Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Regelung der Einkommensbesteuerung dauernd getrennt lebender Ehegatten im EStG 1958 verletzt kein Grundrecht und ist rechtsgültig.

Hat der Gesetzgeber zur Abgeltung bestimmter Lasten im Interesse der Vereinfachung des Steuerrechts und der einheitlichen Rechtsanwendung Pauschbeträge festgesetzt, so bedeutet es keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG, wenn die dadurch eintretende Minderung der Einkommensteuer verschieden hoch ist.

 

Normenkette

EStG § 26 Abs. 1, §§ 26b, 32a/2; LStDV § 7 Abs. 6; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 11, 20 Abs. 3

 

Tatbestand

Der Bf., ein Beamter, lebt von seiner Ehefrau seit 1956 dauernd getrennt. Er zahlt ihr als Unterhalt monatlich 520 DM; ferner unterhält er seinen 23 jährigen Sohn, der an einer Universität studiert. Auf der Lohnsteuerkarte 1959 wurde ihm die Steuerklasse II/1 vermerkt; für den Unterhalt seiner Ehefrau wurde ihm gemäß § 33 a EStG ein Freibetrag von 900 DM eingetragen. Der Bf. beantragte, ihn nach dem Splitting-Verfahren zu besteuern und deshalb die Steuerklasse III einzutragen. Das Finanzamt lehnte das ab. Der Bf. meint, die Vorschriften der §§ 26 ff. EStG 1958 verletzten das Grundgesetz (GG), wenn sie das Splitting nur bei Ehegatten, die nicht dauernd getrennt leben, zuließen; denn wenn Ehegatten sich ohne Scheidung dauernd trennten, aber einander den vollen Unterhalt wie nicht getrennt lebende Ehegatten gewährten, so müsse es zu einer Beschränkung ihrer Freizügigkeit und damit zu einer Verletzung des Art. 11 GG führen, wenn der Gesetzgeber sie steuerlich höher belaste als nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten; er habe mindestens so hohe Lasten wie ein Ehemann, der von seiner Ehefrau nicht dauernd getrennt lebe; seine Einstufung in die Steuerklasse II verstoße darum auch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen (Art. 3 GG); er werde einem Ledigen gleichgestellt, obgleich dieser keine Unterhaltskosten gegenüber der Ehefrau habe. Auch die Vorschrift des § 33 a EStG führe zu einer ungleichmäßigen Besteuerung; denn Arbeitnehmer seiner Steuerklasse, die, wie er, ein Monatseinkommen von über 1.100 DM hätten, würden steuerlich höher, solche aber, die ein Einkommen unter 1.100 DM hätten, geringer belastet als zusammen lebende Eheleute der Steuerklasse III.

Das Finanzgericht wies die Sprungberufung als unbegründet zurück und führte im wesentlichen aus: Wenn der Gesetzgeber dauernd getrennt lebende Ehegatten nicht nach dem Splitting-Verfahren besteuere, so offenbar deshalb, weil solche Ehegatten kein Familienleben führten, das der Gesetzgeber gemäß Art. 6 Abs. 1 GG schützen und fördern müsse. Art. 11 GG werde durch diese Regelung nicht verletzt; denn das Recht auf Freizügigkeit werde nicht dadurch beschränkt, daß der Bf. eine höhere Einkommensteuer zahle, als wenn er von seiner Ehefrau nicht dauernd getrennt leben würde; die dauernde Trennung der Ehegatten beruhe zudem auf ihrem freien Willen. § 26 EStG 1958 verletze auch nicht den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG; denn dieser Grundsatz hindere den Gesetzgeber nicht, ungleiche Tatbestände verschieden zu regeln; der Gesetzgeber habe darum nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten steuerlich günstiger stellen dürfen als dauernd getrennt lebende. Auch die Bedenken des Bf. gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 33 a EStG griffen nicht durch. Der Bf. führe aus, ein Steuerpflichtiger mit einem Monatseinkommen von 1.000 DM zahle 7 DM monatlich an Steuern weniger als ein nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte der Steuerklasse III/1 bei gleichem Einkommen. Ein Steuerpflichtiger aber, der wie er ein Monatseinkommen von rund 1.300 DM habe, müsse - unter Berücksichtigung des Freibetrages gemäß § 33 a EStG von 75 DM - monatlich rund 18 DM mehr an Einkommensteuer zahlen, als ein Steuerpflichtiger der Steuerklasse III/1. Das Finanzgericht führte aus, es sei dem Bf. zuzugeben, daß sich der Freibetrag des § 33 a EStG verschieden auswirken könne; getrennt lebende Ehegatten stünden sich steuerlich manchmal besser, meist aber schlechter als nicht dauernd getrennt lebende. Das liege indessen im System der festen Pauschsätze des § 33 a EStG begründet.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Der Bf. bestreitet nicht, daß die Eintragungen auf seiner Lohnsteuerkarte 1959 dem Gesetz entsprechen. Die Eintragung der Steuerklasse II/1 beruht auf der Rechtsverordnung des § 7 Abs. 6 Ziff. 3 LStDV 1959, die die Bundesregierung auf Grund der ordnungsmäßigen gesetzlichen Ermächtigung in § 39 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG 1958 erlassen konnte. Um das ab 1. Januar 1958 neu eingeführte Tarifsystem des Splitting für nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten auch beim Lohnsteuerabzug anwendbar zu machen, mußte ein besonderer Lohnsteuertarif mit Steuerklassen entwickelt werden, aus dem die Arbeitgeber für alle Fälle die Höhe der Lohnsteuer ohne weiteres ablesen können. In diesem Lohnsteuertarif sind, wie sich aus § 39 Abs. 1 letzter Satz EStG 1958 ergibt, die Tarifbestimmungen der §§ 32 und 32 a EStG 1958 eingearbeitet. Arbeitnehmer, deren Einkünfte nur dem Steuerabzug unterliegen, werden deshalb nicht besser und nicht schlechter gestellt als Steuerpflichtige, deren Einkommen veranlagt und nach der gemäß § 32 a Abs. 1 EStG 1958 dem Gesetz beigefügten Einkommensteuertabelle besteuert wird.

Die Besteuerung dauernd getrennt lebender Ehegatten ist im EStG 1958 wie folgt geregelt: Das Splitting wird bei dauernd getrennt lebenden Ehegatten nicht angewendet und kann auch nicht angewendet werden. Denn das Splitting setzt gemäß §§ 26 Abs. 1, 26 b, 32 a Abs. 2 EStG 1958 voraus, daß die Ehegatten nicht dauernd getrennt leben. Es ist eine Form der Haushaltsbesteuerung nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten; es ist seiner Idee nach unmittelbar nur auf solche Ehegatten anwendbar, weil es die Zusammenveranlagung der Ehegatten und die Zusammenrechnung ihrer gesamten Einkünfte voraussetzt. Dem Gesetzgeber war allerdings klar, daß bei der Einführung des Splitting und seiner naturgemäßen Beschränkung auf nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten in Grenzfällen Härten auftreten könnten. Darum hat er z. B. in § 32 a Abs. 3 EStG 1958 auch bei verwitweten Personen unter bestimmten Voraussetzungen und für eine beschränkte Zeit noch die Besteuerung nach Art des Splitting zugelassen. Für andere Fälle, in denen er die Besteuerung nach Art des Splitting nicht zulassen wollte, hat er in § 32 Abs. 3 EStG 1958 zum Ausgleich von Härten besondere Freibeträge vorgesehen. So wird gemäß § 32 Abs. 3 Ziff. 1 b EStG 1958 u. a. auch ein Freibetrag von 1.200 DM jährlich bei Steuerpflichtigen abgezogen, bei denen das Splitting nicht möglich ist, denen aber ein Kinderfreibetrag zusteht. Dieser Freibetrag ist, wie die Fassung des § 7 Abs. 6 LStDV 1959 erkennen läßt, in die Steuerklasse II der Lohnsteuertabelle eingebaut und kommt deshalb dem Bf. zugute.

Mit Recht weist der Bf. allerdings darauf hin, daß er bei Anwendung der Steuerklasse II nicht besser stehe als ein Lediger mit einem Kind, obgleich dieser keine Ehefrau zu unterhalten habe; denn auch einem solchen ledigen Steuerpflichtigen wird gemäß § 7 Abs. 6 Ziff. 1 LStDV 1959 die Steuerklasse II auf der Lohnsteuerkarte vermerkt. Der Bf. beachtet dabei aber nicht ausreichend, daß der Gesetzgeber die Belastung durch den Unterhalt, den ein dauernd getrennt lebender Ehegatte dem anderen Ehegatten gewährt, nicht innerhalb des gesetzlichen Einkommensteuertarifs (Lohnsteuertarifs) berücksichtigt, sondern gemäß § 33 a Abs. 1 EStG 1958 dadurch, daß er die Unterhaltsaufwendungen, höchstens aber einen Betrag von 900 DM jährlich vom Einkommen abziehen läßt. Die Methode, zwangsläufige Unterhaltsaufwendungen an Angehörige in dieser Form pauschal abzusetzen, ist, wie das Finanzgericht ausführt, erstmalig im EStG 1955 zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis angewendet worden. Der Absetzungsbetrag wurde zunächst auf 720 DM bemessen und im EStG 1957 auf 900 DM jährlich erhöht.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bf. gegen das dargestellte gesetzliche System der Besteuerung dauernd getrennt lebender Ehegatten sind nicht begründet.

Den Hinweis des Bf., daß die gesetzliche Regelung die in Art. 11 Abs. 1 GG garantierte Freizügigkeit bei Ehegatten beschränke, hat das Finanzgericht mit Recht als offensichtlich unrichtig zurückgewiesen. Das EStG hindert die Ehegatten nicht, sich ihrer freien Bestimmung gemäß zu bewegen und sich auch, wenn sie es wollen, dauernd zu trennen. Wenn Steuerpflichtige mit Tatbeständen, die sie freiwillig schaffen, im Gesetz festgelegte steuerliche Wirkungen auslösen, so ist das keine verfassungswidrige Beschränkung ihrer Freizügigkeit.

Der Gesetzgeber hat auch die Art. 6 und 3 GG nicht dadurch verletzt, daß er dauernd getrennt lebende Ehegatten nicht nach der Art oder wenigstens im Ergebnis wie nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten behandelte. Das Splitting wurde im EStG 1958 eingeführt, um die verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen, die das Bundesverfassungsgericht aus Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz und Förderung der Ehe durch den Staat) gegen die Form der Haushaltsbesteuerung nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten in § 26 EStG a. F. erhoben hatte. Es ist nicht rechtsirrig, wenn das Finanzgericht bemerkt, daß Ehegatten, die zwar nicht geschieden sind, aber freiwillig und dauernd die eheliche Gemeinschaft aufgegeben haben, sich auf das Grundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG nicht berufen können. Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Ehe vor allem wegen der Bedeutung, die sie als Keimzelle des Lebens für die menschliche Gesellschaft hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 231/56 S vom 3. Dezember 1957 - unter III 2 -, BStBl 1958 III S. 27, Slg. Bd. 66 S. 66). Für den Schutz und die Förderung von Ehen, die die Beteiligten selbst, wenn auch nicht rechtlich, so doch tatsächlich aufgelöst haben, kann für den Grundgesetzgeber kein Anlaß bestanden haben. Darum ist es auch nicht gerechtfertigt, wenn der Bf. eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes darin sieht, daß er steuerlich stärker belastet sei, als wenn er dauernd mit seiner Ehefrau zusammen leben würde. Das dauernde Zusammenleben oder die dauernde Trennung von Ehegatten sind unterschiedliche Sachverhalte, an die der Gesetzgeber, ohne gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu verstoßen, unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfen kann. Der Tatsache, daß ein dauernd getrennt lebender Ehegatte dem anderen Ehegatten Unterhalt leistet, hat der Gesetzgeber durch die Schaffung des § 33 a EStG Rechnung getragen; er hat also diese für die Bemessung der Einkommensteuer wesentliche Belastung eines Steuerpflichtigen nicht übersehen oder willkürlich außer Betracht gelassen. Ob der vom Gesetzgeber beschrittene Weg der Besteuerung getrennt lebender Ehegatten die denkbar beste und gerechteste Regelung ist, können die Steuergerichte nicht prüfen. Hier geht es um steuerpolitische Zweckmäßigkeitsentscheidungen, die im Rahmen des Grundsatzes der Dreiteilung der Staatsgewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) der Gesetzgebung vorbehalten sind (Urteil des Senats VI 20/58 U vom 28. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 196, Slg. Bd. 66 S. 512 mit weiteren Angaben).

Die Ausführungen, mit denen das Finanzgericht die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bf. gegen den festen Pauschsatz von 900 DM zurückgewiesen hat, sind ebenfalls rechtlich einwandfrei. Die Einführung des Pauschsatzes hat sich als echter Fortschritt zum Ziel einer einheitlichen und vereinfachten Besteuerung bewährt und die Gefahr ungleichmäßiger Behandlung der Steuerpflichtigen, wie sie früher in Fällen der vorliegenden Art bei Anwendung des § 33 EStG bestand, vermindert. Steuergesetze, die zur Erreichung der für die Einkommensbesteuerung grundlegenden Ziele der Vereinfachung und der Gleichmäßigkeit Pausch- oder Durchschnittsätze einführen, verletzen nicht den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, auch wenn solche Sätze in Grenzfällen sich für einzelne Gruppen von Steuerpflichtigen steuerlich ungünstiger auswirken als für andere Gruppen. Solche Auswirkungen sind eine natürliche Begleiterscheinung von Typisierungen, mit denen der Steuergesetzgeber im modernen Massensteuerrecht zwangsläufig in weitem Umfang arbeiten muß; sie sind darum keine sachlich ungerechtfertigte und willkürliche Verletzung des Grundsatzes der Gleichheit aller Bürger (vgl. auch Urteil des Senats VI 170/58 U vom 6. Mai 1959, BStBl 1960 III S. 102, betreffend die pauschalen Familienermäßigungen).

Ob allerdings der geltende Satz von 900 DM - auf die große Zahl der Fälle gesehen - der Höhe nach angemessen ist, oder ob eine Erhöhung angebracht wäre, nachdem der Gesetzgeber im EStG 1958 für nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten das Splitting eingeführt hat, prüft der Senat nicht, weil es sich dabei in erster Linie um eine Frage der Steuerpolitik handelt und dafür, daß der Satz von 900 DM offensichtlich willkürlich zu niedrig festgesetzt worden ist, kein Anhalt besteht, zumal der Gesetzgeber bei der zwischenzeitlichen Erhöhung des Satzes von 720 DM auf 900 DM diese Frage nochmals geprüft hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409612

BStBl III 1960, 103

BFHE 1960, 277

BFHE 70, 277

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