Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die in einer Schlußbesprechung zu einer Betriebsprüfung in Verbindung mit dem Steuerpflichtigen vorgesehene Regelung des Steuerfalles steht unter dem Grundsatz von Treu und Glauben.

Soweit in dieser Regelung Verfügungen nach § 96 AO enthalten sind, unterliegen sie den allgemeinen Bestimmungen der AO für diese Verfügungen.

 

Normenkette

AO §§ 96, 220

 

Tatbestand

Streitig ist die Festsetzung von Zuschlägen gemäß § 35 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1948 und § 35 Abs. 4 EStG 1949 bei der Veranlagung des Beschwerdeführers (Bf.) zur Einkommensteuer für II/1948 und 1949.

Der Bf. war bis 31. März 1949 alleiniger Inhaber einer Firma, die ab 1. April 1949 als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts geführt wird; an ihr ist der Bf. als Gesellschafter beteiligt.

Der Bf. machte in den vierteljährlichen Einkommensteuererklärungen der Veranlagungszeiträume II/1948 und 1949 folgende Angaben:

für III/1948 Verlust ----------- 401 DM ------ Einkommensteuer-Vorauszahlung ---------- 0 DM, für IV/1948 Verlust ---------- 8.350 DM, ------ Einkommensteuer-Vorauszahlung ---------- 0 DM, für I-IV/1949 Einkommen ----- 20.750 DM, ------ Einkommensteuer-Vorauszahlung ------ 8.128 DM.In den Jahressteuererklärungen gab der Bf. sein Einkommen mit 10.190 DM für II/1948 (Steuer 3.389 DM) und mit 14.485 DM für 1949 (Steuer 4.014 DM) an.

Bei einer überprüfung des Betriebes durch die Steuerfahndung im Jahre 1951 wurde festgestellt, daß in dem Prüfungszeitraum 1945 - 1950 Einnahmen in erheblichem Umfange nicht durch die Buchführung erfaßt worden sind. So konnten auf Grund von Privataufzeichnungen des Bf. allein für das Jahr 1950 unverbuchte Einnahmen in Höhe von rund 140.000 DM nachgewiesen werden. Die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung wurde für den gesamten Prüfungszeitraum verneint. Die Prüfer schätzten die nicht erfaßten Umsätze für II/1948 auf 25.000 DM und für 1949 auf 125.000 DM. Sie ermittelten die gewerblichen Gewinne der Firma im Wege des Vermögensvergleichs. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer für II/1948 nach einem geschätzten Einkommen von 19.581 DM auf 9.915 DM und für 1949 nach einem geschätzten Einkommen von 191.804 DM auf 157.942 DM fest. Da die geleisteten Vorauszahlungen für die in die Veranlagungszeiträume II/1948 und 1949 fallenden Kalendervierteljahre um mehr als 25 v. H. hinter den Vorauszahlungsbeträgen zurückgeblieben waren, die tatsächlich hätten entrichtet werden müssen, erhob das Finanzamt in den Veranlagungsbescheiden für II/1948 und 1949 nach § 35 Abs. 3 EStG 1948 (ß 35 Abs. 4 EStG 1949) Zuschläge von 15 v. H., und zwar für II/1948 im Betrage von (15 v. H. von 9.915 DM =) 1.487 DM und für 1949 in Höhe von (15 v. H. von 157.942 DM =) 23.691 DM.

Mit seiner Berufung wandte der Bf. unter anderem folgendes ein:

Das Verhalten des Finanzamts stelle einen Verstoß gegen Treu und Glauben dar. Denn in der Schlußbesprechung der Betriebsprüfung sei ihm - dem Bf. - von Vertretern der Finanzverwaltung ausdrücklich zugesichert worden, daß Strafzuschläge nicht erhoben werden würden. Es widerspricht rechtsstaatlichem Denken, wenn das Finanzamt sich nunmehr darauf berufe, an das von ihm abgegebene Versprechen nicht gebunden zu sein, weil Vergleiche in Steuersachen rechtswirksam nicht abgeschlossen werden könnten.

Das Finanzgericht erkannte die Berechtigung der Zuschläge dem Grunde nach an und führte hierzu folgendes aus:

Bei dem Zuschlag gemäß § 35 EStG handele es sich im Gegensatz zu dem Zuschlag nach § 168 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) nicht um eine Ermessensvorschrift. Der Zuschlag müsse vom Finanzamt festgesetzt werden, wenn die im Gesetz aufgeführten Voraussetzungen erfüllt seien. Ohne Einfluß auf die Erhebung von Strafzuschlägen müsse der vom Bf. geltend gemachte Einwand bleiben, daß von den Beamten der Finanzverwaltung zugesichert worden sei, Strafzuschläge würden nicht festgesetzt werden. Das Finanzgericht habe davon absehen können, die Beamten, die an den Prüfungsmaßnahmen teilgenommen, insbesondere bei der Schlußbesprechung zugegen gewesen seien, zu hören; denn selbst wenn die Behauptung des Bf. den Tatsachen entspreche, könne der Bf. hieraus nicht die Unzulässigkeit der festgesetzten Strafzuschläge herleiten. Da die Anwendung des § 35 Abs. 3 EStG 1948 (ß 35 Abs. 4 EStG 1949) keine Ermessensvorschrift sei, würde eine Absprache zwischen Steuerpflichtigen und Finanzamt des behaupteten Inhalts auf die Einräumung gesetzwidriger Steuervorteile gerichtet und als Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) rechtsunwirksam sein.

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) wendet sich gegen die Rechtsauffassung des Finanzgerichts und betont erneut, daß im Laufe der Schlußbesprechung auch diese Streitfrage im Wege der Vereinbarung bereinigt worden sei. Des weiteren wendet sich die Rb. in Ausführungen tatsächlicher Natur dagegen, daß der Bf. schuldhaft gehandelt habe. Das Finanzamt ist in seiner Stellungnahme zur Rb. der Auffassung, daß Vereinbarungen, die bei einer Schlußbesprechung getroffen werden, nicht die bindende Wirkung eines Vertrages hätten. Zusagen, die das Finanzamt bei den Vorverhandlungen gemacht habe, würden es bei der Steuerfestsetzung nicht binden. Hierbei bezieht sich das Finanzamt auf die Entscheidung des Reichsfinanzhofs IV 144/41 vom 4. September 1941, Reichssteuerblatt (RStBl.) 1941 S. 769 und die Erläuterungen von Riewald zu § 220 AO.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Wie der Reichsfinanzhof in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat, kennt das Steuerrecht, das dem öffentlichen Recht angehört, keine Vergleiche im Sinne des bürgerlichen Rechts, auf die im gerichtlichen Verfahren das Entstehen und Erlöschen von Rechtsansprüchen (Steueransprüchen) gestützt werden kann. Im einzelnen siehe die Rechtsprechung in den Erläuterungsbüchern von Riewald Anm. 3 zu § 220 AO, Hübschmann-Hepp-Spitaler Anm. 8 zu § 96 AO und Becker Reichsabgabenordnung 7. Aufl. Vorbemerkung zu § 79 AO Ziff. 2. Dem steht aber nicht entgegen, daß auch die in einer Schlußbesprechung zu einer Betriebsprüfung in Verbindung mit dem Steuerpflichtigen vorgesehene Regelung des Steuerfalles unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben zu beurteilen ist. Im vorliegenden Fall ist es bedeutsam, daß die Rb. eine Erklärung des Finanzamts behauptet, die unter § 96 AO fällt. Im Ergebnis behauptet sie einen Erlaß der Strafzuschläge vor ihrer Festsetzung. Der Reichsfinanzhof hat in seiner Entscheidung II A 128/31 vom 28. Juli 1931, RStBl. 1931 S. 735, ausgeführt, daß ein Erlaß bereits ausgesprochen werden kann, ehe die Steuerschuld entstanden ist. Ein solcher Erlaß hindere die Entstehung der Schuld und sei im Veranlagungs- und dem daran anschließenden Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen. Das Finanzgericht mußte deshalb tatbestandsmäßig feststellen, ob der behauptete Erlaß ausgesprochen worden ist; es durfte die Frage nicht dahingestellt lassen.

Ein rechtswirksamer Erlaß setzt voraus, daß er von den zuständigen Beamten in ordnungsmäßiger Form klar ausgesprochen wird. Allgemein gehaltene Erörterungen im Rahmen einer Betriebsprüfung, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, also im Ergebnis lediglich Erörterungen über Möglichkeiten zur Bereinigung des Steuerfalles darstellen, sind im steuergerichtlichen Verfahren ohne Bedeutung. Im übrigen unterliegen derartige Zusagen den Allgemeinen Bestimmungen der AO für diese Verfügungen.

Im vorliegenden Falle fand eine Schlußbesprechung statt, an der sich neben dem Vorsteher des Finanzamts auch die Oberfinanzdirektion in der Person des Finanzpräsidenten beteiligte und die nach der hierüber angefertigten Niederschrift das Ziel verfolgt, "zu einem für den Betrieb tragbaren Ergebnis zu kommen und das Erliegen des Betriebes zu verhindern". Es wurde hierbei ein genauer Zahlungsplan aufgestellt. Ob bei dieser Regelung auch die Strafzuschläge erfaßt werden sollten, kann zweifelhaft erscheinen. Die von dem Steuerpflichtigen beantragten weiteren Ermittlungen zur Klärung des Tatbestandes entbehren somit nicht der Berechtigung.

Die Vorentscheidung wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung an das Finanzgericht zurückverwiesen, das dann gegebenenfalls auch zu den weiteren Einwendungen des Bf. hinsichtlich des Verschuldens Stellung nehmen kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408108

BStBl III 1955, 92

BFHE 1955, 235

BFHE 60, 235

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