Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Passivierung von Lohnnachzahlungen in der Bilanz des abgelaufenen Wirtschaftsjahres, die mit Rücksicht auf das günstige Jahresergebnis in Verbindung mit der Beschlußfassung über diese Bilanz gewährt werden.

 

Normenkette

EStG §§ 5, 6/3

 

Tatbestand

Es ist bestritten, ob die Firma berechtigt ist, in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1950 eine Rückstellung für Gratifikationen an Betriebsangehörige in Höhe von 59 944 DM zu Lasten des Gewinnes 1950 zu machen.

Die Beschwerdeführerin (Bfin.) hat aus Anlaß der durch die Koreakrise sprunghaft gestiegenen Umsätze sich nach ihren Angaben bereits im August 1950 "mit dem Gedanken getragen, ihre Betriebsangehörigen an den daraus resultierenden Gewinnen zu beteiligen". Die Umsätze im zweiten Halbjahr 1949 betrugen annähernd 2 1/2 Mill. DM, die des zweiten Halbjahres 1950 über 3 Mill. DM. Die Firma wählte diesen Weg an Stelle der Bezahlung von überstunden für die besonders starke Inanspruchnahme der Betriebsangehörigen. Anläßlich der Festsetzung der Weihnachtsgratifikationen, also kurz vor Weihnachten 1950, wurde dem Betriebsratsvorsitzenden, wie dieser dem Finanzgericht am 10. Juni 1953 bestätigte, erklärt, daß an sich eine höhere Weihnachtsgratifikation mit Rücksicht auf die günstigen Betriebsergebnisse gerechtfertigt sei. "Wegen der Unklarheiten hinsichtlich der Weihnachtsgratifikationen im Lohnsteuerverfahren einerseits und der bei der Hingabe einer höheren Weihnachtsgratifikation möglichen Rechtsfolgen andererseits" wählte jedoch die Bfin. einen anderen Weg, nämlich den "einer einmaligen Zuwendung als Gewinnbeteiligung". Einzelheiten über die Höhe und den Auszahlungstermin dieser Sondergratifikation sollten im Laufe der Abschlußarbeiten für das Jahr 1950 festgelegt werden. Auf Grund dieses Vorhabens wurde am 2. April 1951 den Betriebsangehörigen ein hektographiertes Rundschreiben der Firma zugestellt, in welchem die Gewährung einer einmaligen Gratifikation für 1950 ausgesprochen worden ist. Die Höhe der Gratifikation sollte nach dem Willen der Geschäftsleitung nach dem Durchschnitt des im Jahre 1950 bezogenen Arbeitseinkommens und nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit während des Jahres 1950 bestimmt werden. Im Einvernehmen mit dem Betriebsrat wurde die Gewährung der Gratifikation unter anderem an folgende Bedingungen geknüpft:

die Gratifikation soll einmalig und freiwillig sein und zu keinem Rechtsanspruch für die Zukunft führen;

die Gratifikation soll nicht ausgezahlt, sondern als ein auf die Dauer von drei Jahren unkündbares verzinsliches Darlehen von den einzelnen Betriebsangehörigen der Firma zur Verfügung gestellt werden;

das auf drei Jahre unkündbare Darlehen soll vom Tage der Gutschrift ab jeweils mit 1 v. H. über den Landeszentralbank-Diskontsatz, zur Zeit also mit 7 v. H. verzinst werden;

Lohn-, Kirchenlohnsteuer und Notopfer Berlin sowie Sozialversicherungsbeiträge wurden bei Gutschrift auf die Darlehnskonten gekürzt, worüber die Betriebsangehörigen eine besondere Mitteilung erhielten.

Die Betriebsangehörigen der Firma haben sich nach Zugang dieser Mitteilung vom 2. April 1951 auf einem vorgedruckten Schreiben mit den Bedingungen für die Auszahlung der Gratifikation und für das daraus gegebene Darlehen einverstanden erklärt. Sie haben sämtlich von dieser Gratifikation Gebrauch gemacht.

Die Vorbehörden haben die Rückstellung abgelehnt. Das Finanzgericht begründete seine Entscheidung wie folgt:

Es sei erforderlich, daß ein Rechtsanspruch für die zu passivierenden Leistungen am Bilanzstichtag und nicht erst bei Aufstellung der Bilanz, also nach dem Bilanzstichtag, gegeben sei. Nach dem ganzen tatsächlichen Vorgang und seiner Abwicklung sei anzunehmen, daß eine Bindung der Firma am Bilanzstichtag gegenüber den einzelnen Betriebsangehörigen noch nicht gegeben gewesen sei, und daß diese noch keinen Rechtsanspruch, wenn auch nur dem Grunde nach, auf eine ihnen bei Ermittlung des Gewinnes zustehende Vergütung entsprechend den Richtlinien des Rundschreibens vom 2. April 1951 gehabt hätten. Erst nach Zustellung dieses Rundschreibens im April 1951 hätten die Betriebsangehörigen davon Kenntnis erhalten und ihre Zustimmung dazu erteilt. Aus den Verhandlungen mit dem Betriebsratsvorsitzenden sei für die Firma keine rechtliche Verpflichtung entstanden. Eine rechtliche, klagbare Verpflichtung gegenüber den Betriebsangehörigen sei am 31. Dezember 1950 nicht vorhanden gewesen.

Die Rechtsbeschwerde der OHG stützt sich insbesondere auf die Urteile des Reichsfinanzhofs VI A 121/32 vom 12. Oktober 1932. Reichssteuerblatt S. 1077 und VI A 81/36 vom 29. Juli 1936, Reichssteuerblatt S. 986.

 

Entscheidungsgründe

Die Prüfung der Rechtsbeschwerde ergibt folgendes:

Die Rückbeziehung einer Lohnnachzahlung an die Arbeitnehmer des Betriebes auf den Stichtag der Schlußbilanz des abgelaufenen Jahres, die mit Rücksicht auf ein günstiges Jahresergebnis in Verbindung mit der Aufstellung der Schlußbilanz erfolgt, ist im allgemeinen nicht zulässig. Es handelt sich hier um eine im neuen Jahr übernommene Verpflichtung. Eine Passivierung setzt allerdings nicht eine schriftliche und mündliche Verpflichtung gegenüber dritten Personen voraus.

Nach der Rechtsprechung kann für sogenannte freiwillige Pensionsverpflichtungen eine Rückstellung gemacht werden (Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI 387/39 vom 2. August 1939, Slg. Bd. 47 S. 215, Reichssteuerblatt S. 1078; Entscheidung des Obersten Finanzgerichtshofs I 1/47 U vom 13. September 1947, Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen S. 167, Steuerrechtskartei, KStG § 6 Satz 1 Allgemeines, Rechtsspruch 6). In ähnlicher Weise hat der Bundesfinanzhof in der Entscheidung IV 549/53 U vom 31. Mai 1954, Bundessteuerblatt (BStBl.) III S. 222, ausgesprochen, daß zur Bildung einer Rückstellung für eine Pensionsverpflichtung eine sittliche Verpflichtung genügt, der sich der Unternehmer nicht entziehen zu können glaubt. In den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs I 57/52 U vom 8. September 1953, BStBl. III S. 344 und I 139/52 U vom 30. Juli 1954, BStBl. III S. 287, wurde die Rückstellung für eine Zuwendung an eine am Bilanzstichtag noch nicht gegründete Pensionskasse mit der Begründung zugelassen, daß die Last, die im Ergebnis in der Rückstellung ihre Auswirkung findet, bereits am Bilanzstichtag dem Grunde nach gegeben war.

Diese Voraussetzungen sind aber im Streitfalle nicht erfüllt. Die Besprechung mit dem Betriebsratsvorsitzenden bildet keine hinreichende Grundlage für eine solche Rückstellung. Die Erörterungen waren lediglich allgemeiner und unverbindlicher Natur und entbehrten der notwendigen Festlegung. Erwägungen und Pläne eines Kaufmanns, denen die ausreichende Festlegung fehlt, sind nicht bilanzierungsfähig. Die Grundsätze der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs I 57/52 U und I 139/52 U führen zu keinem anderen Ergebnis. Die Unterstützung der Arbeitnehmer in der Zeit der Not ist insbesondere für gewinnbringende Großbetriebe eine sittliche Verpflichtung. Gründet ein Betrieb eine Unterstützungskasse, so muß im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß er bereits vor ihrer Gründung sich verpflichtet gefühlt hat, Notständen seiner Arbeitnehmer aus eigenen Mitteln Rechnung zu tragen.

Anders ist es bei Gehaltsnachzahlungen, wie sie im vorliegenden Fall gegeben sind.

Die Grenze, inwieweit vertraglich nicht festgelegte Verpflichtungen eine passivierungsfähige Last darstellen können, ist flüssig. Im einzelnen Falle kann die Entscheidung erheblich von der Auffassung des Beurteilenden abhängen. Im Streitfalle ist der Senat der Ansicht, daß eine sittliche Verpflichtung zu Gehaltsnachzahlungen mit Rücksicht auf das günstige Jahresergebnis im allgemeinen nicht bejaht werden kann. Der Arbeitgeber ist hier in seiner Entscheidung wesentlich freier gestellt, wie bei den sozialen Leistungen. Anders könnte die Lage dann sein, wenn an den Betriebsratsvorsitzenden vor Abschluß des Wirtschaftsjahres schon bestimmte, in ihren Grundlagen festgelegte Zusagen, gemacht worden sind. Das Finanzgericht hat dies auf Grund seiner Würdigung des Tatbestandes für den Streitfall verneint.

Von Bedeutung könnte es sein, daß nach der Feststellung des Finanzgerichts die Nachzahlung auch den Zweck hatte, eine angemessene Vergütung für geleistete überstunden und die damit verbundene besonders starke Inanspruchnahme der Betriebsangehörigen zu gewähren. Sind die überstunden bisher noch nicht vergütet worden und war die Vergütung noch offen, so wird man insoweit der Firma eine Rückstellung zubilligen müssen. Die Firma war mindestens sittlich verpflichtet, für diese Mehrarbeit eine Entschädigung zu gewähren.

Die von der Rechtsbeschwerde mitgeteilten Entscheidungen des Reichsfinanzhofs gehen von den gleichen Grundsätzen aus. Es besteht die Möglichkeit, daß das Finanzgericht von einer rechtsirrigen Auffassung ausgegangen ist. Die Vorentscheidung wird deshalb aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408028

BStBl III 1954, 343

BFHE 1955, 341

BFHE 59, 341

BB 1954, 960

DB 1954, 938

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