im In- und Ausland sei die Tätigkeit der Gesellschaft über das bloße Halten von Vermögen hinausgegangen.

Mit der Revision des FA wird unrichtige Anwendung von § 11 Abs. 3 und § 6 StAnpG gerügt; dazu wird vorgebracht:

§ 11 Abs. 3 StAnpG sei entgegen der Auffassung des FG anwendbar. Wenn auch formell nur ein Treuhandvertrag bezüglich der Gesellschaftsanteile der H-GmbH abgeschlossen worden sei, schließe das die Annahme eines außerdem bestehenden Treuhandverhältnisses der juristischen Person über Wirtschaftsgüter für die hinter ihr stehenden Gesellschafter nicht aus. Bei dem hier vorliegenden Sachverhalt habe - wirtschaftlich gesehen - die H-GmbH nur eine treuhänderische Stellung und keine eigenen Interessen gehabt. Zumindest die Beteiligung an der A-GmbH habe ausschließlich den persönlichen Interessen des Klägers gedient. Unzutreffend sei auch die Würdigung der vom Kläger für die Errichtung der H-GmbH vorgebrachten Gründe; diese Gründe seien entweder nicht ausreichend oder nicht überzeugend.

In einem nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz wird geltend gemacht, an der Richtigkeit der Aussage des Zeugen Dr. A, auf die das FG seine Entscheidung gestützt habe, bestünden Zweifel. Ebenfalls nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist wird Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Die Verfahrensrügen des FA sind unzulässig.

Nach § 120 Abs. 2 FGO müssen Verfahrensmängel nicht nur in der gesetzlichen Form, d. h. unter Angabe der Tatsachen, die den Mangel ergeben, sondern auch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist gerügt werden. Dies ist hier nicht geschehen. Innerhalb der mehrmals verlängerten Revisionsbegründungsfrist, die am 20. Januar 1973 ablief, hat das FA keine Verfahrensrügen erhoben. Die erstmals im Schriftsatz vom 20. Oktober 1975 geltend gemachten Mängel einer Verletzung des Rechts auf Gehör und einer fehlerhaften Beweiswürdigung sind verspätet und damit unbeachtlich. Der Senat ist somit an den vom FG festgestellten Sachverhalt gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).

2. Die Vorentscheidung ist nicht zu beanstanden, wenn sie die Möglichkeit einer Zurechnung der Ausschüttungen der A-GmbH an den Kläger verneint hat.

a) [Die hier nicht wiedergegebenen Rechtsausführungen der Entscheidung entsprechen der Begründung des auch insoweit veröffentlichten Urteils vom 29. Juli 1976 VIII R 142/73 unter 1. a) und b) aa) (BFHE 120, 116, BStBl II 1977, 263).]

bb) Mit diesen Grundsätzen steht es im Einklang, wenn das FG zu dem Ergebnis gelangt ist, daß im Streitfall der Tatbestand des Rechtsmißbrauchs nicht erfüllt ist. Das FG hat festgestellt, daß die H-GmbH aus den wirtschaftlich anerkennenswerten Gründen, Beteiligungen im In- und Ausland zu erwerben und dabei günstige Finanzierungsmöglichkeiten im Ausland zu nutzen, gegründet wurde. Das FG hat außerdem festgestellt, daß durch Handeln der Organe der Gesellschaft, insbesondere ihres Geschäftsführers, Beteiligungen - während des Streitjahres eine im Ausland, später mehrere im Inland - erworben wurden und damit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wurde. Zu diesen Feststellungen konnte das FG aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme, bei der u. a. auch der ausländische Geschäftsführer der Gesellschaft vernommen wurde, im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung kommen. Bei dieser Sachlage kann dann die H-GmbH nicht als funktionsloser Rechtsträger angesehen werden. Dies ist vor allem deshalb nicht möglich, weil die H-GmbH innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach ihrer Gründung eine mit der Größenordnung von 150 000 sfr ins Gewicht fallende Beteiligung an einem Unternehmen im Basisland erwarb, bei dem sie sich i. V. m. einer Bürgschaftsübernahme einen weitgehenden Einfluß auf die Geschäftsführung der M-KG sicherte. Im Rahmen dieser Beurteilung ist auch von Bedeutung, daß die H-GmbH sich in dem auf das Streitjahr folgenden Jahr an inländischen Unternehmen beteiligte, wobei diese Beteiligungen bereits bei der Übernahme einen Wert von rd. 250 000 sfr - später rd. 1 150 000 sfr - hatten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72224

BStBl II 1977, 268

BFHE 1977, 126

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