Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Gewerbesteuerpflicht von Architekten.

 

Normenkette

GewStG § 2

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewerbesteuerpflicht des Architekten H. (Beschwerdegegner -- Bg. --) in den Jahren 1937 bis 1942.

Der Bg. ist freischaffender Architekt von künstlerischem Range. Vom Jahre 1937 an wurden ihm von der Deutschen Arbeitsfront (DAF.) große Bauaufträge übertragen. Der Bg. hatte zunächst die Planung, später erhielt er auch die Bauleitung. Zur Vorbereitung und Durchführung der Arbeiten hatte er Planungsateliers in den Städten A und B.

Über die Zahl der in den Planungsateliers tätigen Mitarbeiter liegen folgende Angaben vor: In dem Finanzgerichtsurteil ist ausgeführt, daß in jedem Atelier je 12 Mitarbeiter tätig gewesen seien, davon je vier kaufmännische Mitarbeiter. Büro-Obmann in der Stadt A war Architekt F, in der Stadt B Architekt G. Beide bezogen Gehälter von 1000 RM monatlich. Die Gehälter der übrigen technischen Mitarbeiter lagen zwischen 400 bis 600 RM. Genaue Einzelheiten seien infolge Vernichtung sämtlicher Unterlagen durch Kriegseinwirkung nicht mehr mit Sicherheit zu ermitteln. Nach Angabe des Bg. sind ihm gegen seinen Willen Ende 1937 auf Anweisung der DAF. zahlreiche Arbeitskräfte überwiesen worden, die bisher von der DAF. bei den örtlichen Bauleitungen beschäftigt waren. Der Mitarbeiterstab für die Planungsateliers sei dadurch nicht beeinflußt worden.

In dem Schriftsatz des Rechtsanwalts Dr. N vom 8. März 1947 wird die Zahl der Hilfskräfte (einschließlich der von der Bauabteilung der DAF. zur Verfügung gestellten) im Jahre 1937 mit 42 angegeben. Nach dem Gutachten vom 6. Oktober 1948 waren in den verschiedenen Büros des Bg.s folgende Kräfte angestellt: 1937: 25 Techniker, 3 Lehrlinge, 2 kaufmännische Angestellte, 1 Chauffeur; 1938: 42 Techniker, 2 Lehrlinge, 2 kaufmännische Angestellte, 2 Chauffeure. Unter den als Techniker bezeichneten Angestellten hätten sich allein in der Stadt A im Jahre 1938 16 befunden, die die Berufsbezeichnung "Architekt" geführt hätten. An Gehältern seien gezahlt worden:

1937 in der Stadt A 68 194,67 RM,

in der Stadt B 67 454,19 RM,

zusammen: 135 648,86 RM.

1938 in der Stadt A 123 595,04 RM,

in der Stadt B 89 195,01 RM,

zusammen: 212 790,05 RM.

Aus den Akten ergibt sich, daß außer den bereits genannten Architekten F und G für den Bg. tätig waren: Professor H in E, Professor J in M, ein Ingenieur als Statiker, ein beratender Ingenieur für Heiz- und lüftungstechnische Anlagen und mehrere Architekten. Nach Aussage des Chefarchitekten hat der Bg. zeitweise bis zu 60 Architekten beschäftigt. Darüber, welche Personen bei dem Planungsatelier in der Stadt B beschäftigt waren, liegen nähere Feststellungen nicht vor.

Der Bg. hat in den Jahren 1937 bis 1942 folgende Gewinne versteuert:

1937 1938 1940 1941 1942

RM RM RM RM RM

376 663,- 484 432,- 520 000,- 573 819,- 350 000,-

Das Finanzamt hat den Bg. für die Jahre 1937 bis 1942 zur Gewerbesteuer herangezogen. Es hat den Standpunkt vertreten, daß der Bg. zur Durchführung seiner außerordentlich umfangreichen Aufträge entsprechend vorgebildete Architekten und Techniker beschäftigt habe, und daß durch die Tätigkeit dieser Personen seine Arbeitskraft ergänzt und vervielfacht worden sei. Es liege deshalb nicht eine freiberufliche, sondern eine gewerbliche Tätigkeit vor.

Das Finanzgericht hat die Einspruchentscheidung des Finanzamts und die Gewerbesteuermeßbescheide 1937 bis 1942 aufgehoben und den Bg. von der Gewerbesteuer freigestellt.

Gegen das Urteil des Finanzgerichts hat der Vorsteher des Finanzamts Rechtsbeschwerde (Rb.) eingelegt mit dem Antrage, die Einspruchsentscheidung des Finanzamts sowie die Gewerbesteuermeßbescheide 1937 bis 1942 wiederherzustellen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Der Oberste Finanzgerichtshof hat in dem Urteil IV 80/49 S vom 18. April 1950 (Ministerialblatt des Bundesministeriums der Finanzen -- MinBlFin -- S. 346, Steuerblatt für das Land Nordrhein-Westfalen 1950 S. 412, Steuerblatt für das Land Niedersachsen 1950 S. 265, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen -- Bay. FMBl. -- 1950 S. 242) Grundsätze über die Grenzziehung zwischen der freien Berufstätigkeit (§ 18 Absatz 1 Ziffer 1 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --) und der gewerblichen Tätigkeit aufgestellt. Danach ist die Grenze der freien Berufstätigkeit überschritten, wenn die persönliche Arbeitskraft des Berufsträgers für die Bewältigung der anfallenden Arbeiten nicht ausreicht, und der Berufsträger Angestellte beschäftigt, durch die seine Arbeitskraft wenigstens teilweise ersetzt oder vervielfacht wird. Ob die Grenze der freiberuflichen Tätigkeit überschritten wird, ist eine Frage der freien Beweiswürdigung und nach den gesamten Verhältnissen des einzelnen Falles zu entscheiden. An diesen Grundsätzen hält der erkennende Senat fest. In dem nichtveröffentlichten Urteil IV 272/50 vom 15. Dezember 1950 ist hierzu ergänzend ausgeführt: "Wesentlich für den Begriff der selbständigen Arbeit und des freien Berufes ist es, daß die Tätigkeit hauptsächlich auf der persönlichen Arbeitskraft des Berufsträgers beruht. Die Unterstützung des Berufsträgers durch Hilfskräfte ist dabei nicht ausgeschlossen. Unschädlich ist nicht nur die Beschäftigung von Hilfskräften, die im wesentlichen mechanische oder technische Verrichtungen besorgen (Maschinenschreiben, Rechenarbeiten) oder von Personen, die sich in der Berufsausbildung befinden; es können auch vorgebildete Kräfte eingesetzt sein. Die Verwendung der Hilfskräfte darf aber einen begrenzten Umfang nicht überschreiten. Der freie Beruf wird zum Gewerbe, wenn durch die Verwendung von fremden Arbeitskräften die Arbeitskraft des Berufsträgers vervielfacht wird."

Mit den Vorbehörden ist davon auszugehen, daß der Bg. eine schöpferische Persönlichkeit mit sehr großer Arbeitskraft ist. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts hat der Bg. die Skizzen und Vorentwürfe selbst gefertigt, während er sich für die technische Durchführung seiner Mitarbeiter bediente. Das letztere gilt auch für die Bauleitung. Die Zahl der besonders geschulten Mitarbeiter wird vom Finanzgericht für die beiden Planungsateliers in A und B mit je 8, insgesamt mit 16 angegeben. Es mag dahingestellt sein, ob diese Zahl alle Mitarbeiter umfaßt oder ob sie nur die unterste Grenze für die Zahl der besonders geschulten Mitarbeiter darstellt. Unter den Mitarbeitern befanden sich Männer von hervorragenden fachlichen Qualitäten. Bei der Größe der Objekte, bei der Entfernung der Architekturbüros untereinander einerseits und von den Baustellen andererseits, ist der Senat -- auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß dem Bg. zwei Kraftwagen zur Verfügung standen, und daß er eine enorme Schaffenskraft besaß -- der Auffassung, daß die vom Bg. übernommenen Arbeiten die Arbeitskraft eines einzelnen Menschen übersteigen, und daß die Durchführung dieser Arbeiten ohne Hinzuziehung von geschulten, an selbständiges Arbeiten gewöhnten Mitarbeitern nicht möglich war. Durch die Hinzuziehung einer so großen Zahl von befähigten Mitarbeitern ist die Arbeitskraft des Bg. mindestens teilweise ersetzt und vervielfacht worden. Nach dem Gesamtbild ist davon auszugehen, daß die Grenze der freiberuflichen Tätigkeit überschritten ist, und daß eine gewerbliche Tätigkeit vorliegt.

Der Hinweis des Finanzgerichts, daß der Bg. gemäß den Gewerbesteuer-Richtlinien (GewStR) 1943 Abschnitt 4 Absatz 3 zu § 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) nicht der Gewerbesteuer unterliege, geht fehl. Dort heißt es: "Hat die Beschäftigung der vorgebildeten Hilfskräfte ihren Grund nicht in der Vielzahl der übernommenen Aufträge, sondern darin, daß der Berufsträger zur Erledigung einiger weniger umfangreicher und unteilbarer Aufträge trotz vollen Einsatzes seiner eigenen Arbeitskraft auf die Mitarbeit vorgebildeter Hilfskräfte angewiesen ist, so ist die Tätigkeit des Berufsträgers auch dann noch der selbständigen Arbeit zuzurechnen, wenn die Tätigkeit der Mitarbeiter in dem einen oder anderen Fall über die für die Tätigkeit von Hilfskräften gezogenen Grenzen hinausgehen sollte. Es würde dem Sinne der Freistellung der freien Berufe von der Gewerbesteuer widersprechen, wenn gerade die führenden Vertreter des einzelnen freien Berufs nur deshalb zur Gewerbesteuer herangezogen würden, weil ihnen die bedeutenden Aufträge erteilt werden, bei deren Erledigung sie auf eine weitgehende Mitarbeit vorgebildeter Hilfskräfte nicht verzichten können."

Das Finanzgericht erblickt in diesen Anordnungen einen Milderungserlaß gemäß § 13 der Reichsabgabenordnung (AO), der auch von den Steuergerichten zu berücksichtigen sei. Die Auffassung ist rechtsirrig. In dem Gutachten des Obersten Finanzgerichtshofs I D 6/49 S vom 27. August 1949 (Steuerblatt für das Land Nordrhein-Westfalen 1950 S. 11, Bay:FMBl. 1949 S. 383) ist ausgeführt, daß Steuermilderungen, die der Finanzminister aus Billigkeitsgründen im Rahmen der ihm nach § 13 AO erteilten Vollmacht allgemein anordnet, auch dann im Veranlagungs- und Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen sind, wenn sie in anderen als den für die Verkündung von Verordnungen besonders vorgeschriebenen Blättern amtlich bekannt gemacht worden sind. Nach diesem Gutachten, dem sich der erkennende Senat anschließt, ist jedoch zu unterscheiden zwischen Anordnungen des Finanzministers, in denen den Steuerpflichtigen auf Grund des § 13 AO bestimmte Steuervergünstigungen gewährt werden (sogenannte Milderungserlasse) und Verwaltungsanweisungen, in denen der Finanzminister den Oberfinanzdirektionen und Finanzämtern seine Auffassung über die Auslegung und Anwendung von gesetzlichen Vorschriften oder über die Ausübung des Verwaltungsermessens bekanntgibt. Der Milderungserlaß gemäß § 13 AO besteht darin, daß eine Gruppe von Fällen umschrieben wird, und daß für diese Fälle durch eine amtlich bekanntgegebene Anordnung die Vorschriften der Steuergesetze abgeändert, und zwar gemildert werden. Im Gegensatze dazu steht die Verwaltungsanweisung an die Oberfinanzdirektionen und Finanzämter, die das objektive Recht nicht ändert, sondern sich darauf beschränkt, in einem Falle oder in einer Gruppe von Fällen die Finanzverwaltungsbehörden davon in Kenntnis zu setzen, wie sie von ihrem Verwaltungsermessen Gebrauch machen sollen, oder wie nach Auffassung des Finanzministers gesetzliche Vorschriften auszulegen sind. Der Abschnitt 4 Absatz 3 zu § 2 GewStG in den Gewerbesteuer-Richtlinien 1943 ist kein Milderungserlaß, der auf Grund des § 13 AO ergangen ist, sondern eine Mitteilung des Finanzministers an die Finanzverwaltungsbehörden darüber, wie nach seiner Auffassung die Grenzen von freier Berufstätigkeit und gewerblicher Tätigkeit gezogen werden sollen. An diese Anordnung sind die Finanzgerichte nicht gebunden. Die Gewerbesteuerfreiheit des Bg. kann danach aus dieser Verwaltungsanweisung nicht abgeleitet werden.

Das finanzgerichtliche Urteil wird wegen unrichtiger Anwendung des bestehenden Rechtes aufgehoben (§ 288 Ziffer 1, § 296 AO). Die Einspruchsentscheidung des Finanzamts und die Gewerbesteuermeßbescheide für die Jahre 1937 bis 1942 werden wiederhergestellt. Die Zuständigkeit des Finanzamts für die Festsetzung der Gewerbesteuermeßbeträge ergibt sich aus § 71, § 72 Ziffer 2 AO.

Das Finanzamt hat die gesamten Gewerbesteuermeßbeträge der Stadt A zugerechnet. Da der Bg. auch in der Stadt B eine Betriebsstätte unterhalten hat, ist gemäß § 28 GewStG der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag zu zerlegen. Das Zerlegungsverfahren ist vom Finanzamt noch durchzuführen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407283

BStBl III 1951, 204

BFHE 1952, 502

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