Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

In welcher Weise haben die Steuergerichte festzustellen, ob eine Krankheit eine typische Berufskrankheit ist? 2. Infektiöse Gelbsucht als typische Berufskrankheit eines praktischen Arztes?

 

Normenkette

EStG § 33a/6; EStDV § 65

 

Tatbestand

Streitig ist, ob eine infektiöse Gelbsucht bei einer praktischen ärztin eines typische Berufskrankheit ist und ob der ärztin daher ein Pauschbetrag für außergewöhnliche Belastungen gewährt werden kann, wie er in Abschn. 213 EStR 1952, Abschn. 153 EStR 1953 und 1954 Abschn. 194 EStR 1955 und § 65 EStDV 1955 zugelassen ist.

Das Finanzamt hatte der Steuerpflichtigen wegen eines Leberschadens einen Pauschbetrag für Diätverpflegung gegeben. Den beantragten Pauschbetrag wegen einer Berufskrankheit versagte es dagegen. Ein Gutachten des Gesundheitsamts bestätigte: Die Bfin. machte im 7. Lebensjahr erstmalig eine infektiöse Gelbsucht durch. Eine Reinfektion erfolgte in Ausübung ihres Berufes anläßlich einer 1949 aufgetretenen Gelbsuchtepidemie. Die gebliebene Leberzellgewebsschädigung müßte in diesem Falle als Folge einer typischen Berufskrankheit angesehen werden". Die Bfin. hat auf dem rechten Auge nur noch ein Sehvermögen von 1/50.

Die Berufung hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht, dessen Urteil in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 1964 S. 492 veröffentlicht ist, stellte die Bfin. wegen des Sehschadens einem Einäugigen gleich und gewährte einen Pauschbetrag nach einer Erwerbsminderung von 30 v. H. Den Antrag, den Pauschbetrag nach einer Erwerbsminderung von insgesamt 60 v. H. zu bemessen, da die Erwerbsminderung wegen der Folgen der infektiösen Gelbsucht insgesamt so hoch anzusetzen sei, lehnte auch das Finanzgericht ab. Es führte aus, eine infektiöse Gelbsucht sei bei einer praktischen ärztin keine typische Berufskrankheit. Eine solche setze voraus, daß die Gefahr der Erkrankung nur infolge der beruflichen Tätigkeit oder nur für Angehörige dieses Berufszweiges bestehe. Eine epidemisch auftretende Krankheit wie die infektiöse Gelbsucht könne sich aber jeder zuziehen, nicht etwa nur ärzte. Ein besonderer Zusammenhang des Körperschadens mit der Berufsausübung sei daher nicht anzuerkennen. Der Bundesfinanzhof habe im Urteil IV 158/56 U vom 6. Juni 1957 (BStBl 1957 III S. 286, Slg. Bd. 65 S. 136) Bedenken geäußert, ob die infektiöse Gelbsucht bei einem Chirurgen eine typische Berufskrankheit sei. Hinzu komme, daß die Bfin. bereits als Kind an einer Gelbsucht erkrankt gewesen sei. Das Gutachten des Gesundheitsamts gebe keine prüfbare Begründung für eine typische Berufskrankheit. Nr. 39 der Fünften Verordnung über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 26. Juli 1952 (BGBl 1952 I S. 395) bestimme zwar, daß jede Infektionskrankheit, die sich ein im Krankenhaus, in der freien Wohlfahrtspflege, im Gesundheitsdienst Beschäftigter usw. zuziehe, als Berufskrankheit anzusehen sei. Diese Abgrenzung biete aber nur einen gewissen Anhalt für den Begriff "Berufskrankheit" im Steuerrecht. Steuerlich müsse nicht nur eine Berufskrankheit, sondern eine typische Berufskrankheit vorliegen.

Die Bfin. rügt mit der Rb. mangelndes rechtliches Gehör und die unterlassene Beiziehung eines Sachverständigengutachtens; sie rügt weiter unrichtige Auslegung des Begriffs "typische Berufskrankheit". Sie trägt vor, ein Arzt sei bei der Behandlung von Personen, die an Gelbsucht erkrankt seien, ebenso gefährdet wie ein Facharzt, der Lungenkranke behandele. Eine erhöhte Anfälligkeit infolge ihrer in früherer Kindheit überstandenen Gelbsucht liege nicht vor, wie Immunisierungsversuche in den USA ergeben hätten. Die Bfin. verweist weiter auf eine schwedische Rückfrage; danach hätten in Schweden von 3.802 antwortenden ärzten insgesamt 531 eine infektiöse Gelbsucht durchgemacht. ärzte Schwestern und Pflegepersonal erkrankten 54mal häufiger an Hepatitis als andere Menschen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Es kommt darauf an festzustellen, ob ärzte durch ihren Beruf in ungewöhnlich hohem Masse der Gefahr einer infektiösen Gelbsucht ausgesetzt sind und daran erkranken. Ist das der Fall, so muß man diese Krankheit zu den typischen Berufskrankheiten für ärzte rechnen (siehe Hartz-Over, Lohnsteuer, Stichwort "Berufskrankheiten"; ferner Hartz in "Der Betrieb" 1957 S. 828). Die zur Beurteilung dieser medizinischen Frage erforderlichen Feststellungen können die Steuergerichte nicht ohne Anhörung von Sachverständigen treffen. Wenn das Finanzgericht beanstandet, daß im Gutachten des Gesundheitsamts nicht dargelegt sei, auf welches Material sich das Gutachten stütze, so hätte es das Gesundheitsamt um eine entsprechende Ergänzung des Gutachtens bitten sollen. Es konnte aber nicht ohne weiteres über die gutachtliche äußerung hinweggehen. Die Vorentscheidung war schon aus diesem Grund wegen unzureichender Sachaufklärung aufzuheben.

Bei der erneuten Entscheidung hat das Finanzgericht das Folgende zu beachten: Wird die Hepatitis als typische Berufskrankheit bei ärzten anerkannt, so ist es nicht entscheidend, ob sich die Bfin. die Hepatitis nachweisbar bei Ausübung ihres Berufs anläßlich einer Gelbsuchtepidemie zugezogen hat. Bei typischen Berufskrankheiten ist vielmehr der Zusammenhang von Erkrankung und Berufsausübung allgemein zu unterstellen.

Die sechste Verordnung über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 28. April 1961 (BGBl 1961 I S. 505) rechnet unter Ziffer 37 Infektionskrankheiten von Personal in Krankenhäusern, Heil- und Pflegeanstalten usw. zu den Berufskrankheiten. Ob die infektiöse Gelbsucht eine typische Berufskrankheit bei ärzten außerhalb von Krankenhäusern usw. ist, bleibt noch zu prüfen. Zweckmäßig wird dazu eine ergänzende äußerung des Gesundheitsamtes eingeholt, das an Hand des vorliegenden Materials, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit den ärztlichen Standesorganisationen und den Sozialversicherungsbehörden, die Frage zu beantworten hat.

Nimmt das Finanzgericht auf Grund seiner neuen Feststellungen eine typische Berufskrankheit an, so muß es auch dazu Stellung nehmen, ob sich der Pauschbetrag für Diätverpflegung wegen des Leberschadens und ein Pauschbetrag für die typische Berufskrankheit nicht überschneiden.

Bei der erneuten Entscheidung hat das Finanzgericht die im Rechtsbeschwerdeverfahren eingereichten Schriftsätze zu verwerten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411596

BStBl III 1965, 358

BFHE 1965, 308

BFHE 82, 308

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