Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerpflichtige Überlassung von Schlafstellen an Asylanten

 

Leitsatz (NV)

Hält ein Vermieter Räume wahlweise zur lang- oder kurzfristigen Vermietung bereit, ist die jeweilige Vermietung nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 grundsätzlich steuerpflichtig (vgl. BFH, Urteil vom 13. September 1988 V R 46/83, BFHE 154, 280, BStBl II 1988, 1021). Maßgeblich ist dabei nicht die Aufenthaltsabsicht des Mieters oder sein tatsächlicher Aufenthalt, sondern die mit den objektiven Gegebenheiten übereinstimmende Beurteilung des Vermieters.

Ist ein Beherbergungsbetrieb darauf ausgerichtet, sog. Obdachlose vom Sozialamt zugewiesen zu bekommen, muß der Unternehmer mit häufigem Mieterwechsel rechnen. Bei der Aufnahme dieser Mieter ist daher grundsätzlich von kurzfristiger Beherbergung auszugehen.

 

Normenkette

UStG 1980 § 4 Nr. 12; FGO § 69

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte zu 1 (Klägerin) betrieb bis Ende 1982 allein, danach mit ihrem Sohn in Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), als Klägerin zu 2, gewerbliche Zimmervermietung. Die Klägerinnen mieteten in Miethäusern Etagen, für deren Nutzung sie die erforderliche Zweckentfremdungsbescheinigung erhielten (für ,,zweckfremde Nutzung . . . zu Hotelzwecken"). In den gemieteten Wohnungen brachten die Klägerinnen überwiegend obdachlose deutsche Sozialhilfeempfänger unter, für die Sozialämter Kostenübernahmebescheinigungen erteilten. Eine Wohnung wurde durchschnittlich mit jeweils 15 Obdachlosen belegt, wobei in jedem der relativ großen Wohnräume durchschnittlich 3 Personen lebten. Mit den Benutzern wurden formularmäßige Untermietverträge - meistens auf unbestimmte Zeit - geschlossen. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) brachten die Mieter im allgemeinen nur ihre Kleidung, Urkunden und Papiere, vereinzelt auch Stereoanlagen und Fernsehgeräte in das Heim mit. Auch kam es vor, daß nach Auslaufen der Sozialhilfe die Mieter als Selbstzahler in dem Heim blieben. Nach einer Aufstellung des Hausmeisters / Heimleiters belegten am . . . 1985 von insgesamt 124 Personen 57 bereits über sechs Monate, 4 über fünf Monate, 8 über vier Monate, 12 über drei Monate, 12 über zwei Monate, 18 über einen Monat und 13 erst weniger als vier Wochen ein Bett des Heims. Diese Aufstellung sei nach Angaben der Klägerin repräsentativ für die Vorjahre. Insgesamt würden über 50 v. H. der Mieter länger als sechs Monate im Heim wohnen. Die Klägerinnen sahen ihre Vermietungsleistungen gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 als steuerfrei an; der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hingegen verneinte die Steuerfreiheit und nahm Steuerpflicht nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 mit der Begründung an, die Klägerinnen hielten die Räume nur zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereit; außerdem scheide die beantragte Steuerfreiheit aus, weil die Vermietung von Betten in Mehrbettzimmern keine Vermietung, sondern ein Vertrag besonderer Art sei.

Die Klägerinnen haben die entsprechenden Umsatzsteuerfestsetzungen (1982, 1983 sowie Januar bis Juli 1984) angefochten.

Die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung der Steuerfestsetzungen hatten keinen Erfolg. Die Beschwerden gegen die Ablehnung wurden zurückgewiesen.

Die Klagen der Klägerinnen zu 1 und 2 wurden vom FG zur einheitlichen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Sie hatten zum Teil Erfolg.

Bezüglich der Klägerin zu 1 hob das FG die Ablehnungsverfügung in Gestalt der Beschwerdeentscheidung auf und setzte die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 1982 in Höhe von 4 780 DM gegen Sicherheitsleistung aus. Hinsichtlich der Klägerin zu 2 setzte das FG die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 1983 in Höhe von 19 000 DM und die Vollziehung der Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide für Januar bis Juli 1984 vom 16. November 1984 in Höhe von je 1 792 DM, jeweils gegen Sicherheitsleistung, aus.

Die Revision ließ das FG zu.

Das FG vertrat dabei folgende Auffassung: Entgegen der Verwaltungsmeinung handle es sich bei der Überlassung der Räume bzw. Raumteile um ein Mietverhältnis oder zumindest um ein dem Mietverhältnis angepaßtes Nutzungsverhältnis, für das grundsätzlich die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 in Betracht komme. Da den Heimbewohnern gegenüber keine weiteren Dienstleistungen erbracht würden, die Merkmale anderer Schuldvertragstypen aufwiesen, handle es sich auch nicht um einen anders gearteten gemischten Leistungstyp. Das ergebe sich z. B. aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. November 1969 (Zeitschrift für das Fürsorgewesen 1970, 73). Darin sei - unter offenkundiger Billigung durch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 25. Oktober 1972 VIII C 127.71, BVerwGE 41, 115 - ausgeführt, der Umstand, daß eine Person zusammen mit einer anderen das Zimmer teile, spreche nicht gegen die Annahme, daß das Doppelzimmer ihr Wohnraum sei. Der Teil des gemischten Rechtsverhältnisses (mit einem Pflegeheim), der die Bereitstellung des Raums zum Wohnen zum Inhalt habe, sei ein dem Mietverhältnis ähnliches entgeltliches Nutzungsverhältnis - Gewährung des Gebrauchs des (Doppel-) Zimmers - (§ 535 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB) gegen Entgelt (§ 535 Satz 2 BGB).

Entscheidend sei demnach allein, ob die Räume zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereitgehalten würden oder ob eine längerfristige Unterbringung vorliege. Maßgeblich sei die Dauer des Aufenthalts. Die Art der Unterbringung oder der Personenkreis könne für sich genommen bei der Anwendung des § 4 Nr. 12 UStG 1980 nicht entscheidend sein.

Da jede einzelne Vermietung einen Umsatz im Sinn der Vorschrift ergebe, sei es auch denkbar, daß im Streitfall ein Teil der Vermietung steuerfrei, ein anderer Teil steuerpflichtig sei. Die tatsächliche Schwierigkeit, daß sich die Art der Vermietung erst nach längerer Zeit erweise, könne nicht dazu führen, sämtliche Umsätze zu versteuern. Es könne zweckmäßig sein, bei einem neu aufgenommenen Mieter zunächst von einer kurzfristigen Beherbergung auszugehen und bei Selbstzahlern die Umsatzsteuer einzukalkulieren. Stelle sich dann heraus, daß tatsächlich eine längerfristige Vermietung vorliege, könne dem Mieter die Umsatzsteuer erstattet oder verrechnet werden. In bezug auf die Zahlungen der Sozialämter könne ohnehin angenommen werden, daß die Ämter von einer kurzfristigen Unterbringung ausgingen, so daß in ihren Erstattungen die Umsatzsteuer enthalten sein dürfte.

Da nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerinnen etwa 50 v. H. der Heiminsassen über sechs Monate blieben, könne im summarischen Verfahren bei Aussetzung der Vollziehung davon ausgegangen werden, daß die Klägerinnen die Hälfte ihrer Mieter längerfristig unterbrächten. Das rechtfertige eine Aussetzung der Vollziehung in Höhe von 50 v. H. der angeforderten Umsatzsteuer.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980. Zur Begründung trägt es vor:

Die Leistungen der Klägerinnen seien keine Vermietung von Grundstücken bzw. Grundstücksteilen im Sinn der vorbezeichneten Vorschrift. Der vom FG herangezogene Urteilssachverhalt sei mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Hier handle es sich eindeutig um die Vermietung von Bettplätzen, nicht aber von bestimmten Wohnräumen. Deshalb liege ein Vertrag besonderer Art ohne Möglichkeit der Steuerbefreiung vor.

Dem FG könne insbesondere auch nicht hinsichtlich der Beurteilung der Verweildauer gefolgt werden. Im Streitfall liege schon dem Grunde nach eine nur ,,kurzfristige" Beherbergung vor. Es möge zutreffen, daß jeder private Unternehmer, der im Bereich der Obdachlosenunterbringung tätig sei, aus Gründen der Aufwandsminderung ein Interesse an einer möglichst geringen Fluktuation der untergebrachten Personen habe. Es handle sich dabei aber nur um eine ungewisse Hoffnung, die sich in Einzelfällen erfüllen möge, jedoch nicht aus dem Charakter des Vertragsverhältnisses folge. Die Vermittlung der Bettenbenutzer durch das Sozialamt sei der Zielrichtung der Sozialbehörde entsprechend nur kurzfristig. Die Sozialhilfe sei auf möglichst kurzfristige Wiedereingliederung der Untergebrachten in die Gesellschaft, insbesondere auf die Beschaffung und Erhaltung einer Wohnung, nicht aber nur eines Zimmeranteils, wie hier, gerichtet. Schließlich spreche auch die eingeholte Zweckentfremdungsbescheinigung bezüglich der Wohnungen mit der damit verbundenen Umgehung der Altbaumietpreisbindung und die in den Personen der Benutzer selbst liegende Unwägbarkeit für eine nur kurzfristige Unterbringung.

Die Aufteilung der Entgelte sei deshalb nicht gerechtfertigt und im übrigen gesetzlich nicht zulässig (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. April 1972 V R 50/69, BFHE 105, 305, BStBl II 1972, 557).

Darüber hinaus rügt das FA, das FG habe für die Berechnung der maßgeblichen Mietzeit die Belegung an einem bestimmten Stichtag herangezogen, statt einen repräsentativen Zeitraum zugrunde zu legen. Gerade die Zahl der nur kurzfristig Verweilenden dürfte sich bei der zutreffenden Methode wesentlich erhöhen. Eine Aussetzung nach Auffassung des FG hätte somit nur anhand eines derart korrigierten Aufteilungsschlüssels vorgenommen werden dürfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klagen.

Die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen durch das FA ist nach der gebotenen summarischen Prüfung in dem auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten Verfahren (§ 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) 1- entgegen der Auffassung des FG - im Ergebnis auch nicht teilweise zu beanstanden. Im Hinblick auf das z. T. neue Vorbringen der Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung ist darauf hinzuweisen, daß der BFH einen neuen Sachvortrag zwar in einem bei ihm anhängigen Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) oder dem Beschwerdeverfahren gegen Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung nachgehen kann, nicht aber in einem Revisionsverfahren gegen ein Urteil zur Aussetzung der Vollziehung (vgl. § 118 Abs. 2 FGO).

Nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 ist die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken usw. steuerfrei. Nicht befreit sind (nach Satz 2 der Vorschrift) die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält.

Der Senat läßt offen, ob - mit dem FA - ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzung bereits mit der Begründung zu verneinen sind, daß die Überlassung einer Schlafstelle im Heim der Klägerinnen nicht als Vermietung von Grundstücken (Wohn- und Schlafräumen) angesehen werden kann, insbesondere, ob es daran fehlt, daß den Benutzern der Gebrauch eines bestimmten Raums, der nur ihnen zur Verfügung stand, fehlt (etwa wenn dem Benutzer durch den Vermieter abwechselnd verschiedene Schlafstellen im selben Raum zugewiesen werden können) - vgl. BFH, Urteil vom 4. Dezember 1980 V R 60/79, BFHE 132, 124, BStBl II 1981, 231 -.

Nach dem festgestellten Sachverhalt konnte das FA davon ausgehen, daß die Klägerinnen Vermietung von Wohn- und Schlafräumen (dies unterstellt), die sie zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithielten, betrieben, also eine nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 nicht umsatzsteuerfreie Tätigkeit.

Der BFH hat z. B. in den Urteilen vom 20. April 1988 X R 5/82 (BFHE 153, 451, BStBl II 1988, 795) und vom 13. September 1988 V R 46/83 (BFHE 154, 280, BStBl II 1988, 1021) die Vorschrift des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1967 dahingehend ausgelegt, daß es nicht auf die tatsächliche Dauer der Vermietung ankommt, sondern daß vielmehr die aus äußeren Umständen ableitbare Absicht des Unternehmers, die Räume zur vorübergehenden Beherbergung bereitzuhalten, entscheidend ist. Bietet ein Unternehmer sämtliche Räume eines Gebäudes wahlweise zur lang- oder kurzfristigen Vermietung an, so besteht die Steuerpflicht hinsichtlich sämtlicher Umsätze; hält er einige Räume nur zur längerfristigen Vermietung bereit, so scheidet insoweit § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1967 aus.

Der Senat hält an dieser Rechtsprechung auch für § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 fest.

Danach kommt es im Streitfall nicht darauf an, ob in bestimmten Fällen die den Klägerinnen vom Sozialamt zugewiesenen Benutzer der Räume (bzw. Betten) sich dort für längere Zeit aufhalten wollten. Maßgeblich nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 ist grundsätzlich nicht die Sicht des ,,Fremden" bzw. Mieters, sondern die mit den objektiven Gegebenheiten übereinstimmende Beurteilung des vermietenden Unternehmers. Entscheidend ist danach, daß die Klägerinnen ihren Beherbergungsbetrieb darauf ausgerichtet hatten, sog. Obdachlose vom Sozialamt zugewiesen zu bekommen. Sie mußten dabei mit einem häufigen Wechsel der Mieter mit unterschiedlichsten Nutzungszeiten rechnen. Auch das FG ging von dieser Situation aus, als es (S. 9 des Urteils) ausführte, es werde allerdings zweckmäßig sein, bei einem neuaufgenommenen Mieter zunächst von einer kurzfristigen Beherbergung auszugehen. Nach dieser - revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden - Würdigung durch das FG liegt somit der Fall vor, daß die Klägerinnen ihre Räume bzw. Schlafgelegenheiten wahlweise kurzfristig i. S. des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 und nicht kurzfristig (falls sich die jeweilige Person zum längeren Aufenthalt entschließen sollte) bereithielten. Damit ist nach den oben dargelegten Rechtsprechungsgrundsätzen die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 ausgeschlossen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416728

BFH/NV 1990, 810

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