Entscheidungsstichwort (Thema)

Körperschaftsteuer Verbrauchsteuern

 

Leitsatz (amtlich)

Die durch den ratenweisen Erlaß von Tabaksteuerschulden gemäß § 99 Abs. 6 TabStG bewirkte Vermögensmehrung führt nicht zu einem steuerfreien Sanierungsgewinn.

 

Normenkette

KStG § 11 Ziff. 4; TabStG § 99 Abs. 6

 

Tatbestand

I. Bescheid

Streitig ist, ob der Erlaß von Tabaksteuerschulden in Höhe von 3.892.707,25 DM, die der Bfin. als Auswirkung einer allgemeinen Maßnahme zugunsten der Tabakindustrie zunächst für 1953 gestundet worden waren und dann gemäß § 99 Abs. 6 Satz 1 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) mit je 20 v. H. in den Jahren 1954 bis 1958 erlassen worden sind, als steuerfreier Sanierungsgewinn im Sinne des § 11 Ziff. 4 KStG zu behandeln ist. Finanzamt und Finanzgericht haben dies mit folgender Begründung abgelehnt. Es handele sich hier um einen gesetzlich befristeten Erlaß, um zu verhindern, daß die Ertragsteuern für die entstandenen Buchgewinne aus der Auflösung der Steuerschulden auf einmal zu entrichten gewesen wären. Für die Frage der Gewinnauflösung sei auf den Zeitpunkt der einzelnen "Teilerlasse" abzustellen. Das müsse auch bei der Prüfung der Frage beachtet werden, ob ein Sanierungsgewinn vorliege. Es könne jedoch dahingestellt bleiben, ob die Bfin. zu Beginn der Jahre 1954 bis 1958 sanierungsbedürftig gewesen sei, da es auf jeden Fall beim Steuergläubiger an der nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung erforderlichen Sanierungsabsicht mangele. Diese Absicht könne nur bei einem ausnahmsweise möglichen vorzeitigen Erlaß der gesamten Tabaksteuer-Rückstände durch einen Gesamtakt nach § 99 Abs. 6 Satz 2 TabStG vorliegen. Den allgemeinen Erlaß nach Satz 1 dieser Vorschrift gewähre das Gesetz allen Unternehmen ohne Rücksicht auf ihre Sanierungsbedürftigkeit. Es liege außerhalb jeder Erörterung, daß der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, alle oder die überwiegende Mehrzahl der Tabakwarenhersteller seien an den jeweiligen Erlaßzeitpunkten sanierungsbedürftig gewesen. Die eigentliche Hilfsmaßnahme für die Tabakindustrie sei nicht der Erlaß, sondern der vorher ausgesprochene allgemeine Vollstreckungsaufschub gewesen, der durch § 99 TabStG nur abgewickelt worden sei, und zwar in den Jahren 1954 bis 1958, als in der Tabakindustrie wieder der wirtschaftliche Aufschwung einsetzte. Die durch § 99 TabStG getroffene Regelung sei eine volkswirtschaftliche Maßnahme und ihrem Inhalt nach nichts anderes als eine aus politischen Gründen erst später, aber mit rückwirkender Kraft vorgenommene Steuersenkung. Wenn schon im Einzelfall der Erlaß geschuldeter Steuern in der Regel keine Sanierungsmaßnahme darstelle, so gelte dies erst recht dann, wenn er zugunsten eines ganzen Industriezweiges ohne Rücksicht auf die Ertragslage der dadurch begünstigten Einzelbetriebe erfolge. Die Behandlung der Erlaßbeträge als abzugsfähige Sanierungsgewinne verstoße geradezu gegen den Sinn des Gesetzes, weil sie im Ergebnis auf eine Benachteiligung der gut arbeitenden und eine Belohnung der schlecht arbeitenden Betriebe hinausliefe.

Mit der Rb. wird folgendes geltend gemacht: Schon grundsätzliche Erwägungen wiesen darauf hin, daß es sich hier nicht um steuerpflichtigen Betriebsgewinn handeln könne. Der Steuergläubiger habe in Anbetracht der schlechten wirtschaftlichen Lage der Tabakindustrie die bereits gestundeten Banderolensteuerbeträge erlassen. Er habe dies getan, um insbesondere den in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedrohten Klein- und Mittelbetrieben zu helfen, um sie wieder gesund zu machen. Die dadurch bei ihnen bewirkten Vermögensmehrungen beruhten nicht auf Einnahmen, die als gewerbliche Erträge anzusehen seien. Die Erhöhung des Betriebsvermögens der Bfin. beruhe auf einem betriebsfremden Vorgang ähnlich einer Einlage (so auch Urteil des Reichsfinanzhofs VI 474/39 vom 13. September 1939, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1939 Nr. 536). Sie könne deshalb schon auf Grund der allgemeinen rechtlichen Erwägungen, auf denen die Vorschrift des § 11 Ziff. 4 KStG fuße, nicht steuerpflichtig sein.

Im übrigen seien auch alle von der Rechtsprechung geforderten Einzelvoraussetzungen für die Abzugsfähigkeit des Sanierungsgewinns nach § 11 Ziff. 4 KStG erfüllt. An der Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsfähigkeit der Bfin. bestehe kein Zweifel. Dabei spiele es keine Rolle, daß die Bfin. von der in § 99 Abs. 6 Satz 2 TabStG vorgesehenen Möglichkeit eines sofortigen Gesamterlasses keinen Gebrauch gemacht habe; denn bilanz- und vermögensmäßig gesehen sei es für die Bfin. das gleiche, ob sie sofort den Erlaß der Gesamtsteuerschuld erhielt, oder ob sie den Erlaßanspruch aktivierte. Auch in den einzelnen Jahren, in denen die Teilerlasse vollzogen wurden, hätten negative Betriebsergebnisse vorgelegen, die nur über den Erlaß ausgeglichen werden konnten.

Auch die Sanierungsabsicht des Steuergläubigers sei gegeben. Die Vorinstanzen hätten insoweit die wirkliche Sach- und Rechtslage verkannt. Der Gesetzgeber habe mit der Erlaßregelung eindeutig das Ziel verfolgt, die Klein- und Mittelbetriebe der Tabakindustrie vor dem Untergang zu bewahren. Er habe dies in Form einer schematischen Regelung getan, um "eine übermäßige Verwaltungsarbeit zu vermeiden und von vornherein klare Verhältnisse zu schaffen" (so wörtlich der schriftliche Bericht des Bundestagsausschusses für Finanz- und Steuerfragen vom 11. März 1953, Bundestags-Drucksache, 1. Wahlperiode, Nr. 4182 S. 2/3). Dabei sei in Kauf genommen worden, daß vielleicht auch einzelne nicht sanierungsbedürftige Unternehmen in den Genuß des Erlasses kämen. Richtig betrachtet sei der Hauptbeweggrund des Gesetzgebers bei der Schaffung des § 99 TabStG die Sanierung der in ihrer Gesamtheit notleidend gewordenen kleinen und mittleren Betriebe gewesen. Logischerweise erstrecke sich dann diese Sanierungsabsicht auch auf jeden einzelnen zu der Gruppe gehörenden Betrieb, bei dem die für Sanierungsmaßnahmen erforderlichen Voraussetzungen vorgelegen hätten. Das Erfordernis der Sanierungsabsicht dürfe nicht zu eng ausgelegt werden. Diese sei zu bejahen, wenn beim Gläubigerverzicht der Beweggrund mitgewirkt habe, den Fortbestand des sanierungsbedürftigen Unternehmens zu ermöglichen. Es könne auch nicht in erster Linie maßgebend sein, was der Gläubiger bezwecke, sondern wie sein Verzicht für den Schuldner wirke (Zitzlaff, StuW 1943 Sp. 680). Der Gläubiger brauche also nur damit zu rechnen, daß die Sanierung notwendig sei (Urteil des Reichsfinanzhofs VI 194/38 vom 30. März 1938, RStBl 1938 S. 629). Zwar solle der Erlaß geschuldeter Steuern in der Regel keine Sanierungsmaßnahme darstellen. Das gelte aber dann nicht, wenn auf diese Weise notleidende Unternehmen vor dem Zusammenbruch bewahrt würden (Urteile des Reichsfinanzhofs I A 168/36 vom 3. Juli 1936, StuW 1936 Nr. 378, und I 321/38 vom 14. Februar 1939, RStBl 1939 S. 761).

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist unbegründet.

Nach dem Urteil des Reichsfinanzhofs I A 168/36, das mehrere Steuerarten betrifft, sind Vermögensmehrungen, die durch Erlaß geschuldeter und passivierter Steuerschulden seitens des Steuergläubigers außerhalb eines allgemeinen Gläubigerakkords entstehen - z. B. durch Erlaß nach § 131 AO -, grundsätzlich kein steuerfreier Sanierungsgewinn. Sie können es ausnahmsweise dann sein, wenn sich der Erlaß als eine Maßnahme darstellt, die die notleidenden Unternehmen vor dem Zusammenbruch bewahren und wieder ertragsfähig machen soll. Ebenso haben der Reichsfinanzhof bezüglich erlassener Beförderungsteuer im Urteil I 321/38 vom 14. Februar 1939 und der Bundesfinanzhof im Urteil I 47/60 vom 21. Februar 1963 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1963 S. 214), bezüglich des Erlasses der Hypothekengewinnabgabe nach § 5 Abs. 4 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich (1. HypSichDV), wenn auch unter teilweise anderen als den hier vorliegenden Voraussetzungen, entschieden. In dem zuletzt erwähnten Urteil hat der erkennende Senat erklärt, es gebe im Steuerrecht keinen allgemeinen Grundsatz, daß die Nichterhebung einer Abgabe, die auf einer Befreiung oder einem Erlaß beruht, keine andere Steuer auslösen dürfe.

Durch den hier vorliegenden gesetzlich befristeten allgemeinen Tabaksteuererlaß in der Weise, daß jeweils zu Beginn der Kalenderjahre 1954 bis 1958 der Erlaß für 20 v. H. der Steuerschulden der Bfin. wirksam geworden ist (ß 99 Abs. 6 Satz 1 TabStG), ist nach Auffassung des Senats ein steuerlich abzugsfähiger Sanierungsgewinn nicht entstanden.

Allerdings ist die erste Voraussetzung für die Annahme eines Sanierungsgewinns, der Erlaß einer Schuld, in den in Betracht kommenden Jahren gegeben. Ebenso kann nach dem Akteninhalt unterstellt werden, daß die Bfin. insofern sanierungsbedürftig war, als sie ohne den Erlaß der Tabaksteuer in den Endbilanzen 1954 bis 1958 entweder einen erheblichen Verlust am Stammkapital ausgewiesen hätte oder sogar beträchtlich überschuldet gewesen wäre.

Im vorliegenden Fall ist jedoch die Sanierungsabsicht nicht als gegeben anzusehen. Gegen eine solche Absicht spricht einmal schon die Tatsache, daß die Tabaksteuerverbindlichkeiten, die unter den sonstigen Verbindlichkeiten erscheinen, nur einen Bruchteil der gesamten Verbindlichkeiten der Bfin. ausmachen. Die sonstigen Verbindlichkeiten machen das Fünf- bis Sechsfache des gesamten Tabaksteuererlaßbetrages und mehr als das 25fache der auf das einzelne Jahr entfallenden Erlaßquote aus. Unter diesen Umständen ist kaum anzunehmen, daß der Bund als Steuergläubiger eine Sanierung des Betriebs der Bfin. allein auf sich genommen hätte, ohne die übrigen Gläubiger mit ihren erheblich höheren Forderungen an der Sanierung irgendwie zu beteiligen.

Aber auch hiervon abgesehen ist nicht anzunehmen, daß der als Steuergläubiger auftretende Bund seine Maßnahmen durch die Sanierungsbedürftigkeit der Bfin. hat bestimmen lassen. Der Bundesgesetzgeber hat eine für einen ganzen Industriezweig bestimmte und nur die Tabaksteuer betreffende Maßnahme zur steuerlichen Erleichterung für kleine und mittlere Betriebe, die zunächst durch Stundung, dann durch Teilerlaß schematisch durchzuführen war, angeordnet. Er hat dies ohne Rücksicht darauf getan, ob und in welchem Masse die in Betracht kommenden Betriebe sanierungsbedürftig waren und ob und inwieweit der Erlaß der Teilbeträge den Notwendigkeiten der Sanierung im individuellen Fall entsprach. Die Teilerlasse kamen daher auch nicht notleidenden Betrieben ohne weiteres zugute. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß die Durchführung der Teilerlasse auch bei der Bfin. über das für ihre Sanierung erforderliche Maß wohl hinausging. Nach Durchführung der Tabaksteuererlasse ergab sich nämlich eine Erhöhung des Betriebsvermögens der Bfin. von 372.010 DM am 31. Dezember 1953 auf 1.112.743 DM am 31. Dezember 1958 bei einem Stammkapital von 200.000 DM. Unter diesen Umständen kann eine Sanierungsabsicht nicht als vorliegend anerkannt werden.

Für diese Auffassung spricht auch noch ein anderer Gesichtspunkt. Der in § 99 Abs. 6 Satz 1 TabStG geregelte Normalfall des Erlasses der Tabaksteuerschuld in fünf gleichen Jahresbeträgen war vom Gesetz deshalb eingeführt worden, damit die Entstehung und Entrichtung des Buchgewinns aus den Steuererlassen in einer Summe verhindert wurden (vgl. Schröter, Das Tabaksteuergesetz, Anm. 4 zu § 99). Diese Gestaltung setzte also gerade voraus, daß der entstehende Buchgewinn der Versteuerung unterliege und nicht als Sanierungsgewinn unversteuert belassen wurde.

Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob die Lage anders anzusehen wäre, wenn die Tabaksteuerschuld der Bfin. auf ihren Antrag nach § 99 Abs. 6 Satz 2 TabStG in einem Jahre erlassen und in einer Summe ausgebucht worden wäre (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 322/59 U vom 1. Februar 1963, Bundessteuerblatt 1963 III S. 241). Dieser Fall unterscheidet sich von dem Normalfall dadurch, daß die entscheidende Verwaltungsbehörde vor Gewährung des Erlasses in eine individuelle Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse der antragstellenden Firma einzutreten hat. Ein Antrag auf ausnahmsweisen Erlaß der Steuer in einem Jahre ist jedoch von der Bfin. nicht gestellt worden. Nach alledem hält der Senat die Voraussetzungen des § 11 Ziff. 4 KStG nicht für gegeben.

Die Bfin. hat mündliche Verhandlung beantragt. Es erschien dem Senat angebracht, vorerst ohne eine solche zu entscheiden (ß 294 Abs. 2 AO).

II. Urteil Wegen der Sach- und Rechtslage wird auf den Vorbescheid vom 28. November 1963 hingewiesen. Die mündliche Verhandlung hat dem erkennenden Senat keine Veranlassung gegeben seine Rechtsauffassung zu ändern.

Es liegt auf der Hand, daß bei sofortigem Verzicht des Steuergläubigers auf die Tabaksteuer bei ihrer Entstehung schon begrifflich keine Sanierung im Sinne des § 11 Ziff. 4 KStG hätte angenommen werden können. Die Tabaksteuerschuld war entstanden (ß 3 Abs. 1 StAnpG) und alsbald danach gestundet worden. Sie führte in den Bilanzen zu entsprechenden Gewinnminderungen, obwohl sie nicht bezahlt zu werden brauchte. Der spätere Tabaksteuererlaß auf Grund des § 99 Abs. 6 TabStG hat durch die Streichung der bilanzierten Tabaksteuerschulden den Gewinn um gleich hohe Beträge erhöht. Auf diese Weise blieb schließlich über mehrere Jahre gesehen die wirkliche Tabaksteuerbelastung der Bfin. in Höhe der tatsächlich zu bezahlenden Steuerbeträge übrig.

Es erscheint fraglich, ob solche miteinander zusammenhängende Besteuerungsvorgänge zur Annahme von steuerfreiem Sanierungsgewinn berechtigen.

Selbst wenn aber diesem Bedenken kein entscheidendes Gewicht zukommen sollte, fehlt hier die notwendige Sanierungsabsicht des Bundes als Hauptgläubiger der Bfin. Sie hat vorgetragen, in den Jahren des Steuererlasses hätten ihre das Fünf- bis Sechsfache der insgesamt erlassenen Tabaksteuer betragenden "sonstigen Verbindlichkeiten" im wesentlichen ebenfalls aus Tabaksteuerschulden bestanden. Gerade daraus geht hervor, daß bei dem hier durchgeführten Tabaksteuererlaß der Steuergläubiger nicht in Sanierungsabsicht gehandelt haben kann, weil er andernfalls auch die weit höheren laufenden Tabaksteuerverbindlichkeiten in seine bei solchen Anlässen typischen überlegungen einbezogen hätte.

Der erkennende Senat verbleibt dabei, daß der endgültige allgemeine Erlaß, der die ursprüngliche Stundung der Tabaksteuer in einer für die Tabakindustrie entgegenkommenden Weise ablöste, mangels einer Sanierungsabsicht des Steuergläubigers die Steuerfreiheit der eingetretenen Vermögensmehrung im Sinne des § 11 Ziff. 4 KStG nicht bewirkt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411254

BStBl III 1964, 434

BFHE 1964, 553

BFHE 79, 553

BB 1964, 277

DB 1964, 1724

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