Entscheidungsstichwort (Thema)

Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte: Gestellung eines Dienstfahrzeugs und eines Fahrers durch den Arbeitgeber als Arbeitslohn

 

Leitsatz (amtlich)

Stellt ein Arbeitgeber seinen Vorstandsmitgliedern für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in einem büromäßig eingerichteten Dienstwagen unentgeltlich einen Fahrer zur Verfügung, so liegt hierin für die Vorstandsmitglieder ein geldwerter Vorteil i.S. des § 19 Abs.1 Satz 1 Nr.1 EStG.

 

Orientierungssatz

1. Die jeweilige Arbeitsbelastung des einzelnen Arbeitnehmers ist kein sachgerechtes und praktikables Abgrenzungsmerkmal dafür, ob die Gestellung eines Fahrers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durch den Arbeitgeber im jeweiligen Einzelfall steuerpflichtiger Arbeitslohn oder eine Vorteilsgewährung im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse ist.

2. Die Gestellung eines Dienstfahrzeugs durch den Arbeitgeber für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte führt auch dann zu einer als Arbeitslohn zu bewertenden geldwerten Zuwendung an den Arbeitnehmer, wenn dieser das Dienstfahrzeug wegen Sondereinsätzen außerhalb der Dienstzeit ständig zur Verfügung haben muß (Festhaltung an BFH-Urteil vom 20.12.1991 VI R 116/89). Ob die im BMF-Schreiben vom 28.5.1996 IV B 6 -S 2334- 173/96 (BStBl I 1996, 654, unter Nr.I 4) vertretene Auffassung zutreffend ist, ein geldwerter Vorteil sei nicht zu erfassen, wenn ein Arbeitnehmer ein Firmenfahrzeug ausschließlich an den Tagen für seine Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erhält, an denen es erforderlich werden kann, daß er dienstliche Fahrten von der Wohnung aus antritt, z.B. beim Bereitschaftsdienst in Versorgungsunternehmen, konnte im Streitfall offenbleiben.

 

Normenkette

EStG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 8 Abs. 2, § 9 Abs. 1 Nr. 4

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein Verband mit zahlreichen Mitgliedsunternehmen in mehreren Regierungsbezirken. Seine Aufgabenstellung erfordert eine zeitlich umfassende Dienstleistungsbereitschaft und einen hohen Abstimmungs- und Koordinationsaufwand, insbesondere für die Geschäftsleitung. Zur Erfüllung dieser Aufgaben stellt der Kläger seinen Vorstandmitgliedern Dienstwagen zur Verfügung, die auch privat genutzt werden können. Für die Zeit der dienstlichen Nutzung steht außerdem ein Fahrer für jedes Fahrzeug zur Verfügung. Die Fahrer übernehmen die Fahrzeuge am jeweiligen Wohnort des Vorstandsmitglieds und beenden auch dort wieder ihre tägliche Arbeit. Die Fahrzeuge sind ausgestattet mit Funktelefon, Schreibplatte, Diktiergerät, Büromaterial, Leselampe, Ablagefächer für Akten und mit Fachbüchern.

Der Kläger hat die Fahrergestellung für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht als Arbeitslohn seiner Vorstandmitglieder gewertet und insoweit auch keinen Lohnsteuerabzug vorgenommen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erließ einen Haftungsbescheid, der sich ausschließlich auf diejenige Lohnsteuer bezieht, die nach seiner Ansicht auf die Fahrergestellung für das Jahr 1990 und die Monate Januar bis Mai 1991 entfällt.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob den Haftungsbescheid auf. Es vertrat die Auffassung, bei den Fahrten der Vorstandsmitglieder zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit dem Dienstwagen stelle die Fahrergestellung keinen geldwerten Vorteil i.S. des § 19 Abs.1 Nr.1, § 8 Abs.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dar. Soweit der Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 21. Januar 1991 IV B 6 - S 2353- 5/91 (BStBl I 1991, 157) anordne, daß der private Nutzungswert von Kraftwagen bei zusätzlicher Gestellung des Fahrers um 50 v.H. des für die Überlassung des Fahrzeugs geltenden Wertes zu erhöhen sei, könne dieser Erlaß nur dann zur Anwendung kommen, wenn die Fahrergestellung überhaupt einen Vorteil i.S. des § 19 Abs.1 Nr.1 EStG darstelle. Das treffe im Streitfall nicht zu. Denn hier habe die Fahrergestellung im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Klägers gelegen, weil die Vorstandsmitglieder die Fahrtzeit in dem büromäßig eingerichteten Kraftfahrzeug zur Erledigung beruflicher Arbeiten genutzt hätten.

Das FA rügt mit seiner Revision eine Verletzung der §§ 19 Abs.1 Satz 1 Nr.1, 8 Abs.2 EStG.

Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Entgegen der Auffassung des FG begründet es für die Vorstandsmitglieder des Klägers einen als Arbeitslohn i.S. der §§ 19 Abs.1 Satz 1 Nr.1, 8 Abs.2 EStG zu beurteilenden geldwerten Vorteil, daß der Kläger ihnen für die Fahrten zwischen ihrer Wohnung und der regelmäßigen Arbeitsstätte neben dem Dienstwagen auch unentgeltlich einen Fahrer zur Verfügung gestellt hat.

1. Bei den Fahrten der Vorstandsmitglieder zwischen ihren Wohnungen und dem Betriebssitz handelt es sich entgegen der Auffassung des Klägers um Fahrten i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG.

a) Der Rechtsauffassung des Klägers, die Fahrten der Vorstandsmitglieder in den von den Fahrern gesteuerten Dienstfahrzeugen hätten deshalb nicht die Eigenschaft von Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG, weil die Fahrzeuge wie ein Büro eingerichtet und deshalb als zweite Arbeitsstätte der Vorstandmitglieder zu beurteilen seien, folgt der Senat nicht. Der Umstand, daß ein Fahrzeug büromäßig eingerichtet ist und ein Arbeitnehmer während der Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte berufliche Aufgaben erledigt, hat auf die Eigenschaft dieser Fahrt als solche zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG keinen Einfluß. Die Zuschüsse des Arbeitgebers zu solchen Fahrten sind Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs.1 Satz 1 Nr.1 EStG, der ggf. pauschal nach § 40 Abs.2 Satz 2 EStG versteuert werden kann. Sie bleiben es auch dann, wenn die Arbeitnehmer die Fahrzeit für die Erledigung beruflicher Aufgaben nutzen. Eine vergleichbare Rechtsauffassung liegt auch dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 3. Dezember 1987 IV R 41/85 (BFHE 151, 446, BStBl II 1988, 266, unter Nr.2 b der Entscheidungsgründe) zugrunde. Danach ändert sich die steuerliche Zuordnung einer Fahrt zu einer bestimmten Tätigkeit nicht dadurch, daß der Steuerpflichtige während dieser Fahrt berufliche Tätigkeiten ausübt, die einer anderen Tätigkeit zuzurechnen sind. Maßgebend bleibt, durch welche Tätigkeit die Fahrt veranlaßt ist.

b) Die Gestellung eines Dienstfahrzeugs durch den Arbeitgeber für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte führt nach dem Senatsurteil vom 20. Dezember 1991 VI R 116/89 (BFHE 166, 292, BStBl II 1992, 308) auch dann zu einer als Arbeitslohn zu bewertenden geldwerten Zuwendung an den Arbeitnehmer, wenn dieser das Dienstfahrzeug wegen Sondereinsätzen außerhalb der Dienstzeit ständig zur Verfügung haben muß. Der Senat hat betont, daß es für diese rechtliche Beurteilung keine Rolle spiele, aus welchen Gründen der Arbeitnehmer ein Dienstfahrzeug für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nutzen muß oder kann, und daß diese Auffassung schon aus Gründen der Rechtsklarheit geboten sei. Er hat damit dem eigenen Interesse des Arbeitnehmers an der unentgeltlichen Überlassung eines Kraftfahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte ein so hohes Gewicht beigemessen, daß die Annahme eines ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesses des Arbeitgebers an der Überlassung des Dienstfahrzeugs auf jeden Fall und unabhängig von der Intensität des Eigeninteresses des Arbeitgebers an dieser Fahrzeugüberlassung ausscheidet. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Ob die im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 28. Mai 1996 IV B 6 - S 2334- 173/96 (BStBl I 1996, 654, unter Nr.I 4) vertretene Auffassung zutreffend ist, ein geldwerter Vorteil sei nicht zu erfassen, wenn ein Arbeitnehmer ein Firmenfahrzeug ausschließlich an den Tagen für seine Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erhält, an denen es erforderlich werden kann, daß er dienstliche Fahrten von der Wohnung aus antritt, z.B. beim Bereitschaftsdienst in Versorgungsunternehmen, braucht nicht entschieden zu werden. Denn ein derartiger Sachverhalt liegt im Streitfall nicht vor. Den Vorstandsmitgliedern des Klägers steht das Dienstfahrzeug vielmehr ständig zur Verfügung.

2. Die Überlegungen, die für die Gestellung eines Kraftfahrzeugs gelten, treffen für die unentgeltliche Überlassung eines Fahrers gleichermaßen zu. Die unentgeltliche Überlassung eines Fahrers durch den Arbeitgeber für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte begründet für den Arbeitnehmer einen geldwerten Vorteil i.S. der §§ 19 Abs.1 Satz 1 Nr.1, 8 Abs.2 EStG. Der gegenteiligen Auffassung Drensecks (in Schmidt ,Einkommensteuergesetz, 15.Aufl., § 19 Rz.50 "Kraftfahrzeuggestellung") folgt der Senat nicht. Der Umstand, daß ein Arbeitnehmer die von ihm geschuldete Arbeit bei einer büromäßigen Einrichtung des Fahrzeugs und der Gestellung eines Fahrers teilweise bereits während der Fahrzeit zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erbringen kann, wirkt sich jedenfalls auch für den Arbeitnehmer vorteilhaft aus. Er kann dadurch die Dauer seines Aufenthalts an der regelmäßigen Arbeitsstätte verkürzen und damit die ihm für nichtberufliche Zwecke zur Verfügung stehende Zeitspanne vergrößern. Soweit der Kläger meint, der Streitfall sei atypisch und anders zu beurteilen, rechtfertigt sein tatsächliches Vorbringen keine andere Würdigung. Der Kläger sieht die Besonderheit des Streitfalls darin, daß seine Vorstandsmitglieder eine regelmäßige Arbeitszeit von arbeitstäglich 12 Stunden haben und damit dann, wenn sie ihre beruflichen Tätigkeiten nicht bereits während der Fahrzeit ausgeübt hätten, eine Abwesenheit von zu Hause von 13 bis 14 Stunden pro Tag gehabt hätten. Er meint, dies wäre physisch auf Dauer nicht auszuhalten gewesen. Der Senat hält die jeweilige Arbeitsbelastung des einzelnen Arbeitnehmers nicht für ein sachgerechtes und praktikables Abgrenzungsmerkmal dafür, ob die Gestellung eines Fahrers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durch den Arbeitgeber im jeweiligen Einzelfall steuerpflichtiger Arbeitslohn oder eine Vorteilsgewährung im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse ist.

3. Die Vorentscheidung ist von anderen Voraussetzungen ausgegangen und deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen. Da der Kläger den in der Fahrergestellung liegenden geldwerten Vorteil nicht der Lohnsteuer unterworfen hat, hat das FA ihn zu Recht gemäß § 42d Abs.1 Nr.1 EStG als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Dies gilt jedenfalls vor dem Hintergrund, daß über die Auswahl des Klägers anstelle der einzelnen Vorstandsmitglieder (vgl. § 42d Abs.3 EStG) zwischen den Beteiligten kein Streit besteht.

Über die Bewertung des in der Fahrergestellung liegenden geldwerten Vorteils und die Höhe der darauf entfallenden Lohnsteuer besteht zwischen den Beteiligten Einvernehmen; das FA hat die Haftungsschuld in Übereinstimmung mit der eigenen - -nachrichtlichen-- Berechnung des Klägers festgesetzt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66067

BFH/NV 1997, 50

BStBl II 1997, 147

BFHE 181, 181

BFHE 1997, 181

BB 1996, 2601

BB 1996, 2601-2603 (Leitsatz und Gründe)

DB 1996, 2527-2528 (Leitsatz und Gründe)

DStR 1996, 1930-1931 (Kurzwiedergabe)

DStZ 1997, 155-156 (Leitsatz und Gründe)

HFR 1997, 102-103 (Leitsatz)

StE 1996, 794 (Kurzwiedergabe)

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