Leitsatz (amtlich)

Ein Brückenbauingenieur darf eine Garantierückstellung für einen bestimmten Auftrag nur bilden, wenn Tatsachen am Bilanzstichtag festgestellt werden, aus denen sich eine spätere Inanspruchnahme mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit herleiten läßt; die Neuartigkeit der Brükkenkonstruktion im Ausland und das darin liegende erhöhte Risiko reichen dafür nicht aus.

 

Normenkette

EStG 1965 § 4 Abs. 1, §§ 5, 6 Abs. 1 Nr. 3

 

Tatbestand

Streitig sind Zulässigkeit und Höhe einer Garantierückstellung bei einem Brückenbauingenieur.

Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) ist Diplom-Ingenieur und auf den Entwurf und Bau von Brücken spezialisiert. Er wurde im Streitjahr 1965 von einer ausländischen Firma beauftragt, den Entwurf für eine Straßenbrücke über eine Eisenbahnlinie in X. mit den notwendigen Unterlagen anzufertigen. Mit den Bauarbeiten wurde im Streitjahr begonnen. Nach dem Vertrag haftete der Steuerpflichtige für alle unmittelbaren Schäden, die nachweislich auf sein schuldhaftes Verhalten zurückzuführen sind. In der Bilanz zum 31. Dezember 1965 wies der Steuerpflichtige für diesen Auftrag eine Garantierückstellung von 300 000 DM aus. Das FA erkannte die Rückstellung nicht an, weil sie nur für bestimmte drohende Inanspruchnahmen, nicht aber für das allgemeine Geschäftsrisiko gebildet werden könnte.

Die Sprungklage begründete der Steuerpflichtige damit, bei der Brücke handele es sich um ein Bauwerk, das unter erheblich erschwerten Bedingungen errichtet werden müsse. Im Gegensatz zu den deutschen Vorschriften würden seine Berechnungen nicht durch einen Prüfingenieur überprüft. Es handele sich bei dem Tragesystem der Brücke um ein neuartiges Bauwerk (Schrägseilbrücke), bei dem praktische Erfahrungen erst in geringem Maße hätten gesammelt werden können. Den ausländischen Ingenieuren sei die Bauweise völlig neu. Für den Auftrag sei kein Versicherungsschutz gegeben. Er habe in der Vergangenheit bereits mehrfach Schadenersatz leisten müssen. So seien anläßlich des Baues einer Brücke im Jahr 1955 von ihm 5 000 DM und von der Versicherung 50 000 DM gezahlt worden. Wegen des Baues einer anderen Brücke sei er im Jahr 1960 auf Zahlung von 136 700 DM verklagt worden. Der Prozeß sei durch einen Vergleich erledigt worden, nach dem er 5 000 DM und die Versicherung 25 000 DM hätten zahlen müssen. Wegen eines weiteren Schadens an einer Brücke im Zuge einer Bundesstraße schwebten noch Verhandlungen. Die Häufung von Brückeneinstürzen in der letzten Zeit sei ein Moment, das zu einer vorsichtigen Einschätzung des Risikos nötige.

Das FG erkannte nach Anhörung eines Sachverständigen die Berechtigung der Bildung einer Rückstellung unter Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats IV 165/59 S vom 17. Januar 1963 (BFH 76, 651, BStBl III 1963, 237) an. Der Steuerpflichtige sei in der Vergangenheit wegen Gewährleistungsverpflichtungen bei mehreren Bauobjekten in Anspruch genommen worden. Hieraus sei zu entnehmen, daß die Arbeit des Steuerpflichtigen in gewissem Umfang risikobelastet sei und er unter Umständen mit erheblichen Gewährleistungsansprüchen rechnen müsse. Die Rückstellung sei trotz der fehlenden Regelmäßigkeit von Inanspruchnahmen in der Vergangenheit dem Grunde nach wegen der besonderen, aus dem Rahmen der bisherigen Betriebsführung und Branchenerfahrung fallenden Gefährdetheit des Objekts begründet. Wie der Gutachter vor dem Senat ausgeführt habe, sei das Risiko bei neuen Entwicklungen erfahrungsgemäß größerals bei erprobten Konstruktionen. Da es sich um eine neuartige Brückenkonstruktion handele, sei die Gefahr, gegen anerkannte und feststehende Bauregeln und Erkenntnisse schuldhaft zu verstoßen, vorsichtig einzuschätzen. Die Bewertung des mit dem Auftrag übernommenen Risikos müsse aber in einem gewissen vernünftigen Verhältnis zu den erzielten Einnahmen stehen. Unter Berücksichtigung aller Umstände sei die Rückstellung auf 100 000 DM zu schätzen.

Mit der Revision beantragt das FA, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sprungklage abzuweisen. Die Erwägungen des FG besagten nur, daß eine Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen möglich sei. Diese Möglichkeit reiche für die Zulässigkeit einer Garantierückstellung nicht aus.

Der Steuerpflichtige beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Die Zulassung der Rückstellung stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

Für ungewisse Schuldverbindlichkeiten, drohende Verluste und selbständig bewertungsfähige Lasten können Rückstellungen gebildet werden. Die Schätzung ist weitgehend dem Steuerpflichtigen zu überlassen; sie muß aber in einem objektiv nachprüfbaren Rahmen liegen. Eine Schätzung, für die nicht die geringsten Anhaltspunkte und Grundlagen erkennbar sind, kann nicht anerkannt werden (Urteile des erkennenden Senats IV 142/53 U vom 19. November 1953, BFH 58, 264, BStBl III 1954, 16, und IV 165/59 S; BFH-Urteil I 137/59 U vom 29. November 1960, BFH 72, 416, BStBl III 1961, 154). Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung wegen drohender Gewährleistungsansprüche ist, daß sich am Bilanzstichtag eine Inanspruchnahme erkennbar abzeichnet (Urteil des erkennenden Senats IV 470/55 U vom 22. Mai 1958, BFH 67, 192, BStBl III 1958, 345). So hat der erkennende Senat im Urteil IV 165/59 S ausgeführt, daß Garantierückstellungen gebildet werden können, wenn der Kaufmann auf mit einer gewissen Regelmäßigkeit nach Grund und Höhe auftretende tatsächliche Garantieinanspruchnahmen hinweisen kann. Das trifft im Streitfall nicht zu. Der Steuerpflichtige kann nur einzelne Fälle von Inanspruchnahmen bezeichnen, die nach Grund und Höhe offenbar voneinander abweichen. Dann ist nach den Ausführungen des Urteils IV 165/59 S eine Garantierückstellung nur zulässig, wenn der Steuerpflichtige nach den am Bilanzstichtag vorliegenden und festgestellten Tatsachen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit einer Inanspruchnahme in schätzbarer Höhe rechnen mußte. Für eine solche Annahme bestanden keine Anhaltspunkte. Es reicht nicht aus, daß die Besonderheiten des Auftrags ein erhöhtes Risiko bedingten. Die Neuartigkeit der Brückenkonstruktion und sonstige Schwierigkeiten, besonders die Ausführung des Auftrags im Ausland und der fehlende Versicherungsschutz, rechtfertigen lediglich den Schluß, daß die Möglichkeit von Garantieleistungen größer ist als bei anderen Brückenbauaufträgen; daraus kann nicht auf die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme geschlossen werden (vgl. auch das Urteil des erkennenden Senats IV 95/63 S vom 12. März 1964, BFH 79, 471, BStBl III 1964, 404, zu Rückstellungen bei Notaren).

 

Fundstellen

Haufe-Index 557397

BStBl II 1968, 533

BFHE 1968, 278

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