Leitsatz (amtlich)

1. Die in § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung der Absetzungen für Abnutzung von Gebäuden vom 16. Juni 1964 (BGBl I 1964, 353) vorgeschriebenen AfA-Sätze sind mit Wirkung vom 1. Januar 1965 an die Stelle der bisherigen AfA-Sätze getreten, sei dies zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen.

2. Ob die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes, das vor dem 1. Januar 1925 errichtet worden ist, nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG n. F. weniger als 40 Jahre beträgt, muß vom FA im Rahmen seiner umfassenden Sachaufklärungspflicht (§ 204 AO) geprüft werden. Dies gilt auch dann, wenn das FA in den Vorjahren die AfA lediglich nach der betriebsgewöhnlichen Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes höher bemessen hat, es sei denn, daß es nach Treu und Glauben an die bisherige Fallbehandlung gebunden ist.

 

Normenkette

EStG 1964 § 7 Abs. 1; EStG 1965 § 7 Abs. 1, 4; BGB § 242; AO § 204; FGO § 76 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der AfA für Gebäude.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtiger) erwarb im Jahre 1961 das Mietwohngrundstück X in B zum Preise von 73 565 DM mit einem Gebäudewertanteil von 53 315 DM und Ende des Jahres 1964 das Mietwohngrundstück Y in B für 243 135 DM - Gebäudewert 179 760 DM -. Die Gebäude sind in den Jahren 1886 und 1890 errichtet worden. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) erkannte bis einschließlich 1964 eine Gebäude-AfA von 4 v. H. als Werbungskosten an. Bei der Einkommensteuerveranlagung 1965 setzte das FA die AfA unter Berufung auf § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung der Absetzungen für Abnutzung bei Gebäuden vom 16. Juni 1964 (BGBl I 1964, 353) auf 2,5 v. H. herab. Mit dem hiergegen erhobenen Einspruch machte der Steuerpflichtige geltend, die Nutzungsdauer der Gebäude könne, weil diese schon jetzt nicht mehr den Wohnansprüchen gerecht würden, nicht mehr als 25 Jahre betragen. Das FA ging demgegenüber in der Einspruchsentscheidung davon aus, daß die Anwendung höherer AfA-Sätze als 2,5 v. H. das Vorliegen besonderer Umstände voraussetze, die der Steuerpflichtige nachweisen müsse. Schäden an tragenden Elementen des Gebäudes seien jedoch nicht festgestellt worden. Die vom Steuerpflichtigen vorgetragenen Gesichtspunkte reichten für die Annahme, daß die Gebäude in absehbarer Zeit nicht mehr vermietet werden könnten, nicht aus.

Die Klage hatte im Ergebnis Erfolg. In dem Urteil des FG wird im wesentlichen ausgeführt:

Während nach § 7 Abs. 4 EStG 1965 auf vor dem 1. Januar 1925 fertiggestellte Gebäude grundsätzlich 2 v. H. [gemeint ist 2,5 v. H] der Anschaffungs- oder Herstellungskosten bis zur vollen Absetzung jährlich abzuziehen seien, könnten nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG 1965 bei kürzerer als 40jähriger Nutzungsdauer dementsprechend höhere AfA vorgenommen werden. Dagegen seien gemäß § 7 Abs. 1 EStG a. F. Gebäude nach der zu schätzenden Gesamtnutzungsdauer abzuschreiben gewesen, wobei die Nutzungsdauer, abgesehen von Betriebsgebäuden, regelmäßig auf 100 Jahre geschätzt worden sei. Auch nach der gesetzlichen Neuregelung könne die Gesamtnutzungsdauer eines Gebäudes höchstens mit 100 Jahren angenommen werden (Hinweis u. a. auf Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 7 Anm. 24a, § 21 Anm. 29j; Hanraths, Die steuerliche Betriebsprüfung 1969 S. 41). Laut Begründung des Regierungsentwurfs zum StÄndG 1965 müsse bei der Schätzung der Nutzungsdauer von Wohngebäuden wegen der schnelleren Wandlung der Wohngewohnheiten damit gerechnet werden, daß Wohngebäude erhebliche Zeit vor Ablauf ihrer technischen Nutzungsdauer abgerissen oder umgebaut werden müßten. Im vorliegenden Fall sei das Gebäude anerkanntermaßen mit höheren AfA-Sätzen als 2 oder 2,5 v. H. abgeschrieben worden. Das FA habe bei seiner Schätzung mit einer Restnutzungsdauer von 25 Jahren offensichtlich eine hundertjährige Gesamtnutzungsdauer zugrunde gelegt. Daß die Schätzung unzutreffend gewesen sei, habe das FA nicht vorgetragen und sei auch sonst nicht erkennbar. Bei dieser Sach- und Rechtslage komme es auf die vom Steuerpflichtigen geltend gemachte kürzere wirtschaftliche Nutzungsdauer nicht an.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen und formellen Rechts (§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG in Verbindung mit § 11c Abs. 1 EStDV; §§ 76, 81 Abs. 1, 96 FGO). Das FG habe es entgegen § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG in Verbindung mit § 11c Abs. 1 Satz 1 EStDV unterlassen, die tatsächliche Nutzungsdauer der Gebäude - notfalls durch Beiziehung von Sachverständigen - festzustellen und zu Unrecht die frühere Schätzungsmethode der FÄ übernommen, die der Verwaltungsvereinfachung gedient habe, aber niemals Norm geworden sei.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Der Steuerpflichtige beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückweisung der Sache an die Vorinstanz.

Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG in der Neufassung von 1965 ist die AfA für ein vor dem 1. Januar 1925 fertiggestelltes Gebäude mit jährlich 2,5 v. H. zu bemessen. Diese Regelung greift zufolge § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht ein, wenn die tatsächliche Nutzungsdauer des Gebäudes weniger als 40 Jahre beträgt. Nutzungsdauer eines Gebäudes ist gemäß § 11c Abs. 1 Satz 1 EStDV der Zeitraum, in dem das Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann. Die Nutzungsdauer beginnt bei Gebäuden, die der Steuerpflichtige nach dem 20. Juni 1948 - in Berlin nach dem 1. April 1949 - angeschafft hat, mit dem Zeitpunkt der Anschaffung (§ 11c Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Abs. 2 EStDV). Diese Bestimmung von Begriff und Beginn der Nutzungsdauer stellt eine zutreffende Auslegung des Gesetzes dar, da sie sich im Rahmen des Wortlauts und des Sinnes der Vorschrift des § 7 Abs. 4 EStG hält. Würde man bei vor dem 1. Januar 1925 errichteten Gebäuden auf die Gesamtnutzungsdauer abstellen, so wäre die Regelung von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG, die eine nur 40jährige Nutzungsdauer vorsieht, undurchführbar (vgl. Herrmann-Heuer, § 7 EStG Anm. 24 a). Auch die Gesetzesbegründung hebt ausdrücklich hervor, daß die Nutzungsdauer auf den jeweiligen Eigentümer zu beziehen ist (Bundestagsdrucksache IV/2008 S. 10 re. Sp.). Wenn auf die Anschaffung nach dem 21. Juni 1948 bzw. 1. April 1949 abgehoben wird, so entspricht dies der Bedeutung der Währungsumstellung für die wirtschaftlichen und steuerrechtlichen Verhältnisse.

Die gesetzliche Regelung von § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG bestimmt für alle Gebäude einen einheitlichen AfA-Satz je nach dem Zeitpunkt der Errichtung vor oder nach dem 1. Januar 1925. Diese "gesetzliche Typisierung der AfA" (Görbing, BB 1964, 677) gilt sowohl für die Fälle, in denen zuvor mit niedrigeren AfA-Sätzen abgeschrieben wurde, als auch dann, wenn der frühere jährliche Abschreibungsbetrag 2 oder 2,5 v. H. überschritten hat. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ist es unerheblich, sofern infolgedessen eine Gesamtnutzungsdauer von mehr als 100 Jahren erreicht wird. Weder aus § 7 Abs. 4 EStG noch aus § 11c EStDV läßt sich entnehmen, daß eine Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes von 100 Jahren die zwingend oberste Grenze des Abschreibungszeitraums bilden soll. Denn es kommt nach der Neuregelung nicht mehr auf die Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes, sondern auf die Gesamtnutzungsdauer in der Hand des jeweiligen Steuerpflichtigen an. Das wird vielfach zu AfA über einen längeren Zeitraum als 50 Jahre führen, da im allgemeinen angenommen werden kann, daß ein Gebäude im Laufe von 50 Jahren mindestens einmal den Eigentümer wechselt (Görbing, a. a. O.). wird das Gebäude innerhalb dieses Zeitraums mehrfach veräußert, kann seine Gesamtnutzungsdauer über 100 Jahre ansteigen.

Auch aus der Gesetzesbegründung ergibt sich nichts anderes. Die Bundesregierung hat dort (Bundestagsdrucksache IV/2008 S. 5) zunächst dargelegt, daß die technische Nutzungsdauer bei Wohngebäuden im Regelfall etwa 100 Jahre betragen werde, jedoch wegen des schnelleren Wandels der Wohngewohnheiten nicht unberücksichtigt bleiben könne, daß Wohngebäude erhebliche Zeit vor Ablauf ihrer Nutzungsdauer abgerissen oder grundlegend umgebaut werden müßten. Eine Nutzungsdauer von 50 Jahren sei gleichwohl überaus kurz, lasse sich jedoch wegen der einfacheren Handhabung des AfA-Satzes von 2 v. H. und zum Ausgleich dafür, daß keine degressive AfA zugelassen werde, rechtfertigen. Zur Regelung des § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG wird lediglich ausgeführt, es sei mit Sicherheit zu erwarten, daß die AfA-Sätze von 2 bzw. 2,5 v. H. für die große Masse der Gebäude eine Verbesserung der Absetzungsmöglichkeiten bedeuten. Dagegen werde durch § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG gewährleistet, daß für Gebäude, bei denen schon bisher ein höherer Absetzungssatz als 2 oder 2,5 v. H. angewendet worden sei, dieser höhere AfA-Satz auch künftig geltend gemacht werden könne. Es komme also in keinem Fall zu einer Verschlechterung der Absetzungsmöglichkeiten (Bundestagsdrucksache IV/2008, S. 8 und 10 re Sp.). Dabei ging die Bundesregierung jedoch davon aus, daß die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer glaubhaft gemacht werde.

Die Annahme einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer setzt auch nach Auffassung des erkennenden Senats voraus, daß die Frage im Rahmen der amtlichen und gerichtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 204 AO, § 76 FGO) soweit wie möglich geprüft wird, wie der BFH zur früheren Rechtslage schon in dem Urteil VI 225/61 U vom 31. August 1962 (BFH 75, 746, BStBl III 1962, 538) ausgesprochen hat. Gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ist festzustellen, welche tatsächliche Nutzungsdauer dem im Streitfall betroffenen Gebäude voraussichtlich (vgl. § 11c Abs. 1 Satz 1 EStDV) zukommt, während nach dem bis zum 31. Dezember 1964 geltenden Recht (§ 7 Abs. 1 Satz 2 EStG) die AfA nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Gebäudes zu bemessen war, also anhand der Verwaltungserfahrung mit Gebäuden desselben oder ähnlichen Alters, Standorts und dgl. geschätzt werden konnte. Da die Nutzungsdauer des Gebäudes nicht nur von seiner technischen Beschaffenheit, sondern auch von der wirtschaftlichen Nutzbarkeit abhängt, muß auch eine von der technischen Nutzungsdauer abweichende wirtschaftliche Nutzungsdauer in Betracht gezogen werden. Für die Annahme einer die technische Nutzungsdauer unterschreitenden wirtschaftlichen Abnutzung des Gebäudes bedarf es freilich ausreichend greifbarer Anhaltspunkte (vgl. Entscheidungen des Reichsfinanzhofs VI A 270/32 vom 19. Juli 1932, RStBl 1932, 1022; VI A 91/35 vom 12. Dezember 1935, RStBl 1936, 414; Entscheidung des BFH IV 114/56 U vom 27. Juni 1957, BFH 65, 175, BStBl III 1957, 301). In den meisten Fällen wird auch nach der gesetzlichen Neuregelung eine Schätzung unumgänglich sein, weil zumindest auch ungewisse künftige Ereignisse zu beurteilen sind. Demzufolge kann nicht Gewißheit über die kürzere Nutzungsdauer, vielmehr nur größtmögliche Wahrscheinlichkeit verlangt werden. Wann dies im einzelnen der Fall ist, ist eine Frage der tatsächlichen Würdigung. Soweit in Abschn. 42 Abs. 3 EStR "strenge Anforderungen" an den Nachweis gestellt werden, vermag dem der Senat nicht beizupflichten.

Schon um der Gleichmäßigkeit der Besteuerung willen ist die Prüfung der tatsächlichen Nutzungsdauer für alle Gebäude erforderlich, bei denen eine höhere AfA als 2 oder 2,5 v. H. beansprucht wird. Wenn diese Prüfung bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung stattgefunden hat, so bestehen im allgemeinen keine Bedenken gegen eine Fortführung der bisherigen AfA-Beträge. Dasselbe gilt, sofern das FA nach Treu und Glauben, wie bei einer bindenden Zusage (vgl. BFH-Entscheidung VI 269/60 S vom 4. August 1961, BFH 73, 813, BStBl III 1961, 562), an der bisherigen Fallbehandlung festzuhalten ist. Wurde dagegen die bisherige AfA lediglich nach dem Erfahrungssatz einer hundertjährigen Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes bemessen, so greift zunächst, sei dies zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen, die allgemeine typisierende Regelung von § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG ein, in Übereinstimmung mit dem Grundsatz, daß FA und Steuerpflichtiger regelmäßig nicht an die Sachbehandlung bei der Besteuerung früherer Jahre gebunden sind (vgl. BFH-Entscheidungen VI 215/61 U vom 26. Oktober 1962, BFH 76, 239, BStBl III 1963, 86, und I R 111/66 vom 30. November 1966, BFH 87, 345, BStBl III 1967, 154). So liegt der Sachverhalt hier. Das FA hat entsprechend dem Begehren des Steuerpflichtigen im Veranlagungszeitraum 1964 ohne nähere Prüfung der tatsächlichen Umstände 100 Jahre Gesamt- und 20 Jahre Restnutzungsdauer angenommen. Diese Fallbehandlung stellt weder eine bindende Dauerregelung dar, noch genügt sie den Anforderungen des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG. Denn das FA hat die AfA allein nach der am allgemeinen für Gebäude dieser Bauart und dieses Alters in dem Stadtteil B-M angenommenen Nutzungsdauer errechnet und ist auf die Verhältnisse bei den hier zu beurteilenden Gebäuden nicht, wie erforderlich, im einzelnen eingegangen. Das FA war mithin nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die bisherige AfA-Bemessung zu überprüfen und sie zu ändern, sofern nicht die Voraussetzungen von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG erfüllt sein sollten.

Die Vorentscheidung kann danach keinen Bestand haben. Der Senat vermag nicht selbst zu entscheiden, weil noch festzustellen ist, welche tatsächliche Nutzungsdauer das Gebäude voraussichtlich hat. Sollte sich eine kürzere als 40jährige Restnutzungsdauer nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ermitteln lassen, verbleibt es bei einem AfA-Satz von 2,5 v. H. Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412993

BStBl II 1972, 176

BFHE 1972, 468

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