Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Begriff des westdeutschen Unternehmers im Sinn des BerlinFG

 

Leitsatz (NV)

1. Der Mittelpunkt der Geschäftsleitung einer Offenen Handelsgesellschaft befindet sich regelmäßig an dem Ort, an dem die zur Vertretung der Gesellschaft befugten Personen die ihnen obliegende geschäftsführende Tätigkeit entfalten.

2. Maßgebend dafür, ob eine westdeutsche Betriebsstätte ein Umsatzgeschäft im eigenen Namen abgeschlossen hat, sind die Entscheidungen der vertretungsberechtigten Personen.

 

Normenkette

BerlinFG §§ 2, 5 Abs. 2; StAnpG § 15 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine OHG i. L., wurde im Jahr 1974 gegründet. Sämtliche sieben Gesellschafter hatten ihren Wohnsitz in Berlin (West). Sie waren Angestellte der Berliner Firma A. Als Sitz der Gesellschaft wurde die Geschäftsadresse der Firma A bestimmt. Die Klägerin unterhielt in Berlin (West) weder Produktionsstätten noch Geschäftsräume. Im Jahr 1974 erwarb sie einen Gewerbebetrieb in Z, in dem sie die Produktion und Weiterverarbeitung von . . . waren aufnahm, teilweise in enger Zusammenarbeit mit der Firma A.

Ab 1975 machte die Klägerin in ihren Umsatzsteuererklärungen Kürzungsansprüche gemäß § 2 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) für den Erwerb von Fertig- und Halbfertigprodukten der Firma A geltend, die diese an den Betrieb in Z geliefert hatte und die von Z aus weiterverkauft bzw. im dortigen Betrieb weiterverarbeitet worden waren.

Um beurteilen zu können, ob der Betrieb in Z westdeutscher Unternehmer i. S. des BerlinFG war, befragte das Finanzamt Z im Wege der Amtshilfe die Leiterin des dortigen Betriebes. Das Ergebnis dieser Ermittlungen teilte das Finanzamt Z dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) mit Schreiben vom 18. März 1977 und 26. Mai 1978 mit.

Das FA versagte die Umsatzsteuerkürzungen gemäß § 2 BerlinFG mit der Begründung, die Klägerin sei Berliner Unternehmer und ihre Betriebsstätte in Z sei nicht zum selbständigen Handeln, insbesondere nicht zum Einkauf von Waren, befugt gewesen. Sämtliche Aufträge hätten die Gesellschafter in Berlin erteilt.

Die Einsprüche blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Seiner Ansicht nach war die Klägerin deshalb Berliner Unternehmer i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BerlinFG, weil sich die Geschäftsleitung in Berlin (West) befunden habe. Zur Begründung hat das FG ausgeführt, sämtliche Gesellschafter hätten in Berlin (West) gewohnt und jedenfalls die meisten von ihnen seien bei der Firma A in gehobener Tätigkeit beschäftigt gewesen. Darüber hinaus seien Gründung und Geschäftstätigkeit der Klägerin in enger Kooperation mit der Firma A geschehen, die offenbar auch der wichtigste Geschäftspartner und Hauptlieferant der Klägerin gewesen sei. Nach Ansicht des FG lagen auch nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nr. 2 BerlinFG (Betriebsstätte eines Berliner Unternehmens im Bundesgebiet) vor.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuererstattungsansprüche für 1975 auf . . . DM und für das Jahr 1976 auf . . . DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die von diesem getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um die Schlußfolgerung zu rechtfertigen, die Klägerin sei kein westdeutscher Unternehmer im Sinn des BerlinFG.

1. a) Die Rüge der Klägerin, das FG habe ihr das rechtliche Gehör versagt, ist unbegründet.

Mit dieser Rüge macht die Klägerin geltend, das FG habe seine Entscheidung nicht auch auf das Schreiben des Finanzamts Z vom 26. Mai 1978 stützen können, ohne ihr, der Klägerin, zuvor Kenntnis davon zu geben.

Derjenige, der von seinem Recht, gemäß § 78 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in die beim FG befindlichen FA-Akten Einsicht zu nehmen, nicht Gebrauch macht, kann sich grundsätzlich nicht mit Erfolg darauf berufen, ihm sei das rechtliche Gehör versagt worden (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Februar 1970 VI R 314/67, BFHE 98, 412, BStBl II 1970, 422). Das fragliche Schreiben befindet sich aber in den Umsatzsteuerakten der Klägerin. Zudem war ihr aufgrund der Einspruchsentscheidungen bekannt, daß das FA das Finanzamt Z um Amtshilfe ersucht hatte. Dies hätte die Klägerin umso mehr veranlassen können, Akteneinsicht zu nehmen. Schließlich hatte die Klägerin ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem FG Gelegenheit, in dieser Verhandlung zur Sach- und Rechtslage Stellung zu nehmen.

b) Der Senat kann unerörtert lassen, ob die weiteren Verfahrensrügen begründet sind. Dies ist - wie die Ausführungen unter 2. zeigen - nicht mehr entscheidungserheblich.

2. Die Klägerin hat nur dann einen Kürzungsanspruch gemäß § 2 BerlinFG, wenn sie westdeutscher Unternehmer im Sinn des BerlinFG ist. Darunter ist - bezogen auf den Streitfall - zu verstehen,

1. ein Unternehmer, der seine Geschäftsleitung im Bundesgebiet hat mit seinen hier belegenen Betriebsstätten (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 BerlinFG) und

2. eine im übrigen Geltungsbereich des BerlinFG belegene Betriebsstätte eines Berliner Unternehmers, wenn diese das Umsatzgeschäft mit einem anderen Berliner Unternehmer im eigenen Namen abgeschlossen hat (§ 5 Abs. 2 Nr. 2 BerlinFG).

a) Geschäftsleitung ist der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung (§ 15 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -). Diese befindet sich dort, wo der für die Geschäftsführung maßgebliche Wille gebildet wird. Entscheidend ist, wo nach den tatsächlichen Verhältnissen dauernd die für die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden, nicht aber, wo die abgegebenen Willenserklärungen wirksam werden (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 23. Juni 1938 III 40/38, RStBl 1938, 949; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 10 AO 1977, Rdnr. 2; Kühn / Kutter / Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 10 AO 1977, Anm. 3). Bei der Beurteilung sind Art und Umfang, Struktur und Eigenart des Unternehmens zu berücksichtigen (vgl. Urteil des BFH vom 14. Oktober 1966 II 143/63, BFHE 87, 94, BStBl III 1967, 18). Der Mittelpunkt der Geschäftsleitung einer Personengesellschaft wird sich regelmäßig an dem Ort befinden, an dem die zur Vertretung der Gesellschaft befugten Personen die ihnen obliegende geschäftsführende Tätigkeit entfalten (Kühn / Kutter / Hofmann, a.a.O.). Bei einer Offenen Handelsgesellschaft (OHG) sind zwar grundsätzlich alle Gesellschafter vertretungsberechtigt, der Gesellschaftsvertrag kann jedoch etwas anderes bestimmen (§ 125 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches - HGB -). Ist letzteres der Fall, so sind die Verhältnisse bei den nicht ermächtigten Gesellschaftern nur dann bedeutsam, wenn diese die laufenden Geschäfte maßgebend beeinflussen. Nach diesen Grundsätzen kommt es im Streitfall zunächst entscheidend darauf an, wie die Gesellschafter die Vertretungsbefugnis geregelt haben. Dazu enthält die Vorentscheidung aber keine Feststellungen. Der Senat kann daher nicht prüfen, ob das FG seine Entscheidung zu Recht auf die Verhältnisse sämtlicher Gesellschafter gestützt hat.

b) Der Senat kann ferner anhand der bisher vom FG getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob das FG zutreffend die Ansicht vertreten hat, daß auch die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nr. 2 BerlinFG nicht vorgelegen haben.

Zum Umsatzgeschäft im Sinn dieser Vorschrift gehört der Sachverhalt, der der Lieferung zugrunde liegt. Notwendig ist, daß die Betriebsstätte den Sachverhalt, der zur Lieferung geführt hat, selbst gestaltet hat. Dazu muß die Betriebsstätte die Ware selbst für sich (im eigenen Namen) durch einen dazu bevollmächtigten Leiter bestellt und das der Lieferung zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft mit Wirkung für den Unternehmer mit einem anderen Berliner Unternehmer abgeschlossen haben. Damit die Betriebsstätte zum Handeln im eigenen Namen befähigt worden ist, muß sie mit einiger Selbständigkeit ausgestattet worden sein. An einem solchen Handeln fehlt es, wenn die in Berlin (West) tätige Geschäftsleitung (Zentrale) die Ware für die Betriebsstätte bestellt. Wegen weiterer Einzelheiten verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf das BFH-Urteil vom 12. Februar 1987 V R 89/78, BFHE 149, 1.

Das FG hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nr. 2 BerlinFG mit der Begründung verneint, die Entscheidungen über Art, Umfang und Preis der einzukaufenden Waren hätten allein die Gesellschafter der Klägerin getroffen. Abgesehen davon, daß es auch insoweit grundsätzlich auf die Entscheidungen der vertretungsberechtigten Gesellschafter ankommt, fehlen Feststellungen, die es dem Senat ermöglichen, abschließend zu prüfen, ob die Gesellschafter tatsächlich von Berlin aus die jeweiligen Verpflichtungsgeschäfte abgeschlossen haben.

c) Sind die tatsächlichen Feststellungen des FG unzureichend, liegt ein materieller Rechtsfehler vor, der ohne diesbezügliche Rüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt. Die Vorentscheidung ist daher aus diesen Gründen aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

3. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG zu berücksichtigen haben, daß nach den Eintragungen im Handelsregister fünf der sieben Gesellschafter von der Vertretung ausgeschlossen waren. Die Ausführungen des FG, zwischen der Klägerin und Herrn A sei eine Gesamtvereinbarung getroffen worden, nach der in der Folgezeit die Geschäftsbeziehungen abgewickelt worden seien, geben ferner Anlaß, zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Gesellschafter der Klägerin weisungsgebunden waren. Aufklärungsbedürftig unter dem Gesichtspunkt der Beteiligtenfähigkeit ist schließlich der Umstand, daß ausweislich des Handelsregisters (Eintragung vom 3. März 1978) Gegenstand des Unternehmens der Firma X-GmbH in Z die Weiterführung des Betriebs der Klägerin war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415116

BFH/NV 1988, 63

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