Leitsatz (amtlich)

1. Ein Betriebsteil i. S. von § 5 Abs. 1 des 2. VermBG ist eine Betriebsabteilung, die zwar organisatorisch unselbständig, aber insoweit deutlich vom übrigen Betrieb abgetrennt ist, als sie in der Regel einen eigenen Arbeitnehmerstamm von einiger Bedeutung, eigene technische Betriebsmittel sowie eine eigene mindestens technische Leitung hat. Eine aus drei Arbeitnehmern bestehende kaufmännische Abteilung eines Architekturbüros ist kein Betriebsteil in diesem Sinne.

2. Ist ein vom FA während des Klageverfahrens nach § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO geänderter Einkommensteuerbescheid, durch den die Steuer herabgesetzt wurde, auf Antrag des Klägers nach § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden, so kann das FA die Wiederherstellung des ursprünglichen Bescheids mit der Revision nicht erreichen.

 

Normenkette

2. VermBG § 5 Abs. 1, § 14 Abs. 1; AO § 94 Abs. 1 Nr. 2, § 222 Abs. 1 Nr. 1; FGO §§ 68, 96 Abs. 1 S. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) befaßte sich als Innenarchitekt im wesentlichen mit Ladenbauten. Er beschäftigte insgesamt 24 Arbeitnehmer, von denen 20 bei der Erstellung der Ladenbauten, drei in der kaufmännischen Abteilung und einer als Innenarchitekt beschäftigt waren. Im Streitjahr 1968 gewährte er seinen drei kaufmännischen Angestellten vermögenswirksame Leistungen nach dem Zweiten Vermögensbildungsgesetz (2. VermBG) in Höhe von je 312 DM. Bei der Veranlagung lehnte es der Beklagte und Revisionskläger (FA) ab, dem Kläger die Steuerbegünstigung nach § 14 des 2. VermBG zu gewähren, weil es sich bei der kaufmännischen Abteilung des Klägers nicht um einen Betriebsteil i. S. des § 5 Abs. 1 des 2. VermBG gehandelt habe. Es gewährte dem Kläger ferner nicht den beantragten Freibetrag wegen Körperbehinderung, weil der Kläger eine amtsärztliche Bescheinigung nicht vorgelegt hatte. Der Einspruch blieb erfolglos.

Während des Klageverfahrens legte der Kläger eine amtsärztliche Bescheinigung des Gesundheitsamts vor, aus der ersichtlich ist, daß er seit 1968 wegen Diabetes mellitus (Zuckerharnruhr) in seiner Erwerbsfähigkeit um 30 v. H. gemindert ist. Daraufhin änderte das FA den Bescheid nach § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO und gewährte den beantragten Freibetrag. Der geänderte Bescheid wurde Gegenstand des Verfahrens. In der mündlichen Verhandlung machte das FA geltend, daß dem Kläger der Pauschbetrag wegen Körperbehinderung zu Unrecht gewährt worden sei, weil die Voraussetzungen des § 65 Abs. 2 Nr. 2 der EStDV nicht gegeben seien.

Das FG gab der Klage zum Teil statt. Es sah die kaufmännische Verwaltung des Klägers als einen Betriebsteil i. S. des § 5 Abs. 1 des 2. VermBG an und führte aus: Der Klage sei in diesem Punkt stattzugeben; nach § 14 Abs. 1 des 2. VermBG mindere sich die Einkommensteuer des Klägers um 281 DM. Das FA habe dem Kläger aber zu Unrecht den Pauschbetrag wegen der Minderung der Erwerbsfähigkeit gewährt, weil es sich um eine Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 50 v. H. handele und eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit nicht bestehe. Die im geänderten Bescheid zu Unrecht gewährte Steuerermäßigung wegen der Erwerbsminderung betrage 158 DM. Unter Berücksichtigung der Abzugsfähigkeit der vermögenswirksamen Leistung in Höhe von 281 DM ergebe sich gegenüber dem geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr also eine Minderung der Einkommensteuer um 123 DM.

Mit der wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision beantragt das FA, die Einspruchsentscheidung und den ihr zugrunde liegenden Einkommensteuerbescheid wiederherzustellen, hilfsweise, die Sache zurückzuverweisen. Es ist weiterhin der Auffassung, daß die Ehefrau und die beiden Töchter des Klägers, die die kaufmännischen Arbeiten erledigen, keinen Betriebsteil i. S. des § 5 Abs. 1 des 2. VermBG bilden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist nur zum Teil begründet.

Nach § 14 Abs. 1 des 2. VermBG kann ein Unternehmer seine Einkommensteuer um 30 v. H. der Summe kürzen, die er seinen Arbeitnehmern als vermögenswirksame Leistung zugewandt hat. Voraussetzung ist jedoch, daß es sich um vermögenswirksame Leistungen i. S. des § 5 Abs. 1 des 2. VermBG handelt, die allen Arbeitnehmern eines Betriebs oder eines Betriebsteils angeboten worden sein müssen. Zu Unrecht nimmt das FG an, die aus drei Angestellten bestehende kaufmännische Abteilung des Betriebs des Klägers sei ein Betriebsteil in diesem Sinne.

Es besteht in der Literatur (vgl. z. B. Janert, Kommentar zum 2. Vermögensbildungsgesetz, § 5 Rdnr. 8) weitgehend Einigkeit darüber, daß der Begriff des Betriebsteils nicht mit dem ertragsteuerrechtlichen Begriff des Teilbetriebs übereinstimmt, sondern daß es sich um einen arbeitsrechtlichen Begriff handelt. Dem ist zuzustimmen. Bereits im Urteil vom 19. Dezember 1969 VI R 155/67 (BFHE 98, 34, BStBl II 1970, 243) hat der Senat das zweite Vermögensbildungsgesetz als ein Gesetz arbeitsrechtlichen Charakters bezeichnet.

Der Begriff "Betriebsteil" ist indessen auch im Arbeitsrecht nicht gesetzlich bestimmt. Zieht man in Betracht, daß § 5 des 2. VermBG die Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer eines Arbeitgebers sicherstellen (vgl. hierzu die amtliche Begründung zum 2. VermBG, Bundestagsdrucksache IV/2814 zu § 5) und durch das Verbot der Zurücksetzung einzelner Arbeitnehmer auch dem sozialen Frieden im Betrieb dienen soll, dann kann unter einem Betriebsteil nur eine Betriebsabteilung verstanden werden, die zwar organisatorisch unselbständig, aber jedenfalls insoweit deutlich vom übrigen Betrieb abgetrennt ist, als sie in der Regel einen eigenen Arbeitnehmerstamm von einiger Bedeutung, eigene technische Betriebsmittel sowie eine eigene mindestens fachliche Leitung hat (vgl. Fitting-Hentrich-Schwedes, Drittes Vermögensbildungsgesetz, 7. Aufl., Anm. 12 zu § 5; vgl. auch Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 23. September 1960 I ABR 9/59, BB 1960, 1326). Entgegen der Auffassung des FG kann im Streitfall nicht angenommen werden, daß die aus drei Angestellten bestehende kaufmännische Abteilung, der nach dem Vorbringen des FA zudem nur die Ehefrau des Klägers und zwei Töchter angehören, einen eigenen Arbeitnehmerstamm von einiger Bedeutung hat. Der Senat braucht sich deshalb mit der Frage, ob und inwieweit die kaufmännische Abteilung über eigene Betriebsmittel und eine eigene fachliche Leitung verfügt, nicht mehr auseinanderzusetzen.

Obwohl demnach die Revision des FA insoweit Erfolg haben müßte, kann der Senat dem Antrag des FA nicht voll entsprechen und die Einspruchsentscheidung sowie den ihr zugrunde liegenden Einkommensteuerbescheid wiederherstellen. Dadurch, daß das FA den ursprünglichen Bescheid in der Form der Einspruchsentscheidung im Klageverfahren änderte und der Kläger den Antrag nach § 68 der FGO stellte, wurde allein der geänderte Bescheid Gegenstand des Klageverfahrens, ohne daß es dazu eines Vorverfahrens gegen den geänderten Bescheid bedurft hätte. Denn der Antrag nach 68 FGO bewirkt, daß nunmehr nur noch über die Rechtmäßigkeit des geänderten Bescheids zu entscheiden ist. Die Höhe der in dem geänderten Bescheid festgesetzten Steuer bildet nunmehr die Höchstgrenze, über die der Senat bei einer Revision des FA wegen seiner Bindung an das Klagebegehren (§ 121 i. V. mit § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) nicht hinausgehen kann. Da das FA auch im Rechtsmittelverfahren Herr des Verfahrens bleibt, hätte es zwar auch den bereits geänderten Bescheid abermals abändern können. Jedoch lagen im Streitfall die Voraussetzungen dafür nicht vor, da die Tatsache, daß der Körperbehinderten-Freibetrag dem Kläger zu Unrecht gewährt worden war, i. S. des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO für das FA nicht neu war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 FGO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71484

BStBl II 1975, 710

BFHE 1975, 567

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