Entscheidungsstichwort (Thema)

Kausalitätserfordernis bei Änderung wegen neuer Tatsachen zugunsten des Steuerpflichtigen

 

Leitsatz (NV)

Ein Steuerbescheid darf nicht nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 geändert werden, wenn das FA die Steuer auch bei rechtzeitiger Kenntnis nicht anders festgesetzt hätte (Anschluß an den Beschluß des Großen Senats vom 23. November 1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180). Die nachträgliche Kenntnis von Kreditzinszahlungen im Zusammenhang mit der Finanzierung von Bausparbeiträgen rechtfertigt deshalb keine Änderung von Einkommensteuerbescheiden, bei deren Bekanntgabe das FA aufgrund der damaligen höchstrichterlichen Rechtsprechung und von Verwaltungserlassen davon ausging, die Zinsen seien nicht als Werbungskosten abziehbar.

 

Normenkette

AO 1977 § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, §§ 176-177; EStG § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 20 Abs. 3, § 21a

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Sie schlossen 1977 je einen Bausparvertrag. Die bei Abschluß des Bausparvertrags zu leistenden Zahlungen von je 40 v. H. der Bausparsumme finanzierten sie mit Bankdarlehen. Die Bausparsumme sollte zur Umschuldung von Verbindlichkeiten für den Erwerb ihres 1974 bezugsfertigen, selbstgenutzten Einfamilienhauses dienen. In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1978 bis 1980, bei denen ein Steuerberater mitgewirkt hatte, erklärten sie die Guthabenzinsen aus dem Bausparvertrag als Einnahmen aus Kapitalvermögen. Bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für das Einfamilienhaus nach § 21 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) zogen sie Schuldzinsen bis zur Höhe des Grundbetrages ab. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) setzte die Einkommensteuer für die Streitjahre erklärungsgemäß fest.

Nach Unanfechtbarkeit der Bescheide beantragten die Kläger, diese nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern und dabei die für den Kredit zur Finanzierung der Bausparbeiträge gezahlten Schuldzinsen in voller Höhe als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abzuziehen. Das FA lehnte den Antrag mit der Begründung ab, ihm sei aufgrund einer Außenprüfung bekannt gewesen, daß die Kläger die Bausparbeiträge mit Darlehen finanziert hätten. Außerdem treffe die Kläger ein grobes Verschulden daran, daß sie den Sachverhalt nicht rechtzeitig und vollständig mitgeteilt hätten. Eine Änderung der Bescheide für die Streitjahre komme auch deshalb nicht in Betracht, weil die Schuldzinsen Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und gemäß § 21 a Abs. 3 EStG nur beschränkt abziehbar seien.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit der die Kläger beantragten, die Schuldzinsen bis zu Höhe der Guthabenzinsen zu verrechnen, statt.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977. Es lägen keine neuen Tatsachen i. S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 vor. Ihm sei bekannt gewesen, daß die Kläger im Rahmen des Hausbaus Schuldzinsen gezahlt hätten, die über den Grundbetrag hinausgegangen seien. Auch bei Kenntnis der Zahlung und der Höhe der Schuldzinsen hätte es die Einkommensteuer nicht abweichend festgesetzt, weil es insoweit an Verwaltungsanweisungen gebunden gewesen sei.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger haben keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Vorentscheidung verletzt § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977.

Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß die nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen - ihr Vorliegen unterstellt - rechtserheblich gewesen seien. Der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat nach Ergehen der Vorentscheidung entschieden, daß ein Steuerbescheid wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen oder Beweismittel zugunsten des Steuerpflichtigen nicht aufgehoben oder geändert werden darf, wenn das FA bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel nicht anders entschieden hätte (Beschluß vom 23. November 1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180). Wie das FA bei Kenntnis bestimmter Tatsachen und Beweismittel einen Sachverhalt in seinem ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des BFH ausgelegt wurde, und der die FÄ bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheiderlasses durch das FA galten.

Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist eine Änderung der Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 ausgeschlossen. Das FA hätte auch bei Kenntnis der Finanzierung der Bausparbeträge die Einkommensteuer nicht anders festgesetzt. Nach der Rechtslage zur Zeit der Bekanntgabe der Steuerbescheide waren die FÄ angewiesen, die Kreditzinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu beurteilen mit der Folge, daß sie nach § 21 a Abs. 3 Nr. 1 EStG nur bis zum Grundbetrag abziehbar waren (Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 3. Januar 1980 IV B 1 - S 2211 - 24/79, Steuererlasse in Karteiform - StEK -, Einkommensteuergesetz, § 9, Nr. 218; vgl. ferner Stuhrmann, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A - DStZ/A - 1980, 407; Lück, DStZ/A 1983, 283). Diese Rechtsauffassung gab die Finanzverwaltung erst nach Bekanntgabe der Einkommensteuerbescheide aufgrund der BFH-Urteile vom 9. November 1982 VIII R 188/79 (BFHE 137, 300, BStBl II 1983, 172) und vom 8. Februar 1983 VIII R 163/81 (BFHE 138, 202, BStBl II 1983, 355) auf (vgl. die Erlasse vom 15. Juni 1983 III B 12-Berlin und vom 28. Juli 1983 S 2211 - 200 - Bremen, StEK, Einkommensteuergesetz, § 9, Nr. 306).

Die frühere Rechtsauffassung der Finanzverwaltung stand jedenfalls nicht im Widerspruch zu der damaligen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der VI. Senat des BFH hatte in einer nicht veröffentlichten Entscheidung das Urteil des FG Hamburg vom 24. Juni 1968 II 59/68 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1969, 13) bestätigt, wonach die Kreditzinsen in gleichliegenden Fällen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu beurteilen und nach dem damals geltenden § 2 Abs. 2 der Verordnung über die Bemessung des Nutzungswerts der Wohnung im eigenen Einfamilienhaus vom 26. Januar 1937 - RStBl 1937, 161 - (jetzt § 21 a Abs. 3 EStG) nur beschränkt abziehbar waren.

Der VIII. Senat des BFH hatte in seinem Urteil vom 6. Februar 1979 VIII R 70/76 (BFHE 127, 507, 510, BStBl II 1979, 550), auf das im o. a. Schreiben des BMF vom 3. Januar 1980 Bezug genommen wird, ausdrücklich offengelassen, ob die Kreditzinsen für ein Darlehen zur Finanzierung eines Bausparvertrages nur in Höhe des die Guthabenzinsen übersteigenden Betrages oder in voller Höhe Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und dort nur beschränkt abziehbar seien.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415912

BFH/NV 1989, 207

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