Entscheidungsstichwort (Thema)

Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Einkommensteuerbescheid kann wegen offenbarer Unrichtigkeit berichtigt werden, wenn ein aufgrund einer Außenprüfung gefertigter Bericht nicht ausgewertet worden ist.

2. Eine Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung hat nicht zur Voraussetzung, daß der Steuerfall umfassend geprüft worden ist.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 129, 164 Abs. 1, 3

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger ist an einer Architektengemeinschaft beteiligt und betreibt außerdem eine Wohnbaufirma. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) führte die Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1977 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 der Abgabenordnung - AO 1977 -) durch. In der Folgezeit wurden Außenprüfungen bei der Architektengemeinschaft und bei den Klägern einschließlich der Wohnbaufirma auch hinsichtlich des Streitjahres durchgeführt. Die Auswertung des Berichts für die Architektengemeinschaft führte zu einer geänderten einheitlichen Gewinnfeststellung und zu einer entsprechenden Mitteilung an den für die Kläger zuständigen Veranlagungsbezirk des FA. Der Veranlagungsbezirk des FA wertete die Mitteilung hinsichtlich der geänderten einheitlichen Feststellung für die Architektengemeinschaft aus. Eine Auswertung des gesonderten Berichts vom 13. März 1980 für die Kläger unterblieb. In einem Aktenvermerk vom 4. Juni 1980 über die Berechnung der Auswirkungen der Mitteilung für das Streitjahr ist als Ergebnis festgehalten, daß sich wie bisher 0 DM Einkommensteuer ergebe und der Vorbehalt der Nachprüfung aufzuheben sei. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde daraufhin mit Bescheid vom 12. Juni 1980 aufgehoben. Für die Jahre 1975 und 1976 führte die Mitteilung über die geänderten einheitlichen Gewinnfeststellungen für die Architektengemeinschaft zu geänderten Einkommensteuerbescheiden.

In Einsprüchen gegen die Einkommensteueränderungsbescheide 1975 und 1976 begehrten die Kläger die Berücksichtigung der Feststellungen aus dem gesonderten Bericht vom 13. März 1980. Das FA bemerkte hierdurch, daß es den Prüfungsbericht vom 13. März 1980 nicht ausgewertet hatte. Es erließ einen auf § 173 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 gestützten Änderungsbescheid für Einkommensteuer 1977 vom 10. Oktober 1980, in dem diese Feststellungen ausgewertet wurden. Daraus ergab sich eine Einkommensteuernachzahlung.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage blieb erfolglos. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) im wesentlichen aus, daß das Übersehen eines Prüfungsberichts eine offenbare Unrichtigkeit i.S. von § 129 AO 1977 sei.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 129 AO 1977. Sie sind der Auffassung, daß keine offenbare Unrichtigkeit vorliege, weil der Fehler nicht offenbar gewesen sei. Denn sie hätten angenommen, daß die Steuernachzahlungen in den Vorjahren aufgrund der Außenprüfung nur auf Gewinnverlagerungen beruht hätten. Die Änderungen für das Jahr 1977 beträfen erstmalig entstandene gewerbliche Einkünfte, die in den Vorjahren nicht angefallen seien. Außerdem stelle die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung eine Rechtsentscheidung dar, die eine offenbare Unrichtigkeit ausschließe.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FA hat den von den Klägern angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1977 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 10. März 1981 zu Recht nach § 129 Satz 1 AO 1977 geändert.

Nach der Vorschrift des § 129 AO 1977 können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten jederzeit berichtigt werden; das gilt auch dann, wenn ein Steuerbescheid bestandskräftig geworden ist. ,,Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" müssen einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich sein, d.h., es muß sich um einen mechanischen Fehler handeln, der ebenso mechanisch, d.h., ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden kann. Mit anderen Worten muß die Unrichtigkeit durchschaubar, eindeutig oder augenfällig sein (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. September 1984 VIII B 157/83, BFHE 142, 13, BStBl II 1984, 834, m.w.N.). Zu den offenbaren Unrichtigkeiten gehört auch das Übersehen eindeutiger Mitteilungen durch Nachlässigkeit (vgl. BFH-Urteil vom 18. April 1986 VI R 4/83, BFHE 146, 350, BStBl II 1986, 541, 543, mit weiteren Rechtsprechungshinweisen). Besteht auch nur die Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung, so ist eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 nicht zulässig (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juli 1984 VIII R 304/81, BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785, m.w.N.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze war die Nichtauswertung des Prüfungsberichts vom 13. März 1980 beim Erlaß des Bescheides vom 12. Juni 1980 über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung eine offenbare Unrichtigkeit. Die Rechtsprechung ist auch bisher schon davon ausgegangen, daß bei der Auswertung von Betriebsprüfungsberichten offenbare Unrichtigkeiten i.S. des § 92 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) bzw. § 129 AO 1977 vorkommen können, sei es, daß ein Punkt des Berichts übersehen worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 10. Februar 1967 VI R 5/66, BFHE 88, 155, BStBl III 1967, 348), sei es, daß die Prüfungsfeststellungen in widersprüchlicher Weise ausgewertet (vgl. BFH-Urteil vom 14. August 1975 IV R 150/71, BFHE 119, 201, BStBl II 1976, 764) oder Textziffern des Betriebsprüfungsberichts verwechselt worden sind (vgl. BFH-Urteil vom 28. November 1985 IV R 178/83, BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293). Für das Übersehen eines Prüfungsberichts insgesamt kann nichts anderes gelten.

Offen kann bleiben, ob die Unrichtigkeit bei Erlaß des Bescheides über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung auch für die Kläger offenbar, d.h. erkennbar, sein mußte oder ob es ausreicht, daß der Fehler erst bei Offenlegung des Sachverhalts klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (vgl. BFH-Urteile vom 8. April 1987 II R 236/84, BFHE 149, 413, BStBl II 1988, 164, und vom 21. Oktober 1987 IX R 156/84, BFH/NV 1988, 277). Im Streitfall war der Fehler, der darauf beruhte, daß nicht nur eine einzelne Prüfungsfeststellung, sondern der gesamte Bericht nicht ausgewertet worden war, jedenfalls offenbar, weil er nicht nur für das FA, sondern auch für die Kläger ohne weiteres erkennbar war. Das FG hat mit Recht angenommen, daß diese Unrichtigkeit für den Kläger deshalb offenbar war, weil er den vom FA nicht ausgewerteten Prüfungsbericht und die in ihm enthaltenen Feststellungen kannte. Diese Überlegungen des FG sind folgerichtig und von den Klägern nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden. Der Einwand, die Kläger hätten annehmen können, daß es sich bei den Mehrergebnissen der Außenprüfung auch für die anderen Prüfungszeiträume nur um Steuerverlagerungen gehandelt habe, steht dem nicht entgegen. Denn auch bloße Steuerverlagerungen haben zu einer Nachzahlungspflicht infolge der Außenprüfung und damit zur Kenntnis von der Außenprüfung und ihrem Mehrergebnis geführt.

Einer Anwendung des § 129 Satz 1 AO 1977 steht nicht entgegen, daß der Einkommensteuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen war und der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben worden ist, ohne daß der bereits vorliegende gesonderte Prüfungsbericht vom 13. März 1980 ausgewertet war. Das Unterlassen der Auswertung dieses Prüfungsberichts wäre nur dann keine offenbare Unrichtigkeit, wenn die Aufhebung des Vorbehalts (auch) insoweit zu einer neuen Willensbildung des zuständigen Beamten im Rahmen dieses Tatsachen- oder Rechtsbereichs geführt hätte (vgl. BFH- Urteile vom 24. Mai 1977 IV R 44/74, BFHE 122, 393, BStBl II 1977, 853; vom 29. März 1985 VI R 140/81, BFHE 144, 118, BStBl II 1985, 569). Rechtlich hat die Aufhebung eines Vorbehalts der Nachprüfung aber nicht zur Voraussetzung, daß das FA von seinem Nachprüfungsrecht Gebrauch gemacht und den Steuerfall abschließend geprüft hat (vgl. Förster in Koch, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 164 Tz. 35). Vielmehr hat die Aufhebung des Vorbehalts grundsätzlich nur den Abschluß der erstmaligen Überprüfung, nicht aber eine erneute Überprüfung des steuerlichen Sachverhalts zum Inhalt (vgl. Urteil des FG Münster vom 20. Juni 1984 II 1786/84 E, rechtskräftig, Entscheidungen der Finanzgerichte 1985, 52, m.w.N.). Dies wird im Streitfall durch den Umstand bestätigt, daß der Sachbearbeiter des FA die Auswirkung der mitgeteilten, geänderten einheitlichen Feststellung für die Architektengemeinschaft in dem Aktenvermerk vom 4. Juni 1980 festgehalten hat. Aus diesem Vermerk, der die Grundlage für die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung bildete, ist zu ersehen, daß nur die steuerliche Auswirkung der geänderten einheitlichen Feststellung bei der Architektengemeinschaft berücksichtigt worden ist. Es bestehen daher keinerlei Anhaltspunkte, daß die Nichtberücksichtigung des gesonderten Prüfungsberichts vom 13. März 1980 auf einem Fehler in der Tatsachenwürdigung oder in der Rechtsanwendung beruht. Im übrigen ist davon auszugehen, daß die Bediensteten des FA, wenn sie aufgrund eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung bewußt die Mehrergebnisse des Außenprüfungsberichts hätten außer Ansatz lassen wollen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die dafür maßgeblichen Gründe in den Akten kenntlich gemacht hätten (vgl. BFH-Urteil in BFHE 144, 118, BStBl II 1985, 569).

 

Fundstellen

Haufe-Index 416089

BFH/NV 1989, 341

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