Entscheidungsstichwort (Thema)

Entgeltlichkeit bei Tausch oder tauschähnlichen Umsätzen im Zusammenhang mit der Übertragung von Grundstücken

 

Leitsatz (NV)

1. Die Entgeltlichkeit einer Grundstücksübertragung kann nicht schon mit dem Argument verneint werden, die vom Erwerber übernommenen Verbindlichkeiten seien mit dem Wert des Grundstücks zu verrechnen. Bei Tausch und tauschähnlichen Umsätzen sind die wechselseitigen Umsätze nach Gegenstand von Leistung und Entgelt jeweils für sich zu beurteilen und nicht zu saldieren.

2. Bei Grundstücksübertragungen kommt als Entgelt die Übernahme der auf dem Grundstück lastenden Schulden durch den Erwerber und eine entsprechende Entlastung des Eigentümers von dessen Leistungsverpflichtung in Betracht.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 2; UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nrn. 1, 2 Buchst. b, § 3 Abs. 12, § 10 Abs. 3 S. 2, § 15a

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) beerbte am ... Januar 1980 seinen Vater, der 1979 auf einem Grundstück in X ein Gebäude errichtet und dieses steuerpflichtig vermietet hatte. Die bei der Gebäudeerrichtung angefallenen Vorsteuerbeträge waren vom Vater bei der Umsatzsteuer-Berechnung abgezogen worden. Mit notariell beurkundetem Auseinandersetzungsvertrag vom 21. August 1980 übertrug der Kläger in Erfüllung eines Vermächtnisses das Eigentum an dem Grundstück auf seine Schwester. Diese übernahm die auf dem Grundstück ruhenden Lasten und die zur Ablösung der Verbindlichkeiten abgeschlossenen Bausparverträge. Stichtag für den Übergang von Lasten und Nutzungen aller Art sollte der ... Januar 1980 sein.

Nach einer Außenprüfung forderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) mit Umsatzsteuer-Bescheid vom 20. Juli 1984 gemäß § 15 a Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) anteilige Vorsteuer in Höhe von ... DM zurück. Das FA ging dabei davon aus, daß der Kläger als Gesamtrechtsnachfolger seines Vaters mit der Übertragung des Grundstücks auf die Schwester das Wirtschaftsgut mit Wirkung zum ... Januar 1980 aus dem Unternehmensvermögen entnommen habe. Da die Entnahme unter die Befreiung gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980 falle, sei der Tatbestand des § 15 a Abs. 4 UStG 1980 erfüllt.

Im Einspruchsschreiben verzichtete der Kläger gemäß § 9 Abs. 1 UStG 1980 auf die Steuerfreiheit der Grundstücksübertragung. Während des vom Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren angestrengten Klageverfahrens erließ das FA am 13. November 1987 einen geänderten Bescheid, in dem der Ausgleich gemäß § 15 a UStG 1980 erst auf die Verhältnisse ab 21. August 1980 aus gerichtet ist. Der Kläger hat diesen Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens werden lassen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Übertragung des für Zwecke des Unternehmens des Erblassers erworbenen bebauten Grundstücks auf die Schwester sei Eigenverbrauch des Klägers durch Entnahme. Da die Entnahme des Grundstücks umsatzsteuerfrei sei, liege in ihr eine Änderung der Verhältnisse. Die gemäß § 15 a Abs. 4 UStG 1980 zu berichtigenden Vorsteuerbeträge seien durch den im Klageverfahren ergangenen Umsatzsteuer-Bescheid zutreffend auf ... DM festgesetzt worden.

Der Senat gab der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers mit Beschluß vom 4. April 1990 statt. Der Beschluß wurde dem Bevollmächtigten des Klägers laut Postzustellungsurkunde am 23. April 1990 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 28. Dezember 1990 (eingegangen beim FG am 3. Januar 1991) legte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers -- ein Fachanwalt für Steuerrecht -- Revision ein und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionseinlegungsfrist. Hierzu führte er aus, er habe die Revisionsschrift einschließlich Begründung am 19. Mai 1990 fertiggestellt. Der Schriftsatz sei von seiner Ehefrau am selben Tag in den Briefkasten des Hauptpostamtes eingeworfen worden. Erst am 18. Dezember 1990 sei ihm bekanntgeworden, daß die Revisionsschrift nicht beim FG eingegangen ist. An diesem Tag sei der nunmehrige steuerliche Berater des Klägers vom FA darüber unterrichtet worden, daß sich der Rechtsstreit erledigt habe. Ihm als Prozeßbevollmächtigten sei in der Zeit vom 19. Mai 1990 bis zum 18. Dezember 1990 nie der Gedanke gekommen, daß seine Revisionsschrift verlorengegangen sein könnte. Veranlassung für eine diesbezügliche Fristenkontrolle habe nicht bestanden, zumal Revisionseinlegung und -begründung miteinander verbunden gewesen seien.

Zur Glaubhaftmachung sind die Ablichtung einer mit 19. Mai 1990 datierten Revisionsschrift und eine eidesstattliche Versicherung der Ehefrau des Prozeßbevollmächtigten vorgelegt worden. Außerdem versichert der Prozeßbevollmächtigte "in Kenntnis der Strafbarkeit einer falschen Versicherung an Eides statt, daß der gesamte vorstehende Sachverhalt umfassend und wahrheitsgemäß ist".

Nach einem Hinweis der Senatsgeschäftsstelle auf die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist änderte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers sein Vorbringen dahin, daß ihm selbst die Tatsache des Nichteingangs der Revisionsschrift erst am 21. Dezember 1990 bekanntgeworden sei.

Der bei den Akten befindliche Umschlag des Wiedereinsetzungsantrags trägt den Poststempel "31. 12.".

Im Rahmen der Begründung der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts (§ 15 a Abs. 4, § 1 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1980). Er trägt im wesentlichen vor, das FG- Urteil gehe zu Unrecht davon aus, daß in der Übertragung eines Grundstücks, mit dem umsatzsteuerpflichtige Mieten erzielt werden, selbst dann eine Entnahme zum Eigenverbrauch zu sehen sei, wenn der Erwerber nicht nur die dinglichen Belastungen, sondern auch die persönlichen Verpflichtungen übernehme. Im Urteil vom 2. Oktober 1986 V R 91/78 (BFHE 147, 548, BStBl II 1987, 44) habe der Senat Grundsätze aufgestellt, nach denen im Streitfall Entgeltlichkeit anzunehmen sei.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Umsatzsteuer für 1980 auf ... DM festzusetzen, hilfsweise, die Umsatzsteuerschuld 1980 um ... DM herabzusetzen.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Die Revision ist zulässig.

Gemäß § 120 Abs. 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Dem Kläger ist Wiedereinsetzung hinsichtlich der Frist des § 56 Abs. 2 FGO und der Revisionseinlegungsfrist zu gewähren, da er ohne Verschulden verhindert war, diese Fristen einzuhalten, und weil jeweils die übrigen Voraussetzungen des § 56 FGO vorliegen.

Dabei kann offenbleiben, ob dem Bevollmächtigten des Klägers die Tatsache des Nichteingangs der Revision am 21. oder am 18. Dezember 1990 bekannt wurde. Im ersten Fall ist die Wiedereinsetzungsfrist des § 56 Abs. 2 FGO nicht versäumt worden. Im letzten Fall liegt zwar eine Fristversäumung vor. Aus dem auf dem Umschlag des Schreibens vom 28. Dezember 1990 befindlichen Stempel ergibt sich aber, daß der Antrag auf Wiedereinsetzung rechtzeitig am 31. Dezember 1990 zur Post gegeben wurde. Da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Verzögerungen im Postlauf sich nicht nachteilig für den Rechtsbehelfsführer auswirken dürfen (BVerfG-Beschluß vom 11. Januar 1991 1 BvR 1435/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1991, 672, m. w. N.), war der Kläger ohne Verschulden gehindert, die Wiedereinsetzungsfrist für den Wiedereinsetzungsantrag einzuhalten.

Entsprechendes gilt für die Revisionseinlegung. Der Bevollmächtigte des Klägers hat glaubhaft vorgetragen, die Revisionsschrift samt Begründung am 19. Mai 1990 durch seine Ehefrau fertiggestellt und abgesendet zu haben. Damit hatte er aus seiner Sicht das Erforderliche getan, insbesondere war er nicht gehalten, den Eingang seines Schriftsatzes bei Gericht zu überwachen (BVerfG in HFR 1991, 672). Unmittelbar nach Bekanntwerden des Nichteingangs hat er einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt und die Revisionseinlegung und -begründung nachgeholt.

2. Die Revision ist begründet.

a) Das FG hat zu Unrecht entschieden, die Berichtigung der vom Vater des Klägers geltend gemachten Vorsteuerbeträge beim Kläger sei rechtmäßig. Die Verrechnung der von der Schwester des Klägers übernommenen Verbindlichkeiten mit dem Wert des zugewendeten Grundstücks durch das FG bei der Prüfung der Entgeltlichkeit widerspricht dem Grundsatz, daß beim Tausch und bei tauschähnlichen Umsätzen die wechselseitigen Umsätze nach Gegenstand von Leistung und Entgelt jeweils für sich zu beurteilen und nicht zu saldieren sind (vgl. Senatsurteil vom 28. Februar 1991 V R 12/85 unter II. 1., BFHE 164, 485, BStBl II 1991, 649). Bei Grundstücksübertragungen kommt als Entgelt die Übernahme der auf dem Grundstück lastenden Schulden durch den Erwerber und eine entsprechende Entlastung des Eigentümers von dieser Leistungsverpflichtung in Betracht (Senatsurteil in BFHE 147, 548, BStBl II 1987, 44 unter II. 1. a).

Die Nichtbeachtung der vorgenannten Grundsätze führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

b) Die vorhandenen Feststellungen reichen nicht für eine Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO) oder die Beurteilung durch den Senat aus, ob sich die Entscheidung etwa aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 126 Abs. 4 FGO). Die Sache ist daher an das FG zurückzuverweisen.

Das FG wird festzustellen haben, ob und aus welchem Rechtsgrund dem Kläger oder seiner Schwester die laufenden Umsätze aus dem Grundstück vom Eintritt des Erbfalles an zuzurechnen sind. Erst danach kann geprüft werden, ob § 15 a UStG 1980 Anwendung findet und wem gegenüber der Anspruch geltend zu machen wäre.

 

Fundstellen

BFH/NV 1996, 857

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge