Leitsatz (amtlich)

1. Überträgt eine Kapitalgesellschaft ihr Vermögen an ihren alleinigen Gesellschafter, der seinerseits eine Kapitalgesellschaft ist, liegt kein Fall der Gesamtrechtsnachfolge vor.

2. Der Vermögensübernehmer tritt - weil nicht Gesamtrechtsnachfolger - nicht in das Prozeßrechtsverhältnis ein, daß durch die Klage der übertragenden Gesellschaft begründet worden ist.

2. Im Verfahren über eine Anfechtungsklage ist die parteiwechselnde Klageänderung nicht sachdienlich, wenn der angefochtene Verwaltungsakt weder gegen die in den Prozeß eintretende Partei ergangen ist noch gegen diese wirkt. Ob die parteiwechselnde Klageänderung im Verfahren über die fristgebundene Anfechtungsklage überhaupt in Betracht kommen kann, bleibt offen.

 

Normenkette

FGO § 40 Abs. 2, § 67; StAnpG § 8 Abs. 1; AO §§ 120, 330

 

Tatbestand

Die X-GmbH in Liquidation - im folgenden GmbH - hat mit Sprungberufung den gegen sie gerichteten Kapitalertragsteuer-Haftungsbescheid des Beklagten und Revisionsklägers (FA) vom 31. Juli 1963 angefochten. Während des gerichtlichen Verfahrens teilte der Beklagte und Revisionskläger dem FG folgendes mit:

"Die Firma ist laut Mitteilung des Amtsgerichts A erloschen. Die frühere alleinige Gesellschafterin, die YAG, steht vereinbarungsgemäß für etwaige zukünftige Verbindlichkeiten ein. Die steuerliche Vertretung hat Herr Steuerberater in Firma Z-AG ..."

Hierauf richtete der Berichterstatter des entscheidenden Senats des FG folgendes Schreiben an den Steuerberater:

"In vorbezeichneter Sache hat das Finanzamt A mitgeteilt, daß die klagende Firma erloschen ist. Die frühere alleinige Gesellschafterin, die Y-AG, stehe vereinbarungsgemäß für etwaige zukünftige Verbindlichkeiten ein. Die steuerliche Vertretung liege bei Ihnen. Wenn Sie eine auf Sie ausgestellte schriftliche Prozeßvollmacht dem Gericht einreichen, bestehen gegen den Fortgang des Verfahrens keine Bedenken ..."

In der Folge legitimierte sich ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter der nunmehrigen Revisionsbeklagten (YAG); in der Prozeßvollmacht bezeichnete sich die Revisionsbeklagte als Rechtsnachfolgerin der GmbH, deren Aktiva und Passiva auf sie übergegangen seien.

Durch das von dem Beklagten mit der Revision angefochtene Urteil hat das FG den Haftungsbescheid aufgehoben. Als Klägerin ist in dem Urteil die jetzige Revisionsbeklagte als Rechtsnachfolgerin der GmbH bezeichnet.

Mit der Revision rügt der Beklagte, das angefochtene Urteil verletze materielles Recht. Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Durch Verfügung des Vorsitzenden des Senats wurde den Beteiligten Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern, ob die Revisionsbeklagte während des Verfahrens vor dem FG Gesamtrechtsnachfolgerin der GmbH geworden und ob somit das angefochtene Urteil zu Recht gegen die Revisionsbeklagte als Klägerin ergangen sei. Hierauf legte die Revisionsbeklagte die Ablichtung eines zwischen ihr und der GmbH am 28./29. Dezember 1966 abgeschlossenen Vertrages vor. Nach diesem Vertrag hat die GmbH der Revisionsbeklagten eine Reihe von Forderungen abgetreten. In Nr. 3 dieses Vertrages ist ausgeführt, nach Übergang der zu 1 und 2 genannten Forderungen und Rechte auf die Revisionsbeklagte sei das gesamte Vermögen der GmbH von der Revisionsbeklagten als alleinigem Gesellschafter übernommen worden. Die Revisionsbeklagte hatte sich in dem Vertrag noch verpflichtet, etwaige Verbindlichkeiten, die nach Abtretung der Forderungen noch bestehen sollten, zu erfüllen (z. B. rückständige Steuerforderungen); die Revisionsbeklagte werde die GmbH von solchen Verpflichtungen freistellen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Das angefochtene Urteil beruht auf unrichtiger Rechtsanwendung, weil das FG zu Unrecht angenommen hat, die Revisionsbeklagte sei Rechtsnachfolger der Klägerin geworden. Dieser Mangel ist, da er sich auf die Klagebefugnis bezieht, als Sachurteilsvoraussetzung im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen.

Der Klägerin - der GmbH - stand die Klagebefugnis gemäß § 40 Abs. 2 FGO zu. Durch die Sprungberufung brachte sie zum Ausdruck, daß sie sich durch den gegen sie gerichteten Haftungsbescheid - der ihr eine Geldleistungspflicht auferlegte - in ihren Rechten verletzt fühle. Über die seit 1. Januar 1966 als Sprungklage ($ 45 FGO) zu behandelnde ($ 184 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO) Sprungberufung war gegenüber der Klägerin und dem beklagten FA als Verfahrensbeteiligten zu entscheiden. Die Revisionsbeklagte ist nicht Rechtsnachfolgerin der klagenden GmbH geworden.

Bei der Entscheidung über die Revision kann dahingestellt bleiben, ob die GmbH, die die Klage erhoben hat, erloschen ist; auf diese Frage kam es für die Entscheidung über die Klage an. Zweifel in dieser Hinsicht könnten bestehen, weil der GmbH, falls die Steuerschuld noch nicht entrichtet sein sollte, ein Freistellungsanspruch gegen die Revisionsbeklagte oder, falls die Steuer schon beglichen sein sollte, bei ihr günstigem Ausgang des Rechtsbehelfsverfahrens ein Erstattungsanspruch ($ 151 AO) zusteht (vgl. hierzu das Urteil des BFH I R 144, 145/66 vom 18. Oktober 1967, BFH 90, 336, BStBl II 1968, 95).

Für die Entscheidung über die Revision ist wesentlich, daß die Revisionsbeklagte nicht an Stelle der Klägerin den durch deren Klage in Gang gebrachten Rechtsstreit gegen den Beklagten fortsetzen durfte, weil sie nicht deren Gesamtrechtsnachfolger geworden ist. Nach dem Vertrag vom 28./29. Dezember 1966 scheint eine Liquidation der GmbH ($$ 65 ff. GmbHG) nicht stattgefunden zu haben. Durch diesen Vertrag hat die GmbH ihr gesamtes Vermögen auf die Revisionsklägerin übertragen. Diese Vermögensübertragung erfolgte nicht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge, sondern der Einzelrechtsnachfolge. Gesamtrechtsnachfolge ist nur möglich in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen (vgl. z. B. § 1922 BGB; §§ 339, 346 Abs. 3, 353 Abs. 5 Satz 2, 354, 355 Abs. 2, 359, 360 AktG 1965; §§ 5, 15, 16, 20 bis 25 UmwG 1956).

Nur im Falle der Gesamtrechtsnachfolge geht die Steuerschuld des Rechtsvorgängers kraft Gesetzes auf den Rechtsnachfolger über ($ 8 Abs. 1 StAnpG). Kraft dieses gesetzlichen Schuldüberganges treten Gesamtrechtsnachfolger in dem Prozeß, der sich auf eine Steuerschuld bezieht, an die Stelle des ursprünglich klagenden Steuerpflichtigen. Im Falle der rechtsgeschäftlichen Vermögensübertragung ($ 419 BGB, §§ 22, 25 HGB) handelt es sich um eine Einzelrechtsnachfolge; die nach Zivilrecht eintretende Schuldenhaftung erstreckt sich kraft §§ 120, 330 AO auch auf Steuerschulden. Die Steuerschuld des Übertragenden geht nicht auf den Übernehmer über; er kann - vom Falle des hier nicht einschlägigen § 49 FGO abgesehen - nicht in einen anhängigen Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts, durch den die Existenz eines Steueranspruchs festgestellt wird, anstelle dessen eintreten, der als Steuerschuldner in Anspruch genommen ist und sich gegen den Verwaltungsakt als Kläger zur Wehr gesetzt hat.

Die angefochtene Entscheidung kann jedoch nur dann wegen Fehlens einer Sachurteilsvoraussetzung aufgehoben werden, wenn sie nicht unter dem Gesichtspunkt der parteiwechselnden Klageänderung ($ 67 FGO) aufrechterhalten werden kann. Hierbei mag dahingestellt bleiben, ob die parteiwechselnde Klageänderung im Verfahren über die fristgebundene Anfechtungsklage in Betracht kommen kann. Auch wenn man unterstellt, der Parteiwechsel sei als Klageänderung im Verfahren über die Anfechtungsklage möglich und das FG habe diese Klageänderung stillschweigend (Urteil des Reichsgerichts III 233/36 vom 22. Juni 1937, Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 155 S. 227 [229]) für sachdienlich erklärt, müßte das angefochtene Urteil aufgehoben werden; in diesem Falle wäre der Begriff der Sachdienlichkeit verkannt.

Der Parteiwechsel kann als Klageänderung schon rein begrifflich nicht sachdienlich sein, wenn infolge des Wechsels der Steuerpflichtige, dem durch den von ihm mit der Klage angefochtenen Verwaltungsakt eine Leistungspflicht auferlegt wurde, aus dem Prozeßrechtsverhältnis ausscheidet und an seine Stelle ein anderer eintritt, gegen den der angefochtene Verwaltungsakt nicht ergangen ist und nicht wirkt. Der Umstand, daß sich die Revisionsbeklagte der GmbH gegenüber verpflichtet hat, deren Steuerschulden zu erfüllen und daß die Revisionsbeklagte vom beklagten FA als alleiniger Gesellschafter als Empfänger einer verdeckten Gewinnausschüttung und demzufolge als Schuldner der Kapitalertragsteuer ($ 44 Abs. 5 EStG) angesehen wird, ändert daran nichts. Im Verfahren über den gegen die GmbH ergangenen Haftungsbescheid bestand die Möglichkeit, die Revisionsbeklagte beizuziehen; jedoch konnte sie nicht anstelle der als Haftende in Anspruch genommenen GmbH Kläger werden.

Da die Rechtssache nicht spruchreif ist, muß sie zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden. Das FG wird prüfen, ob Liquidatoren der im Verfahren vor dem FG nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten vertretenen GmbH vorhanden sind ($ 58 Abs. 2 FGO); sollte dies nicht der Fall sein, bleibt der Rechtsstreit unterbrochen ($ 155 FGO in Verbindung mit § 241 ZPO), bis auf Antrag eines hierzu Berechtigten ein Liquidator bestellt wird und dieser oder das FA den Rechtsstreit wiederaufnehmen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69269

BStBl II 1971, 26

BFHE 1971, 353

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge