Leitsatz (amtlich)

Wenn der Gesetzgeber im freien Verkehr befindliche, bereits einer Verbrauchsteuer unterworfen gewesene Erzeugnisse einer Nachsteuer ersichtlich ohne Rücksicht darauf unterwirft, ob der als Steuerschuldner in Anspruch genommene Besitzer der Erzeugnisse in der Lage ist, seine Belastung auf den Verbraucher der Erzeugnisse abzuwälzen, kann das tatsächliche Unvermögen eines einzelnen Besitzers zu einer solchen Abwälzung allein kein Billigkeitsgrund i. S. des § 131 AO sein.

 

Normenkette

AO § 131

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 12.01.1978; Aktenzeichen 1 BvR 825/77)

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt Großhandel mit Spirituosen. Sie besaß zu Beginn des 1. Januar 1972 Erzeugnisse, die nach Art. 2 Abs. 1 und 2 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol vom 23. Dezember 1971 (BGBl I 1971, 2137. Bundeszollblatt 1972 S. 65 – BZBl 1972, 65 –) einer Nachsteuer unterlagen. Sie wurde deshalb durch Bescheid des Zollamts (ZA) vom 28. Februar 1973 wegen 2 861,10 DM Branntweinsteuer in Anspruch genommen. Den hiergegen erhobenen Einspruch nahm sie zurück. Ihren Antrag, die Steuer teilweise zu erlassen, lehnte die Beklagte und Revisionsbeklagte (Oberfinanzdirektion –OFD–) durch Bescheid vom 25. Mai 1973 ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Bundesminister der Finanzen (BdF) mit folgender Begründung zurück: Sachliche Gründe, die für einen Billigkeitserlaß sprechen könnten, seien nicht gegeben. Durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol seien alle Besitzer von nachsteuerpflichtigen Erzeugnissen in gleicher Weise der Nachsteuer unterworfen worden. Das Gesetz habe nur auf den Besitz am Stichtag, nicht etwa auf den Zeitpunkt des Erwerbes der Erzeugnisse abgestellt. Wenn Konkurrenten der Klägerin die Nachsteuer nicht im Preis an ihre Abnehmer weitergegeben haben sollten, so liege das im Bereich der kaufmännischen Gestaltungsmöglichkeiten, die von der unternehmerischen Situation jedes Betriebes abhingen. Das Vorbringen, Spirituosenhersteller und Importeure hätten den Alkoholgehalt ihrer Erzeugnisse senken können, sei unwesentlich. Auch persönliche Gründe seien nicht zu erkennen. Gegen die Feststellung der OFD, durch die Belastung mit dem Steuerbetrag von 2 861,10 DM sei die Existenz der Klägerin nicht gefährdet, seien keine Einwendungen erhoben worden.

Mit der Klage machte die Klägerin geltend:

Ihr Erlaßantrag sei begründet, da bei ihr Ausnahmetatbestände vorlägen, die der Gesetzgeber nicht vorausgesehen und daher auch nicht im Gesetz berücksichtigt habe. Ihre branntweinhaltigen Bestände vom 31. Dezember 1971 könne man in folgende vier Gruppen einteilen:

  1. Normale Ware, bei der keine Probleme bestünden und für die sie die Nachsteuer bezahlt habe.
  2. Spirituosen, bei denen die Nachsteuer vom Hersteller bzw. Importeur aufgefangen worden sei. Die Abgabepreise für diese Waren seien nach der Steuererhebung gleichgeblieben. Würde sie – die Klägerin – nun versuchen, die Nachsteuer den Einkaufspreisen zuzuschlagen, läge sie im Preis höher als die Konkurrenz; die Ware wäre unverkäuflich.
  3. Spirituosen, deren Weingeistgehalt vom Hersteller herabgesetzt worden sei. Durch diese Maßnahme hätten die Hersteller die Nachsteuer aufgefangen. Eine solche Möglichkeit habe sie wegen Fehlens entsprechender technischer Einrichtungen nicht. Deshalb seien auch für diese Erzeugnisse die Weitergabepreise auf der Großhandelsstufe gleichgeblieben. Damit seien aber die sich in ihrem Besitz befindenden, mit der Branntweinnachsteuer belasteten Spirituosen gleicher Marke mit höherem Weingeistgehalt nicht mehr absetzbar und unverkäuflich gewesen, es sei denn, die Nachsteuer werde aus der Vermögenssubstanz gezahlt, was auf eine teilweise Enteignung hinauslaufe.
  4. „Ladenhüter”, die zwar verbrauchsfertige Handelsware seien, jedoch als solche nicht abgesetzt werden könnten. Sie seien unter kaufmännischen Gesichtspunkten auf den Erinnerungswert abgeschrieben. Beim Einkauf dieser Erzeugnisse habe es sich um eine Fehldisposition gehandelt. Die Entrichtung der Nachsteuer für diese Erzeugnisse bedeute eine neue Investition zu einer schon vorhandenen Fehldisposition. Das sei unzumutbar, und kein Rechtsstaat könne allen Ernstes seine Bürger zu einer Fehldisposition zwingen.

Die Klägerin beantragte, den Bescheid der OFD vom 25. Mai 1973 aufzuheben und auszusprechen, daß die OFD verpflichtet sei, 80 % der Nachsteuer aus Billigkeitsgründen zu erstatten.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage durch Urteil vom 3. Juli 1974 mit folgender Begründung ab:

Der angefochtene Bescheid der OFD vom 25. Mai 1973 sei als Ermessensentscheidung nach § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nur darauf nachzuprüfen, ob der OFD und dem BdF bei der Ausübung ihres Ermessens ein Rechtsfehler unterlaufen sei. Ein solcher Rechtsfehler sei nicht zu erkennen.

Sachliche Billigkeitsgründe für einen Erlaß nach § 131 der Reichsabgabenordnung (AO) lägen, wie die Verwaltungsbehörden ohne Rechtsverstoß festgestellt hätten, nicht vor. Durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol vom 23. Dezember 1971 seien alle Besitzer von nachsteuerpflichtigen Erzeugnissen – abgesehen von der Freimenge nach Art. 2 Abs. 3 – in gleicher Weise der Nachsteuer unterworfen worden. Ausnahmen sehe das Gesetz nicht vor. Es mache insbesondere keinen Unterschied zwischen normaler Ware und Spirituosen, bei denen die Nachsteuer, wie die Klägerin behaupte, von den Herstellern aufgefangen oder bei denen der Weingeistgehalt von den Herstellern herabgesetzt worden sei oder bei denen es sich um „Ladenhüter” bandle. Der vom Gesetzgeber bekundete Wille könne grundsätzlich nicht über einen Abgabenerlaß aus Billigkeitsgründen umgangen werden. Das Vorliegen besonderer Umstände, die ausnahmsweise eine Billigkeitsentscheidung rechtfertigen könnten, hätten die Verwaltungsbehörden zu Recht verneint. Die OFD habe ohne Ermessensverstoß festgestellt, daß Verluste durch eine Billigkeitsentscheidung nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden dürften, sondern im Rahmen des kaufmännischen Risikos vom Geschäftsinhaber selbst getragen werden müßten. Es würde dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen, durch einen Erlaß aus Billigkeitsgründen die Klägerin besserzustellen als die übrigen Steuerpflichtigen. Daß die Klägerin, wie sie behaupte, die Nachsteuer aus der Vermögenssubstanz zahlen müsse, bedeute keinen Verstoß gegen die im Grundgesetz verankerte Eigentumsgarantie, da die Bezahlung der Nachsteuer weder eine Enteignung noch eine enteignungsgleiche Maßnahme darstelle, sondern nur die Erfüllung einer im Gesetz auferlegten Pflicht.

Auch persönliche Billigkeitsgründe hätten die Verwaltungsbehörden zu Recht nicht angenommen. Sie wären gegeben, wenn die wirtschaftliche Existenz der Klägerin gefährdet würde. In dieser Richtung habe die Klägerin nichts vorgetragen und sei auch aus den Akten nichts zu entnehmen.

Mit der Revision macht die Klägerin im wesentlichen geltend:

Die Branntweinnachsteuer sollte als Verbrauchsteuer grundsätzlich den Verbraucher der steuerbaren Erzeugnisse treffen und müsse daher auf diesen übergewälzt werden können. Wo dies nicht möglich sei, müsse die Steuer nach § 131 AO aus Billigkeitsgründen erlassen oder erstattet werden. Ein solcher Fall liege hier in bezog auf einen erheblichen Teil ihres Bestandes vom 1. Januar 1972 vor.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und ihrem Klageantrag stattzugeben. Die OFD beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Mit dem FG ist davon auszugehen, daß der mit der Klage angefochtene Bescheid vom 25. Mai 1973, mit dem die OFD den Billigkeitserlaßantrag der Klägerin abgelehnt hat, eine Ermessensentscheidung ist, für deren gerichtliche Nachprüfung die besonderen Vorschriften des § 102 FGO gelten (vgl. den Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Danach hatte das FG nur zu prüfen, ob die Ermessensentscheidung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Diese Frage hat das FG zu Recht verneint.

Steuern können nach § 131 Abs. 1 AO im Einzelfall ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre. Der Zweck dieser Ermächtigung besteht darin, die gesetzesgemäße steuerliche Belastung dort zu mindern oder zu beseitigen, wo sie sich aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles nach den Wertungen des Gesetzgebers als unbillig erweist (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 4. Juli 1972 VII R 103/69, BFHE 106, 268, BStBl II 1972, 806, und vom 22. April 1975 VII R 54/72, BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727), wo also ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers feststellbar ist und der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Besteuerung aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (vgl. BFH-Urteil vom 17. Dezember 1974 VII R 111/72, BFHE 115, 82). Die Klägerin ist durch Art. 2 Abs. 1, 2 und 4 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol vom 23. Dezember 1971 mit einer Nachsteuer belastet worden, weil sie zu Beginn des 1. Januar 1972 dieser Nachsteuer unterworfene Waren in ihrem Besitz hatte. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Nachsteuer wie die normale Branntweinsteuer eine Verbrauchsteuer ist (vgl. § 78 des Branntweinmonopolgesetzes –BranntwMonG–) und es grundsätzlich zu ihrem Wesen gehörte, auf den Verbraucher der mit ihr belasteten Erzeugnisse abgewälzt zu werden; denn der Gesetzgeber konnte sich darauf beschränken, den selbst nicht als Verbraucher in Betracht kommenden Steuerschuldnern diese Möglichkeit offenzulassen (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Januar 1970 1 BvL 4/67, BVerfGE 27, 375, 384), und das ist geschehen; denn das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol vom 23. Dezember 1971 hinderte die als Steuerschuldner in Anspruch genommenen Besitzer der mit der Nachsteuer belasteten Erzeugnisse nicht, diese zu einem um die Steuer erhöhten Preis an Verbraucher abzugeben.

Der Gesetzgeber hat allerdings keine Rücksicht darauf genommen und auch nicht nehmen müssen, ob die Marktlage dem einzelnen Steuerschuldner eine Abwälzung der Nachsteuer auf den Verbraucher ermöglicht. Diese auch in anderen Verbrauchsteuergesetzen zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers ist im Rahmen der nach § 131 AO zu prüfenden Frage maßgeblich, ob die gesetzesgemäße steuerliche Belastung unbillig ist. Wenn also der Gesetzgeber wie hier im freien Verkehr befindliche, bereits einer Verbrauchsteuer unterworfen gewesene Erzeugnisse einer Nachsteuer zu dieser Verbrauchsteuer ersichtlich ohne Rücksicht darauf unterwirft, ob der als Steuerschuldner in Anspruch genommene Besitzer der Erzeugnisse nach der Marktlage oder sonstigen wirtschaftlichen Umständen in der Lage ist, seine steuerliche Belastung auf den Verbraucher der Erzeugnisse abzuwälzen, kann aus dem tatsächlichen Unvermögen eines einzelnen Besitzers zu einer solchen Abwälzung ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes gegenüber den Wertungen des Gesetzgebers nicht hergeleitet werden. Das Unvermögen des einzelnen Besitzers der mit der Nachsteuer belasteten Erzeugnisse, die Belastung auf den Verbraucher abzuwälzen, kann somit allein kein Billigkeitsgrund 1. S. des § 131 AO sein. In diesem Sinne ist auch der Hinweis auf § 131 AO in BVerfGE 27, 375, 385, zu verstehen.

Das Vorbringen der Klägerin gegenüber dem FG läßt im übrigen nicht erkennen, daß ein besonderer Härtefall vorliegt. Ihm zufolge ist sogar noch ungewiß, ob die Klägerin tatsächlich nicht in der Lage sein wird, die der Nachsteuer unterworfenen Erzeugnisse zu einem auch diese Steuer umfassenden Preis abzusetzen. Soweit sie am 1. Januar 1972 unverkäufliche Waren in ihrem Besitz hatte, entsprach ihre Lage der eines Verbrauchers, der letztlich die Steuer tragen soll.

 

Fundstellen

Haufe-Index 510500

BFHE 1978, 20

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