Leitsatz (amtlich)

1. Ist der gesetzliche Vertreter einer GmbH in Konkurs gefallen, sind an ihn als gesetzlichen Vertreter der juristischen Person bewirkte Zustellungen nicht etwa aus den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen über die Durchgriffshaftung unwirksam.

2. Eine vom Konkursgericht angeordnete Postsperre umfaßt nicht die Posteingänge, die erkennbar an eine vom Gemeinschuldner vertretene juristische Person gerichtet sind.

2. Im Falle des Wohnungswechsels ist an dem neuen Wohnort eine Wohnung i. S. der Zustellungsvorschriften der §§ 180 ff. ZPO vorhanden, wenn der Zustellungsadressat einen großen Teil seines Hausrats in die beziehbaren Räumlichkeiten hat schaffen lassen, er weiterhin sein Namensschild an der Wohnungstür angebracht und die Schlüssel zum Hausbriefkasten erhalten hat.

 

Normenkette

GmbHG §§ 13, 63; KO §§ 6, 121; VwZG § 3; ZPO § 181

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine GmbH - befindet sich seit dem 10. August 1960 in Liquidation. Streitig ist, ob die unter dem 20. März 1964 gegen die Klägerin ergangenen Körperschaftsteuerbescheide für die Jahre 1960 bis 1963 mit einer im Jahr 1970 erhobenen Klage angefochten werden können.

Am 23. April 1964 legte die Klägerin, vertreten durch ihren Liquidator, über dessen Vermögen Anfang 1964 der Konkurs eröffnet worden war, beim Beklagten und Revisionsbeklagten (FA R) gegen die genannten Bescheide Einspruch ein. Diesen Einspruch wies das FA N, auf das die Zuständigkeit inzwischen übergegangen war, mit Entscheidung vom 29. April 1965 als unbegründet zurück. Die diese Entscheidung enthaltende Sendung, die an die Klägerin zu Händen ihres namentlich genannten Liquidators adressiert war, wurde im Zuge einer Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde bei der Postanstalt in D niedergelegt.

Im Jahr 1966 bestritt der jetzige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, der in dem Konkursverfahren über das Vermögen ihres Liquidators zum Konkursverwalter bestellt worden war, die Wirksamkeit der Körperschaftsteuerbescheide 1960 bis 1963. Er ließ sich Abschriften dieser Bescheide vom FA geben und führte hiergegen im Namen der Klägerin Rechtsbehelfe, die aber nicht zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung führten.

Am 23. November 1970 erhob die Klägerin unmittelbar gegen die im März 1964 erlassenen Körperschaftsteuerbescheide Klage mit der Begründung, über den seinerzeit vom Liquidator eingelegten Einspruch habe nicht wirksam entschieden werden können, weil dieser wegen des über sein Vermögen eröffneten Konkursverfahrens und infolge der damit verbundenen Postsperre nicht zum Empfang der Körperschaftsteuerbescheide 1960 bis 1963 befugt gewesen sei. Im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens machte die Klägerin weiterhin geltend, die Einspruchsentscheidung vom 29. April 1965 sei ihrem Liquidator nicht wirksam zugestellt worden. Die Niederlegung bei der Postanstalt in D am 5. Mai 1965 habe die Zustellung nicht ersetzt. Es fehle die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung und die Abgabe der schriftlichen Mitteilung beim Empfänger. Ihr Liquidator habe die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung nicht erhalten. Dieser sei in der Zeit vom 1. bis 10. Mai 1965 von M nach D umgezogen.

Nach Einholung schriftlicher Auskünfte der Vorsteher der für die Zustellung zuständigen Postbehörden und des mit der Zustellung betrauten Postbediensteten sowie nach Vernehmung des Liquidators der Klägerin wies das FG die Klage ab.

In ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung der §§ 6, 7 der KO, § 247 AO, § 76 FGO, § 3 VwZG, § 182 ZPO und der Denkgesetze. Der Konkurs des Liquidators der Klägerin hebe seine Befugnis auf, das zur Konkursmasse gehörige Vermögen zu verwalten und über dieses Vermögen zu verfügen. Die in Liquidation befindliche Klägerin bilde einen Vermögensgegenstand ihres im Konkurs befindlichen Liquidators. Dieser sei als Alleingesellschafter mit der Klägerin identisch. Das folge aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung über den Durchgriff, die dahin gehe, die formalrechtliche Trennung zwischen Einmann-GmbH und ihrem Gesellschafter aufzuheben. Eine gegen den Alleingesellschafter verhängte Postsperre nach § 121 KO müsse dazu führen, daß er keine Befugnis habe, die Geschäftspost der GmbH entgegenzunehmen.

Die Einspruchsentscheidung vom 29. April 1965 sei entgegen § 247 AO nicht schriftlich bekanntgegeben worden. Die schriftliche Bekanntgabe setze die rechtswirksame Adressierung und den Zugang beim Adressaten voraus. Das FG sei selbst der Auffassung, daß eine letzte Gewißheit über eine rechtswirksame Zustellung der Einspruchsentscheidung vom 29. April 1965 nicht gewonnen werden könne. Es unterstelle einfach, daß die stattgefundene Umadressierung der Sendung - Änderung der Ortsangabe M in die Ortsangabe D - von einem Bediensteten des FA vorgenommen worden sei. Das FG meine ferner zu Unrecht, es könne auf eine Bestätigung über den Zugang der Mitteilung hinsichtlich der Niederlegung der Sendung bei der Postanstalt verzichtet werden. Eine besondere Umsicht bei der Zustellung sei schon deshalb geboten gewesen, weil die Mitteilung über die Niederlegung gegenüber einer im Umzug begriffenen Person abzugeben gewesen sei. Es sei bekannt gewesen, daß der Umzug des Liquidators am 5. Mai 1965 noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Bis zu diesem Rechtsstreit habe die Klägerin die besonderen Umstände, unter welchen die Zustellung versucht worden sei, nicht gekannt. Richtig sei, daß es darauf, ob die Mitteilung über die Niederlegung den Empfänger tatsächlich erreicht habe, nicht ankomme. Es müsse aber zur Gewißheit feststehen, daß die Mitteilung über die Niederlegung abgegeben, befestigt oder zur Übermittlung ausgehändigt worden sei. Diese Gewißheit habe das FG nicht gewonnen.

Die Gründe des finanzgerichtlichen Urteils enthielten auch einen Widerspruch insofern, als ausgeführt sei, der Liquidator der Klägerin habe den Umzug am 10. Mai 1965 tatsächlich und rechtlich beendet, und andererseits gesagt werde, der Liquidator der Klägerin habe spätestens am 5. Mai 1 965 D zum Mittelpunkt seiner Lebensinteressen gemacht. Erst mit der Vollendung des Umzugs werde die Wohnung in dem einen Ort aufgegeben und an dem anderen Ort eingenommen. Die Anbringung eines Namensschildes und die Entgegennahme eines Briefkastenschlüssels begründeten noch keine neue Wohnung.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Körperschaftsteuerbescheide für die Jahre 1960 bis 1963 in der Gestalt der ergangenen Einspruchsentscheidungen zu ändern und die Körperschaftsteuer auf 0 DM festzusetzen, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Gegenstand der am 23. November 1970 erhobenen Klage ist, wie sich aus den Klageanträgen in der mündlichen Verhandlung vor dem FG ergibt, die Rechtmäßigkeit der gegen die Klägerin zu Händen ihres Liquidators ergangenen Körperschaftsteuerbescheide 1960 bis 1963 vom 20. März 1964. Die Bekanntgabe der Bescheide an den Liquidator war nicht etwa deshalb unwirksam, weil über dessen Vermögen einige Monate zuvor das Konkursverfahren eröffnet worden war. Die Konkurseröffnung bewirkt keine Beschränkung der Rechts- und Geschäftsfähigkeit des Gemeinschuldners (Jaeger, Konkursordnung, 8. Aufl., § 6 Anm. 10). Nach § 6 KO verliert er durch die Konkurseröffnung lediglich die Befugnis, sein zur Masse gehörendes Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen. Ist der Gemeinschuldner Kaufmann, so verliert er auch nicht seine Kaufmannseigenschaft (Jaeger, a. a. O., Anm. 15). Nach der Entscheidung des OLG München vom 14. Juni 1939 8 Wx 199/39 (Höchstrichterliche Rechtsprechung 1939 Nr. 1107) kann ein Gemeinschuldner zum Aufsichtsratmitglied bestellt werden. Ebenso verliert ein Gemeinschuldner mit der Konkurseröffnung nicht etwa automatisch seine Befugnisse als Geschäftsführer oder als Liquidator einer GmbH.

Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung erfaßt der Konkurs über das Vermögen eines GmbH-Gesellschafters auch dann nicht das Vermögen der GmbH, wenn dieser Gesellschafter der alleinige Gesellschafter der GmbH ist. Eine mit der Eintragung in das Handelsregister wirksam entstandene GmbH hat als juristische Person selbständig ihre Rechte und Pflichten. Sie kann Eigentum erwerben und vor Gericht klagen und verklagt werden. Ihr Vermögen ist verselbständigt. Die GmbH ist damit auch konkursfähig (§ 63 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -). Demgegenüber rechnen zum Vermögen eines Gesellschafters nicht die einzelnen der GmbH gehörenden Vermögensgegenstände, sondern nur seine Geschäftsanteile an der GmbH, die sich nach dem Betrag der von ihm übernommenen Stammeinlage bestimmen (§ 14 GmbHG). Nur diese Geschäftsanteile fallen in die Masse, wenn über das Vermögen eines GmbH-Gesellschafters das Konkursverfahren eröffnet worden ist.

Die rechtliche Verschiedenheit zwischen GmbH und Gesellschafter ist grundsätzlich zu beachten. Über die Rechtsnatur der juristischen Person darf nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. Urteil vom 13. November 1973 VI ZR 53/72, NJW 1974, 134, mit weiteren Nachweisen) nicht leichtfertig und schrankenlos hinweggegangen werden. Nur in besonders gelagerten Fällen hat die genannte Rechtsprechung den tatsächlichen Gegebenheiten bei der Einmann-GmbH Rechnung getragen, ohne dabei die rechtliche Verschiedenheit zwischen Gesellschafter und GmbH in Frage zu stellen. Hauptanwendungsfall ist der sogenannte Durchgriff, der - abgesehen vom Mißbrauch der Rechtsform der juristischen Person - nur möglich ist, wenn die Verwendung dieser Rechtsform nicht dem Zweck der Rechtsordnung entspricht oder wenn das Festhalten an dem Grundsatz der rechtlichen Trennung zwischen Gesellschaft und Alleingesellschafter zu Ergebnissen führen würde, die mit Treu und Glauben nicht in Einklang stehen (vgl. BGH-Urteil vom 14. Mai 1974 VI ZR 8/73, NJW 1974, 1371, mit weiterer Rechtsprechung). Aus diesen vornehmlich für die Druchsetzung der Ansprüche von Gesellschaftsgläubigern entwickelten Grundsätzen kann nicht hergeleitet werden, daß im Falle der Konkurseröffnung über das Vermögen des Alleingesellschafters das rechtlich verselbständigte Vermögen der Gesellschaft zwingend als zur Masse gehörig - dem von Konkurs befallenen Vermögen des Alleingesellschafters - angesehen werden müßte. Das liefe letztlich auf eine unzulässige Nichtbeachtung der Rechtsform der GmbH als einer verselbständigten juristischen Person hinaus, der, wie erwähnt, eine eigene Konkursfähigkeit vom Gesetz zugesprochen worden ist.

Die für die Klägerin bestimmten Körperschaftsteuerbescheide durften und mußten nach alledem ihrem alleinvertretungsbefugten Liquidator bekanntgegeben werden. Diese Bescheide hat er auch erhalten. Als Liquidator war er berechtigt, im Namen der Klägerin Einspruch einzulegen. Die diesen Einspruch zurückweisende Entscheidung des FA N vom 29. April 1965 ist dem Liquidator der Klägerin am 5. Mai 1965 durch die Post mit Zustellungsurkunde (§ 3 VwZG) zugestellt worden.

2. Die Klägerin meint, die Zustellung der Einspruchsentscheidung an ihren Liquidator sei deshalb unwirksam gewesen, weil - was vom FG aber nicht festgestellt worden ist - hinsichtlich der für ihren Liquidator eingehenden Postsendungen vom Konkursgericht eine Postsperre nach § 121 KO angeordnet worden sei. Im Falle der Postsperre ist ein förmlicher Postzustellungsauftrag allenfalls nicht durchführbar, so daß die für diese Zustellung bestimmten Schriftstücke dem Absender mit einem entsprechenden Vermerk zurückzugeben sind (Florian-Weigert, Kommentar zur Postordnung, § 39, Anm. 10e). Keineswegs darf der Postbedienstete die Zustellung statt an den Gemeinschuldner an den Konkursverwalter bewirken (Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 195 Anm. I). Eine trotz Postsperre vorgenommene förmliche Zustellung an den Gemeinschuldner ist aber nicht unwirksam. Aus § 3 VwZG und den dort angeführten Vorschriften der §§ 180 ff. ZPO läßt sich nichts für eine Unwirksamkeit entnehmen. Die Postsperre begründet auch kein allgemeines Zustellungsverbot an den Gemeinschuldner, was schon daraus folgt, daß die Behörde, ohne die Dienste der Post in Anspruch zu nehmen, die Zustellung selbst - durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis (§ 5 VwZG) - vornehmen kann. Die Postsperre nach § 121 KO betrifft außerdem nur die an den Gemeinschuldner gerichteten Eingänge. Sie umfaßt damit die Sendungen, die für den Träger der Gemeinschuldnerrolle bestimmt sind (Jaeger, a. a. O., § 121 Anm. 3). Im vorliegenden Fall ist aber die die Einspruchsentscheidung enthaltende Sendung, die an die Klägerin zu Händen ihres namentlich genannten gesetzlichen Vertreters adressiert war, nicht für den Träger der Gemeinschuldnerrolle, sondern für die von ihm zu unterscheidende juristische Person eingegangen.

3. Wird bei einer Zustellung durch die Post mit Postzustellungsurkunde die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung nicht angetroffen, kann die Zustellung in der Wohnung an einen Familienangehörigen oder Hausgenossen, ferner an den im selben Hause wohnenden Vermieter oder Hauswirt vorgenommen werden (§ 3 Abs. 3 VwZG i. V. m. § 181 ZPO). Ist die Zustellung in der geschilderten Weise nicht ausführbar, so kann sie dadurch erfolgen, daß das zu übergebende Schriftstück bei der örtlichen Postanstalt niedergelegt und eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung unter der Anschrift des Empfängers in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben wird (§ 3 Abs. 3 VwZG i. V. m. § 182 ZPO).

Die Klägerin ist der Auffassung, die Zustellung habe am 5. Mai 1965 in D noch nicht bewirkt werden können, weil sich ihr Liquidator zu diesem Zeitpunkt mitten im Umzug in seine neue Wohnung in D befunden habe. Entgegen der vom FG und anfangs auch von der Klägerin vertretenen Auffassung kommt es bei der Ersatzzustellung nach § 181 ZPO nicht darauf an, ob die Person, der zugestellt werden soll, an dem betreffenden Ort ihren Wohnsitz begründet hat. § 181 ZPO verwendet lediglich den Begriff der Wohnung. Wohnung ist diejenige Räumlichkeit, die der Adressat zur Zeit der Zustellung tatsächlich, wenn auch nur vorübergehend, zum Wohnen, nicht nur zum Aufenthalt, benutzt. Entscheidend ist gegenüber der Arbeitsstätte die Benutzung zum Schlafen (Stein-Jonas, a. a. O., § 181 Anm. II 1; BGH-Urteil vom 18. September 1957 V Z R 209/55, Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des BGH, § 328 BGB, Nr. 15; Urteil des BFH vom 15. Dezember 1965 II 1/63, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1966 S. 185, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Verwaltungszustellungsgesetz, § 3, Rechtsspruch 8; jeweils mit weiteren Nachweisen). Das FG hat festgestellt - diese Feststellungen sind von der Klägerin nicht angegriffen worden -, daß der Mietvertrag des Liquidators über die Wohnung in D auf den 1. Mai 1965 datiert ist, sein Umzug von M nach D in den Anfangstagen des Monats bis zum 10. Mai 1965 unter Benutzung von Kleintransportern in Etappen vor sich gegangen ist, der Liquidator spätestens am 3. oder 4. Mai 1965 an der neuen Wohnung in D sein Namensschild angebracht und den Schlüssel zu einem ordnungsgemäß installierten Briefkasten erhalten hat, er ferner seine Wohnung in M - wo sich nicht einmal alle Möbel befunden haben - hat aufgeben wollen.

Bei einem sich über mehrere Tage erstreckenden Umzug besteht die Schwierigkeit festzustellen, bis zu welchem Zeitpunkt die Wohnung am alten Ort noch bestanden hat und von welchem Zeitpunkt ab schon eine Wohnung am neuen Ort vorhanden ist. Wie das FG zutreffend bemerkt, ist es sogar möglich, daß jemand bei einem in Etappen vor sich gehenden Umzug während einer Übergangszeit zwei Wohnungen innehat. In dem BGH-Urteil V ZR 209/55 war darüber zu befinden, ob an einen Adressaten, der sich ins Ausland begeben hatte, um sich einem behördlichen Verfahren zu entziehen, wirksam in dessen bisheriger Wohnung zugestellt werden konnte. Der BGH hat ausgeführt, die Verwirklichung einer etwa noch bestehenden Absicht des Zustellungsadressaten, in seine bisherige Wohnung zurückzukehren, sei zur Zeit der Zustellung eine so entfernte gewesen, daß diese Räume keine Wohnung i. S. der Zustellungsvorschriften gewesen seien. Hat demgegenüber wie im vorliegenden Fall der Zustellungsadressat einen großen Teil seines Hausrats in die ihm überlassenen Räumlichkeiten schaffen lassen, weiterhin sein Namensschild an der Wohnungstür angebracht und den Schlüssel zum Briefkasten erhalten, sind erhebliche auch für Außenstehende erkennbare Indizien vorhanden, aus denen sich ergibt, daß er diese Räumlichkeiten von nun an zu einem Mittelpunkt seines Lebens i. S. des Wohnens einschließlich des Schlafens gemacht hat.

Durfte demnach eine Zustellung an den Liquidator in D erfolgen, weil dieser schon am Tage der Zustellung eine Wohnung an diesem Ort hatte, so wird der Zustellungsvorgang als solcher nicht dadurch berührt, daß - wie sich aus der Postzustellungsurkunde ergibt - vor der Zustellung die Wohnungsanschrift des Liquidators von M in D umgeändert worden ist.

In der Postzustellungsurkunde ist bescheinigt, daß die Zustellung gemäß § 182 ZPO durch Niederlegung bei der Postanstalt erfolgt ist, weil der Postbedienstete den Liquidator in seiner Wohnung in D nicht angetroffen und der Versuch einer Ersatzzustellung nach § 181 Abs. 1 und 2 ZPO nicht zum Ziel geführt hat. In ihr ist ferner angegeben, daß eine schriftliche Mitteilung unter der Anschrift des Empfängers in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben worden ist. Der vom Postbediensteten in der Zustellungsurkunde aufgenommene Vorgang der Zustellung entspricht den in § 195 Abs. 2 i. V. m. § 191 Nr. 1, 3 bis 5, 7 ZPO genannten Erfordernissen. Nach dem BFH-Urteil vom 26. August 1964 I 190/63 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Verwaltungszustellungsgesetz, § 3, Rechtsspruch 4) begründet die Postzustellungsurkunde den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen, auch den Beweis darüber, wie die gesetzlichen Zustellungsvorschriften beachtet worden sind. Die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde erstreckt sich demnach ebenfalls darauf, daß die Niederlegung und die Benachrichtigung des Empfähgers in der vorgeschriebenen Weise geschehen sind. Ein Gegenbeweis kann nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden. Das FG hat Auskünfte verschiedener Postämter und des die Zustellung ausführenden Postbediensteten eingeholt, die nicht ergeben haben, daß der in der Postzustellungsurkunde beurkundete Vorgang unrichtig dargestellt ist. Es kommt nicht darauf an, ob und gegebenenfalls wann der Adressat die Mitteilung über die Niederlegung seinem Briefkasten entnommen oder ob er sie tatsächlich vorgefunden hat. Mit dem in § 182 ZPO umschriebenen Vorgang einer Ersatzzustellung war die Zustellung der hier in Rede stehenden Einspruchsentscheidung vom 29. April 1965 bewirkt.

Da der Zustellungstag der Einspruchsentscheidung der 5. Mai 1965 war, begann die Frist für die Einlegung eines hiergegen anzubringenden Rechtsmittels - der damals noch in Betracht kommenden Berufung - gemäß § 246 Abs. 1 AO a. F. mit dem Ablauf des genannten Tages. Die Berufungsfrist betrug nach § 245 AO a. F. einen Monat. Durch die am 23. November 1970 erhobene Klage ist diese Frist nicht gewahrt. Durch das zwischenzeitliche Inkrafttreten der Finanzgerichtsordnung - am 1. Januar 1966 - ist in dieser Hinsicht keine Änderung eingetreten. Die Übergangsvorschrift des § 184 Abs. 2 Nr. 2 FGO bestimmt ausdrücklich, daß die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs gegen die vor dem Inkrafttreten der Finanzgerichtsordnung ergangenen Entscheidungen sich nach den bisher geltenden Vorschriften richtet. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) oder eine Nachsichtgewährung (§ 86 AO a. F.) kommt, wie das FG zu Recht ausgeführt hat, schon deshalb nicht in Betracht, weil seit dem Ende der versäumten Frist mehr als ein Jahr verstrichen ist (§ 56 Abs. 3 FGO, § 87 Abs. 5 AO a. F.).

Die Revision war nach alledem als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71719

BStBl II 1976, 137

BFHE 1976, 344

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