Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufklärung eines Auslandssachverhaltes durch Vernehmung eines ausländischen Zeugen

 

Leitsatz (NV)

1. Beantragt ein Kläger, einen im Ausland ansässigen Zeugen zu einem Auslandssachverhalt zu vernehmen, so muß er mit Rücksicht auf §§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i. V. m. § 90 Abs. 2 AO 1977 gegenüber dem FG seine Bereitschaft erklären, für das Erscheinen des Zeugen zu einem rechtzeitig anzuberaumenden Termin Sorge zu tragen.

2. Eine auf die Verteilung der Beweislast gestützte Entscheidung kann erst dann ergehen, wenn alle Beweismittel erschöpft sind.

3. Die BFH-Rechtsprechung zu den sog. Basisgesellschaften unbeschränkt Steuerpflichtiger kann nicht angewendet werden, wenn es sich um eine ausländische Gesellschaft handelt, an der weder der Steuerpflichtige noch eine ihm nahestehende Person beteiligt ist.

4. Die Anwendung des § 42 AO 1977 auf ungewöhnliche Gestaltungen setzt eine auf den Gesamtumständen aufbauende hohe Wahrscheinlichkeit voraus, daß entweder der Steuerpflichtige oder eine ihm nahestehende Person die außergewöhnliche Gestaltung selbst gesteuert hat.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 42, 90 Abs. 2; FGO § 76

 

Verfahrensgang

FG Bremen

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine 1977 gegründete GmbH, die in den Streitjahren 1977 bis 1979 einen Handel mit ... -Anlagen betrieb.

Gesellschafter-Geschäftsführer war der Beigeladene X, der zuvor verschiedene Einzelhandelsunternehmen betrieben und in denselben gleichartige Artikel von asiatischen Herstellern verkauft hatte. Dieselben hatte er von Firmen (F-Ltd., Hongkong; R-Ltd., Taiwan; S & Co. Ltd., Taiwan) bezogen, die von dem Unternehmer T in Taipeh geleitet wurden. Die Klägerin bezog die von ihr vertriebenen Geräte zunächst von denselben Lieferanten. Später wurden die Firmen F-SAS und M-SAS in den Rechnungs- und Zahlungsverkehr einbezogen. Beide Gesellschaften firmierten unter der Anschrift Y (Ausland).

Die F-SAS war am 27. Juni 1977 gegründet worden. Persönlich haftende Gesellschafterin war damals Frau A. Kommanditistin war Frau B, Y (Ausland). Die M-SAS wurde am 11. Juli 1978 gegründet. Persönlich haftende Gesellschafterin war Frau S, wohnhaft in Z (Ausland). Kommanditist war R, in Y. Als Gesellschaftssitz wurde die Adresse von P, in Y, angegeben.

Im Jahre 1978 wurden bei der Klägerin Zollprüfungen durchgeführt. Das Zollfahndungsamt unterrichtete die Steuerfahndungsstelle (Steufa) darüber, daß durch Gewinnverlagerungen ins Ausland möglicherweise Steuern verkürzt sein könnten. Die Steufa nahm jedoch selbst keine Ermittlungen auf, sondern teilte den Verdacht mit Schreiben vom 18. Januar 1980 dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) mit. Die F-SAS kalkuliere willkürlich mit völlig unterschiedlichen Aufschlägen. Außerdem deckten die Verkaufspreise der Klägerin kaum die Unkosten. Nach einer Auskunft der ausländischen Steuerbehörde vom 7. August 1979 sei der Beigeladene X mit Vollmacht vom 27. Juni 1977 zum Bevollmächtigten der F-SAS bestellt worden.

Das FA führte bei der Klägerin eine Außenprüfung durch. Im Prüfungsbericht vom 19. Juli 1984 vertrat es die Auffassung, die Klägerin habe mit fingierten, auf den Namen der F-SAS und der M-SAS ausgestellten Rechnungen Gewinne nach Y verlagert und damit an den Beigeladenen X verdeckt ausgeschüttet.

Das FA erließ u. a. geänderte Bescheide über Körperschaftsteuer und Gewerbesteuermeßbeträge 1977 bis 1979 und die Feststellung des verwendbaren Eigenkapitals (vEK) zum 31. Dezember 1977 bis zum 31. Dezember 1979, für die die Vorbehalte der Nachprüfung aufgehoben wurden. In den Bescheiden wurden die Rohaufschläge der F-SAS und der M-SAS geschätzt und "gemäß § 42 AO als verdeckte Gewinnausschüttungen dem Einkommen der Klägerin zugerechnet". Die Klägerin legte gegen die Bescheide erfolglos Einsprüche ein.

In den Einspruchsverfahren und in dem sich anschließenden Klageverfahren trug die Klägerin vor, die F-SAS und die M-SAS seien von T gegründet worden. Zum Beweis dieser Behauptung legte sie in Fotokopie folgende Unterlagen vor:

a) von T unterschriebene Bestätigungen vom 31. Juli 1977, wonach er die Anteile der A und der B an der F-SAS übernommen und beiden Gesellschafterinnen untersagt habe, weiterhin für die F-SAS tätig zu sein,

b) Abtretungserklärungen der Gründungsgesellschafterinnen A und B vom 1. August 1977,

c) ein von T unterzeichnetes Schreiben der R-Inc., Taipeh, vom 4. September 1977 an den Beigeladenen X, wonach T ihm eine Vollmacht zur Vertretung der F-SAS nur für den Fall von Krankheit, Unfall oder Tod erteilte,

d) ein von T unterzeichnetes Schreiben der R-Inc., Taipeh, an das Hauptzollamt (HZA) vom 7. Juli 1980, wonach diese Firma ihre Geschäfte in Europa mit der ihr gehörigen F-SAS beendet habe,

e) Fernschreiben des T an das HZA vom 16. September 1980, in dem er bestätigt, daß "wir seit einigen Jahren Eigentümer der Firma F-SAS, Y, sind",

f) Rechnung des P vom 8. November 1980 an T und die R-Inc., Taipeh, über die Kosten der auf Anordnung von T vom 26. August 1980 durchgeführten Liquidation der F-SAS, Y; P bittet um Überweisung von US $ ... auf das Konto von B in ... (Ausland),

g) "Statement" des T vom 12. November 1984, in dem er erklärt, alleiniger Eigentümer der F-SAS gewesen zu sein; die M-SAS habe er benutzt, als sich Schwierigkeiten zwischen der F-SAS und den deutschen Zollbehörden ergeben hätten,

h) Erklärung der A vom 24. April 1986, wonach ihr der Beigeladene X zur Zeit der Vollmachterteilung (27. Juni 1977) nicht bekannt und bei Erstellung der Vollmachtsurkunde nicht anwesend gewesen sei; die Vollmacht sei am 1. August 1977 T übergeben worden.

Vor dem Finanzgericht (FG) beantragte die Klägerin die Vernehmung des T (Schriftsatz vom 21. Januar 1993) zum Wahrheitsgehalt des "Statements" vom 12. November 1984 (vgl. oben g) unter Angabe seiner Anschrift. Aus ihrem Vorbringen ergibt sich, daß sie Informationen des Zeugen über dessen mögliche Reise in die Bundesrepublik Deutschland zwecks Vernehmung besaß. Sie stellte jedoch dem FG aus Kostengründen anheim, T vor dem deutschen Konsulat in Hongkong vernehmen zu lassen oder ihn um eine schriftliche Äußerung zu bitten.

Die Klage blieb ohne Erfolg. Das FG nahm verdeckte Gewinnausschüttungen i. S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes an, weil die Einschaltung der F-SAS und der M-SAS der Klägerin gemäß § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) zuzurechnen seien.

Die Klägerin hat am 14. Mai 1993 gegen das FG-Urteil sowohl Revision (I R 78/93) als auch Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Der Senat hat durch Beschluß vom 16. März 1994 die Revision zugelassen. Der Beschluß wurde der Klägerin am 7. Juni 1994 zugestellt. Sie legte am 6. Juli 1994 die Revision I R 86/94 ein.

Mit ihrer Revision I R 78/93 rügt die Klägerin die fehlerhafte Besetzung des FG, die Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens und die teilweise fehlende Urteilsbegründung. Die Revision I R 86/94 ist auf Verfahrensfehler und die Verletzung materiellen Rechts gestützt.

 

Entscheidungsgründe

Die am 14. Mai 1993 form- und fristgerecht eingelegte und insgesamt gesehen ausreichend begründete Verfahrensrevision und die nach dem Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde am 6. Juli 1994 eingelegte Revision sind ein Rechtsmittel, über das einheitlich zu entscheiden ist (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 120 Rdnr. 16 m. w. N.). Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Die Vorentscheidung beruht auf einem von der Klägerin mit der Revision gerügten Verfahrensfehler. Die Klägerin hatte im Klageverfahren beantragt, den Zeugen T zu vernehmen. Sie hatte als Klagebegründung vorgetragen, dem Zeugen seien die wirtschaftlichen Ergebnisse der F-SAS und der M-SAS zuzurechnen. Die Gesellschaftsanteile seien für ihn treuhänderisch gehalten worden. Er habe die Zwischenschaltung gesteuert und an die Gesellschaften unterfakturierte Rechnungen gesandt. T werde diese Angaben im Falle seiner Vernehmung bestätigen. Zwar war die Klägerin gemäß § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i. V. m. § 90 Abs. 2 AO 1977 verpflichtet, den Zeugen T zu stellen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 1. Juli 1987 I R 284--286/83, BFH/NV 1988, 13). Dazu genügte es jedoch, daß sie spätestens in ihrem Schriftsatz vom 21. Januar 1993 ihre Bereitschaft erklärte, für das Erscheinen des Zeugen T zu einem rechtzeitig anzuberaumenden Termin Sorge tragen zu wollen. Auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung im übrigen mußte das FG die Zeugenvernehmung des T beschließen. Es hat das Vorbringen der Klägerin grundsätzlich als entscheidungserheblich angesehen. Es ist ihm lediglich aus Beweislastgründen nicht nachgegangen. Eine auf die Verteilung der Beweislast gestützte Entscheidung kann jedoch erst dann ergehen, wenn alle Beweismittel erschöpft sind. Dies ist nicht der Fall, solange das FG die entscheidungserhebliche Vernehmung des Zeugen T nicht durchgeführt hat. Deshalb mußte das FG sich um die Durchführung der Vernehmung bemühen. Es mußte prüfen, ob eine Vernehmung vor dem Senat, durch den kommissarischen Richter oder gemäß § 155 FGO i. V. m. §§ 363, 364 der Zivilprozeßordnung in Betracht kam. Das Übergehen des Beweisantrages beinhaltet einen Verfahrensfehler.

2. Das FG hat im Streitfall § 42 AO 1977 unter Berufung auf das BFH-Urteil vom 9. Mai 1979 I R 126/77 (BFHE 128, 61, BStBl II 1979, 586) angewendet. In dem Urteil ist jedoch ausgeführt, daß die BFH- Rechtsprechung zu den sog. Basisgesellschaften unbeschränkt Steuerpflichtiger nicht angewendet werden könne, wenn es sich um eine ausländische Gesellschaft handele, an der weder der Steuerpflichtige noch eine ihm nahestehende Person beteiligt sei. Das FG hat für den Streitfall entsprechende Beteiligungen der Klägerin oder des X an der F-SAS bzw. der M-SAS nicht festgestellt. So gesehen ist das Urteil in BFHE 128, 61, BStBl II 1979, 586 für den Streitfall nicht einschlägig. Zwar schließt es die Anwendung des § 42 AO 1977 in anderen Fällen ungewöhnlicher Gestaltung nicht schlechthin aus. Dies setzt jedoch eine auf den Gesamtumständen aufbauende hohe Wahrscheinlichkeit voraus, daß entweder die Klägerin oder eine ihr nahestehende Person die außergewöhnliche Gestaltung selbst gesteuert hat. Diesbezügliche Feststellungen hat das FG nicht getroffen. Es hat im Kern seiner Begründung einen Mißbrauch aus der gewählten ungewöhnlichen Gestaltung und der Tatsache abgeleitet, daß T dem Beigeladenen X am 27. Juni 1977 eine Vollmacht erteilt hatte. Damit hat sich das FG von vornherein den Blick auf die ähnlich wahrscheinliche Möglichkeit verschlossen, daß T die F-SAS und die M-SAS zwischenschaltete, um eigene Gewinne nach Y zu verlagern. Solange beide Möglichkeiten mit einer vergleichbaren Wahrscheinlichkeit gegenüberstehen und der Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt werden kann, muß aus Gründen der objektiven Beweislast (Feststellungslast) die Entscheidung zugunsten der Klägerin und zu Lasten des FA ausgehen. Dies gilt um so mehr, als die Klägerin zumindest glaubhaft dargelegt hat, daß

-- der Beigeladene X im Augenblick der Vollmachtserteilung von derselben keine Kenntnis hatte,

-- die Vollmacht nach dem Schreiben des T vom 4. September 1977 nur für den Fall der Verhinderung durch Krankheit, Unfall oder Tod gelten sollte,

-- die Vollmachtsurkunde vom 27. Juni 1977 schon am 1. August 1977 an T zurückgegeben wurde und

-- die Vollmacht nach den Feststellungen der ausländischen Steuerbehörde am 2. April 1979 widerrufen und im Handelsregister gelöscht wurde.

Es kommt hinzu, daß die Überlegung des FG, die Klägerin hätte die von der F-SAS berechneten höheren Preise nicht hingenommen, durch plausible Darlegungen der Klägerin in deren Schriftsätzen vom 30. November 1992 und vom 1. März 1993 erschüttert wird. Bei dieser Sachlage kann das FG auch nach einer erfolglos durchgeführten Beweisaufnahme nur dann so entscheiden, wie es entschieden hat, wenn es die Möglichkeit einer dem T zuzurechnenden Gewinnverlagerung mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen kann. Auch aus diesem Grund durfte das FG die Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung des T nicht ablehnen. Sie hätte sich ihm aufdrängen müssen. Zusätzlich hätte es sich angeboten, die Zeugenvernehmung auch der Gründungsgesellschafterinnen und mutmaßlichen Treuhänderinnen zu beschließen. Das FG hätte daneben die Echtheit der Originale überprüfen können, von denen die Klägerin bisher nur Fotokopien vorlegte.

3. Der dem FG unterlaufene Verfahrensfehler zwingt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Da die weitere Sachverhaltsaufklärung Sache des FG ist, kann der BFH nicht selbst entscheiden. Vielmehr ist die Sache an das FG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420871

BFH/NV 1996, 383

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