Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitwirkung des Steuerpflichtigen in Erlaßsachen

 

Leitsatz (NV)

1. Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Finanzbehörde einen Billigkeitserlaß aus persönlichen Gründen allein deshalb ablehnt, weil der Steuerschuldner seine Vermögensverhältnisse nicht hinreichend darlegt.

2. Bei der Prüfung eines Steuererlasses aus sachlichen Billigkeitsgründen müssen Erwägungen, welche die Richtigkeit der Steuerfestsetzung betreffen, grundsätzlich außer Betracht bleiben. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich falsch und wenn es außerdem dem Steuerschuldner nicht möglich und nicht zumutbar war, sich rechtzeitig dagegen zu wehren.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 227, 88, 90, 5; AO § 131; FGO § 102

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Der 1943 geborene ledige Kläger und Revisionskläger (Kläger) war von 1965 bis Ende 1971 als Bautechniker im Architekturbüro seiner Mutter beschäftigt. Im Dezember 1971 eröffente er in A die Gastwirtschaft ,,Y", die er bis zum Juli 1974 betrieb.

Für die Jahre 1971 bis 1974 wurde der Kläger, nachdem er trotz wiederholter Aufforderungen des FA keine Steuererklärungen abgegeben hatte, im Wege der Schätzung zur ESt und USt veranlagt. Diese Bescheide wurden, nachdem der Kläger für die Veranlagungszeiträume 1973 und 1974 durch einige Angaben im Einspruchsverfahren gewisse Korrekturen erreicht hatte, bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 29. Oktober 1975 beantragte der Kläger beim FA, den Erlaß seiner Steuerrückstände - im einzelnen:

Einkommensteuer 1971 bis 1974 15 496,00 DM

Ergänzungsabgabe 1971 und 1972 379,00 DM

Umsatzsteuer 1972 bis 1974 18 355,65 DM

Verspätungszuschläge (zur Einkommensteuer,

Umsatzsteuer 1972 und 1973) 507,00 DM

Säumniszuschläge 3 759,00 DM

38 496,65 DM,

und zwar mit der Begründung, die zugrundeliegenden Schätzungen seien zu hoch.

Diesen Antrag lehnte das FA am 25. November 1975 mit der Begründung ab, es fehlten genaue Angaben des Klägers zur Prüfung der Erlaßbedürftigkeit und außerdem sei das Erlaßverfahren nicht geeignet, die Richtigkeit von Steuerschätzungen zu prüfen.

Gegen diese ablehnende Verfügung, die keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, erhob der Kläger Beschwerde, die wiederum vor allem gegen die Höhe der Schätzungen für 1971 und 1972 gerichtet und im übrigen damit begründet wurde, daß er bei einem Gehalt von zur Zeit 840 DM etwa 15 bis 20 Jahre benötige, um seine Steuerschulden von insgesamt (einschließlich von Abgaben, welche die Stadt M von ihm fordere) ca. 50 000 DM zu begleichen.

Verschiedene Versuche des FA, den Sachverhalt im Rahmen einer mündlichen Besprechung weiter aufzuklären, blieben zunächst ohne Erfolg. Im Rahmen des Beitreibungsverfahrens (im Januar 1977) erfuhr das FA von der Mutter des Klägers, daß dieser seit 1. Januar 1976 an fünf bis sechs Tagen der Woche für zwei bis drei Stunden täglich in deren Lokal ,,Z" beschäftigt, dort (zusammen mit ihr) für den Einkauf und die ,,teilweise Überwachung" des Betriebs zuständig, im übrigen in ihrem Architekturbüro tätig sei und dafür zunächst 1 995 DM, dann, seit 1. Juli 1976 wegen mangelnder Liquidität, 405 DM brutto (= 293,38 DM netto) erhalten habe bzw. erhalte.

Da zudem weitere Aufklärungsbemühungen des FA beim Kläger erfolglos geblieben waren, legte dieses die Sache der OFD zur Entscheidung vor. Diese lehnte den Rechtsbehelf am 12. Oktober 1977 mit der Begründung ab, die Einziehung der (durch Beitreibungsmaßnahmen auf 28 875,15 DM + 22 886 DM Säumniszuschläge verminderten) Steuerrückstände sei weder objektiv noch subjektiv unbillig. Die Nachprüfung bestandskräftig abgeschlossener Steuerfestsetzungen sei grundsätzlich nicht Aufgabe des Erlaßverfahrens. Eine Ausnahme hiervon sei nicht gerechtfertigt, weil es der Kläger versäumt habe, die mit ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrungen versehenen Schätzungsbescheide durch Rechtsbehelfe anzugreifen. Auch persönliche Billigkeitsgründe seien nicht erkennbar. Eine Existenzgefährdung liege nicht vor. Bei Annahme einer neuen nichtselbständigen Tätigkeit könne sich der Kläger ohne weiteres selbst unterhalten. Seinen derzeitig schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen, die sich angesichts seiner Ausbildung und seines Alters durch Aufnahme einer höher bezahlten Tätigkeit bessern könnten, könne durch Stundung oder Aussetzung der Beitreibung Rechnung getragen werden.

Die gegen die ablehnende Beschwerdeentscheidung erhobene Klage, die im wesentlichen auf persönliche Billigkeitsgründe gestützt wurde, blieb, von der Verpflichtung des FA zum Erlaß der Säumniszuschläge abgesehen, erfolglos. Die Frage der Erlaßbedürftigkeit ließ das FG in seinem klageabweisenden Urteil mit der Begründung dahingestellt, in jedem Fall seien persönliche Billigkeitsgründe wegen fehlender Erlaßwürdigkeit zu verneinen. Der Kläger habe seine mangelnde Leistungsfähigkeit selbst herbeigeführt. Es sei nicht erkennbar, daß sich der Kläger seit Aufgabe des Lokals ,,Y" um eine seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende Arbeitsstelle bemüht habe.

Mit der Revision rügt der Kläger vor allem Verletzung materiellen Rechts. Das finanzgerichtliche Urteil lasse nicht erkennen, wie das Gericht sich seine Meinung über die Kenntnisse und Fähigkeiten des Klägers und deren bessere Nutzungsmöglichkeiten gebildet habe. Auch sei unberücksichtigt geblieben, daß der Kläger noch andere Schulden habe. Insoweit wird auch mangelnde Sachaufklärung geltend gemacht. Außerdem habe das FG die Erlaßvorschriften verletzt. Der Kläger sei zum Zeitpunkt der Zustellung der Steuerbescheide völlig überschuldet und, in steuerlichen Dingen unerfahren, auf die Hilfe von Beratern angewiesen gewesen, habe aber aufgrund seiner Mittellosigkeit die erforderlichen Honorare nicht aufbringen können. So sei es zu völlig überhöhten Schätzungen gekommen.

Der Kläger beantragt, das klageabweisende FG-Urteil und die Verwaltungsentscheidung aufzuheben und das FA zum Erlaß der vorgenannten Abgaben zu verpflichten.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet . . .

Das angefochtene Urteil hat Bestand, weil es, jedenfalls im Ergebnis, keine Rechtsverletzung i.S. des § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO enthält.

Es kann dahingestellt bleiben, ob das FG die Erlaßwürdigkeit des Klägers verneinen durfte und die tatsächlichen Feststellungen des FG ausreichen, eine solche Wertung zu tragen; denn die Klageabweisung rechtfertigt sich schon allein aus dem rechtlichen Gesichtspunkt, daß der Kläger im Verfahren vor den Finanzbehörden seine Mitwirkungspflichten bei der Sachaufklärung verletzt und damit wesentlich dazu beigetragen hat, daß der bis zum Erlaß der Beschwerdeentscheidung aufgeklärte Sachverhalt den begehrten Erlaß nicht rechtfertigte. Diesen Mangel muß sich der Kläger zurechnen lassen.

Nach der hier maßgeblichen Vorschrift des § 131 AO (vgl. § 415 Abs. 1 AO 1977 und Art. 97 § 1 EGAO 1977, BGBl I 1976, 3341 ff.) konnten Steuern und sonstige Geldleistungen ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig gewesen wäre.

Die Entscheidung über ein Erlaßbegehren ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Das hat zur Folge, daß sich die gerichtliche Prüfung der einen Erlaß ablehnenden Verwaltungsentscheidung darauf zu beschränken hat, ob die Finanzbehörden bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihnen eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht haben. Eigene Ermessensausübung ist den Gerichten grundsätzlich verwehrt.

Ein Erlaß aus persönlichen Billigkeitsgründen scheitert daran, daß nach Aktenlage eine Existenzgefährdung des Klägers nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann.

Nach den vom FG getroffenen, mit Revisionsrügen nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen sind die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers trotz wiederholter Bemühungen bis zuletzt in entscheidenden Punkten unklar, die Widersprüche zwischen den Angaben des Klägers hierzu und denen seiner Mutter unaufgelöst geblieben. Alleinige Ursache hierfür ist eine schwerwiegende Verletzung der dem Kläger im Verwaltungs- und Rechtsbehelfsverfahren obliegenden Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Sachaufklärung (§ 90, § 365 AO 1977, § 204 Abs. 2, § 246 AO), welche die Sachaufklärungspflicht der Finanzbehörden (§ 88 AO 1977, § 204 Abs. 1, § 246 AO) begrenzt.

Dieser Mangel war, da es auf die Ermessensausübung der Finanzbehörden und infolgedessen auf die Sachlage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ankommt (BFH in st. Rspr.; vgl. Urteil vom 31. März 1976 I R 51/74, BFHE 118, 537, BStBl II 1976, 499), im finanzgerichtlichen Verfahren nicht mehr heilbar. Die Folgen dieser Lücke müssen zu Lasten des Klägers gehen, weil die Anwendung einer begünstigenden Norm in Frage steht und Umstände tatsächlicher Art aufzuklären sind, die in seiner Wissens- und Einflußsphäre liegen (BFH-Urteile vom 5. November 1970 V R 71/67, BFHE 101, 156, BStBl II 1971, 220, 224; vom 13. Dezember 1985 III R 183/81, BFHE 146, 320, BStBl II 1986, 441, 442; vom 28. Mai 1986 I R 265/83, BFHE 147, 105, BStBl II 1986, 732, 733 f.; vom 15. Juli 1986 VII R 145/85, BFHE 147, 208, BStBl II 1986, 857 f., sowie vom 19. Juni 1985 I R 109/82, BFH/NV 1986, 249, 250).

Auch aus sachlichen Gründen kommt ein Steuererlaß im Streitfall nicht in Betracht. Dies würde voraussetzen, daß die Einziehung der hier in Frage stehenden Beträge mit Rücksicht auf die den einschlägigen Gesetzesvorschriften zugrunde liegenden Zwecke nicht mehr zu rechtfertigen ist (BFH-Urteil vom 13. Juli 1976 VIII R 236/72, BFHE 119, 443, BStBl II 1977, 125, 126) oder daß sie den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (BFH-Urteil vom 23. Mai 1985 V R 124/79, BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489, 490 f.). Weil aber die Wertvorstellungen des Gesetzgebers bereits bei der Auslegung des gesetzlichen Steuertatbestandes und bei der Frage der Tatbestandsmäßigkeit der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen sind, müssen bei der Billigkeitsprüfung grundsätzlich solche Erwägungen unbeachtet bleiben, die der Besteuerungstatbestand typischerweise mit sich bringt (BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489, 490 f. m.w.N.). Aus dem gleichen Grund können im Billigkeitsverfahren Erwägungen, welche die Richtigkeit einer bestandskräftig durchgeführten Steuerfestsetzung betreffen, ausnahmsweise nur dann beachtet werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich falsch und wenn es außerdem dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich rechtzeitig dagegen zu wehren (BFH-Urteil vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255, BStBl II 1981, 611; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 227 AO 1977 Tz. 22, m.w.N.). Jedenfalls der zuletzt genannte Fall kann hier nach dem unwidersprochen festgestellten Sachverhalt ausgeschlossen werden. Dem Kläger war zuzumuten, seine Rechte notfalls auch ohne sachkundige Beratung wahrzunehmen, zumindest im Einspruchsverfahren die Einzelheiten über seine steuerlichen Verhältnisse in dem Umfang mitzuteilen, die von jedem Steuerpflichtigen schon im Rahmen des Verwaltungsverfahrens, bei der Abgabe der Steuererklärungen, verlangt werden.

Die Revision war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415115

BFH/NV 1988, 73

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