Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Unternehmer, der neue oder gebrauchte Reifen auf Felgen von Kraftfahrzeugen aufzieht, kann bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen für die Lieferung der Reifen die Großhandelsvergünstigung des § 7 Abs. 3 UStG auch dann in Anspruch nehmen, wenn er für das Abmontieren der alten Reifen ein Entgelt verlangt. Das Abmontieren der alten Reifen ist mit 4 v. H. zu versteuern.

 

Normenkette

UStG § 1/1, § 3/2, § 7 Abs. 3; UStDB § 12

 

Tatbestand

Die Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige - Stpfl. -) unterhält einen Vulkanisier- und Runderneuerungsbetrieb sowie einen Groß- und Einzelhandel mit neuen und gebrauchten Reifen.

Streitig ist, ob die Stpfl. für die Lieferungen von erworbenen Autoreifen, die sie unentgeltlich aufgezogen hat, den ermäßigten Steuersatz des § 7 Abs. 3 UStG auch dann in Anspruch nehmen kann, wenn sie für das Abmontieren der alten Reifen einen geringen Betrag in Rechnung stellt.

Das Finanzamt (FA) hat eine Anwendung des ermäßigten Steuersatzes abgelehnt und die Umsatzsteuervorauszahlungen für Dezember 1960 auf ... DM festgesetzt. Die dagegen eingelegte Beschwerde wurde durch Entscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) vom 29. August 1961 als unbegründet zurückgewiesen. Die OFD ging in ihrer Entscheidung davon aus, daß das entgeltliche Aufziehen eines Reifens die Großhandelsvergünstigung ausschließe und hielt das entgeltliche Abmontieren des alten Reifens vor dem Aufziehen des neuen Reifens für steuerlich schädlich, weil es von dem Aufziehen des neuen Reifens wirtschaftlich nicht getrennt werden könne.

Mit der Berufung hatte die Stpfl. Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß nach dem Urteildes BFH V 219/53 U vom 1. Juli 1954 (BStBl 1954 III S. 267, Slg. Bd. 59 S. 151) in dem Aufziehen fabrikneuer Reifen auf die Felgen eines Kraftfahrzeugs keine Bearbeitung des gelieferten Reifens liege. Der Reifenwechsel trete gegenüber der Lieferung des neuen Reifens völlig zurück. Es spiele deshalb keine Rolle, ob im Einzelfall geringe Kosten in Rechnung gestellt würden. Dadurch entfalle aber auch eine Werklieferung. Im vorliegenden Falle habe die Stpfl. lediglich das vorhergegangene Abmontieren des alten Reifens in Rechnung gestellt. Es fehle insoweit an einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang. Vielmehr lägen zwei Lieferungen vor, nämlich die Lieferung des alten Reifens an die Stpfl. und die Lieferung des neuen bzw. gebrauchten Reifens an den Kunden. Wenn die Stpfl. für das Abmontieren des alten Reifens einen Betrag berechne, so habe dies mit der Lieferung und dem Aufziehen des neuen Reifens nichts zu tun. Das Abmontieren selbst sei eine Werkleistung.

Hiergegen richtet sich die Rb. der OFD, die gemäß § 184 Abs. 2 Satz 1 FGO als Revision zu behandeln ist. Es handle sich im streitigen Fall um einen wirtschaftlichen Vorgang. Das Abmontieren der alten Reifen sei unabdingbare Voraussetzung für die Möglichkeit, dem Autobesitzer den neuen Reifen wunschgemäß, nämlich montiert, liefern zu können. Der Wille beider Parteien sei es, montierte Reifen zu verkaufen bzw. zu kaufen. Wenn der Käufer dann noch die Möglichkeit habe, die alten Reifen zu tauschen, werde er die Gelegenheit dazu ausnutzen. Selbst dann, wenn der Käufer neue Reifen nur unter den Bedingungen nehme, daß die alten Reifen eingetauscht werden, könne der Tatbestand nicht anders beurteilt werden, weil es sich hier nur darum handle, den Kaufpreis der neuen Reifen zu drücken. In dem BFH- UrteilV 219/53 U vom 1. Juli 1954 (a. a. O.) habe der BFH nur entschieden, daß das unentgeltliche Aufziehen fabrikneuer Reifen die Reifenlieferung nicht zu einer Werklieferung mache.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

In dem oben genannten Urteil des BFH war die Frage zu entscheiden, ob das Aufziehen eines fabrikneuen Reifens, wenn es unentgeltlich geschieht, die Großhandelsvergünstigung ausschließt. Es wurde dazu die Auffassung vertreten, daß es dem Kunden in einem solchen Fall in erster Linie darauf ankomme, einen fabrikneuen Reifen zu erhalten, so daß die Leistung nicht auf die Lieferung eines montierten Reifens gerichtet sei; das Aufziehen des Reifens stelle außerdem keine Bearbeitung bzw. Verarbeitung im Sinne des § 12 UStDB dar. Der hier zu beurteilende Sachverhalt stimmt mit diesem Sachverhalt insofern überein, als die verkauften Reifen ebenfalls unentgeltlich aufgezogen worden sind. Die OFD hat diese Tätigkeit auch nicht als steuerlich schädlich angesehen. Sie ist jedoch der Auffassung, daß der Verkauf der neuen (oder gebrauchten) Reifen und das Abmontieren der alten Reifen einen einheitlichen Vorgang darstellen und der Wille der Vertragsparteien auf die Lieferung montierter Reifen gerichtet sei. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Es ist zwar richtig, daß bei dem Verkauf der neuen Reifen und dem Abmontieren der alten Reifen, die vielfach in Tausch gegeben werden, von einem einheitlichen Geschäft gesprochen werden kann. Das UStG besteuert jedoch nicht das Geschäft, sondern die einzelnen Leistungen.

Bei zusammengehörigen Vorgängen, die auf einem Geschäft beruhen, ist deshalb zu prüfen, ob es sich um eine einheitliche Leistung handelt, oder um mehrere Leistungen, die zusammengehören, wobei die mehreren Leistungen zueinander im Verhältnis von Hauptleistung und Nebenleistung stehen können. Wie der BFH bereits in dem UrteilV 219/53 U vom 1. Juli 1954 (a. a. O.) ausgeführt hat, kommt es dem Kunden, der einen neuen Reifen kauft, in erster Linie darauf an, einen Reifen zu erhalten. Dem Aufziehen dieses Reifens kommt demgegenüber nur die Bedeutung einer Nebenleistung zu. Es kann deshalb nicht gesagt werden, daß der Käufer einen aufgezogenen Reifen erwerben wolle. Der Verkauf eines neuen Reifens und das Aufziehen des neuen Reifens stellen vielmehr zwei getrennte Leistungen dar, die zueinander im Verhältnis von Haupt- und Nebenleistung stehen. Die Nebenleistung teilt dabei das Schicksal der Hauptleistung.

Diese Beurteilung muß auch gelten, wenn für das Aufmontieren ein Entgelt entrichtet wird. Besteuert wird die Leistung und nicht das Entgelt; vgl. dazu die BFH-UrteileV 52/62 U vom 6. Mai 1965 (BStBl 1965 III S. 471, Slg. Bd. 82 S. 625);V 155/64 U vom 22. April 1965 (BStBl 1965 III S. 469, Slg. Bd. 82 S. 618); V 156/64 U vom 22. April 1965 (BStBl 1965 III S. 468, Slg. Bd. 82 S. 615)und V 157/64 U vom 22. April 1965 (BStBl 1965 III S. 470, Slg. Bd. 82 S. 623). Das Abmontieren des alten Reifens hat mit dem Verkauf des neuen Reifens nur insofern etwas zu tun, als der neue Reifen nicht aufgezogen werden kann, solange der alte nicht abmontiert ist. Es bildet deshalb lediglich die Voraussetzung für das Aufziehen des neuen Reifens, hängt aber mit dem Umtausch des alten Reifens unmittelbar nicht zusammen. Eine einheitliche Leistung, die aus dem Verkauf des neuen Reifens, dem Abmontieren des alten Reifens und dem Aufziehen des neuen Reifens bestehen würde, kann deshalb nicht angenommen werden. Es liegen vielmehr getrennte Leistungen vor. Das zeigt sich auch darin, daß in den Fällen, in denen der alte Reifen in Tausch gegeben wird, als Abmontieren des alten Reifens in erster Linie mit dessen Eintausch zusammenhängt. Auch aus diesem Grund kann das Abmontieren des alten Reifens nicht als Nebenleistung zum Verkauf des neuen Reifens angesehen werden.

Zur Annahme einer Nebenleistung ist erforderlich, daß die Leistung im Verhältnis zur Hauptleistung nebensächlich ist, mit ihr eng zusammenhängt und in ihrem Gefolge üblicherweise vorkommt (BFH-Urteil V 22/58 U vom 14. Januar 1960, BStBl 1960 III S. 147, Slg. Bd. 70 S. 394). In dem vorliegenden Fall fehlt es vor allen an dem engen Zusammenhang zwischen den beiden Tätigkeiten. Die Stpfl. kann deshalb, soweit die übrigen Voraussetzungen vorliegen, für den Verkauf der neuen Reifen die Großhandelsvergünstigung in Anspruch nehmen, auch wenn sie für das Abmontieren der alten Reifen ein Entgelt verlangt. Das Abmontieren hat das FG zu Recht mit 4 v. H. zur Umsatzsteuer herangezogen.

Die Revision war hiernach als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl III 1966, 476

BFHE 1966, 565

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