Leitsatz (amtlich)

Nachzahlungen (Tantieme), die einem Arbeitnehmer (leitenden Angestellten) nach seinem Eintritt in den Ruhestand vom Arbeitgeber geleistet werden, gehören zu den Bezügen für eine aktive Tätigkeit im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

 

Normenkette

EStG § 19 Abs. 1 Nrn. 1-2; DBA SWE i.d.F. des Zusatzprotokolls vom 20. März 1959 Art. 4 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Revisionsklägerin zahlte im Jahre 1967 ihrem mit Ablauf des 30. Juni 1966 in den Ruhestand getretenen, am 1. Juli 1966 in die Schweiz übergesiedelten Vorstandsmitglied S aufgrund des Jahresabschlusses 1966 eine Tantieme, für die der Revisionsbeklagte (das FA) mit Haftungsbescheid vom 7. Februar 1968 Lohnsteuer von ihr nachforderte (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 DBAS vom 20. März 1959; BStBl I 1959, 1006). Nach Auffassung der Revisionsklägerin gehört die Tantiemezahlung jedoch zu den dem Empfänger im Jahre 1967 zugeflossenen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (Ruhegehalt; § 19 Abs. 1 Nr. 2 EStG), die - als solche - nach den Vorschriften des Schlußprotokolls (zu Art. 4 Abs. 1) zum DBAS unstreitig in der Schweiz zu versteuern sind.

Einspruch und Klage der Revisionsklägerin blieben ohne Erfolg. Die Entscheidung des FG ist in den EFG 1970, 270 veröffentlicht. Gegen seine Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision der Revisionsklägerin mit dem Antrag, den Haftungsbescheid vom 3. Januar 1969 aufzuheben. Zur Begründung läßt sie vortragen:

Das FG sei zutreffend davon ausgegangen, daß auch in einem Doppelbesteuerungsabkommen enthaltene Vorschriften in Zweifelsfällen nach Grundsätzen des innerstaatlichen Rechts ausgelegt werden dürften. Unrichtig sei indes die Unterscheidung zwischen Bezügen für die aktive Tätigkeit und Versorgungsbezügen. Das Lohnsteuerrecht unterscheide nach dem Zuflußprinzip zwischen Bezügen aus einer (gegenwärtigen) Beschäftigung und einer früheren Dienstleistung. Es sei somit nicht die Rechtsnatur der Leistungen, sondern das Rechtsverhältnis des Empfängers zum Leistenden im Zeitpunkt des Zuflusses der Einkünfte entscheidend. Entsprechendes gelte für die Zurechnung von Nachzahlungen zur Lohnsumme (§ 24 GewStG).

Was die Frage nach der Aufteilung der Tantiemen betreffe, so folge aus der Zeitraum-Abhängigkeit von Dienstbezügen die Zugehörigkeit der einen Hälfte zum Ruhegehalt. Der Empfänger dieser Bezüge teile diese Rechtsauffassung. Soweit das FG sich seiner Auffassung nicht vergewissert habe, werde mangelnde Sachaufklärung gerügt.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der gemäß § 122 Abs. 2 FGO dem Verfahren beigetretene BdF hat ausgeführt:

Die Tantieme sei eine nach Umsatz oder Reingewinn des Unternehmens oder eines Teilbetriebes bemessene Arbeitsvergütung. Sie sei im Zusatzprotokoll (zu Art. 4 Abs. 1) zum DBAS nicht ausdrücklich genannt. Es sei deshalb durch Auslegung zu ermitteln, ob sie unter diese Vorschrift falle. Das FG habe zutreffend darauf hingewiesen, daß die streitige Zahlung nicht aus Versorgungsgründen geleistet worden sei. Der Umstand, daß sie nur noch für das Jahr gezahlt worden sei, in dem der Empfänger in den Ruhestand getreten sei, beweise, daß ihr kein Versorgungscharakter zukomme. Die von der Revisionsklägerin vertretene Auffassung sei bisher weder von den deutschen noch von den schweizerischen Finanzbehörden geteilt worden (Entscheidung der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 17. August 1964, zitiert bei Locher, Das schweizerisch-deutsche Doppelbesteuerungsabkommen, Bd. 3 Teil B § 7, I A, 1 Nr. 17). Das zeitliche Moment des Zuflusses von Einnahmen sei allenfalls für die Entstehung der Steuerpflicht nach dem Steuerrecht eines Vertragsstaates von Bedeutung, nicht aber für die Qualifikation dieser Einnahmen.

Nichts anderes ergebe sich, wenn man das DBAS für auslegungsbedürftig halte. Das in diesem Falle ergänzend heranzuziehende innerstaatliche Recht unterscheide in § 19 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG zwischen Bezügen für die aktive Tätigkeit und solchen für frühere Dienstleistungen. Auch hier werde nicht auf das Zeitmoment des Zuflusses, sondern allein darauf abgestellt, ob die Bezüge für einen Zeitraum geleistet würden, in dem die Dienstleistungsverpflichtung des Arbeitnehmers noch bestanden oder bereits "geruht" habe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Die Rüge der mangelnden Sachaufklärung ist nicht begründet, da es sich auch nach Auffassung der Revisionsklägerin bei der etwa "unterlassenen" Nachfrage nicht um Tatsachenfeststellungen, sondern um die Ermittlung der Rechtsansicht des Empfängers der Bezüge zu der hier streitigen Rechtsfrage handelt.

Auch die materiell-rechtliche Rüge der Revisionsklägerin ist nicht begründet. Der Senat stimmt mit den Beteiligten darin überein, daß das DBAS eine ausdrückliche Regelung für nachträglich zufließende Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht enthält. Es bedarf deshalb insoweit der Auslegung des Art. 4 Abs. 1 DBAS und des Zusatzprotokolls (zu Art. 4 Abs. 1), die in erster Linie aus den Vorschriften des Abkommens selbst, in zweiter Linie nach den Grundsätzen des innerdeutschen Rechts zu erfolgen hat (vgl. BFH-Urteil I 112/57 S vom 20. Januar 1959, BFH 68, 340, BStBl III 1959, 133; Korn-Dietz-Debatin, Doppelbesteuerung, Vorbemerkungen III G Anm. 4 ff.). Eine gesetzliche Vorschrift - und auch die in Doppelbesteuerungsabkommen enthaltenen Vorschriften werden mit ihrer Ratifizierung Bestandteil des innerstaatlichen Rechts (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG; BFH-Beschluß I 422/62 vom 4. Oktober 1967, BFH 90, 357, BStBl II 1968, 101) - darf nicht für sich allein betrachtet werden, sondern muß, wenn Zweifel bestehen, aus dem Sinnzusammenhang erklärt werden unter angemessener Berücksichtigung dessen, was der Gesetzgeber bzw. die Vertragschließenden eines Doppelbesteuerungsabkommens offenbar gewollt haben.

Während Art. 4 Abs. 1 DBAS das Besteuerungsrecht für "Einkünfte aus Arbeit" grundsätzlich demjenigen Staate zuweist, in dessen Gebiet die persönliche Tätigkeit ausgeübt wird, aus der diese Einkünfte herrühren, erfährt dieser am Ursprungsprinzip orientierte Grundsatz eine Ausnahme im Zusatzprotokoll (zu Art. 4 Abs. 1) zum DBAS für "Ruhegehälter, Witwen- und Waisenpensionen und andere Bezüge oder geldwerte Vorteile für frühere Dienstleistungen", die nur in demjenigen Staate besteuert werden, in dem der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz hat. Wie nachträglich zufließende "Einkünfte aus Arbeit" einzuordnen sind, ist dieser Regelung danach nicht eindeutig zu entnehmen. Soweit sie jedoch eine Auslegung aus sich heraus zuläßt, stimmt der Senat dem FG darin zu, daß die hier angesprochenen "anderen Bezüge oder geldwerten Vorteile für frühere Dienstleistungen" eindeutig auf den Grund der Zahlung - hier die Versorgung - und nicht auf das zeitliche Moment des Zufließens abstellen. Für diese Auslegung spricht auch, daß der Begriff der Nachzahlung dem Zeitmomet nur insoweit verbunden ist, als die Zahlung verspätet erfolgt, mithin in erster Linie (ebenfalls) auf den Grund der Zahlung abstellt.

Die rechtliche Einordnung der streitigen Zahlung muß danach indes im Zweifel - wie die Definition des Begriffs der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (vgl. Korn-Dietz-Debatin, a. a. O., Schweiz, Anm. 2, letzter Absatz zu Art. 4) - letztens, wenn nicht dem innerstaatlichen Recht des Staates der Tätigkeit entnommen, so doch an ihm überprüft werden.

Das innerdeutsche Recht zählt in § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG die Tantiemen den für eine Beschäftigung gewährten Bezügen zu, nicht den in § 19 Abs. 1 Nr. 2 EStG genannten "anderen Bezügen und Vorteilen aus früheren Dienstleistungen", die dem Berechtigten (oder seinen Hinterbliebenen) wegen Erreichens der Altersgrenze oder wegen vorzeitiger Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit gewährt werden. Dieser der Praxis folgenden Regelung entspricht auch die tatsächliche Handhabung der Revisionsklägerin, die dem Berechtigten für das Jahr 1966 zwar - aus welchen Gründen auch immer - die volle Jahrestantieme, in den folgenden Jahren indes neben seinem Ruhegehalt keine Tantieme mehr gezahlt hat. Auch hier ist mithin, wie auch das eigene Verhalten der Revisionsklägerin deutlich macht, nicht das zeitliche Moment des Zufließens der Tantieme als vielmehr ihre Sachbezogenheit auf die geleistete Arbeit, der Grund ihrer Zahlung, entscheidend.

Da das zeitliche Moment somit für die rechtliche Einordnung nachträglich zufließender Bezüge für deren rechtliche Einordnung nicht entscheidend ist und sein kann, kommt es auch nicht darauf an, ob im Bereich der Gewerbesteuer (Lohnsummensteuer) etwas anderes zu gelten hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 425935

BStBl II 1972, 459

BFHE 1972, 8

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