Leitsatz (amtlich)

Es spricht für die nichtselbständige Ausübung der Tätigkeit von nebenberuflichen Lehrkräften an Abendschulen, wenn dem Vertragsverhältnis ein Tarifvertrag zugrunde liegt, der insbesondere die teilweise Abgeltung von Feiertagen und eine angemessene Urlaubsvergütung vorsieht.

 

Normenkette

EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, §§ 19, 34 Abs. 4; LStDV § 1 Abs. 3

 

Tatbestand

Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) ist als Bauingenieur hauptamtlich bei der Stadt tätig. Daneben lehrt er als nv-Dozent (nichtvollbeschäftigter Dozent) an der Abendtechnikerschule für das Bauwesen, die der Staatlichen Ingenieurakademie für das Bauwesen angeschlossen ist. Die Besucher der Abendschule sind in der Hauptsache Facharbeiter mit abgeschlossener Berufsausbildung, wie z. B. Maurer und Rohrleger. Die nv-Dozenten werden in der Regel zu Beginn jedes Semesters beauftragt. Ein Anspruch auf Wiederverwendung besteht nicht. Das Vertragsverhältnis der Dozenten bestimmt sich nach dem Tarifvertrag für nv-Dozenten an den Ingenieurschulen und gleichrangigen Lehranstalten sowie den Fachschulen des Landes Berlin. Nach diesem Tarifvertrag werden einige gesetzliche Feiertage, die auf einen Werktag fallen, vergütet. Es sind dies der 1. Mai, der Himmelfahrtstag und der 17. Juni; nicht dazu gehören die zweiten Feiertage aller kirchlichen Feste. Im Krankheitsfall wird kein Entgelt gezahlt. Nach Ablauf von zwei anschließenden Semesterverträgen steht dem Dozenten eine Urlaubsvergütung zu, die das Dreifache des durchschnittlichen Wochenverdienstes in den beiden Semestern beträgt.

Der Revisionsbeklagte (FA) versagte im Einkommensteuerbescheid für 1965 die vom Kläger für die Dozententätigkeit beantragte Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG. Auch die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG führte aus, daß die an den Ingenieurschulen des Landes A mit 12 Wochenstunden und weniger beschäftigten nv-Dozenten Arbeitnehmer seien. Die Dozententätigkeit sei aufgrund eines bürgerlich-rechtlich wirksamen Arbeitsverhältnisses ausgeübt worden; denn der Steuerpflichtige habe einen mit "Arbeitsvertrag" überschriebenen Anstellungsvertrag unterzeichnet. Die Vertragsparteien hätten demnach kein freies Mitarbeiterverhältnis vereinbart. Zwar sei die Bezeichnung eines Vertrags nicht ausschlaggebend. Für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses spreche aber auch das Einwirken des für nv-Dozenten geltenden Tarifvertrags auf das Anstellungsverhältnis des Steuerpflichtigen. Einen Vertrag über die Bedingungen für die Beschäftigung eines freiberuflichen Dozenten habe sicherlich weder der Arbeitgeber noch die Gewerkschaft abschließen wollen. Daß nach dem Tarifvertrag den mit 12 Stunden und weniger beschäftigten nv-Dozenten nicht die gleichen Rechte zuständen wie den vollbeschäftigten, sie z. B. keine Beihilfen erhielten und keine zusätzliche Altersversorgung bei der VBL hätten, sei die arbeitsrechtlich vertretbare Folge der geringeren Schutzwürdigkeit der nv-Dozenten. Die Anstellungsbehörde könne davon ausgehen, daß dem wenig beschäftigten nv-Dozenten diese Rechte in seiner Hauptbeschäftigung zuständen. Andererseits habe der Steuerpflichtige durch den Vertrag mit der Technikerschule auch Rechte erlangt, die normalerweise nur Arbeitnehmern zuständen, so z. B. die Vergütung für drei auf gesetzliche Feiertage fallende Unterrichtstage und die Urlaubsvergütung. Ein Freiberufler trage normalerweise das Risiko, ob der Unterricht stattfinden könne, und habe auch keinen Anspruch auf Urlaubsvergütung. Weder mit der Befristung des Anstellungsverhältnisses noch der Nichtzahlung einer Vergütung im Krankheitsfall könne der Steuerpflichtige eine freie Mitarbeitertätigkeit begründen. Befristete Verträge kämen im Arbeitsrecht häufig vor. Der Anspruch des Angestellten auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall könne nach § 616 Abs. 2 BGB auch durch den Tarifvertrag nicht ausgeschlossen werden. Der Tarifvertrag sei insoweit nichtig. Nach dem Urteil des BFH VI 29/59 S vom 24. April 1959 (BFH 68, 504, BStBl III 1959, 193) sei nach dem Gesamtbild des Vertragsverhältnisses zu entscheiden. Aus der Dozententätigkeit als solcher, die frei gestaltet werden könne, folge noch nicht, daß sie freiberuflich ausgeübt werde. Die Ausarbeitung des Pensenplans durch den Steuerpflichtigen sei ein Teil der freien Unterrichtsgestaltung durch Dozenten. Auch dadurch, daß andere FÄ dem Steuerpflichtigen die Steuerermäßigung angeblich zugebilligt hätten, sei das FA nicht zu der gleichen unrichtigen Sachbehandlung verpflichtet gewesen (vgl. BFH-Urteil I 234/64 vom 31. Juli 1967, BFH 90, 132, BStBl II 1968, 7).

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassenen Revision rügt der Steuerpflichtige die Nichtbeachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben und die Verletzung des § 34 Abs. 4 EStG. Er trägt vor, daß er vom FA seit Beginn seiner Vortragstätigkeit mit seinen Einkünften daraus als selbständig behandelt worden sei. Der Vertrauensschutz gebiete, daß sich eine Behörde nicht mit ihrem eigenen vorangegangenen Verhalten in Widerspruch setzen dürfe (Entscheidung des BVerwG in NJW 1960, 692; Neumann in NJW 1962, 1085; BFH-Urteile I 176/57 U vom 18. November 1958, BFH 68, 137, BStBl III 1959, 52; I 90/57 U vom 3. Dezember 1958, BFH 68, 140, BStBl III 1959, 53; II 187/59 vom 2. August 1961, HFR 1962, 17, BB 1961, 1081). Für die steuerrechtliche Beurteilung des zwischen ihm und der Ingenieurschule bestehenden Rechtsverhältnisses komme es, wie der BFH im Urteil V 128/64 vom 14. September 1967 (BFH 90, 198, BStBl II 1968, 195) zum Ausdruck gebracht habe, allein auf den wirklichen Willen der Beteiligten an. Aus den Ausführungen des genannten Urteils ergebe sich, daß er durch seine Vortragstätigkeit nicht in den Betrieb der Ingenieurschule eingegliedert worden sei. Gegen ein zweites Arbeitsverhältnis spreche auch, daß er durch seinen Hauptberuf voll in Anspruch genommen sei. Die mit acht Wochenstunden geringfügige Vortragstätigkeit könne nicht die Rechte und Pflichten eines Arbeitnehmers begründen, da ihr die im Arbeitsverhältnis übliche und notwendige wirtschaftliche Abhängigkeit fehle.

Im übrigen habe der IV. Senat des BFH in dem nicht veröffentlichten Urteil IV R 25/69 vom 11. November 1971 die nebenberufliche Lehrtätigkeit eines Architekten an der gleichen Technikerschule als selbständige anerkannt. Der erkennende Senat müsse, wolle er vom Urteil des IV. Senats abweichen, den Großen Senat anrufen, da beide Fälle nahezu identisch seien.

Der Steuerpflichtige hat beantragt, das Urteil des FG zu ändern und bei der Einkommensteuerveranlagung für 1965 die Einkünfte aus der Dozententätigkeit dem ermäßigten Steuersatz aus § 34 Abs. 4 EStG zu unterwerfen.

Das FA hat beantragt, die Revision zurückzuweisen und den Streitwert festzusetzen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet.

Nach § 34 Abs. 4 EStG werden Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit nur begünstigt, wenn sie nicht aus nichtselbständiger Arbeit stammen. Arbeitnehmer ist, wer in der Betätigung seines geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist (§ 1 Abs. 3 Satz 2 LStDV). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, muß nach dem Gesamtbild der Verhältnisse unter Abwägung aller Umstände entschieden werden (vgl. BFH-Urteil VI 158/65 vom 29. September 1967, BFH 90, 289, BStBl II 1968, 84).

Zutreffend hat das FG im Streitfall ein Arbeitsverhältnis bejaht. Zwar hat der Senat im Urteil VI 29/59 S vom 24. April 1959 (a. a. O.) entschieden, daß nebenberufliche Lehrkräfte an Abendschulen in der Regel insoweit nicht Arbeitnehmer sind. Bei Abwägung der für ein Arbeitsverhältnis sprechenden Umstände - Arbeitsvertrag, Zugrundelegung eines Tarifvertrags, teilweise Abgeltung von Feiertagen, angemessene Urlaubsvergütung - gegenüber den dagegen sprechenden - keine Beihilfen, kein Anschluß an die Altersversorgung, kein Entgelt im Krankheitsfall - überwiegen jedoch die ersteren. Dabei kommt der Tatsache, daß die Parteien einen Arbeitsvertrag unter Zugrundelegung eines Tarifvertrags abgeschlossen haben, das Hauptgewicht zu. Daß der Wille des Steuerpflichtigen auf ein freies Mitarbeiterverhältnis gerichtet war, ist demgegenüber unerheblich. Zwar ist der Parteiwille in Grenzfällen von Bedeutung (vgl. BFH-Urteil VI R 228/67 vom 22. März 1968, BFH 92, 99, BStBl II 1968, 455). Es kann sich dabei jedoch nur um den übereinstimmenden Willen der Parteien handeln. Eine dahin gehende Übereinstimmung ist im vorliegenden Fall aber nicht gegeben. Wie der Bezeichnung des Vertrags als Arbeitsvertrag und der Bezugnahme auf den Tarifvertrag für nv-Dozenten zu entnehmen ist, wollte der Vertragspartner des Steuerpflichtigen gerade ein Arbeitsverhältnis begründen. Trotz gewisser Freiheiten, die der Steuerpflichtige offenbar hinsichtlich der Gestaltung seiner Vorlesungen hatte, liegt eine Eingliederung in den Betrieb der Technikerschule vor. Diese zeigt sich im Rahmen der Gesamtumstände am deutlichsten daran, daß er eine bestimmte, wenn auch geringe Anzahl von Wochenstunden geben mußte, wobei unterstellt werden kann, daß er sich dabei an einen festen Stundenplan zu halten hatte. Daß der Steuerpflichtige daneben noch in seinem Hauptberuf den Weisungen seines Arbeitgebers unterworfen war, spricht ebensowenig gegen ein Arbeitsverhältnis mit der Technikerschule wie die Tatsache, daß er von letzterer wirtschaftlich nicht abhängig war. Der Begriff des Arbeitsverhältnisses schließt weder mehrere Arbeitsverhältnisse nebeneinander aus, noch beinhaltet er die volle wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber. Ebensowenig muß es sich bei einem Arbeitsverhältnis um die Hauptbeschäftigung handeln; auch jede Aushilfstätigkeit kann im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses und damit unselbständig ausgeübt werden.

Dem FG ist auch darin zuzustimmen, daß die Sachbehandlung des FA nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt. Die Einkommensteuer ist eine Abschnittsteuer mit der Folge, daß jeder Veranlagungszeitraum für sich zu prüfen ist, das FA seine Entscheidung also für jedes Jahr unabhängig von der Behandlung in den Vorjahren dem Gesetz entsprechend zu treffen hat. Außer in Fällen, in denen das FA eine in die Zukunft wirkende, bindende Zusage einer bestimmten Sachbehandlung gegeben hat (vgl. die vom Steuerpflichtigen genannten Urteile des BFH I 176/57 U, a. a. O., und I 90/57 U, a. a. O.), ist das FA an seine frühere fehlerhafte Rechtsauffassung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht gebunden (vgl. BFH-Urteile I 141/60 U vom 17. Januar 1961, BFH 72, 347, BStBl III 1961, 130; VI 210/62 vom 23. März 1964, HFR 1964, 290).

Dem Antrag des FA auf Streitwertfestsetzung kann nicht entsprochen werden. Die Bemessung und Festsetzung des Streitwerts sind grundsätzlich unselbständige Teile des Kostenfestsetzungsbeschlusses und obliegen damit in erster Linie dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des FG (§ 147 Satz 1 FGO). Beantragt ein Beteiligter die Streitwertfestsetzung durch den erkennenden Senat des BFH, so hat er die Gründe vorzutragen, weshalb er dies für erforderlich hält (vgl. BFH-Beschluß I R 101/66 vom 4. Februar 1970, BFH 97, 487, BStBl II 1970, 222). Dies hat das FA nicht getan.

Der IV. Senat des BFH hat dieser Entscheidung zugestimmt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 422744

BStBl II 1972, 617

BFHE 1972, 477

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