Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme der (vorläufigen) Bestellung als Steuerbevollmächtigter

 

Leitsatz (NV)

Zur Rücknahme der durch eine Bezirksverwaltungsbehörde in den neuen Bundesländern erfolgten prüfungsfreien (vorläufigen) Bestellung als Steuerbevollmächtigter nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG, wenn der Bewerber die Voraussetzungen für die Bestellung nicht erfüllt hat.

 

Normenkette

AO 1977 § 130 Abs. 3; GG Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; StBerG §§ 40a, 46 Abs. 2 S. 1, § 164a; StBerO § 19 Abs. 3

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat seine Berufsausbildung in den alten Bundesländern erlangt und ist dort auch bis zur Aufnahme seiner Tätigkeit als vorläufig bestellter Steuerbevollmächtigter in den neuen Bundesländern beruflich tätig gewesen.

Mit Schreiben vom 19. Juli 1990 an das Finanzamt (FA) X (Beitrittsgebiet) beantragte er die prüfungsfreie Zulassung als Steuerberater. In diesem Schreiben führte er die von ihm ausgeübten Tätigkeiten auf. Seine langjährigen und einschlägigen Erfahrungen auf dem Gebiet des Steuerwesens ließen es zu, daß er von der Prüfung befreit werde. Hilfsweise beantragte der Kläger, ihn einer mündlichen Prüfung zu unterziehen. Auf Bitten eines Angehörigen der Bezirksverwaltungsbehörde reichte der Kläger verschiedene Schreiben ein, in denen die von ihm (im Gebiet der alten Bundesländer) ausgeübten Tätigkeiten bestätigt wurden. Das FA übersandte den Antrag mit Schreiben vom 4. September 1990 zuständigkeitshalber an die Bezirksverwaltungsbehörde Y (Beitrittsgebiet). Diese fertigte am 13. Oktober 1990 eine Urkunde aus, nach der der Kläger (prüfungsfrei) "gemäß der Steuerberaterordnung vom 27. 06. 1990 als Steuerbevollmächtigter zum 15. 10. 1990 bestellt" wurde. Diese Urkunde wurde dem Kläger ausgehändigt. Zuvor hatte er sich damit einverstanden erklärt, daß er -- statt wie beantragt zum Steuerberater -- als Steuerbevollmächtigter bestellt wurde.

Mit Verfügung vom 16. Dezember 1991 nahm die beklagte und revisionsbeklagte Oberfinanzdirektion (OFD) die Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter zurück. Sie stützte ihre Entscheidung auf § 164 a des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) i. V. m. § 130 Abs. 1 und 2 Nr. 4 der Abgabenordnung (AO 1977). Die dagegen erhobene Beschwerde hatte keinen Erfolg (Beschwerdeentscheidung vom 17. September 1992). Das Ministerium der Finanzen des Landes ... begründete die Rücknahme der Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter in der Beschwerdeentscheidung u. a. auch damit, daß der Tatbestand des § 46 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 StBerG (angefügt durch Art. 23 Nr. 3 Buchst. a des Steueränderungsgesetzes 1992 -- StÄndG 1992 -- vom 25. Februar 1992, BGBl I, 297, 329) erfüllt sei; die Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter sei rechtswidrig und er hätte die Umstände kennen müssen, die die Rechtswidrigkeit seiner Bestellung begründeten. Die dagegen gerichtete Klage blieb aus den in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 371 veröffentlichten Gründen erfolglos.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er führt im einzelnen u. a. aus, die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 StBerG seien nicht erfüllt, weil die Bezirksverwaltungsbehörde für seine Bestellung als Steuerbevollmächtigter zuständig gewesen sei. § 40 a und § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG seien wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot, gegen das Verbot von Einzelfallgesetzen (Art. 19 Abs. 1 des Grundgesetzes -- GG --), gegen Art. 12 GG und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verfassungswidrig. Die Rücknahme sei wegen Ablaufs der nach § 164 a StBerG i. V. m. § 130 Abs. 3 AO 1977 gesetzten Jahresfrist, die auch im Falle der Rücknahme nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG gelte, nicht mehr zulässig. Der Bezirksverwaltungsbehörde seien alle Umstände zum Zeitpunkt der Bestellung bekannt gewesen; die OFD müsse sich als Nachfolgebehörde der Bezirksverwaltungsbehörde deren Kenntnis zurechnen lassen. Im übrigen verstoße auch die Rücknahmeverfügung der OFD gegen Art. 12 GG und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Er habe bereits erfolgreich den Grundlagenteil des nach § 40 a StBerG vorgeschriebenen Seminars abgeschlossen; in diesen Bestand greife die Rücknahme unzulässig ein. Soweit die Rücknahme auf § 46 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 StBerG gestützt werde, bestreite er, daß die Voraussetzungen vorlägen. Er habe die Umstände, die die Rechtswidrigkeit seiner Bestellung begründen, weder gekannt, noch habe er sie kennen müssen. Im übrigen sei seine Bestellung auch nicht rechtswidrig. Aufgrund seiner Erfahrungen auf dem Gebiet des westdeutschen Steuerrechts sei durchaus eine prüfungsfreie Bestellung in Betracht gekommen.

Die OFD teilt die Auffassung des FG, daß der Kläger von der unzuständigen Behörde bestellt worden sei und die zuständige Behörde den Kläger nicht als Steuerbevollmächtigten habe bestellen dürfen. Die dem Kläger erteilten Auskünfte und die Unkenntnis der maßgebenden Vorschriften rechtfertigten keinen Vertrauensschutz gegenüber dem Kläger. Dies gelte um so mehr, als die Vorschriften dem Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsguts dienten. Neben den Voraussetzungen nach § 46 Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 StBerG hätten auch die Voraussetzungen nach § 46 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 StBerG für eine Rücknahme der Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter vorgelegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis rechtsfehlerfrei entschieden, daß die OFD mit dem angefochtenen Bescheid in Gestalt der Beschwerdeentscheidung die gemäß § 40 a Abs. 1 StBerG vorläufige Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG mit Recht zurückgenommen hat.

1. Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter ist -- wie das FG richtig erkannt hat -- § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG. Zwar hat die OFD ihren Bescheid vom 16. Dezember 1991 ursprünglich auf § 164 a Abs. 1 StBerG i. V. m. § 130 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 gestützt. Nach Einführung der speziellen Rücknahmevorschrift des § 46 Abs. 1 Satz 2 durch Art. 23 Nr. 2 Buchst. a StÄndG 1992 für die Rücknahme der nach § 40 a StBerG vorläufigen Bestellung als (u. a.) Steuerbevollmächtigter ist aber nur noch diese Vorschrift für die Rücknahme der Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter maßgebend. Sie geht als Spezialregelung den allgemeinen Vorschriften über die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes vor.

Bedenken gegen ihre Anwendung im Streitfall bestehen auch deshalb nicht, weil der Regelungsgehalt der Rücknahmeverfügung durch die Änderung der Rechtsgrundlage in der Beschwerdeentscheidung nicht geändert wurde und die OFD die Bestellung, wenn sie sie nicht bereits aufgrund von § 164 a Abs. 1 StBerG i. V. m. § 130 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 zurückgenommen hätte, nach Inkrafttreten des § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG aufgrund dieser Vorschrift hätte zurücknehmen müssen.

2. Die Zulässigkeit der Rücknahme der vorläufigen Bestellung als Steuerbevollmächtigter nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG hängt -- anders als der Kläger meint -- nicht davon ab, ob die Behörde die in § 164 a StBerG i. V. m. § 130 Abs. 3 AO 1977 vorgeschriebene Jahresfrist ab Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen eingehalten hat. Diese Frist ist für den Fall der Rücknahme einer vorläufigen Bestellung als Steuerbevollmächtigter nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG nicht vorgesehen. Der Gesetzgeber mußte bei der am 1. März 1992 in Kraft getretenen Regelung (Art. 40 StÄndG 1992) von einer dem § 130 Abs. 3 AO 1977 entsprechenden Fristsetzung schon deshalb absehen, weil die Vorschrift sonst ins Leere gegangen wäre. Denn die Regelung kommt nur für Fälle der (vorläufigen) Bestellung in Betracht, die auf Verwaltungsakte zurückgehen, die vor dem 31. Dezember 1990 (Außerkrafttreten der Verordnung über die Hilfeleistung in Steuersachen -- StBerO --) erlassen worden sind.

Für diese Fälle wäre eine der in § 130 Abs. 3 AO 1977 festgesetzte Jahresfrist entsprechende Frist regelmäßig bereits bei Inkrafttreten der Rücknahmeregelung abgelaufen gewesen (vgl. Senatsurteil vom 7. März 1995 VII R 4/94, BFHE 177, 180, BStBl II 1995, 421, 425). Die Gesetzesbegründung zu § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG (BTDrucks 12/1108 S. 86) enthält zu dieser Frage keine Ausführungen. Aus dieser Begründung ergibt sich nur, daß die in Rede stehende Rücknahmeregelung die bestehenden Rücknahmetatbestände klarstellend ergänzen sollte; Ausführungen über eine Geltung der in § 130 Abs. 3 AO 1977 vorgeschriebenen Jahresfrist für die neuen Rücknahmetatbestände sind darin nicht enthalten.

3. Der Senat läßt es dahingestellt, ob die Rücknahme der Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter aufgrund von § 46 Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 StBerG gerechtfertigt wäre, weil die Bezirksverwaltungsbehörde, die den Kläger als Steuerbevollmächtigten bestellt hat, eine unzuständige Behörde war und die zuständige Behörde die Bestellung nicht hätte aussprechen dürfen. Der Senat braucht auf diese Voraussetzungen, deren Vorliegen das FG bejaht hat, nicht näher einzugehen. Denn die Rücknahme der Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter ist jedenfalls nach § 46 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 StBerG gerechtfertigt, wie sich aus der Rechtsprechung des Senats zur Anwendung dieser Vorschrift ergibt (Senatsurteile vom 27. Juni 1994 VII R 110/93, BFHE 176, 181, BStBl II 1995, 341, und in BFHE 177, 180, BStBl II 1995, 421). Die Rücknahmeverfügung, die in Gestalt der Beschwerdeentscheidung auf diese Vorschrift gestützt wurde, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

a) Die Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter mit Urkunde der Bezirksverwaltungsbehörde Y vom 13. Oktober 1990 ist rechtswidrig. Der Kläger hat die Voraussetzungen für eine Bestellung als Steuerbevollmächtigter nicht erfüllt. Da der Kläger keine Prüfung abgelegt hat und nicht als Helfer in Steuersachen gemäß § 107 a der Abgabenordnung der DDR i. d. F. vom 18. September 1970 (Sonderdruck Nr. 681 des Gesetzblattes der DDR -- GBl DDR --) zugelassen ist, kam für seine Bestellung als Steuerbevollmächtigter nur § 19 Abs. 3 der gemäß Anlage I, Kapitel IV, Sachgebiet B, Abschnitt II Nr. 8 zum Einigungsvertrag (EinigVtr) vom 31. August 1990 (BGBl II 1990, 889, 970) noch bis zum 31. Dezember 1990 fortgeltenden StBerO in Betracht. Nach dieser Vorschrift konnten ehemalige verantwortliche und leitende Mitarbeiter der VEB Rechnungsführung und Wirtschaftsberatung sowie der Finanzorgane, die die Vorbildungsvoraussetzungen gemäß § 14 Abs. 1 StBerO vom 27. Juni 1990 (GBl DDR Sonderdruck Nr. 1455) erfüllten und eine geringere als die in § 15 Abs. 1 StBerO geforderte Berufserfahrung nachwiesen, ab Inkraftsetzung der StBerO als Steuerbevollmächtigte bestellt werden. Der Kläger erfüllte diese Voraussetzungen schon deshalb nicht, weil er die in § 19 Abs. 3 StBerO genannten Positionen nicht innegehabt hatte.

Dafür, daß über diese Regelung hinaus auch Fachleute aus den westlichen Ländern der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik), die diese Voraussetzungen nicht erfüllten, als Steuerbevollmächtigte bestellt werden konnten, fehlen in der StBerO jegliche Anhaltspunkte. Die Ausführungen in dem Merkblatt des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 1. August 1990 -- auf die der Kläger verweist --, wonach es sinnvoll erschien, auch Kenntnisse im Steuerrecht der Bundesrepublik zu haben, und wonach auf die notwendigen berufspraktischen Erfahrungen im Steuer- und Abgabenrecht der DDR in der "Bundesrepublik Deutschland gewonnene Erfahrungen weitgehend angerechnet werden können", können nicht so verstanden werden, daß danach auch Personen, die die in § 19 Abs. 3 StBerO genannten Positionen nicht bekleidet haben, für eine Bestellung als Steuer bevollmächtigter in Betracht gekommen wären (vgl. dazu auch Senatsurteil in BFHE 177, 180, BStBl II 1995, 421, 424). Selbst wenn diese Hinweise so zu verstehen wären, müßten sie aber unberücksichtigt bleiben, weil sie dem klaren Wortlaut der hier anzuwendenden Rechtsnorm widersprechen.

b) Es bedarf keiner Feststellungen, ob der Kläger die Rechtswidrigkeit seiner Bestellung als Steuerbevollmächtigter kannte. Jedenfalls hätte er sie kennen müssen; auch in diesem Fall ist die Rücknahme seiner Bestellung als Steuerbevollmächtigter nach § 46 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 StBerG gerechtfertigt.

Nach dieser Vorschrift ist die vorläufige Bestellung zurückzunehmen, wenn der Begünstigte die Umstände kennen mußte, die die Rechtswidrigkeit der Bestellung als Steuerbevollmächtigter begründen. Selbst wenn die Bestimmung entgegen ihrem Wortlaut -- zugunsten des Klägers -- einschränkend dahin auszulegen wäre, daß die rechtswidrige Bestellung als Steuerbevollmächtigter nur dann zurückzunehmen ist, wenn der Begünstigte nicht nur die die Rechtswidrigkeit begründenden Umstände, sondern auch die sich daraus ergebende Rechtswidrigkeit der Bestellung selbst kennen mußte (vgl. dazu Senatsurteil in BFHE 177, 180, BStBl II 1995, 421, 423), wäre diese Voraussetzung im Streitfall erfüllt.

Von einem Bewerber für eine Bestellung als Steuerbevollmächtigter ist zu erwarten, daß er sich die notwendigen Vorschriften über die Voraussetzungen für seine Bestellung beschafft oder sie doch zumindest selbst einsieht. Er darf sich nicht nur auf die ihm erteilten Auskünfte von Behörden oder von Ausführungen über die notwendigen Voraussetzungen in Merkblättern -- von wem auch immer sie verfaßt sein mögen -- verlassen. Dies wird von ihm auch in seiner Stellung als künftiger Berater in Steuerangelegenheiten verlangt. Denn fachkundigen Rat kann er nur aufgrund der maßgebenden Rechtsvorschriften und erst in zweiter Linie anhand von Sekundärveröffentlichungen erteilen. Um so mehr muß erwartet werden, daß der Bewerber für eine Bestellung als Steuerbevollmächtigter in dieser seiner eigenen Angelegenheit die maßgebenden Rechtsvorschriften zu Rate zieht. Er darf sich auch in eigener Sache nicht auf vage Ausführungen in einem Merkblatt oder auf mit den Rechtsvorschriften nicht im Einklang stehende Auskünfte der bestellenden Behörde verlassen und sich nicht damit zufrieden geben, daß die Behörde aufgrund der von ihm gemachten tatsächlichen Angaben die richtige Entscheidung treffen werde.

Hätte der Kläger die maßgebenden Vorschriften der StBerO eingesehen, so hätte er aufgrund des eindeutigen Wortlauts von § 19 StBerO ohne weiteres erkennen können, daß er die Voraussetzungen für eine Bestellung als Steuerbevollmächtigter nach § 19 Abs. 3 StBerO nicht erfüllt und deshalb eine gegen diese Vorschrift verstoßende Bestellung rechtswidrig war.

Daß möglicherweise die Bestellungspraxis der Behörden von der objektiven Rechtslage abwich, kann wegen der klaren und eindeutigen Regelung in § 19 Abs. 3 StBerO und darüber hinaus auch deshalb nicht als Indiz für Schwierigkeiten bei der Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit der Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter gewertet werden, weil eine andere Auffassung zur Folge haben würde, daß nach § 46 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 StBerG rechtswidrige Bestellungen niemals zurückgenommen werden könnten. Denn die Rücknahme nach dieser Vorschrift setzt gerade eine Abweichung von der bestehenden Rechtslage durch die zuständige Behörde voraus. Ob diese Abweichung nach Abstimmung mit übergeordneten Behörden erfolgte, kann für den Begünstigten ebenfalls nicht von Bedeutung sein. Auch das vermag nicht die Annahme zu rechtfertigen, daß der Kläger die Rechtswidrigkeit nicht erkennen konnte.

Auf sonstige Umstände, insbesondere auf die persönlichen Fähigkeiten des Klägers zur Erkenntnis der Rechtswidrigkeit, kommt es im Streitfall nicht an. Für das Tatbestandsmerkmal Kennen-Müssen der Rechtswidrigkeit, für das der Zeitpunkt der Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter maßgebend ist, sind nur die Fassung der in Betracht kommenden Rechtsvorschriften und die objektiven Anforderungen entscheidend, die an einen Bewerber um die Bestellung als Steuerbevollmächtigter zu stellen sind. Die von ihm möglicherweise angestellte Überlegung, daß er als Antragsteller nicht "klüger" zu sein brauche als die Behörde, vermag demgemäß das vom Kläger zu fordernde Bemühen um die Erkenntnis der Rechtslage ebenfalls nicht zu ersetzen.

Da es für das Kennen-Müssen auf den Zeitpunkt der Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter ankommt, zu dem die StBerO bereits mehr als zwei Monate in Kraft getreten war, ist auch ohne Bedeutung, ob der Kläger die für die Bestellung maßgebenden Voraussetzungen bereits vorher, etwa bei der Antragstellung, erkennen konnte.

c) Durch die Rücknahme der Bestellung ist entgegen der Auffassung des Klägers der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, an den als besondere Ausgestaltung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) auch die Verwaltung gebunden ist, nicht verletzt.

Dieser Grundsatz besagt im wesentlichen, daß von mehreren möglichen Maßnahmen die mildeste zu treffen ist.

Im Streitfall hat der Gesetzgeber die Rücknahme der vorläufigen Bestellung als Steuerbevollmächtigter zwingend vorgeschrieben, wenn -- wie im Streitfall -- die Voraussetzungen dafür vorliegen. Deswegen durfte die an das Gesetz gebundene Verwaltung nicht zwischen mehreren Mitteln wählen (vgl. Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., Art. 20 Rz. 63), sondern mußte die rechtswidrige Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter auch ohne Rücksicht darauf zurücknehmen, daß dieser bereits das in § 40 a StBerG vorgesehene Grundlagenseminar erfolgreich abgeschlossen hatte, und auch ohne Rücksicht darauf, ob bei anderen Teilnehmern des Grundlagenseminars die Bestellung nicht zu widerrufen war.

d) Auch der aus dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit abgeleitete Vertrauensschutz für den Begünstigten in den Bestand der durch die Bezirksverwaltungsbehörde ausgesprochenen Bestellung als Steuerbevollmächtigter ist durch deren Rücknahme nicht in unzulässiger Weise beeinträchtigt worden. Der Gesetzgeber selbst hat diesem Gesichtspunkt bereits Rechnung getragen, indem er die Rücknahme davon abhängig gemacht hat, daß der Begünstigte die Umstände kannte oder kennen mußte, die die Rechtswidrigkeit der Bestellung begründen. Die an das Gesetz gebundene OFD war nicht befugt, Vertrauensschutzgesichtspunkte bei ihrer Entscheidung über die zwingend vorgeschriebene Rücknahme zu berücksichtigen.

e) Soweit der Kläger ausgeführt hat, nach seiner Kenntnis seien die durch die Bezirksverwaltungsbehörde Y ausgesprochenen Bestellungen von "Westbürgern" als Steuer bevollmächtigte im Gegensatz zu den von der Bezirksverwaltungsbehörde Z (Beitrittsgebiet) ausgesprochenen Bestellungen nicht zurückgenommen worden, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen. Dies kann im Revisionsverfahren unabhängig davon, ob es überhaupt rechtlich erheblich wäre, nicht mehr berücksichtigt werden.

4. Die Regelung in § 46 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 StBerG verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.

a) Obwohl § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG erst durch Art. 23 Nr. 3 StÄndG 1992 und damit eingeführt wurde, nachdem der Kläger seine Bestellung als Steuerbevollmächtigter bereits erlangt hatte, verstößt die Vorschrift nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Rückwirkungsverbot (Senatsurteile in BFHE 176, 181, BStBl II 1995, 341; in BFHE 177, 180, BStBl II 1995, 421, 424). Wie der Senat schon in den genannten Urteilen ausgeführt hat, liegt hier entgegen der Auffassung des Klägers nur eine unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung vor (zum Begriff der "unechten Rückwirkung" vgl. z. B. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 20. Januar 1988 2 BvL 23/82, BVerfGE 77, 370, 377 f.; Jarass in Jarass/Pieroth, a. a. O., Art. 20 Rz. 49). Das Gesetz greift nämlich nicht in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände ein. Vielmehr knüpft § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG nur an den in der Verangenheit verwirklichten Tatbestand der rechtswidrigen Bestellung an, um für die Zukunft eine bestimmte Maßnahme, nämlich die Rücknahme der in der Vergangenheit liegenden, aber als Dauerregelung in die Zukunft hineinwirkenden vorläufigen Bestellung als Steuerbevollmächtigter, vorzuschreiben. Auch die Korrektur einer solchen Dauerregelung hat damit nur eine unechte Rückwirkung zur Folge (vgl. Bundesverwaltungsgericht -- BVerwG --, Urteil vom 27. Mai 1981 8 C 51.79, BVerwGE 62, 230, 237).

Die unechte Rückwirkung eines Gesetzes ist grundsätzlich zulässig; sie ist nach der Rechtsprechung des BVerfG nur dann nicht zulässig (BVerfG in BVerfGE 77, 370, 377; Beschluß vom 8. Juni 1988 2 BvL 9/85 und 3/86, BVerfGE 78, 249, 283), wenn eine Güterabwägung zwischen der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl und dem Ausmaß des durch die Gesetzesänderung verursachten Vertrauensschadens ergibt, daß das Inidividualinteresse Vorrang hat (vgl. z. B. Beschluß des BVerfG vom 30. September 1987 2 BvR 933/82, BVerfGE 76, 256). Im Falle des § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG überwiegt das allgemeine Interesse an der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände. Die Vorschrift wird durch zwingende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Der Gesetzgeber bezweckte mit dieser Gesetzesergänzung, aus den Reihen der vorläufig bestellten Steuerbevollmächtigten diejenigen Personen wieder zu entfernen, welche weder eine Prüfung zum Steuerbevollmächtigten bestanden haben noch im Zeitpunkt ihrer Bestellung die Voraussetzungen für einen prüfungsfreien Zugang zum Beruf erfüllten. Sowohl eine Steuerbevollmächtigtenprüfung als auch die -- erkennbar gezielt bestimmten -- engen Voraussetzungen für eine prüfungsfreie Zulassung in Ausnahmefällen sind wesentliche Elemente für eine funktionsfähige Steuerrechtspflege, an deren Erhaltung ein hohes Allgemeininteresse besteht (Beschluß des BVerfG vom 15. Februar 1967 1 BvR 569, 589/62, BVerfGE 21, 173).

Demgegenüber durfte der Kläger sowie der gesamte von § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG betroffene Personenkreis nicht darauf vertrauen, daß die Bestellung als Steuerbevollmächtigter Bestand haben würde. Die Rücknahmevorschrift selbst berücksichtigt das Vertrauensinteresse der durch die rechtswidrige Bestellung Begünstigten, indem sie nur eingreift, wenn diese die Rechtswidrigkeit kannten oder kennen mußten. Das Vertrauen in den Bestand eines begünstigten Verwaltungsakts ist um so weniger geschützt, je mehr der Verwaltungsakt in erkennbarer Weise gesetzgeberischen Vorschriften widerspricht, die zum Wohl eines gewichtigen Gemeinschaftsguts erlassen wurden. Muß der Bürger erkennen, daß solche zum Schutz der Allgemeinheit geschaffenen Normen durch einen ihn begünstigenden Verwaltungsakt verletzt werden, muß er auch damit rechnen, daß diese Rechtsverletzung auf Dauer nicht hingenommen werden wird. Im Streitfall war der Widerspruch zwischen der von der Bezirksverwaltungsbehörde ausgesprochenen prüfungsfreien Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter zu den Vorschriften der StBerO -- wie oben ausgeführt -- ohne Schwierigkeiten klar zu erkennen.

b) Die Vorschrift des § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG verstößt entgegen der Meinung des Klägers auch nicht gegen das in Art. 19 Abs. 1 GG ausgesprochene Verbot des Einzelfallgesetzes. Dieses Verbot soll allgemein -- insoweit den Gleichheitssatz des Art. 3 GG ausfüllend, vor allem bei Eingriffen in Grundrechte -- verhindern, daß der Gesetzgeber aus einer Reihe von gleich gelagerten Fällen willkürlich einen Fall herausgreift, den er in bestimmter Weise abweichend von den sonstigen Fällen regelt (vgl. BVerfG, Urteile vom 7. Mai 1969 2 BvL 15/67, BVerfGE 25, 371, 399; vom 10. März 1992 1 BvR 454 usw./91, BVerfGE 85, 360, 374; Jarass in Jarass/Pieroth, a. a. O., Art. 19 Rz. 1). Zulässig ist dagegen eine gesetzliche Vorschrift, die wie § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG eine bestimmte Kategorie von Fällen in bestimmter Weise regelt. Es ist in diesem Fall unerheblich, ob die Anzahl der Fälle und die von der Regelung Betroffenen bekannt oder doch bestimmbar sind. Entscheidend ist nur, daß die Regelung des Sachverhalts von sachlichen und nicht von willkürlichen Gründen getragen wird. Das aber ist bei § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG der Fall, weil damit allgemein die Wiederherstellung eines materiell von der StBerO geregelten Zustandes bezweckt wird.

c) Die in Rede stehende Norm verstößt entgegen der Meinung des Klägers nicht gegen die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit -- hier Zulassung zum Beruf und Berufsausübung --. Die Zulassung zum Beruf des (vorläufig) bestellten Steuerbevollmächtigten und die Ausübung dieses Berufs sind in der StBerO geregelt. § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG stellt lediglich sicher, daß die entsprechenden Vorschriften der StBerO über die Zulassung zum Beruf und die Berufsausübung auch verwirklicht werden.

d) Schließlich hat der Gesetzgeber auch nicht in unzulässiger Weise den ihn bei Eingriffen in eine Rechtsposition bindenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. Jarass in Jarass/Pieroth, a. a. O., Art. 20 Rz. 57) verletzt. Der Gesetzgeber hat bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit je nach der Bedeutung des betroffenen Rechtsgutes einen mehr oder weniger weiten Spielraum, der von den Gerichten nur daraufhin überprüft werden kann, ob die Grenzen des Beurteilungsspielraums überschritten worden sind. Im Streitfall könnte sich die Frage stellen, ob der Gesetzgeber etwa getätigte Investitionen bzw. die Ableistung des in § 40 a StBerG vorgeschriebenen Seminars hätte berücksichtigen oder zumindest eine Übergangsfrist für die Abwicklung bereits eingerichteter Praxen hätte einräumen müssen. Im Hinblick darauf aber, daß die Vorschrift auf die rechtswidrige Bestellung der Begünstigten abhebt und einen Vorteil beseitigen will, den die rechtswidrig Begünstigten gegenüber Personen erlangt haben, die entsprechend den geltenden Vorschriften nicht als Steuerbevollmächtigte bestellt werden konnten, weil sie die besonderen Voraussetzungen der auf die angestrebte Vereinigung unterschiedlicher Rechts- und Wirtschaftsgebiete abgestellten speziellen Übergangsvorschriften der StBerO nicht erfüllten, erscheint die getroffene Regelung nicht offensichtlich und schlechterdings unangemessen, zumal sie im Falle des § 46 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 StBerG darauf abstellt, daß die Begünstigten die zur Rechtswidrigkeit ihrer Bestellung führenden Umstände gekannt haben oder hätten kennen müssen, sich also von vornherein darüber klar waren oder sich hätten Klarheit darüber verschaffen müssen, daß die von ihnen rechtswidrig erlangten Rechtspositionen möglicherweise nicht von Dauer sein würden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420994

BFH/NV 1996, 369

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