Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Das Finanzamt kann einen zu Unrecht auf § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO gestützten Berichtigungsbescheid im Rechtsmittelverfahren ohne Zustimmung des Steuerpflichtigen nach § 94 AO zurücknehmen, um auf Grund einer inzwischen erfolgten Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde eine nochmalige Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO mit dem gleichen Inhalt durchzuführen.

 

Normenkette

AO §§ 94, 222 Abs. 1 Nr. 3

 

Tatbestand

Das Finanzamt berichtigte den gegen den Bg. ergangenen Vermögensabgabebescheid gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO, § 38 der Zehnten Durchführungsverordnung über Ausgleichsabgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz vom 28. Juni 1954 (10. AbgabenDV-LA). Der Einspruch des Bg. blieb ohne Erfolg. Der Bg. legte Berufung ein, mit der er vor allem die Zulässigkeit der Berichtigung bestritt. Das Finanzamt legte die Berufung der Oberfinanzdirektion zur Weiterleitung an das Finanzgericht vor. Die Oberfinanzdirektion gab sie jedoch dem Finanzamt mit der Anweisung wieder zurück, die Einspruchsentscheidung und den Berichtigungsbescheid nach § 94 AO zurückzunehmen und einen neuen, nunmehr auf § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO gestützten Berichtigungsbescheid mit dem gleichen Inhalt zu erlassen. Das Finanzamt folgte dieser Weisung. Der Bg. wandte sich erneut gegen die Zulässigkeit der Berichtigung.

Das Finanzgericht erkannte die Berichtigung nur insoweit als berechtigt an, als sie durch § 38 der 10. AbgabenDV-LA gedeckt sei. Es führte aus, wenn das Finanzgericht über die Berufung gegen den ersten Berichtigungsbescheid hätte entscheiden können, wäre eine spätere Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs III 95/59 U vom 22. Juli 1960 (BStBl 1960 III S. 524, Slg. Bd. 71 S. 741) ausgeschlossen gewesen. Durch die Zurücknahme der Einspruchsentscheidung und des Berichtigungsbescheides sei dem Finanzgericht diese Entscheidung unmöglich gemacht worden. Dies könne aber für die Zulässigkeit einer weiteren Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO keinen wesentlichen Unterschied bedeuten. Der Abgabepflichtige müsse dagegen geschützt werden, daß die Verwaltung immer wieder neue Berichtigungsbescheide erlasse.

Der Vorsteher des Finanzamts legte Rb. ein. Aus dem Urteil III 95/59 U vom 22. Juli 1960 (a. a. O.) könne die Auffassung des Finanzgerichts nicht hergeleitet werden. Er verweise demgegenüber auf das Urteil des Bundesfinanzhofs III 165/57 U vom 18. April 1958 (BStBl 1958 III S. 250, Slg. Bd. 66 S. 654), in dem der Bundesfinanzhof für die Frage der Zulässigkeit weiterer Berichtigungen die Rücknahme einer Einspruchsentscheidung nach § 94 AO ausdrücklich nur dann einer Entscheidung des Finanzgerichts gleichgestellt habe, wenn die Rücknahme auf Veranlassung des Finanzgerichts erklärt worden sei.

Der Bg. bringt dagegen vor, die Unzulässigkeit der Berichtigung folge auch aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs III 281/58 U vom 29. April 1960 (BStBl 1960 III S. 298, Slg. Bd. 71 S. 134). Dort habe der Bundesfinanzhof ausgesprochen, daß die Verfahrensvoraussetzung der Fehleraufdeckung nicht nachträglich in einem Rechtsmittelverfahren geschaffen werden könne.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückweisung der Berufung.

Hat bei Steuern, bei denen die Verjährungsfrist mehr als ein Jahr beträgt, das Finanzamt nach Prüfung des Sachverhalts einen besonderen, im Gesetz selber vorgesehenen schriftlichen Bescheid erteilt, so kann eine änderung des Bescheides u. a. nur stattfinden, wenn bei einer Nachprüfung durch die Aufsichtsbehörde Fehler aufgedeckt werden, deren Berichtigung eine höhere Veranlagung rechtfertigt und die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Dies gilt nicht für die Steuern vom Einkommen, vom Ertrag, vom Umsatz und vom Vermögen, ausschließlich der Erbschaftsteuer (§ 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO).

Eine Berichtigung nach dieser Vorschrift ist auch dann zulässig, wenn das Finanzamt einen irrtümlich zunächst auf andere Berichtigungsvorschriften gestützten Berichtigungsbescheid im Rechtsmittelverfahren gemäß § 94 AO zurückgenommen hat, um gleichzeitig eine nochmalige Berichtigung auf Grund einer inzwischen erfolgten Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde durchzuführen. Der Vorsteher des Finanzamts beruft sich zu Recht auf das Urteil des Bundesfinanzhofs III 165/57 U vom 18. April 1958 (a. a. O.), in dem der Senat in einem ähnlichen Fall die Berichtigung für zulässig erklärt hat (vgl. auch das Urteil des Bundesfinanzhofs III 376/61 vom 16. März 1962, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 222, Rechtsspruch 107).

Soweit in dem Urteil des II. Senats II 296/59 vom 19. April 1961 (StRK, Reichsabgabenordnung, § 222, Rechtsspruch 66) eine andere Auffassung zum Ausdruck kommt, tritt der Senat ihr nicht bei. In diesem Urteil hat der II. Senat die Rücknahme eines zu Unrecht auf § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO gestützten Berichtigungsbescheides mit dem Ziel einer weiteren Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO für unzulässig erklärt, weil damit den Anträgen des Steuerpflichtigen nicht "der Sache nach" im Sinne des § 94 AO entsprochen werde. Der Senat ist demgegenüber der Auffassung, daß das Finanzamt bei Erledigung eines Rechtsmittels nach § 94 AO nur insoweit dem Rechtsmittelbegehren des Steuerpflichtigen "der Sache nach" entsprechen muß, als sich dieses Begehren auf die streitbefangene Sache bezieht und in dem anhängigen Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen ist. Im Rechtsmittelverfahren gegen einen Berichtigungsbescheid sind nur Berichtigungsmöglichkeiten, die in diesem Verfahren noch berücksichtigt werden können, Gegenstand des Verfahrens. Nicht Gegenstand des Verfahrens sind deshalb beispielsweise Berichtigungsmöglichkeiten, die nach dem Rechtsmittelverfahren (möglicherweise) entstehen, sei es, daß neue Tatsachen bekannt werden (vgl. § 222 AO) oder ein Grundlagenbescheid geändert wird (vgl. § 218 Abs. 4 AO). Ein Rechtsmittelantrag des Steuerpflichtigen, er wende sich gegen jede Berichtigung, auch soweit diese erst in Zukunft möglich werden sollte, würde sich daher nicht auf den Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens beziehen und außerhalb der Sache liegen. Der Grundsatz, daß einem Rechtsmittelantrag bei änderungs- oder Rücknahmeverfügungen der Sache nach entsprochen werden muß, wäre auf einen derartigen, über den Gegenstand des Verfahrens hinausreichenden Antrag nicht anzuwenden.

ähnliches gilt im Streitfalle für die Berichtigungsmöglichkeit des § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO. Diese Berichtigungsmöglichkeit hätte nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs III 281/58 U vom 29. April 1960 (a. a. O.) in dem Rechtsmittelverfahren gegen den ersten Berichtigungsbescheid, da sie im Zeitpunkt der Berichtigung nicht vorlag, zur Rechtfertigung dieses Bescheides nicht mehr nachgeschoben werden können. Sie war daher auch bei der Rücknahme des ersten Berichtigungsbescheides nicht zu berücksichtigen. Eine erneute auf sie gestützte Berichtigung ist zulässig.

Das Urteil des IV. Senats IV 461/52 U vom 10. April 1953 (BStBl 1953 III S. 149, Slg. Bd. 57 S. 381) steht dieser Entscheidung nicht entgegen. In dem durch dieses Urteil entschiedenen Fall hatte das Finanzamt einen auf § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO gestützten Berichtigungsbescheid im Rechtsmittelverfahren nach § 94 AO zurückgenommen, um gleichzeitig einen neuen Berichtigungsbescheid nach § 92 Abs. 3 AO zu erlassen. Hier konnte das Finanzamt die Berichtigungsmöglichkeit des § 92 Abs. 3 AO bereits in dem Rechtsmittelverfahren gegen den ersten Berichtigungsbescheid berücksichtigen. Das eingeschlagene Verfahren war unnötig und wegen der damit verbundenen Belästigung des Steuerpflichtigen durch eine Mehrheit von Bescheiden auch unzulässig. Dort wurde dem Rechtsmittelbegehren, da auch die Berichtigungsmöglichkeit des § 92 Abs. 3 AO Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens gegen den ersten Berichtigungsbescheid war, durch die Rücknahmeverfügung der Sache nach nicht entsprochen.

Der Bg. kann sich für seine Auffassung nicht auf das Urteil des Bundesfinanzhofs III 281/58 U vom 29. April 1960 (a. a. O.) berufen. In diesem Urteil hat der erkennende Senat ausgesprochen, die Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO setze voraus, daß die Aufsichtsbehörde vor Durchführung der Berichtigung den Fehler aufdecke. Die Frage, ob das Finanzamt in einem neuen Verfahren auf Grund einer Fehleraufdeckung die Berichtigung wirksam vornehmen kann, hat der Senat ausdrücklich offengelassen. Um ein neues Verfahren handelt es sich im Streitfall, da das erste Berichtigungsverfahren durch die Rücknahme des Berichtigungsbescheides beendet wurde.

In dem Urteil III 95/59 U vom 22. Juli 1960 (a. a. O.) hat der Senat die Richtigstellung von Veranlagungsfehlern ausgeschlossen, über deren Berichtigung bereits durch finanzgerichtliches Urteil rechtskräftig entschieden worden ist. Da im Streitfall ein Finanzgericht noch nicht entschieden hatte, ist auch der diesbezügliche Einwand des Bg. unbegründet.

Die Vorentscheidung ist aus diesen Gründen aufzuheben. Da der Berichtigungsbescheid sachlich nicht zu beanstanden ist, muß die Berufung als unbegründet zurückgewiesen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411458

BStBl III 1965, 124

BFHE 1965, 344

BFHE 81, 344

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