Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensfehler bei unterlassener Zeugenvernehmung durch FG

 

Leitsatz (NV)

Das FG verstößt dann gegen seine Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhaltes, wenn es einen vom Kläger benannten Zeugen nicht vernimmt und die Klage unter Hinweis darauf abweist, der Kläger habe trotz Aufforderung die Anschrift des Zeugen nicht mitgeteilt und dadurch gegen seine Mitwirkungspflicht verstoßen, dem Kläger aber tatsächlich eine Aufforderung zur Mitteilung der Anschrift der Zeugin nicht zugegangen ist.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) wich in den Steuerbescheiden für die Streitjahre bei verschiedenen Positionen von den Steuererklärungen des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) ab. Im Klageverfahren waren einige Positionen umstritten, zu deren Beweis sich der Kläger in der Klageschrift auf das Zeugnis der Frau X unter Angabe von deren Anschrift berufen hatte.

Mit Schreiben vom November 1991 forderte der Senatsvorsitzende den Kläger auf, die ladungsfähige Anschrift von Frau X mitzuteilen, da dies bisher noch nicht geschehen sei; der Senat beabsichtige eine Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung. Der Kläger beantwortete dieses Schreiben nicht. Der Vorsitzende beraumte Termin zur mündlichen Verhandlung für den Juni 1992 an. Der Kläger bat um Verlegung dieses Termins. Mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärte er sich einverstanden, sofern dagegen Rechtsmittel möglich seien. Er teilte mit, daß eine derartige Entscheidung ohne Zeugenvernehmung für ihn jedoch nur schwer vorstellbar sei. Mit Beschluß vom Mai 1992 lehnte das Finanzgericht (FG) die beantragte Terminsverlegung ab. Mit Urteil vom Juni 1992 wies es die Klage als unbegründet ab. Die Klageabweisung war in einigen Positionen u.a. darauf gestützt, daß der Kläger dadurch gegen seine Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhaltes (§ 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) verstoßen habe, daß er trotz Aufforderung die ladungsfähige Anschrift von Frau X nicht mitgeteilt habe. In einem solchen Fall könne dies zur Folge haben, daß das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung aus dem Verhalten des Klägers für ihn nachteilige Schlüsse ziehe (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462).

Mit seiner auf einen Verfahrensmangel (115 Abs. 2 Nr.3 FGO) gestützten Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision führte der Kläger - zutreffend - aus, er habe die ladungsfähige Anschrift der Zeugin bereits in der Klageschrift mitgeteilt; die Verfügung des Senatsvorsitzenden vom November 1991, womit er gebeten worden sei, die ladungsfähige Anschrift mitzuteilen, habe er nicht erhalten.

Das FG hat daraufhin die Revision zugelassen.

Der Kläger rügt mit der Revision unter Wiederholung der in der Beschwerde angeführten Gründe eine Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß § 76 FGO durch das FG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr.2 FGO).

Das finanzgerichtliche Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel. Das FG hat dadurch, daß es die vom Kläger benannte Zeugin nicht vernommen hat, gegen seine Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verstoßen. Seine Annahme, der Kläger habe gegen seine Pflicht zur Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhaltes verstoßen und daraus hätten im Rahmen der Beweiswürdigung für den Kläger nachteilige Schlüsse gezogen werden dürfen, hält einer Überprüfung nicht stand. Ein Verstoß des Klägers gegen seine Mitwirkungspflichten hätte darin, daß er das Schreiben des Vorsitzenden vom November 1991 nicht beantwortet hat, nur dann gesehen werden können, wenn er dieses Schreiben erhalten hätte. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Der Senat folgt vielmehr den Ausführungen des FG in seinem Beschluß über die Zulassung der Revision darin, daß das Vorbringen des Klägers, dieses Schreiben nicht erhalten zu haben, plausibel erscheint. Die Darlegung des Klägers in seinem Antrag auf Terminsverschiebung, eine Entscheidung ohne Zeugenvernehmung sei für ihn nur schwer vorstellbar, wäre in dieser Form kaum verständlich, wenn er das Schreiben vom November 1991 tatsächlich erhalten hätte. Es hätte nahegelegen, spätestens jetzt das FG darauf hinzuweisen, daß er die Anschrift bereits in der Klageschrift mitgeteilt habe. Auch der Umstand, daß die Vernehmung der Zeugin im Interesse des Klägers gelegen und dieser ansonsten während des Verfahrens seine eigenen Interessen stets wahrgenommen hat, spricht dafür, daß er das mit einfachem Brief zur Post gegebene Schreiben nicht erhalten hat.

Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, damit es die Vernehmung der Zeugin im zweiten Rechtsgang nachholen kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419000

BFH/NV 1993, 485

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