Entscheidungsstichwort (Thema)

Streitgegenstand bei der Anordnung einer Außenprüfung; Grundsatz ,,ne ultra petita"

 

Leitsatz (NV)

1. Zur prozessualen Situation (Auslegung des Klageantrags, Prozeßförderungspflicht des Gerichts) bei Anfechtung einer Prüfungsanordnung nach Beendigung der Außenprüfung.

2. Die Fragen, ob die anläßlich einer Außenprüfung bei einem Dritten erlangten Kenntnisse gegen den Kläger verwertet werden dürfen und ob eine später gegen den Kläger ergangene Außenprüfung rechtswidrig ist, sind zwei verschiedenen Streitgegenständen zuzuordnen.

3. Spricht das FG mehr oder anderes zu als beantragt, liegt in dieser Verletzung des Grundsatzes ,,ne ultra petita" (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, der vom Revisionsgericht auch ohne Rüge zu beachten ist.

 

Normenkette

FGO § 65 Abs. 1, § 76 Abs. 2, § 96 Abs. 1 S. 2, §§ 98, 100 Abs. 1 S. 4, § 123

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erzielt Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Kraftfahrzeug-Lackiererei und Reparaturwerkstatt).

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ordnete am 7. September 1981 bei dem Ehemann der Klägerin H B eine Außenprüfung betreffend die Veranlagungszeiträume 1978 bis 1980 ein. Er ging davon aus, daß H B einen Handel mit Kraftfahrzeugen betrieben habe.

Durch Verfügung vom 23. März 1982 ordnete das FA bei der Klägerin eine Außenprüfung an. Am 30. März 1982 erklärte die Klägerin der Prüferin, es seien keine Prüfungsunterlagen mehr vorhanden.

Im Bericht vom 24. November 1982 über die bei der Klägerin durchgeführte Betriebsprüfung ist vermerkt (Tz. 6):

,,. . . Die Prüfungsanordnung vom 7. 9. 1981 lautet auf H B. Mit der Betriebsprüfung wurde am 12. 10. 1981 begonnen. Als zu prüfende Unterlagen wurden die vorhandenen Aufzeichnungen und Belege von Frau B vorgelegt. Diese wurden geprüft.

Anläßlich der ersten Besprechung der Prüfungsfeststellungen wurde die Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung angezweifelt. Daraufhin wurde am 23. 3. 1982 eine Prüfungsanordnung auf Frau B ausgestellt mit Prüfungsbeginn 30. 3. 1982. Mit gleichem Datum wurde das Strafverfahren eingeleitet, da der Verdacht besteht, daß nicht sämtliche Betriebseinnahmen erklärt wurden.

Die Betriebsprüfungsfeststellungen konnten nicht vervollständigt werden, da am 30. 3. 1982 die zu prüfenden Unterlagen abhanden gekommen waren. Die Stpfl. hatte die Unterlagen, nachdem sie diese von der Firma C abgeholt hatte, vor der Werkstatt abgestellt. Als sie diese Unterlagen in die Betriebsräume bringen wollte, waren diese spurlos verschwunden und sind bisher auch nicht wieder aufgefunden worden.

Die bisher getroffenen Feststellungen werden verwertet."

Die Beschwerde gegen die Prüfungsanordnung vom 23. März 1982 blieb ohne Erfolg.

Mit der hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin vor dem Finanzgericht (FG) beantragt,

,,1. die Betriebsprüfungsanordnung vom 23. März 1982 ersatzlos aufzuheben,

2. festzustellen, daß die Erkenntnisse aus der Betriebsprüfung, die am 12. Oktober 1981 begonnen hatte, einem Verwertungsverbot unterliegen."

Das FG hat den Antrag zu 1. als unzulässig abgewiesen. Für diesen Anfechtungsantrag fehle nach Abschluß der Außenprüfung das Rechtsschutzinteresse. Der Antrag zu 2. sei ,,als Begehren zu werten, die Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung i. S. einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO festzustellen". Mit diesem Begehren sei die Klage begründet; die Prüfungsanordnung vom 23. März 1982 sei rechtswidrig gewesen. Sie sei ,,in Wirklichkeit keine Anordnung einer durchzuführenden Betriebsprüfung, sondern die Genehmigung einer bereits durchgeführten Betriebsprüfung". Auch sei sie keine rechtmäßige Anordnung einer Wiederholungsprüfung. Aufgrund dieser Anordnung seien keine Prüfungsfeststellungen getroffen worden. Die Anordnung könne auch nicht Grundlage einer künftigen Wiederholungsprüfung sein. Es sei dem FA unbenommen, aus dem Fehlen der Unterlagen entsprechende Folgerungen zu ziehen, etwa die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. So sei das FA aber nicht verfahren, vielmehr habe es die vor Ergehen der Prüfungsanordnung gewonnenen Erkenntnisse verwertet.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung der §§ 197 Abs. 1, 194 Abs. 3, 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977), Verstöße gegen die amtliche Ermittlungspflicht ,,gem. § 76 FGO (mangelnde Sachverhaltsaufklärung, Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten)" und Verstoß gegen die Denkgesetze.

Es beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise festzustellen, daß die Ergebnisse aus dem Betriebsprüfungsbericht vom 24. November 1982 (Ü-Buch Nr. 007/005/Kst 82) einem Verwertungsverbot unterliegen.

Sie trägt im wesentlichen vor: Vom 12. Oktober 1981 an seien ihre eigenen Unterlagen geprüft worden. Diese Prüfung sei ,,objektiv am 23. März 1982 abgeschlossen" gewesen. Durch die Prüfungsanordnung vom 23. März 1982 habe lediglich die abgeschlossene Außenprüfung genehmigt werden sollen. Dies sei rechtlich unzulässig und führe zu einem Verwertungsverbot.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

1. Das FG hat aufgrund rechtsfehlerhafter Auslegung des Klagebegehrens eine Feststellung getroffen, die nicht beantragt war. Es hat damit § 96 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verletzt. Hierin liegt ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, der vom Revisionsgericht auch ohne Rüge zu beachten ist (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 24. Mai 1985 V ZR 47/84, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht - WM - 1985, 1269; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1987, § 118 Rdnr. 50, m. w. N.). Daher war das angefochtene Urteil aufzuheben.

2. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß der auf ersatzlose Aufhebung der Prüfungsanordnung vom 23. März 1982 gerichtete Antrag zu 1. nach Abschluß der Prüfung unzulässig war. Die Klägerin war in dieser Lage auf die Erhebung einer Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) verwiesen, für die sie deswegen ein Rechtsschutzinteresse hatte, weil sie bei einem Klageerfolg die Auswertung der Prüfungsfeststellungen verhindern konnte (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. November 1985 IV R 6/85, BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435; vom 18. September 1986 IV R 45/86, BFH/NV 1988, 42, jeweils m. w. N.). Das FG hat nicht in Betracht gezogen, ob der als Anfechtungsantrag formulierte Antrag zu 1. unter Berücksichtigung dessen, daß das Gericht an die Fassung des Antrags nicht gebunden ist (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), dahin auszulegen war, daß das Begehren der Klägerin auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung - und damit letztlich auf Feststellung eines Verwertungsverbots - gerichtet war (so in einem vergleichbaren Fall BFH-Urteil vom 6. März 1986 I R 299/82, BFH/NV 1987, 626). Eine Auslegung in diesem Sinne hat das FG implizit verneint. Es hat außerdem gegen die aus § 76 Abs. 2 FGO herzuleitende Pflicht verstoßen, auf den Übergang zu einer sachdienlichen Fortsetzungsfeststellungsklage hinzuwirken (vgl. BFH-Beschluß vom 4. Februar 1988 V R 57/83, BFHE 152, 217, BStBl II 1988, 413, unter 2. c). Ein entsprechender Antrag hätte zum Ziel haben können, die Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung vom 23. März 1982 festzustellen mit der Konsequenz, daß die aufgrund dieser Prüfung erlangten Kenntnisse einem Verwertungsverbot unterliegen. Einen solchen Antrag hat die Klägerin jedoch nicht gestellt. Mit ihrem Feststellungsantrag zu 2. wollte sie vielmehr die Verwertung von Erkenntnissen verhindern, die das FA im Rahmen der gegen ihren Ehemann angeordneten Außenprüfung erlangt hat. Diesen Antrag hat das FG rechtsfehlerhaft umgedeutet und infolgedessen inhaltlich nicht beschieden. Die im Tenor des angefochtenen Urteils getroffene Feststellung hat die Klägerin nicht beantragt.

3. Das Gericht darf nur in dem durch das Klagebegehren festgelegten Rahmen des Streitgegenstandes entscheiden (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Tz. 3, § 96 FGO Tz. 21). Die vom FG getroffene Feststellung war mangels eines hierauf gerichteten Antrags nicht Streitgegenstand. Die Fragen, ob einerseits das FA die zwischen dem 12. Oktober 1981 und dem 30. März 1982 aufgrund von Prüfungsmaßnahmen erlangten Kenntnisse verwerten darf, und ob andererseits die Betriebsprüfungsanordnung vom 23. März 1982 rechtswidrig war, sind unter Würdigung unterschiedlicher Lebenssachverhalte nach unterschiedlichen Rechtsnormen jeweils gesondert zu prüfen.

a) Der vor dem FG gestellte Antrag zu 2. enthält im wesentlichen die Rechtsbehauptung, das FA habe anläßlich einer Prüfung bei H B ohne Prüfungsanordnung und deswegen rechtswidrig Kenntnisse über steuerliche Verhältnisse der Klägerin erlangt. Bei der Entscheidung über einen solchen Feststellungsantrag - seine Zulässigkeit unterstellt (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 27. Juli 1983 I R 210/79, BFHE 139, 221, 223, BStBl II 1984, 285; vom 14. August 1985 I R 188/82, BFHE 144, 339, 341, BStBl II 1986, 2; vom 25. März 1986 IX R 45/82, BFH/NV 1986, 713 unter 3. b, a. E.) - wäre u. a. von rechtlicher Bedeutung,

- ob bei Fehlen einer Prüfungsanordnung ein allgemeines Verwertungsverbot besteht, wenn die Prüfungsanordnung hätte erlassen werden dürfen (so Tipke/ Kruse, a. a. O., § 196 AO 1977 Tz. 7, § 197 AO 177 Tz. 5 a; offengelassen im BFH-Urteil vom 11. Dezember 1987 VI R 143/84, BFH/NV 1988, 284);

- ob die Verwertung dieser Kenntnisse nach § 194 Abs. 3 AO 1977 zulässig ist (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 23. Februar 1984 IV R 154/82, BFHE 140, 505, 507, BStBl II 1984, 512);

- ob der Auswertung von auf solche Weise getroffenen Feststellungen die §§ 101, 393, 397 AO 1977 entgegenstehen (vgl. §§ 8, 9 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) - BpO (St) -);

- ob ggf. die Klägerin ihre eigenen Geschäftsunterlagen freiwillig zur Prüfung vorgelegt und damit konkludent ihr Einverständnis mit der Ermittlung des Sachverhalts - unabhängig von der Durchführung einer Außenprüfung - erklärt hat (vgl. BFH-Urteil vom 4. Dezember 1986 IV R 312/84, BFH/NV 1987, 214).

Wenn und soweit diesem Feststellungsantrag stattgegeben würde, unterlägen die bis zum Erlaß der Prüfungsanordnung vom 23. März 1982 gewonnenen Erkenntnisse einem Verwertungsverbot. Das FG müßte dann ohne Berücksichtigung dieser Erkenntnisse - insbesondere aufgrund des bereits vor der Prüfung bekannten Kontrollmaterials - die zutreffende Steuer schätzen, wobei es das Verböserungsverbot zu beachten hätte. Über die Rechtmäßigkeit einer ,,Wiederholungsprüfung" wäre damit nichts ausgesagt.

b) Der Streit um die Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung vom 23. März 1982 betrifft einen anderen Lebenssachverhalt. Dieser ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht darauf zu prüfen, ob das FA nach rechtsfehlerhafter Ausübung des Ermessens eine rechtswirksame Prüfung - ggf. eine Wiederholungsprüfung (Urteile in BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435; in BFH/NV 1988, 42) - angeordnet hat. Die Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung ist jedenfalls nicht deswegen in Frage zu stellen, weil die sich anschließende Außenprüfung keine neuen Erkenntnisse gebracht hat (vgl. BFH/NV 1987, 214). Weiterhin ist unerheblich, wenn sich nachträglich herausstellt, daß keine Belege (mehr) vorhanden sind (BFH-Urteil vom 5. November 1981 IV R 179/79, BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208, unter 2. a). War die Prüfungsanordnung vom 23. März 1982 rechtmäßig, können die aufgrund dieser Anordnung erlangten Kenntnisse verwertet werden. War die Prüfungsanordnung rechtswidrig, ist sie aufzuheben; allein hierdurch wird indes die Verwertung der vor dieser Prüfung erlangten Kenntnisse nicht unzulässig.

4. Das FG hat kein Teilurteil erlassen, da es über den - unrichtig ausgelegten - Antrag in vollem Umfang entschieden hat (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 98 FGO Tz. 1). Da die Entscheidungsgründe geltendes Recht verletzen und sich die Entscheidung auch aus anderen Gründen nicht als richtig darstellt, war das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 FGO). Die Sache ist nicht spruchreif. Bei der erneuten Entscheidung und Verhandlung wird das FG die Klageanträge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts auslegen und bescheiden.

5. Der Hilfsantrag der Klägerin ist unzulässig. Aus § 123 FGO folgt, daß eine Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur in den Grenzen der erstinstanzlichen Entscheidung möglich ist (vgl. BFH-Urteil vom 21. April 1983 IV R 217/82, BFHE 138, 292, 296, BStBl II 1983, 532; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 1985 2 C 14.84, BVerwGE 71, 73, 76 f.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415868

BFH/NV 1989, 233

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