Nichtanwendungserlass zu dieser Entscheidung

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuerbefreiung von Verpflegungsleistungen an Studenten

 

Leitsatz (amtlich)

Erfüllen die Umsätze aus der Abgabe von Mahlzeiten an Studenten durch eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, der die soziale Betreuung und Förderung der Studenten obliegt (Studentenwerk), nicht die Voraussetzungen des § 4 Nr. 23 UStG 1993, sind diese Verpflegungsleistungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei. Gleiches gilt für Verpflegungsleistungen an Bedienstete der Einrichtung, die zur Durchführung der Aufgaben der sozialen Betreuung und Förderung der Studenten am Hochschulort tätig sind.

 

Normenkette

UStG 1993 § 4 Nr. 23; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i

 

Verfahrensgang

Sächsisches FG (Urteil vom 05.04.2005; Aktenzeichen 1 K 861/03; EFG 2006, 303)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts (Studentenwerk). Sie ist seit 1992 Mitglied des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtverbandes e.V. und hat die Aufgabe, für die Studenten und Studentinnen (Studenten) der ihr zugeordneten Hochschulen Dienstleistungen auf wirtschaftlichem, sozialem, gesundheitlichem und kulturellen Gebiet zu erbringen.

Zu diesem Zweck unterhielt sie in den Streitjahren 1994 und 1995 Mensabetriebe, in denen Studenten, Bedienstete der Universität und Dritte Mahlzeiten und Getränke einnehmen konnten. Ferner belieferte die Klägerin Schulen und ähnliche Einrichtungen mit Speisen, die in den Küchen der Mensen zubereitet wurden.

Die Leistungen gliederten sich wie folgt:

- Studenten: 5 240 067,04 DM (1994) und 5 538 197,42 DM (1995)

- Hochschulmitarbeiter/Dritte: 3 555 601 DM (1994) und 3 742 751 DM (1995)

- Schulen: 1 868 784 DM (1994) und 1 493 850 DM (1995).

Bei Aufgliederung der von den Mensen erbrachten Leistungen nach (gleichwertigen) Essensportionen entfallen auf

Schulen/Kindertagesstätten und Sonstige

Studenten

1994

838 257 = 38,04 %

1 365 616

1995

815 759 = 36,97 %

1 390 308

In den Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre erfasste die Klägerin die Leistungen an die Schulen mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993); die an Bedienstete und sonstige Personen ausgegebenen Speisen und Getränke besteuerte sie mit dem Regelsteuersatz. Für die Ausgabe von Speisen und Getränken an Studenten (Studentenessen) beanspruchte die Klägerin die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG 1993. Dementsprechend machte sie --wie sich aus der vom Finanzgericht (FG) in Bezug genommenen Einspruchsentscheidung ergibt-- die angefallenen Vorsteuerbeträge nur entsprechend dem Umfang der steuerpflichtigen Umsätze geltend.

Abweichend hiervon vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) in den Umsatzsteuerbescheiden für 1994 und 1995 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 10. März 2003 die Auffassung, die Ausgabe von Essen an Studenten sei steuerpflichtig und unterläge dem Regelsteuersatz; denn der Mensabetrieb habe in den Streitjahren weniger als 2/3 seiner Leistungen an den i.S. des § 66 der Abgabenordnung (AO 1977) begünstigten Personenkreis (Studenten) erbracht. Die Voraussetzungen für die Beurteilung als Zweckbetrieb i.S. des § 66 Abs. 3 AO 1977 lägen deshalb nicht vor. Das FA erfasste daher auch die Leistungen an die Studenten mit dem Regelsteuersatz und ließ die geltend gemachten (unstreitigen) Vorsteuerbeträge ungekürzt zum Abzug zu.

Mit der Klage begehrte die Klägerin weiterhin Umsatzsteuerbefreiung für die Verpflegungsleistungen an die Studenten.

Das FG wies in dem in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 2006, 303 veröffentlichten Urteil die Klage als unbegründet ab. Es war der Auffassung, die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG 1993 lägen nicht vor, weil die Klägerin mit der Lieferung von Essen an Schulen und Kindertagesstätten nicht ausschließlich ihre satzungsgemäßen Zwecke (Abgabe von Mahlzeiten an Studenten) verfolgt habe.

Selbst wenn man die Auffassung verträte, das Erfordernis der Ausschließlichkeit sei auch dann erfüllt, wenn eine Körperschaft einen Zweckbetrieb i.S. der §§ 65 AO 1977 unterhalte, sei die Klage unbegründet. Denn ein Zweckbetrieb liege unter anderem auch deshalb nicht vor, weil die Klägerin bei der Belieferung von Kindertagesstätten und Schulen mit Mahlzeiten zu anderen Unternehmen in Wettbewerb trete, ohne dass dies zur Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar wäre. Dabei handle es sich um Umsätze, wie sie auch private Unternehmer mit der Absicht der Erzielung dauerhafter Einnahmen erbringen könnten und auch erbrächten.

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie macht im Wesentlichen geltend, das angefochtene Urteil sei mit der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Mai 2005 V R 32/03 (BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900) nicht vereinbar. Außerdem setze § 4 Nr. 18 UStG 1993 die Regelung in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und i der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) nicht ordnungsgemäß um. Hierauf könne sich die Klägerin berufen.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide für 1994 und für 1995 vom 4. Januar 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. März 2003 dahin gehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 1994 auf 171 021,50 DM und die Umsatzsteuer für 1995 auf 210 328,10 DM herabgesetzt wird, und festzustellen, dass die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt es im Wesentlichen vor, der Sachverhalt sei mit dem der Entscheidung des BFH in BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900 nicht vergleichbar. Insbesondere ließen sich die unterschiedlichen Leistungen nicht in der Weise trennen, dass ein eigener wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb für die streitigen Lieferungen angenommen werden könne. Für die von der Klägerin behaupteten unterschiedlichen Preise fehlten jedenfalls Feststellungen des FG. Die Klägerin könne sich nicht unmittelbar auf die angesprochenen Regelungen der Richtlinie 77/388/EWG berufen, denn der nationale Gesetzgeber könne die Steuerbefreiung an Bedingungen knüpfen. Mit der Anknüpfung an die Regelungen zur Gemeinnützigkeit der §§ 59 bis 66 AO 1977 habe der Gesetzgeber sich im Rahmen des ihm eröffneten Beurteilungsspielraumes gehalten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat nicht berücksichtigt, dass die Klägerin den Anspruch auf Steuerbefreiung für die Verpflegungsleistungen an die Studenten unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG stützen kann. Ob die Voraussetzungen des § 4 Nr. 18 UStG 1993 vorliegen, kann offen bleiben.

1. Nach § 4 Nr. 23 Satz 1 UStG 1993 sind steuerfrei die Gewährung von Beherbergung, Beköstigung und der üblichen Naturalleistungen durch Personen und Einrichtungen, wenn sie überwiegend Jugendliche für Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke oder für Zwecke der Säuglingspflege bei sich aufnehmen, soweit die Leistungen an die Jugendlichen oder an die bei ihrer Erziehung, Ausbildung, Fortbildung oder Pflege tätigen Personen ausgeführt werden. Jugendliche im Sinne dieser Vorschrift sind alle Personen vor Vollendung des 27. Lebensjahres (§ 4 Nr. 23 Satz 2 UStG 1993). Steuerfrei sind auch die Beherbergung, Beköstigung und die üblichen Naturalleistungen, die diese Unternehmer den Personen, die bei den Leistungen nach Satz 1 tätig sind, als Vergütung für die geleisteten Dienste gewähren (§ 4 Nr. 23 Satz 3 UStG 1993). Die Gewährung von Beherbergung, Beköstigung usw. ist nur dann gemäß § 4 Nr. 23 UStG 1993 steuerfrei, wenn dem Unternehmer selbst die Erziehung, Ausbildung oder Fortbildung der aufgenommenen Jugendlichen obliegen. Er muss die Erziehungszwecke, Ausbildungszwecke oder Fortbildungszwecke zwar nicht allein verfolgen; es reicht aber auch nicht aus, dass sie lediglich von einem Dritten verfolgt werden (Senatsurteile in BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900; vom 28. September 2000 V R 26/99, BFHE 192, 360, BStBl II 2001, 691).

Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen nicht, denn nicht die Klägerin, sondern die jeweiligen Hochschulen verfolgen die in § 4 Nr. 23 UStG 1993 genannten Ausbildungszwecke.

2. Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung.

Der Senat lässt im Streitfall offen, inwieweit eine richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Nr. 23 UStG 1993 möglich ist (ebenso Senatsurteile in BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900; in BFHE 192, 360, BStBl II 2001, 691); denn die Klägerin kann sich für die Umsatzsteuerbefreiung der Verpflegungsleistungen an die Studenten auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG berufen.

a) Durch die Befreiung der mit dem Hochschulunterricht eng verbundenen Dienstleistungen soll gewährleistet werden, dass der Zugang zum Hochschulunterricht nicht durch höhere Kosten versperrt wird, die entstünden, wenn dieser oder die mit ihm eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen der Mehrwertsteuer unterworfen wären (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 20. Juni 2002 Rs. C-287/00, Kommission/Deutschland, Slg. I-2002, 5811 RandNr. 47; Senatsurteil in BFHE 219, 175, BStBl II 2005, 900). Eng mit dem Hochschulunterricht verbunden sind nicht nur Vermietungsleistungen an Studenten (BFH-Urteil in BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900), sondern auch Verpflegungsleistungen an Studenten durch Studentenwerke, denen als Anstalt des öffentlichen Rechts im Zusammenwirken mit den Hochschulen die soziale Betreuung und Förderung der Studenten obliegt. Mit umfasst von der Befreiung sind grundsätzlich auch Verpflegungsleistungen an Bedienstete, die zur Durchführung der Aufgaben der sozialen Betreuung und Förderung der Studenten beim Kläger beschäftigt sind, denn andernfalls erhöhten sich dadurch die Kosten eines Hochschulstudiums (vgl. BFH in BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900 zur Wohnraumvermietung an Studenten und Bedienstete). Der Zugang zum Studium würde dadurch erschwert.

b) Die Klägerin erfüllt auch die persönlichen Voraussetzungen des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG.

Befreit sind nur Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung.

Nach den Feststellungen des FG ist die Klägerin eine Anstalt des öffentlichen Rechts, der auch im Zusammenwirken mit den Hochschulen die soziale Betreuung und Förderung der Studenten oblag.

c) Entgegen der Auffassung des FA ist insoweit unerheblich, dass der Mitgliedstaat nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG die Befreiung von verschiedenen, im Einzelnen beschriebenen Bedingungen abhängig machen könnte, denn diese Befugnis gilt nur für Einrichtungen, die --anders als die Klägerin-- keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind.

Nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG sind zwar von der in Abs. 1 Buchst. b, g, h, i, l, m und n vorgesehenen Steuerbefreiung Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen ausgeschlossen, wenn sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind oder wenn sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin mit den Verpflegungsleistungen durch die Mensen in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen steht, sind anhand der Feststellungen des FG nicht erkennbar.

d) Ohne Erfolg beruft sich das FA auch auf das Urteil des BFH vom 11. Mai 1988 V R 76/83 (BFHE 154, 161, BStBl II 1988, 908); dies schon deshalb, weil im entschiedenen Sachverhalt die dort streitigen Umsätze der Cafeteria jedenfalls soweit sie --wie im Streitfall-- gegenüber Studenten erbracht worden sind, als steuerfrei beurteilt worden waren und der BFH nur über die Umsätze an andere Personen zu entscheiden hatte; im Übrigen ist diese Entscheidung, soweit es um die Befreiung der Verpflegungsleistungen durch ein Studentenwerk geht, im Ergebnis durch die spätere Rechtsprechung (zuletzt BFH in BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900), überholt.

e) Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen; die Vorentscheidung war deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif.

aa) Das FA hat in der Annahme, auch die Umsätze an die Studenten seien steuerpflichtig, dem Kläger den Vorsteuerabzug ungekürzt gewährt. Nach § 15 Abs. 4 UStG 1993 steht dem Kläger der Vorsteuerabzug jedoch nicht zu, soweit er den zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs führenden, steuerbefreiten Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Die Feststellungen des FG erlauben insoweit keine abschließende Entscheidung über die zutreffende Vorsteuerkürzung. Die Sache war deshalb zurückzuverweisen.

bb) Der Kläger hat mit der Klage nur die Befreiung der Verpflegungsleistungen an die Studenten beantragt. Ob es sich bei den im Tatbestand erwähnten Bediensteten, die ebenfalls Leistungen der Mensa des Klägers bezogen haben, um Bedienstete handelt, die zur Erfüllung der Aufgaben der sozialen Betreuung und Förderung der Studenten beim Kläger beschäftigt waren, mit der Folge, dass auch diese Leistungen in die Befreiung hätten einbezogen werden können (vgl. Senatsurteil in BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900), ergibt sich nicht aus den Feststellungen des FG. Zwar darf nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen ("ne ultra petita"). Das FG wird dies jedoch im Rahmen der Vorsteuerkürzung zu berücksichtigen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1674081

BFH/NV 2007, 371

BStBl II 2007, 846

BFHE 2008, 351

BFHE 215, 351

BB 2007, 202

DStRE 2007, 371

DStZ 2007, 85

HFR 2007, 266

UR 2007, 108

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge