Entscheidungsstichwort (Thema)

Abzugsverbot für Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung auf im Inland steuerfreie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit - Progressionsvorbehalt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung auf Grund des Bezugs von im Inland steuerfreien Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit fallen unter das Abzugsverbot des § 10 Abs.2 Nr.2 EStG.

2. Bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes gemäß § 32b Abs.1 Nr.2 und Abs.2 EStG ist das Abzugsverbot gemäß § 10 Abs.2 Nr.2 EStG nicht zu berücksichtigen, soweit die mit den Pflichtbeiträgen in Zusammenhang stehenden steuerfreien Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in die Berechnung der Einkommensteuer einzubeziehen sind.

 

Normenkette

EStG 1986 §§ 3c, 10 Abs. 2 Nr. 2, § 32b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr 1986 ledig. Er hatte seinen einzigen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Er erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von insgesamt 44 658 DM. Davon entfielen 30 302 DM auf die Zeit vom 6.Januar bis zum 10.Oktober 1986, in der der Kläger auf einer Baustelle in den Niederlanden arbeitete. Dieser Teil der Einkünfte war gemäß Art.20 Abs.2 i.V.m. Art.10 Abs.1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete vom 16.Juni 1959 (BGBl II 1960, 1782, BStBl I 1960, 381) i.d.F. des Ratifikationsgesetzes vom 26.August 1980 zum Zusatzprotokoll vom 13.März 1980 zum Doppelbesteuerungsabkommen 1959 --DBA-Niederlande-- (BGBl II 1980, 1150, BStBl I 1980, 646) im Inland steuerfrei. Der Kläger erklärte in seiner Einkommensteuererklärung 1986 eigene Aufwendungen zur gesetzlichen Sozialversicherung in Höhe von 8 262 DM und einen entsprechenden Arbeitgeberanteil in Höhe von 4 287 DM.

Im Einkommensteuerbescheid 1986 vom 4.Januar 1988 erkannte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Vorsorgeaufwendungen des Klägers wegen § 10 Abs.2 Nr.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1986 nur in Höhe von 2 796 DM als abziehbare Sonderausgaben an. Den besonderen Steuersatz berechnete es von einem um 30 302 DM erhöhten zu versteuernden Einkommen. Dadurch ergab sich ein Steuersatz von 24,691358 v.H.

Während des Klageverfahrens erließ das FA am 8.Januar 1991 einen geänderten Bescheid, den der Kläger gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) überleitete.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Klägers gegen den Einkommensteuerbescheid 1986 ab.

Mit seiner vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt der Kläger insbesondere, daß seine tatsächlichen Vorsorgeaufwendungen bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens oder doch zumindest bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes (§ 32b EStG) Berücksichtigung finden müßten.

Er beantragt, das Urteil des FG Münster zu ändern und den von ihm aufgewendeten Beitrag zur gesetzlichen Sozialversicherung in Höhe von 4 007 DM im Rahmen des Höchstbetrages für Ledige mit 3 174 DM steuermindernd zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist teilweise begründet. Sie führt, soweit sie begründet ist, zur Aufhebung der Vorentscheidung und zu einer Sachentscheidung des Senats gemäß § 121 FGO und Art.3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG). Die weitergehende Revision war als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 und Abs.3 Nr.1 FGO).

A.

Das FG hat zu Recht die Vorsorgeaufwendungen des Klägers bei

der Ermittlung der Sonderausgaben gemäß § 10 Abs.2 Nr.2 EStG 1986 teilweise nicht zum Abzug zugelassen.

1. Nach § 10 Abs.2 Nr.2 EStG 1986 ist Voraussetzung für den Abzug der in § 10 Abs.1 Nrn.2 und 3 EStG 1986 bezeichneten Beträge (Vorsorgeaufwendungen) als Sonderausgaben u.a., daß sie in keinem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Dazu hat der VI.Senat des BFH durch Urteile vom 18.Juli 1980 VI R 97/77 (BFHE 131, 339, BStBl II 1981, 16) und vom 27.März 1981 VI R 207/78 (BFHE 133, 64, BStBl II 1981, 530) entschieden, daß § 10 Abs.2 Nr.2 EStG als eine Erweiterung des in § 3c EStG für Betriebsausgaben und Werbungskosten verankerten Abzugsverbotes zu verstehen sei. Deshalb sei ein finaler Zusammenhang zwischen steuerfreien Einnahmen und Vorsorgeaufwendungen nicht erforderlich. Die steuerfreien Einnahmen müßten nicht nach ihrer Zweckbestimmung zur Leistung von Vorsorgeaufwendungen dienen. Es genüge eine klar abgrenzbare Beziehung der Vorsorgeaufwendungen zu steuerfreien Einnahmen.

2. Diese Rechtsprechung des VI.Senats hat im Schrifttum sowohl Zustimmung (vgl. Gerard, in: Lademann/Söffing/Brockhoff, Einkommensteuergesetz, § 10 Rdnr.106 ff.; Heinicke, in: Schmidt, Einkommensteuergesetz, § 10 Anm.26; Podehl, in: Blümich, Einkommensteuergesetz, § 10 Rdnr.242; Gericke, in: Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Einkommensteuergesetz, § 10 Rdnr.59) als auch Ablehnung (vgl. Heuer, in: Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 10 EStG Rdnr.375; Söhn, in: Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 10 Rdnr.M 7 ff.; Reuter, Die Lebensversicherung im Steuerrecht, 6.Aufl., 1984, S.63) erfahren. Die an § 3c EStG anknüpfende Auslegung des § 10 Abs.2 Nr.2 EStG 1986 soll dem Zweck des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben widersprechen.

3. Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsauffassung des VI.Senats an. Die dagegen geltend gemachten Bedenken greifen nicht durch. Eine dem § 10 Abs.2 Nr.2 EStG entsprechende Vorschrift wurde ursprünglich durch das Zweite Krankenversicherungsänderungsgesetz vom 21.Dezember 1970 (BGBl I 1970, 1770, BStBl I 1971, 114) in § 10 Abs.1 letzter Satz EStG eingefügt. Danach waren Versorgungsbeiträge i.S. des § 10 Abs.1 Nr.2 EStG insoweit nicht als Sonderausgaben abziehbar, als sie mit steuerfreien Einnahmen i.S. des § 3 Nr.62 EStG in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang standen. Durch das Einkommensteuerreformgesetz (EStRG) vom 5.August 1974 (BGBl I 1974, 1769, BStBl I 1975, 530) wurde das Abzugsverbot in den § 10 Abs.2 Nr.2 EStG verlagert. Gleichzeitig wurde es auf Bausparaufwendungen einerseits und auf den unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang zu allen steuerfreien Einnahmen andererseits ausgedehnt. Als Vorschrift, die ein Abzugsverbot aufstellt, steht § 10 Abs.2 Nr.2 EStG in einem engen sachlichen Zusammenhang zu § 3c EStG und zu § 13 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1961. Da der Wortlaut der Vorschriften im Kern identisch ist, muß davon ausgegangen werden, daß der Begriff "unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang" in allen Vorschriften der gleiche ist. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteile vom 29.Januar 1986 I R 22/85, BFHE 146, 132, BStBl II 1986, 479; vom 11.Oktober 1989 I R 208/85, BFHE 158, 388, BStBl II 1990, 88; vom 18.Juli 1990 I R 72/86, BFHE 161, 132, BStBl II 1990, 926; vom 18.Juli 1990 I R 109/86, BFH/NV 1991, 220) ist aber ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Einnahmen und Aufwendungen dann anzunehmen, wenn die Einnahmen und die Aufwendungen durch dasselbe Ereignis veranlaßt sind. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn ein Steuerpflichtiger steuerfreie Einnahmen erzielt und dieser Tatbestand gleichzeitig Pflichtbeiträge an einen Sozialversicherungsträger auslöst. In diesem Fall geht die Steuerbefreiung dem Sonderausgabenabzug logisch vor. Die mit der Verausgabung der Pflichtbeiträge verbundene Minderung der Leistungsfähigkeit wird bereits durch den Bezug der steuerfreien Einnahmen aufgefangen. Ob deshalb Pflichtbeiträge anders als freiwillige Beiträge zu behandeln sind, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.

4. Nach den den erkennenden Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs.2 FGO) handelt es sich bei den vom FA unter § 10 Abs.2 Nr.2 EStG 1986 gefaßten Vorsorgeaufwendungen um Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung, die auf Grund der vom Kläger im Ausland ausgeübten nichtselbständigen Arbeit anfielen. Die nichtselbständige Arbeit löste einerseits die steuerfreien Einnahmen und andererseits die Pflichtbeiträge aus. Die Einnahmen und die Aufwendungen sind deshalb durch dasselbe Ereignis veranlaßt. Die Pflichtbeiträge fallen daher unter das Abzugsverbot des § 10 Abs.2 Nr.2 EStG 1986. In diesem Punkt ist die Vorentscheidung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

B.

FA und FG haben jedoch zu Unrecht das Abzugsverbot des § 10

Abs.2 Nr.2 EStG 1986 auch bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes gemäß § 32b Abs.1 Nr.2 und Abs.2 EStG berücksichtigt.

1. Nach § 32b Abs.2 EStG ist der besondere Steuersatz nach Abs.1 derjenige, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer die steuerfreien ausländischen Einkünfte einbezogen werden. Sind aber die ausländischen Einkünfte --wenn auch nur für Zwecke des besonderen Steuersatzes-- in die Ermittlung des zu versteuernden Einkommens einzubeziehen, so verlieren sie insoweit ihren Charakter als steuerfreie Einkünfte (Einnahmen) mit der Folge, daß das Abzugsverbot des § 10 Abs.2 Nr.2 EStG 1986 für Zwecke des besonderen Steuersatzes nicht zu berücksichtigen ist. Bei Anwendung des Progressionsvorbehaltes sind deshalb der Bemessungsgrundlage zur Ermittlung des besonderen Steuersatzes nicht nur die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) steuerfreien Einkünfte hinzuzurechnen. Es sind auch die weiteren von der Höhe bzw. von der Steuerfreiheit der Einkünfte abhängigen Besteuerungsgrundlagen zu verändern. Dies hat der Senat zuletzt durch Urteile vom 30.Mai 1990 I R 179/86 (BFHE 161, 84, BStBl II 1990, 906) und vom 13.November 1991 I R 3/91 (BFHE 166, 233, BStBl II 1992, 345) entschieden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insbesondere auf das Urteil in BFHE 161, 84, BStBl II 1990, 906 Bezug genommen. Der Grundsatz gilt für das Abzugsverbot des § 10 Abs.2 Nr.2 EStG 1986 sinnentsprechend.

2. Das FG ist in der Vorentscheidung diesem Grundsatz nicht gefolgt. Es hat deshalb den besonderen Steuersatz unzutreffend berechnet. Entsprechend kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Sie war aufzuheben. Die Einkommensteuer 1986 ist unter Neuberechnung des besonderen Steuersatzes anderweitig festzusetzen. Insoweit verfährt der Senat gemäß § 121 FGO und Art.3 § 4 VGFGEntlG. Er hebt den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1986 vom 8.Januar 1991 hinsichtlich des Ansatzes des besonderen Steuersatzes auf und verpflichtet das FA denselben nach Maßgabe der Urteilsgründe neu zu berechnen und anschließend die Einkommensteuer 1986 neu festzusetzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64489

BFH/NV 1992, 59

BStBl II 1993, 149

BFHE 168, 157

BFHE 1993, 157

BB 1992, 1550 (L)

DB 1993, 566 (L)

DStR 1992, 1126 (KT)

HFR 1992, 599 (LT)

StE 1992, 439 (K)

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