Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme des Widerrufs eines Antrags auf Besteuerung nach Durchschnittsätzen

 

Leitsatz (NV)

Die Rücknahme des Widerrufs eines Antrags auf Besteuerung nach Durchschnittsätzen ist nur bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung (nach den allgemeinen Vorschriften) möglich. Unter Unanfechtbarkeit ist die formelle Bestandskraft der erstmaligen Steuerfestsetzung zu verstehen; auf deren Unabänderbarkeit kommt es nicht an.

 

Normenkette

UStG 1991 § 23 Abs. 3; AO 1977 §§ 164, 168

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes S.

S betrieb bis zum 31. Mai 1992 ein Friseurgeschäft. Bis zum Besteuerungszeitraum 1990 wurde ihm der Abzug der Vorsteuern nach Durchschnittsätzen ( §23 des Umsatzsteuergesetzes -- UStG 1980 --, §§69, 70 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung -- UStDV 1980 --) gewährt; die Veranlagungen sind bestandskräftig.

In der Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 1991 machte S unter anderem Vorsteuern für ein in diesem Jahr angeschafftes betrieblich verwendetes Fahrzeug mit den ihm in Rechnung gestellten Beträgen geltend; die Erklärung wies eine Umsatzsteuer von 5 747 DM aus. Hierüber erteilte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) eine entsprechende Abrechnung. Später setzte das FA die Umsatzsteuer für 1991 auf 5 860 DM herauf; der Änderungsbescheid vom 17. August 1992 stand zunächst weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung; dieser Vorbehalt wurde durch Bescheid vom 20. Oktober 1993 aufgehoben.

Mit Schreiben vom 1. März 1993 beantragte S, die Umsatzsteuerfestsetzung für 1991 gemäß §164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern und dabei die Vorsteuern (wie bis zum Jahre 1990) nach Durchschnittsätzen zu ermitteln; gleichzeitig erklärte S, er verzichte auf den Vorsteuerabzug für den (zu 50 v. H.) betrieblich genutzten PKW, so daß die Umsatzsteuer für den Eigenverbrauch entfalle.

In der Umsatzsteuererklärung für 1992 machte S die Vorsteuer ebenfalls nach Durchschnittsätzen geltend.

Das FA lehnte mit Bescheid vom 26. August 1993 den Antrag auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 1991 ab. Mit Umsatzsteuerbescheid vom 9. September 1993 setzte es die Steuer für 1992 nach allgemeinen Vorschriften (ohne Durchschnittsatzbesteuerung) fest.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosen Einsprüchen erhobenen Klage statt. Es sah zwar in der Umsatzsteueranmeldung für 1991 einen Widerruf der bisherigen Besteuerung nach Durchschnittsätzen, hielt aber die anschließende Rücknahme dieses Widerrufs für wirksam, da die Steuerfestsetzung ursprünglich unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden habe und mit der Aufhebung dieses Vorbehalts (Bescheid vom 20. Oktober 1993) wieder in vollem Umfang angefochten worden sei.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Es rügt Verletzung von §23 UStG 1991. Seiner Ansicht nach konnte der Widerruf des Antrags auf Berechnung der Vorsteuerbeträge nach Durchschnittsätzen nicht wirksam zurückgenommen werden, da die erstmalige -- unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende -- Steuerfestsetzung formell bestandskräftig und damit unanfechtbar geworden sei.

Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Das FG hat zu Unrecht die Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung für 1991 im Zeitpunkt der Rücknahme des Widerrufs des Antrags, die Vorsteuerbeträge nach Durchschnittsätzen zu berechnen, verneint.

1. Nach §23 Abs. 3 UStG 1991 kann der Unternehmer, bei dem die Voraussetzungen für eine Besteuerung nach Durchschnittsätzen i. S. des §23 Abs. 1 UStG 1991 gegeben sind, beim FA bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung (§18 Abs. 3 und 4 UStG 1991) beantragen, nach den festgesetzten Durchschnittsätzen besteuert zu werden (Satz 1). Der Antrag kann nur mit Wirkung vom Beginn eines Kalenderjahres an widerrufen werden (Satz 2). Der Widerruf ist spätestens bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung des Kalenderjahres, für das er gelten soll, zu erklären (Satz 3). Eine erneute Besteuerung nach Durchschnittsätzen ist frühestens nach Ablauf von fünf Kalenderjahren zulässig (Satz 4).

2. Das FG hat die Angabe der tatsächlich angefallenen Vorsteuerbeträge in der Umsatzsteuererklärung 1991 als Widerruf des Antrags des S auf Berechnung der Vorsteuerbeträge nach Durchschnittsätzen gewertet. Diese Würdigung des FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

3. Das FG hat auch zu Recht bejaht, daß der Widerruf des Antrags auf Berechnung der Vorsteuerbeträge wieder zurückgenommen werden kann; dies ist aber nur bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung möglich; entscheidend ist die formelle Bestandskraft der erstmaligen Steuerfestsetzung.

a) Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Urteil vom 11. Dezember 1997 V R 50/94 (BFHE 185, 82, BStBl II 1998, 420) ausgeführt und im einzelnen begründet, daß unter der Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung, bis zu der der Antrag auf Durchschnittsatzbesteuerung widerrufen werden kann (§23 Abs. 3 Satz 3 UStG 1991), die formelle Bestandskraft der erstmaligen Steuerfestsetzung zu verstehen ist, daß es sich dabei auch um eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung i. S. des §164 AO 1977 handeln kann, daß es auf ihre Unabänderbarkeit nicht ankommt und daß Entsprechendes auch für die Rücknahme des Widerrufs gilt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf dieses Urteil verwiesen. Der Senat sieht keinen Anlaß, von den Grundsätzen dieser Entscheidung, die dem FG bei der Vorentscheidung noch nicht bekannt sein konnten, abzurücken.

b) Am 1. März 1993, als S seinen Widerruf des Antrags auf Besteuerung nach Durchschnittsätzen wieder zurücknehmen wollte, war die Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr 1991 formell bestandskräftig und damit unanfechtbar. Der Widerruf konnte deshalb nicht mehr rückgängig gemacht werden. Hieran ändert sich auch nicht dadurch etwas, daß die Steuerfestsetzung am 1. März 1993 noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§§164, 168 AO 1977) stand und der Vorbehalt gemäß §164 Abs. 3 AO 1977 später aufgehoben wurde. Entscheidend ist die formelle Bestandskraft der ersten Steuerfestsetzung für das Jahr 1991.

4. Da eine erneute Besteuerung nach Durchschnittsätzen frühestens nach Ablauf von fünf Jahren zulässig ist (§23 Abs. 3 Satz 4 UStG 1991), bleibt es auch bei der angefochtenen Veranlagung für das Jahr 1992.

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 1536

HFR 1998, 893

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