Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitrittsgebiet: Gewerbliche Tätigkeit einer Ingenieur-GbR wegen Beschäftigung von qualifizierten Hilfskräften; Akkumulationsrücklage bei einer Personengesellschaft; Ermittlung des Gewerbeertrags bei Gewerbesteuerpflicht nur im 2. Halbjahr 1990

 

Leitsatz (NV)

1. Eine zum 1. Juli 1990 im Beitrittsgebiet neu gegründete Ingenieur-GbR unterlag für das gesamte 2. Halbjahr 1990 der Gewerbesteuerpflicht, wenn sie qualifizierte Hilfskräfte (Ingenieure) beschäftigte. Hiergegen bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

2. Als Gewerbeertrag ist 5/6 des für das 2. Halbjahr 1990 ermittelten Gewinns aus Gewerbebetrieb anzusetzen, da der Erhebungsbeginn wegen der Neugründung um einen Monat hinausgeschoben ist (§ 22 Abs. 1 GewStG DDR).

3. Die sog. Akkumulationsrücklage (§ 3 Abs. 2 StÄndG DDR) mindert auch bei einer Personengesellschaft den Gewerbeertrag (Anschluß an BFH-Urteil vom 15. März 1994 XI R 10/93, BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813).

 

Normenkette

EStG DDR 1970/1990 § 4 Abs. 3; EStG DDR 1970/1990 § 15; EStG DDR 1970/1990 § 18 Abs. 1; GewStG DDR § 2; GewStG DDR § 7; GewStG DDR § 10 Abs. 4; GewStG DDR § 22 Abs. 1; StÄndG DDR § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 2; AStVO DDR § 5; Besteuerungsrichtlinien DDR § 14 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), an der (mehrere) amtlich zugelassene Vermessungsingenieure beteiligt sind. Sie eröffnete am 1. Juli 1990 ein Vermessungsbüro im Beitrittsgebiet, wo sie u. a. Vermessungsingenieure ohne amtliche Zulassung beschäftigte.

Die Klägerin ermittelte den Gewinn für das Streitjahr 1990 nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes vom 18. September 1970 (GBl DDR Sonderdruck Nr. 670) i. d. F. des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung steuerlicher Rechtsvorschriften bei Einführung der Währungsunion mit der Bundesrepublik Deutschland (Steueranpassungsgesetz -- StAnpG DDR --) vom 22. Juni 1990 (GBl DDR Sonderdruck Nr. 1427) -- kurz EStG DDR 1970/1990 --. Sie bildete gewinnmindernd eine Rücklage gemäß § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung der Rechtsvorschriften über die Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer (Steueränderungsgesetz -- StÄndG DDR --) vom 6. März 1990 (GBl DDR I 1990, 136) von rd. 40 000 DM und erklärte den verbleibenden Gewinn als Einkünfte aus steuerbegünstigter freiberuflicher Tätigkeit i. S. des § 5 Abs. 1 der Verordnung über die Besteuerung des Arbeitseinkommens (AStVO) vom 22. Dezember 1952 (GBl DDR 1952, 1413).

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) ließ die Rücklage unberücksichtigt und qualifizierte die Einkünfte unter Hinweis auf § 14 Abs. 1 der Anordnung über die Besteuerung der Gewerbetreibenden, selbständig tätigen und anderen steuerpflichtigen Bürger -- Besteuerungsrichtlinien -- vom 24. August 1979 (GBl DDR Sonderdruck 1016) als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 EStG DDR 1970/1990. Es setzte demgemäß im Rahmen der zusammengefaßten Steuerrate Gewerbesteuer fest; dabei berücksichtigte es den gesamten, um die Rücklage erhöhten und um die Gewerbesteuer geminderten Gewinn aus Gewerbebetrieb als Gewerbeertrag i. S. des § 7 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG DDR) vom 18. September 1970 (GBl DDR Sonderdruck Nr. 672) und legte einen Erhebungszeitraum von sechs Monaten zugrunde.

Die Klägerin machte mit ihrem Einspruch u. a. geltend, sie unterliege nicht der Gewerbesteuer. Sie habe erst Ende 1990 Hilfskräfte eingestellt; die von ihr beschäftigten Ingenieure seien mangels einer amtlichen Zulassung keine qualifizierten Hilfskräfte.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage wegen Gewerbesteuer unter Hinweis auf sein in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 402 veröffentlichtes Urteil wegen Gewinnfeststellung ab.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Bescheid über Steuern der Personengesellschaften 1990 vom 4. Mai 1993 dahin abzuändern, daß die Gewerbesteuer auf 0 DM festgesetzt wird.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur teilweisen Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

FA und FG haben zu Recht angenommen, daß die Klägerin für das 2. Halbjahr 1990 der Gewerbesteuer unterlag. Die Festsetzung der Gewerbesteuer ist aber in bezug auf die Ermittlung des Gewerbeertrags und den Beginn der Erhebung zu beanstanden.

1. a) Die Klägerin unterlag vom 1. Juli bis 31. Dezember 1990 der Gewerbesteuer, da sie im Beitrittsgebiet ein gewerbliches Unternehmen i. S. des Einkommensteuergesetzes betrieb. Das ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GewStG DDR i. V. m. § 15 EStG DDR 1970/1990, § 5 Abs. 2 AStVO und § 14 Abs. 1 Besteuerungsrichtlinien; diese Vorschriften gehören zum Recht der Besitzsteuern der ehemaligen DDR, das als partielles, bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet geltendes Bundesrecht übernommen worden ist (Art. 8 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 i. V. m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1, BGBl II 1990, 885).

Die Einkünfte sind entgegen der Auffassung der Revision einkommensteuerrechtlich weder als steuerbegünstigte freiberufliche Einkünfte (§ 5 AStVO) noch als Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 18 Abs. 1 EStG DDR 1970/1990) zu qualifizieren. (Vermessungs-)Ingenieure waren zwar im Streitjahr 1990 den in § 5 Abs. 1 AStVO genannten steuerbegünstigten freien Berufen gleichgestellt (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Anlage 2 Nr. 6 StÄndG DDR, der gemäß § 15 Abs. 1 und 2 16. Spiegelstrich StÄndG DDR mit Wirkung vom 1. Januar 1990 an die Stelle der Verordnung über die Besteuerung von Berufsgruppen freiberuflich Tätiger vom 15. Dezember 1970, GBl DDR II 1970, 690, getreten ist). Freiberufliche Einkünfte i. S. des § 5 Abs. 1 AStVO i. V. m. § 1 Abs. 2 Satz 2 StÄndG DDR gelten indes gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 AStVO nur dann als steuerbegünstigt, wenn in Ausübung der Tätigkeit keine qualifizierten oder nicht mehr als zwei technische Hilfspersonen zur gleichen Zeit beschäftigt werden. Im Streitfall steht danach der Steuerbegünstigung die Beschäftigung der (nicht amtlich zugelassenen) Vermessungsingenieure entgegen, da zu den qualifizierten Hilfspersonen alle Personen rechnen, die die gleichen beruflichen Qualifikationen wie der freiberuflich Tätige aufweisen (vgl. Ziff. 32 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinien über die Besteuerung des Arbeitseinkommens vom 22. Dezember 1952, GBl DDR II 1952, 1413). Für die Abgrenzung zu den Einkünften aus steuerlich nicht begünstigter freiberuflicher Tätigkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG DDR 1970/1990) gilt nach § 14 Abs. 1 Sätze 1 Buchst. a und 3 Besteuerungsrichtlinien nichts anderes; danach führt schon die Beschäftigung einer qualifizierten Hilfskraft dazu, daß die in dem Veranlagungszeitraum erzielten Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 EStG DDR 1970/1990 zu besteuern sind und demzufolge auch die Gewerbesteuerpflicht eintritt (vgl. auch Urteil des FG des Landes Brandenburg vom 16. Mai 1994 2 K 311/93 G, EFG 1994, 1111).

b) Die erwähnte bundesgesetzliche Anordnung der bis zum 31. Dezember 1990 befristeten Weiteranwendung des Steuerrechts der ehemaligen DDR ist als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH --, z. B. Urteil vom 15. März 1994 XI R 10/93, BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813 m. w. N.). Aus diesem Grund ist es unerheblich, daß in den alten Bundesländern tätige Vermessungsingenieure der Gewerbesteuer grundsätzlich nicht unterlagen, weil sie sich nach dem Recht der Bundesrepublik als Angehörige eines freien Berufs der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedienen dürfen, sofern sie aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig werden (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 2 und 3 EStG).

Das Steuerrecht der ehemaligen DDR im 2. Halbjahr 1990 ist zwar auch im übrigen an den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes zu messen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 19. Mai 1993 II R 29/92, BFHE 171, 351, BStBl II 1993, 630 zum Grunderwerbsteuergesetz der DDR). Hinsichtlich der Anwendung der § 5 Abs. 2 AStVO, § 14 Abs. 1 Besteuerungsrichtlinien im Beitrittsgebiet sind aber verfassungsrechtliche Bedenken weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

2. Die Ermittlung des Gewerbeertrags ist rechtsfehlerhaft.

a) FA und FG sind zutreffend davon ausgegangen, daß in den Gewerbeertrag gemäß § 7 GewStG DDR nur der für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 1990 ermittelte Gewinn aus dem Gewerbebetrieb eingeht. Nichts anderes ergibt sich aus § 10 Abs. 4 GewStG DDR. Nach dieser Vorschrift ist zwar dann, wenn im Laufe des Erhebungszeitraums ein Gewerbebetrieb neu gegründet wird, das "mutmaßliche Ergebnis der ersten 12 Monate des Gewerbebetriebes als Gewerbeertrag" zugrunde zu legen. Diese Vorschrift ist indes im Streitfall nicht anwendbar, da die Gewerbesteuerpflicht am 31. Dezember 1990 erlosch (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG i. V. m. § 15 EStG, der ab 1. Januar 1991 auch im Beitrittsgebiet anwendbar ist). Aus diesem Grund kann als Gewerbeertrag nur das tatsächliche Ergebnis des Zeitraums von sechs Monaten zugrunde gelegt werden, in dem der Gewerbebetrieb betrieben worden ist.

b) Die Rücklage mindert entgegen der Ansicht des FG den Gewerbeertrag.

Der XI. Senat des BFH hat mit Urteil in BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813 entschieden, daß die sog. Akkumulationsrücklage nach § 3 Abs. 2 StÄndG DDR in die Gewinnermittlung eingeht und daher gemäß § 7 GewStG DDR auch bei Ermittlung des Gewerbeertrags zu berücksichtigen ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf diese Entscheidung Bezug genommen. Der BFH hat daran wiederholt festgehalten (Urteile vom 16. März 1994 I R 146/93, BFHE 175, 22, BStBl II 1994, 941; vom 15. September 1994 XI R 20/93, BFHE 176, 130; vom 15. September 1994 XI R 44/93, BFH/NV 1995, 393; vom 26. April 1995 I R 49/94, BFH/NV 1996, 130). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung mit der Maßgabe an, daß die Rücklage auch bei einer Personengesellschaft den Gewerbeertrag mindert. Da im Streitfall der Gewinn von rd. 200 000 DM um eine Rücklage von rd. 40 000 DM gemindert worden ist, kann unentschieden bleiben, ob die Personengesellschaft oder die einzelnen Mitunternehmer Steuerpflichtige i. S. des § 3 Abs. 2 StÄndG DDR sind. Berechnungsgrundlage der Rücklage ist jedenfalls ausschließlich der Gewinn (Gesamtgewinn oder Gewinnanteil des Mitunternehmers); demzufolge kann es auf anderweitige begünstigte Einkünfte des Mitunternehmers in keinem Fall ankommen.

c) Im Rahmen des Revisionsantrags der Klägerin ist der Gewerbeertrag um die vom FA zu Unrecht als Betriebsausgabe abzogene Gewerbesteuer zu erhöhen.

Im Streitfall bestand nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften eine Verpflichtung, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen. Die Wahl der Gewinnermittlung war gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG DDR 1970/1990 zulässig und -- auch für das FA -- bindend. Die Gewerbesteuer war im Streitjahr noch nicht abgeflossen und demzufolge nicht als Betriebsausgabe abziehbar.

3. FA und FG haben die Gewerbesteuer zu Unrecht für den Monat Juli 1990 erhoben.

Gemäß § 22 Abs. 1 GewStG DDR ist die Steuer, wenn ein Gewerbebetrieb im Laufe des Erhebungszeitraums neu gegründet wird, erst vom Beginn des Monats ab zu erheben, der auf den Eintritt in die Steuerpflicht folgt. Der Erhebungsbeginn ist danach im Streitfall auf den 1. August 1990 hinausgeschoben.

4. Die Vorentscheidung ist aufzuheben.

Die Sache ist spruchreif. Unter Abänderung des angefochtenen Bescheids ist die Gewerbesteuer wie folgt festzusetzen: ...

 

Fundstellen

Haufe-Index 421064

BFH/NV 1996, 550

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