Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Unterscheidung zwischen Leibrente und dauernder Last

 

Leitsatz (NV)

1. Die Gleichmäßigkeit von Rentenleistungen auf Grund eines Vermögensübertragungsvertrages entfällt mit der Folge, daß eine vollen Umfangs als Sonderausgabe abziehbare dauernde Last gegeben ist, wenn in der Vertragsurkunde eine Abänderbarkeit der Rentenhöhe bei Veränderung der Bedürftigkeit des Rentenberechtigten oder der Leistungsfähigkeit des Rentenverpflichteten entsprechend dem Rechtsgedanken des § 323 ZPO vorgesehen ist.

2. Die Bezugnahme auf den Rechtsgedanken des § 323 ZPO muß sich ausdrücklich und eindeutig aus dem Übergabevertrag ergeben. Sie darf sich bei dessen Auslegung nicht lediglich als ein Teil einer darin enthaltenen Wertsicherungsklausel erweisen.

 

Normenkette

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 323

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), die als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer für die Streitjahre 1972 bis 1974 veranlagt worden sind, sind Gesellschafter einer KG.

Die Mutter des Klägers übertrug mit notariellem Vertrag vom 10. November 1971 zusätzlich zu dessen bisherigen Gesellschaftsanteilen an der KG eine Komman

ditbeteiligung teils auf den Kläger und teils auf ihre Enkelin. Diese verpflichteten sich gesamtschuldnerisch, ihr eine Rente von monatlich 4 300 DM auf Lebenszeit ab September 1971 zu zahlen.

In dem Vertrag heißt es zur Abänderbarkeit der Höhe der Rentenzahlungen wörtlich:

,,Beide Parteien können im Rahmen der Rechtsgrundsätze des § 323 ZPO eine betragsmäßige Veränderung der Rente verlangen, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben. Eine wesentliche Veränderung ist immer dann gegeben, wenn sich die Altersrenten aus der gesetzlichen Sozialversicherung erhöhen oder ermäßigen. Es kann dann eine entsprechende prozentuale Änderung der Rente verlangt werden, und zwar erstmals für den Monat, für den die geänderten Sozialversicherungsrenten zu zahlen sind. Dieser Grundsatz wird jeweils erneut anwendbar, wenn sich die Renten aus der gesetzlichen Sozialversicherung verändern."

Außerdem verpflichteten sich der Kläger und die Enkelin, Krankheitskosten der Übertragenden über einer bestimmten Grenze zu übernehmen. Die Vertragsparteien waren sich darüber einig, daß die vereinbarte Rente nach menschlichem Ermessen ausreichend sein dürfte, um den angemessenen Lebensunterhalt der Rentenberechtigten zu decken.

Die Kläger machten in ihren Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1972 bis 1974 als dauernde Lasten Leistungen an die Mutter des Klägers in Höhe von 39 320 DM für das Jahr 1972 und in Höhe von je 29 490 DM für die Jahre 1973 und 1974 geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beurteilte das Versprechen des Klägers und der Enkelin zu wiederkehrenden Leistungen als Leibrente und berücksichtigte dementsprechend nur den Ertragsanteil als Sonderausgaben.

Mit ihrer Klage verfolgten die Kläger den Abzug der wiederkehrenden Leistungen als dauernde Last weiter. Der Annahme einer Leibrente stehe die in dem Vertrag vom 10. November 1971 enthaltene Bezugnahme auf den Rechtsgedanken des § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO) entgegen. Die geltend gemachten Beträge hätte der Kläger an seine Mutter zu leisten gehabt. Die Differenz zu den tatsächlichen Zahlungen habe seine Mutter ihm als Darlehen überlassen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, die wiederkehrenden Leistungen seien nicht als dauernde Last, sondern als Leibrente zu beurteilen. Die vertragliche Vereinbarung zur Anpassung der Leistungen sei als Wertsicherungsklausel auszulegen. Denn eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse sei nach dem Vertrag immer dann anzunehmen, wenn die Sozialversicherungsrenten sich erhöhten oder ermäßigten. Zusätzliche Leistungen seien für den Fall vertraglich vorgesehen, daß sich ein erhöhter Bedarf der Rentenberechtigten infolge Krankheit ergebe. Damit sei nach der ausdrücklichen Erklärung der Vertragsparteien ein angemessener Unterhalt voraussichtlich gesichert. Bei Vermögensübertragungsverträgen - wie im vorliegenden Fall - sei eine Abänderbarkeit entsprechend § 323 ZPO nicht typisch. Die Übernahme zusätzlicher Kosten für den Krankheitsfall stehe der Annahme nicht entgegen, daß grundsätzlich gleichbleibende Leistungen zu erbringen seien. Es könne unter diesen Umständen dahinstehen, ob die wiederkehrenden Leistungen der Rentenberechtigten auch tatsächlich vereinbarungsgemäß erbracht worden seien.

Während des Verfahrens über die von den Klägern eingelegte Revision hat das FA geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1973 und 1974 aus Gründen erlassen, die nicht im Streit sind. Die Kläger haben daraufhin gemäß § 68 i. V. m. § 121 und § 123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beantragt, die geänderten Bescheide zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

Zur Begründung ihrer Revision tragen sie vor, das angefochtene Urteil verletze § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes 1971/1974 (EStG). Das FG habe die Abänderungsklausel fehlerhaft ausgelegt. Es habe nicht berücksichtigt, daß in dem Vertrag vom 10. November 1971 ausdrücklich auf § 323 ZPO Bezug genommen worden sei und die wiederkehrenden Leistungen immer dann angepaßt werden sollten, ,,wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben". Infolgedessen sei die Höhe der wiederkehrenden Leistungen nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit der Verpflichteten und der Unterhaltsbedürftigkeit der Rentenberechtigten abänderbar.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist unbegründet.

1. Gegenstand des Verfahrens sind aufgrund der im Revisionsverfahren abgegebenen Erklärung der Kläger für die Jahre 1973 und 1974 die geänderten Einkommensteuerbescheide (§§ 68, 121, 123 Satz 2 FGO), während es für das Jahr 1972 bei dem ursprünglichen Einkommensteuerbescheid geblieben ist. Der Senat hält es nicht für geboten, nach § 127 FGO das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen; denn die Sache ist spruchreif. Hinsichtlich des Streitpunkts - Abzug der Leistungen an die Mutter des Klägers - sind die tatsächlichen Grundlagen durch die geänderten Bescheide nicht berührt worden. Der erkennende Senat ist bereits in seinem Urteil vom 31. Juli 1984 IX R 3/79 (BFHE 142, 347, BStBl II 1985, 33) entsprechend verfahren.

2. Das FG hat die Verpflichtung des Klägers zu wiederkehrenden Barleistungen an seine Mutter aufgrund des Vertrags vom 10. November 1971 ohne Rechtsverstoß als Leibrente und nicht als dauernde Last nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG beurteilt.

Wiederkehrende Leistungen, die anläßlich der Übertragung eines land- und forstwirtschaftlichen oder eines gewerblichen Betriebs oder eines Gesellschaftsanteils von Eltern auf ihre Kinder in vorweggenommener Erbfolge aufgrund eines Übertragungsvertrages in Form von Geld, Sachwerten oder Nutzungsüberlassungen vereinbart werden, sind nicht betriebliche, sondern private, zu den Sonderausgaben i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG zählende Aufwendungen, wenn sie der Verpflichtete nicht als angemessene Gegenleistung für den erworbenen Betrieb oder den Gesellschaftsanteil, sondern zur Versorgung des Übertragenden übernommen hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) spricht eine nur in Ausnahmefällen zu widerlegende Vermutung für den familiären, außerbetrieblichen Charakter der Betriebsübertragung und damit für die außerbetriebliche Natur der im Zusammenhang mit dieser Übertragung zugesagten Leistungen der Kinder an ihre Eltern (so zuletzt der erkennende Senat in seinem Urteil vom 30. Oktober 1984 IX R 2/84, BFHE 143, 317, BStBl II 1985, 610).

Wie der erkennende Senat in seinem vorstehenden Urteil weiter ausgeführt hat, ist bei privaten Versorgungsleistungen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu unterscheiden, ob es sich um mit dem Ertragsanteil abziehbare Leibrenten, vollen Umfangs abziehbare dauernde Lasten oder nicht als Sonderausgaben berücksichtigungsfähige einmalige Vermögenszuwendungen handelt. Eine einheitliche Beurteilung der Zuwendungen kommt allenfalls wegen Geringfügigkeit einer von mehreren oder aufgrund eines besonders engen Zusammenhangs der verschiedenartigen Versorgungsleistungen in Betracht.

Die Voraussetzungen einer Leibrente sind erfüllt, wenn regelmäßig wiederkehrende Leistungen in Geld oder vertretbaren Sachen in bestimmter Höhe zu erbringen sind. Dauernden Lasten fehlt hingegen das Merkmal der Gleichmäßigkeit. Sie bestehen in wiederkehrenden Aufwendungen, die ein Steuerpflichtiger für längere Zeit einem anderen in Geld oder Sachwerten von unterschiedlicher Höhe aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung zu leisten hat und die nicht zu bestimmten Einkünften nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 bis 7 EStG (jetzt § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 EStG 1983) gehören (so der erkennende Senat zuletzt im Urteil in BFHE 143, 317, BStBl II 1985, 610).

Die Gleichmäßigkeit der Rentenleistungen wird nach der ständigen Rechtsprechung des BFH nicht schon dadurch ausgeschlossen, daß die Vertragsparteien in dem Übertragungsvertrag eine Wertsicherungsklausel vereinbart haben. Dadurch bleibt die Vorausbestimmbarkeit der Rentenleistungen erhalten; die Gleichmäßigkeit des inneren Werts der Rente wird verstärkt. Die Gleichmäßigkeit der Rentenleistungen entfällt erst, wenn in der Vertragsurkunde eine Abänderbarkeit der Rentenhöhe bei Veränderung der Bedürftigkeit des Rentenberechtigten oder der Leistungsfähigkeit des Rentenverpflichteten entsprechend des Rechtsgedankens des § 323 ZPO vorgesehen ist (im einzelnen Urteil des erkennenden Senats in BFHE 143, 317, BStBl II 1985, 610). Dabei muß sich die Bezugnahme auf § 323 ZPO, d. h. die Abänderbarkeit der laufenden Zahlungen ausdrücklich und eindeutig aus dem Übergabevertrag ergeben (BFH-Urteile vom 20. Mai 1980 VI R 108/77, BFHE 130, 520, BStBl II 1980, 573, und vom 19. September 1980 VI R 161/77, BFHE 131, 384, BStBl II 1981, 26).

3. Nach den vorstehenden Grundsätzen handelt es sich bei den in dem Vermögensübertragungsvertrag vom 10. November 1971 vereinbarten Barleistungen von monatlich 4 300 DM an die Rentenberechtigte um gleichmäßige wiederkehrende Leistungen. Aus dem Vertrag vom 10. November 1971 läßt sich eindeutig lediglich eine Wertsicherungsklausel entnehmen, nicht aber zusätzlich mit der erforderlichen Bestimmtheit eine Abänderbarkeit der Rentenhöhe nach Maßgabe der Bedürftigkeit der Rentenberechtigten und der Leistungsfähigkeit der Rentenverpflichteten.

Eine Abänderbarkeit der Rentenhöhe im Falle einer geänderten Bedürftigkeit oder Leistungsfähigkeit bedarf in Vermögensübertragungsverträgen schon deswegen einer eindeutigen und klaren Regelung, weil - wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 143, 317, BStBl II 1985, 610 ausgeführt hat - sich die Leistungen in derartigen Verträgen in einem, wenn auch nicht notwendig kongruenten Abhängigkeitsverhältnis mit der Folge gegenüberstehen, daß dieses durch eine Abänderung der Rentenhöhe bei veränderter Bedürftigkeit oder Leistungsfähigkeit gestört würde.

Darüber hinaus müssen im vorliegenden Fall die gegenseitigen Rechte und Pflichten auch deswegen klar und eindeutig vereinbart sein, weil die Mutter, der Kläger und die Enkelin als Partner des Vermögensübertragungsvertrags vom 10. November 1971 nahe Angehörige sind. Vereinbarungen zwischen Familienangehörigen sind nur dann einkommensteuerrechtlich wie Verträge unter fremden Personen zu berücksichtigen, wenn die Gestaltung und Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden üblichen entsprechen (BFH-Urteile vom 22. Mai 1984 VIII R 35/84, BFHE 142, 28, BStBl II 1985, 243, und vom 14. April 1983 IV R 198/80, BFHE 138, 359, BStBl II 1983, 555).

Die Vertragsparteien haben zwar in ihrer vertraglichen Regelung zur Anpassung der Rentenhöhe eingangs vorgesehen: ,,Beide Parteien können im Rahmen der Rechtsgrundsätze des § 323 ZPO eine betragsmäßige Veränderung der Rente verlangen . . ." Im folgenden haben sie jedoch einen Anspruch auf Rentenanpassung materiell-rechtlich von einer allgemeinen Bezugsgröße abhängig gemacht, wie sie einer Wertsicherungsklausel entspricht, während sie einer individuellen Veränderung der Bedürftigkeit der Rentenberechtigten durch Zusatzleistungen im Krankheitsfalle Rechnung getragen haben. Die Vertragsparteien haben nämlich für eine Rentenanpassung als Bezugsgröße auf eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse abgestellt, die nach ihrem Willen in der Regel dann anzunehmen ist, wenn sich die Altersrenten in der gesetzlichen Sozialversicherung erhöhen oder ermäßigen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414361

BFH/NV 1986, 526

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