Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG i.d.F. des StBereinG 1986 bei Wohnsitzverlegung im Laufe des Jahres 1985 von Deutschland in die Niederlande

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 2 AGGrenzgNL setzt die beschränkte inländische Einkommensteuerpflicht einer Person mit Wohnsitz in den Niederlanden voraus. Daran fehlt es, wenn die Person gemäß § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkt steuerpflichtig ist.

2. Die Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG i.d.F. des StBereinG 1986 auf den Veranlagungszeitraum 1985 ist verfassungsrechtlich unbedenklich.

 

Normenkette

EStG § 1 Abs. 3, § 2 Abs. 7, § 42; GrenzgNLDAG § 2; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; GrenzgNLDAG § 5

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf (Entscheidung vom 27.04.1993; Aktenzeichen 16 K 115/88 E)

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1985 als Beamter in Aachen tätig. Bis zum 26. Juli 1985 hatte er seinen einzigen Wohnsitz im Inland. Am 27. Juli 1985 verlegte er denselben in die Niederlande. Seiner Beamtentätigkeit ging er im Inland weiterhin nach. Einnahmen, die nur in den Niederlanden steuerpflichtig waren, erzielte er nicht. Für die Zeit vom 1. Januar bis 26. Juli 1985 reichte der Kläger noch in 1985 eine Einkommensteuererklärung 1985 ein. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erließ am 29. Oktober 1985 einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid 1985.

Der Gesetzgeber erließ am 19. Dezember 1985 das Steuerbereinigungsgesetz --StBereinG-- 1986 (BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735). In ihm wurde die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) auf Auslandsbedienstete ohne diplomatischen und konsularischen Status ausgedehnt. Die Gesetzesänderung findet auch für den Veranlagungszeitraum 1985 Anwendung (§ 52 Abs. 1 a EStG). Danach war der Kläger auch in der Zeit vom 27. Juli bis 31. Dezember 1985 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.

Der Kläger stellte im März 1986 beim FA einen Antrag auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1985 für die in der Zeit nach dem 26. Juli 1985 und vor dem 1. Januar 1986 im Inland erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Diesen Antrag lehnte das FA ab, weil es davon ausging, daß der erlassene Einkommensteuerbescheid 1985 der Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1985 entgegenstehe. Der Kläger stünde sich schlechter, wenn für das gesamte Jahr 1985 nur ein Einkommensteuerbescheid ergehe oder ein Lohnsteuer-Jahresausgleich durchgeführt werde. Auf eine "Steuernachforderung" hat das FA aus Billigkeitsgründen verzichtet.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 14, veröffentlicht.

Mit seiner vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung der §§ 1 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 1 a EStG und § 5 des Ausführungsgesetzes für Grenzgänger der Niederlande (AGGrenzgNL).

Es beantragt, das Urteil des FG Düsseldorf vom 27. April 1993 16 K 115/88 E aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Nach § 5 AGGrenzgNL i.d.F. vom 21. Oktober 1980 (BGBl I 1980, 1999, BStBl I 1980, 725) wird Arbeitnehmern, die die Voraussetzungen des § 2 AGGrenzgNL erfüllen, die für das abgelaufene Kalenderjahr einbehaltene Jahreslohnsteuer auf Antrag vom FA insoweit erstattet, als sie die auf den Jahresarbeitslohn entfallende Lohnsteuer übersteigt. § 42 EStG findet sinngemäße Anwendung. Auf der Grundlage dieser Vorschriften besteht für den Kläger schon deshalb kein Anspruch auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1985, weil er die Voraussetzungen einerseits des § 2 AGGrenzgNL und andererseits des § 42 EStG nicht erfüllte. Zwar hatte er in der Zeit ab Ende Juli bis zum 31. Dezember 1985 seinen einzigen Wohnsitz in den Niederlanden. Dennoch war er während des gesamten Kalenderjahres 1985 --wie unter II.2 noch darzulegen sein wird-- gemäß § 1 Abs. 1 und 3 EStG i.d.F. des StBereinG 1986 im Inland unbeschränkt steuerpflichtig. § 2 AGGrenzgNL setzt jedoch die beschränkte inländische Einkommensteuerpflicht der Person mit Wohnsitz in den Niederlanden voraus. Die Vorschrift verdrängt lediglich § 50 EStG, der seinerseits nur für beschränkt einkommensteuerpflichtige Personen gilt.

2. Nach § 1 Abs. 1 EStG sind natürliche Personen, die im Inland ihren Wohnsitz haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Der Kläger erfüllte diese Voraussetzungen in der Zeit vom 1. Januar bis 26. Juli 1985 schon deshalb, weil er damals seinen Wohnsitz im Inland hatte. Diesen gab er allerdings Ende Juli 1985 auf. Jedoch gelten deutsche Staatsangehörige gemäß § 1 Abs. 3 EStG i.d.F. des StBereinG 1986 auch dann als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nrn.1 und 2 EStG erfüllen und im Ausland einkommensteuerpflichtige Einnahmen von nicht mehr als 5 000 DM im Veranlagungszeitraum beziehen. Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger in der Zeit ab Ende Juli bis zum 31. Dezember 1985 deshalb, weil er die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts in einem Dienstverhältnis stand und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse bezog. Der Kläger erzielte in 1985 keine im Ausland steuerpflichtigen Einnahmen. Damit war er während des gesamten Kalenderjahres 1985 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Folge seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht ist u.a. die Anwendung des § 2 Abs. 7 Sätze 1 und 2 EStG. Danach ist die Einkommensteuer 1985 eine Jahressteuer. Die ihrer Festsetzung zugrundezulegenden Besteuerungsgrundlagen sind für das jeweilige Kalenderjahr zu ermitteln. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG sind dagegen im Streitfall nicht erfüllt, weil der Kläger nicht von der unbeschränkten zur beschränkten Einkommensteuerpflicht oder umgekehrt wechselte.

3. a) Zwar ist § 1 Abs. 3 EStG erst durch das StBereinG 1986 in das EStG eingefügt worden. Die Vorschrift ist dennoch gemäß § 52 Abs. 1 a EStG auch für den Veranlagungszeitraum 1985 anzuwenden. Würde sie nicht anzuwenden sein, so wäre der Kläger in der Zeit ab Ende Juli bis zum 31. Dezember 1985 beschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen. Dies wäre für ihn steuerbelastungsmäßig günstiger. Dennoch ist die Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG im Streitfall verfassungsrechtlich unbedenklich. Der aus einer beschränkten Einkommensteuerpflicht des Klägers resultierende Anspruch auf Erstattung von Lohnsteuer 1985 gemäß § 5 AGGrenzgNL wäre erst mit Ablauf des 31. Dezember 1985 entstanden. Das die Einfügung des § 1 Abs. 3 EStG enthaltende StBereinG 1986 datiert aber vom 19. Dezember 1985. Es wurde vor dem 31. Dezember 1985 verkündet. Damit begründete § 1 Abs. 3 EStG eine sog. unechte Rückwirkung. Unechte Gesetzesrückwirkungen sind aber verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 8. Februar 1977 1 BvR 79/70 u.a., BVerfGE 43, 242, 286).

b) Die Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG bedeutet im Streitfall auch keine Verletzung des Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Dazu ist von §§ 25 Abs. 1, 32a EStG auszugehen. Die Vorschriften belegen, daß die Einkommensteuer sich als Jahressteuer im Grundsatz nach dem Jahreseinkommen bemißt. Davon gilt in den Fällen des § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG eine Ausnahme. Danach wird als Jahreseinkommen nur das Einkommen angesetzt, das der Steuerpflichtige während der Dauer seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht innerhalb eines Kalenderjahres bezieht. Hierin liegt eine Ungleichbehandlung zu Gunsten des genannten Steuerpflichtigen. Er wird nicht nach einem Einkommensteuertarif besteuert, der seiner Leistungsfähigkeit entspricht. Wenn das EStG diese Ungleichbehandlung aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung einerseits und mit Rücksicht auf die geringe Zahl der davon betroffenen Fälle andererseits hinnimmt, so mag dies verfassungsrechtlich noch vertretbar sein. Dem Kläger erwächst daraus jedoch kein Gleichbehandlungsanspruch im Unrecht. Er muß sich mit anderen unbeschränkt Einkommensteuerpflichtigen vergleichen lassen, deren Belastung mit Einkommensteuer 1985 nicht geringer ist. An sich war der Gesetzgeber unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten gehalten, auch in den Fällen des § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG den Einkommensteuertarif für die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen zu bemessen.

4. War der Kläger während des gesamten Kalenderjahres 1985 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, so beurteilt sich sein Anspruch auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1985 unmittelbar nach § 42 Abs. 1 EStG. Danach kommt es darauf an, ob der Kläger zur Einkommensteuer 1985 zu veranlagen war. Dies ist gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 2 EStG der Fall, weil sein Einkommen 1985 mehr als 24 000 DM betrug (vgl. Schriftsatz des Klägers vom 25. April 1989 S.2).

5. Aus dem vom FA gegenüber dem Kläger am 29. Oktober 1985 erlassenen Einkommensteuerbescheid 1985 ergibt sich nichts anderes. Die Tatbestandswirkung des Bescheides erschöpft sich in seiner Regelung, daß die Einkommensteuer 1985 als Jahressteuer gegenüber dem Kläger auf einen bestimmten Betrag festgesetzt ist. Es kann dahinstehen, ob das FA an diesen Bescheid gebunden ist oder ob er nicht zumindest in analoger Anwendung des § 52 Abs. 1 a EStG auf Antrag des Klägers geändert werden könnte. Jedenfalls kann der Bescheid nicht die beschränkte Einkommensteuerpflicht des Klägers für die Zeit ab dem 27. Juli 1985 bewirken. Er kann für sich genommen auch keinen Anspruch auf Erstattung von Lohnsteuer bzw. auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs begründen. Soweit das FG in der Vorentscheidung eine andere Auffassung vertreten hat, fehlt ihr jede Rechtsgrundlage. Deshalb kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Sie war aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Mangels Anspruchs des Klägers auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1985 war die Klage abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64933

BFH/NV 1995, 19

BStBl II 1995, 127

BFHE 175, 528

BFHE 1995, 528

BB 1995, 232

BB 1995, 232-233 (LT)

DB 1995, 303 (L)

DStR 1995, 175 (K)

DStZ 1995, 276-277 (KT)

HFR 1995, 259-260 (LT)

StE 1995, 69 (K)

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